E-Book, Deutsch, 255 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
Seliger Positive Leadership
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-7910-5052-2
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Revolution in der Führung
E-Book, Deutsch, 255 Seiten, E-Book
Reihe: Systemisches Management
ISBN: 978-3-7910-5052-2
Verlag: Schäffer-Poeschel Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Ruth Seliger ist Gründerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Unternehmensberatung 'trainconsulting' in Wien. Studium der Pädagogik, Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Ausbildung in systemischer Beratung, Appreciative Inquiry und Großgruppenmethoden. Ruth Seliger ist Autorin mehrerer Bücher wie 'Das Dschungelbuch der Führung'.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
Teil 1: Konzeptionelle und methodische Grundlagen
Teil 2: Positive Leadership in der Praxis
Literaturverzeichnis
Stichwortregister
2. Theoretische Grundlagen von Positive Leadership
Jedes professionelle Feld und jedes Tun in diesem Feld hat eine theoretische Grundlage. Das gilt für den Automechaniker ebenso wie für den Chirurgen oder auch für Führung. Die theoretische Basis einer Profession bedeutet, dass Standards, Prozeduren und Instrumente entstehen können und dass für den einzelnen Praktiker Handlungssicherheit möglich ist. Ohne eine solide theoretische Grundlage würde es in keiner Disziplin verlässliches professionelles Tun geben.
Führung war immer schon eine Schnittmenge unterschiedlicher wissenschaftlicher Felder und integrierte verschiedene Theorien, je nachdem, wie man Führung immer gerade definierte: Management-Theorien legten gern betriebswirtschaftliche Modelle zugrunde; wo Führung hauptsächlich als »Menschen-Führung« definiert wurde und wird, wird auf Erkenntnisse der Psychologie zurückgegriffen. Man könnte also sagen: »Zeige mir, auf welche Theorie du dich stützt, und ich sage dir, wer du bist«.
Das Feld »Positiv Leadership« beruft sich als Element des Paradigmenwechsels auf jene Wissenschaften, die selbst den Paradigmenwechsel vorantreiben. Es ist immer schwierig zu sagen, was im Einzelnen auf ein neues Feld einwirkt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit können einige Quellen aus der wissenschaftlichen Forschung genannt werden, die in den vergangenen Jahrzehnten Einfluss auf Führung im Allgemeinen und auf Positive Leadership im Besonderen genommen haben:
- das Systemische Denken,
- die Psychologie der Positiven Emotionen und die Glücksforschung,
- die Gehirnforschung sowie
- die neue Wirtschaftswissenschaft.
Um den Rahmen nicht zu sprengen, werde ich andere wichtige Forschungsrichtungen, wie etwa die moderne Soziologie, die heute von der »Next Society« spricht, oder die Chaostheorie, die wichtige Beiträge für das Verständnis von Komplexität leistet, hier nicht ausführen.
2.1 Systemisches Denken
Der Begriff »systemisches Denken« bezeichnet ein interdisziplinäres Wissenschaftsfeld, das sich mit der Erforschung lebender Systeme und ihrer Operationsweisen beschäftigt. Im »Dschungelbuch der Führung«49 habe ich die wichtigsten Konzepte und Modelle vorgestellt. Life-Sciences, wie Biologie oder Neurowissenschaften, und Sozialwissenschaften, wie Soziologie oder Psychologie, aber auch Chaostheorie schaffen die wissenschaftlichen Grundlagen für Erkenntnisse über lebende Systeme. So werden die Biologen Maturana und Varela50 ebenso zum systemischen Wissensfeld gezählt, wie der Physiker Fritjof Capra51 oder der Mathematiker und Physiker Heinz von Foerster52, der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick oder Gehirnforscher wie Gerhard Roth, Joachim Bauer oder Gerald Hüther.
Das Paradigma der Moderne war ein Versuch, die ganze Welt zu erklären. Die Grundlage dieses Welterklärungsmodells war die Maschine und damit die Technik. Es wurde einfach alles als Maschine gesehen. Systemisches Denken führt eine Differenz ein, die eigentlich nicht neu ist: die zwischen nicht lebenden (trivialen) Systemen, wie etwa Maschinen, und lebenden (nicht-trivialen) Systemen, wie Organismen, Tiere, Pflanzen, Ökosysteme, Menschen und soziale Systeme wie Paare, Gruppen, Organisationen.
Systemisches Denken, wie wir es heute vor allem in der Praxis kennen, umfasst drei große Forschungsfelder: Die Kybernetik, den Konstruktivismus und die Systemtheorie.
2.1.1 Kybernetik
Die Kybernetik befasst sich mit Komplexität und der in der Chaostheorie entwickelten Theorie von Rückkoppelungen und Wechselwirkungen. Sie erforscht selbstorganisierte Steuerungsprozesse und die vielfältigen und unberechenbaren Wechselwirkungen in einem System. Die meisten Prozesse des Lebens sind so gestaltet, dass wir Ursache und Wirkung nicht unterscheiden können.
Lebende Systeme, so die Erkenntnis, arbeiten in Form von Regelkreisen und Wechselwirkungen und nicht – wie im Maschinenkonzept gedacht – in linearen Input-Output-Prozessen. Es geht darum, diese Wechselwirkungsprozesse zu verstehen und zu nutzen.
Eine der vielen Anwendungen kybernetischer Prozesse liegt in dem Verstehen von Führung als einem Prozess von Wechselwirkungen zwischen der eigenen Person und dem eigenen Verhalten und dem von Mitarbeitern: Das Verhalten von Mitarbeitern wird erst verständlich, wenn man das Verhalten der Führung beobachtet hat. Oder anders gesagt: man hat immer die Mitarbeiter, die man verdient. Oder noch einfacher: wie man in den Wald hineinruft …
2.1.2 Konstruktivismus
Konstruktivismus ist eine Erkenntnistheorie. Die Grundfrage jeder Erkenntnistheorie lautet: haben wir oder haben wir nicht direkten Zugang zu der Realität, die uns umgibt? Können wir die Welt direkt erkennen?
Die konstruktivistische Antwort auf diese Frage lautet: Wir haben keinen direkten und unmittelbaren Zugang zur Realität. Unsere Wahrnehmungen sind das Produkt der Selektionen und Interpretationen unseres Gehirns, ein jeweils subjektives »Konstrukt«, das nicht unbedingt mit der äußeren Realität übereinstimmt. Wir bauen unsere Welt in uns auf, leben in dieser selbst geschaffenen Welt und halten das im Allgemeinen für »Wahrheit«.
Konstruktivismus bedeutet einen schmerzhaften Abschied von Begriffen wie Objektivität, Wahrheit und Wirklichkeit. Konstruktivismus sagt uns: wir haben nichts anderes als unsere eigenen Wirklichkeitskonstruktionen, um uns in der Welt zurechtzufinden.
Besonders die Erforschung menschlicher Kommunikation durch Wissenschaftler wie Paul Watzlawick53 oder Ernst von Glasersfeld54 haben neue Modelle und Instrumente hervorgebracht, die für Führung heute vielfach bereits zur Norm gehören.
Für Führung bedeutet das konstruktivistische Prinzip nicht mehr und nicht weniger, als dass man als Führungskraft keine »wahrere« oder »richtigere« Sicht auf die Dinge hat als Mitarbeiter, sondern ebenfalls nur eine sehr subjektive Deutung als Grundlage für Entscheidungen. Konstruktivismus zwingt zu Relativität der eigenen Sichtweise und damit zu Bescheidenheit.
2.1.3 Systemtheorie
Die Systemtheorie beschäftigt sich mit sozialen Systemen, also den kommunikativen Zusammenschlüssen von Menschen, und hat ihre akademische Heimat in der Soziologie.
Die Systemtheorie konzipiert soziale Systeme als lebende Systeme, deren »Kernelement« Kommunikation ist.
Das betrifft alle Typen sozialer Systeme – vom Paar bis zur Gesellschaft.
Im Zentrum des Interesses im Zusammenhang mit Führung steht die Konzeption von Organisationen als komplexe soziale Systeme. Die moderne Systemtheorie hat dazu zahlreiche Erkenntnisse eingebracht.55 Die Bearbeitung von Komplexität und von Selbstorganisationsprozessen hat das Verständnis von Führung und das ihrer Kernaufgaben radikal verändert. Vor allem die Konzeption von Niklas Luhmann56, wonach der Mensch, der Mitarbeiter, nicht als »Element« von Organisationen, sondern als relevante Umwelt des Systems gesehen wird, ist ein radikaler Bruch mit herkömmlichen Bildern vom Zusammenspiel von Person und Organisation, der weitreichende Wirkungen auf die Konzeption von Führung und Beratung hat.
2.1.4 Systemisches Denken und Führung
Systemisches Denken steht für ein neues Weltbild, Menschenbild und Führungsbild, in dem Einzelphänomene aus ihrem Zusammenhang heraus – dem Kontext und ihrer Bedeutung darin – erklärt werden. Das Interesse richtet sich auf Zusammenhänge, Verbindungen und Wechselwirkungen. So ist systemisches Denken längst zu jenem Denkansatz geworden, der am besten für das Verständnis und die Bearbeitung von Komplexität geeignet ist. Die wesentlichen Erkenntnisse aus dieser komplexen Theorie betreffen die Modellbildung über lebende Systeme, vor allem Menschen und Organisationen, sowie die Erkenntnisse über die (Un-)Möglichkeiten der Steuerung lebender Systeme.
Lebende (nicht-triviale) Systeme sind eigen-sinnig, selbst-gesteuert, unberechenbar und zu ungeahnten Entwicklungen fähig. Das unterscheidet sie von nicht-lebenden (trivialen) Systemen (Maschinen), deren lineare und mechanistische Logik das Weltbild der letzten fünfhundert Jahre geprägt hatte.
Systemisches Denken hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in zahlreichen Praxisfeldern etabliert: in der systemischen Familientherapie, in der systemischen Organisationsberatung und in einem neuen, der Komplexität der Aufgabe...