Seiffge-Krenke / Dietrich / Adler-Corman Die Konfliktachse der OPD-KJ-2
2., unveränderte Auflage 2016
ISBN: 978-3-647-99640-0
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Fallbuch für die klinische Arbeit. EPub
E-Book, Deutsch, 164 Seiten
ISBN: 978-3-647-99640-0
Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik liegt seit 2013 in einer überarbeiteten Auflage vor. Das Buch zeigt anhand der Konfliktachse der OPD-KJ-2, welche typischen intrapsychischen entwicklungshemmenden Konflikte bei Kindern und Jugendlichen diagnostiziert und wie sie behandelt werden können. Unterschiedliche therapeutische Vorgehensweisen, die Elternarbeit und die Anwendung der OPD-KJ-2 bei der Erstellung des Berichts an den Gutachter werden anschaulich beschrieben. Zahlreiche Beispiele aus der kinder- und jugendpsychiatrischen Praxis sowie der Intervision und Supervision illustrieren den Gewinn, den ein Einbezug der Konfliktachse in den Therapiealltag bringt.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie Differentielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie Psychologische Diagnostik, Testpsychologie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Psychodynamische Psychotherapie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
Weitere Infos & Material
Die diagnostische Arbeit mit der Konfliktachse: Einige Hilfestellungen Die Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik im Kindes- und Jugendalter (OPD-KJ) hat einen besonderen Anspruch. Ihr Zugang ist entwicklungspsychopathologisch, das heißt, sie verbindet in der Diagnostik entwicklungspsychologische mit klinisch-psychiatrischen und psychotherapeutischen Perspektiven. Damit stellt die OPD-KJ eine komplexe, mehrdimensionale und entwicklungsbezogene Diagnostik dar, die über klassische psychiatrische Diagnosen und Entwicklungsdiagnostik hinausgeht. Die Operationalisierung psychodynamischer Konzepte wie Beziehung, Konflikt, Struktur und Behandlungsvoraussetzungen wurde vor einigen Jahren manualisiert (Arbeitskreis OPD-KJ, 2003); mit der 2. Auflage (Arbeitskreis OPD-KJ, 2007) wurde das Manual für die diagnostische Einschätzung bei Kindern und Jugendlichen erneut standardisiert und hat inzwischen eine weite Verbreitung in der Kinder- und Jugendlichenpsychiatrie und -psychotherapie gefunden. Gegenwärtig liegt eine auf der Basis der Trainings und der klinischen Erfahrungen vorgenommene umfangreiche Überarbeitung (Arbeitskreis OPD-KJ-2, 2013) vor, die eine gut operationalisierbare Einschätzung verschiedener, für die Diagnose und Indikation wichtiger Dimensionen auf vier Achsen (Beziehung, Konflikt, Struktur, Behandlungsvoraussetzungen) erlaubt und Hilfen für die klinische Anwendung gibt. Im Zentrum dieses Buches steht die klinische Arbeit mit der Konfliktachse; es werden allerdings auch Aspekte der Behandlungsvoraussetzungen und der strukturellen Voraussetzungen für eine Therapie berührt. Bei der Einstufung auf der Konfliktachse geht es um die Einschätzung eines zeitlich überdauernden intrapsychischen und entwicklungshemmenden unbewussten Konflikts, der in einem aktiven oder passiven Modus vom Kind oder vom Jugendlichen verarbeitet wird (siehe Manual der OPD-KJ-2, Arbeitskreis OPD-KJ-2, 2013, S. 139–196). Dieser Konflikt kann sich in verschiedenen Entwicklungsbereichen (Familie, Gleichaltrige, Kindergarten/Schule/Beruf sowie Körper/Krankheit) zeigen. Je mehr Bereiche von dem Konflikt betroffen sind, umso eingeschränkter und »kränker« ist das Kind bzw. der Jugendliche. Konfliktfreie Bereiche sind hingegen als Ressourcen zu werten. Insgesamt können sieben verschiedene Konfliktthemen (Nähe vs. Distanz, Unterwerfung vs. Kontrolle, Selbstversorgen vs. Versorgtwerden, Selbstwertkonflikt, Schuldkonflikt, ödipaler Konflikt, Identitätskonflikt) bezüglich ihrer Ausprägung eingeschätzt werden. Bei der Einstufung der sieben Themen der Konfliktachse sollten die Altersfenster berücksichtigt werden, auch wenn uns die Patienten beispielsweise als deutlich »jünger« erscheinen. Dies ist wichtig, denn ein intrapsychischer Konflikt ist per definitionem eine Entwicklungsbehinderung. Diese Altersfenster beziehen sich auf die Altersstufe 1 (drei bis fünf Jahre, d. h. das Klein- und Vorschulkind), die Altersstufe 2 (sechs bis zwölf Jahre, d. h. die mittlere Kindheit) und die Altersstufe 3 (13 bis 18 Jahre, d. h. die Adoleszenz). Eingestuft wird also jeweils nach dem realen Alter, auch wenn die Kinder deutlich jünger oder älter wirken. Zusätzlich zu den sieben Konfliktthemen ist es möglich, die Beeinträchtigung des Kindes oder Jugendlichen aufgrund von schweren Lebensbelastungen einzuschätzen. Unter schweren Lebensbelastungen verstehen wir kritische Lebensereignisse wie Scheidung, Umzug, Migration, schwere psychische oder körperliche Erkrankung eines Familienmitglieds oder Arbeitslosigkeit. In der Regel findet man bei Kindern und Jugendlichen in ambulanter oder stationärer Psychotherapie zahlreiche schwere Lebensbelastungen. Auch schwere Traumata wie sexueller Missbrauch, körperliche oder emotionale Misshandlung etc. gehören dazu. Man muss allerdings vor einer inflationären Verwendung des Begriffs »traumatisiert« warnen. Diese schweren Lebensbelastungen sind auf der Befunddokumentation (vgl. Arbeitskreis OPD-KJ-2, 2013, S. 390) anzugeben, und zwar unterschieden nach schweren Lebensbelastungen, die in den letzten sechs Monaten vor dem diagnostischen Gespräch lagen, und noch länger zurückliegenden. Schwere Lebensbelastungen bis zu sechs Monaten vor dem diagnostischen Gespräch bzw. den probatorischen Sitzungen können die Einschätzung von Konflikten erschweren, da die Abwehr massiv erhöht und auch das Strukturniveau beeinträchtigt sein kann. Alltagsbelastungen dagegen (wie schlechte Noten bekommen, Streit mit den Eltern, Alltagskonflikte zwischen Eltern und Kindern über Hausaufgaben, Aufräumen und Ausgehen) sind häufig und nur mild belastend und relativ leicht von Kindern und Jugendlichen zu bewältigen. Sie werden nicht eingeschätzt, denn sie haben in der Regel keinen Krankheitswert, sondern können sogar, und das gilt besonders in der Adoleszenz, eine entwicklungsfördernde Funktion haben, da mehr Autonomie mit den Eltern ausgehandelt wird. Das Manualisierungskapitel (vgl. Arbeitskreis OPD-KJ-2, 2013, S. 139–196) erleichtert die Einstufung, indem es für jeden Konflikt und jeweils gegliedert nach Altersstufen und betroffenem Lebensbereich den aktiven und passiven Modus der Verarbeitung der sieben Konflikte erläutert. Das folgende Einstufungsschema (vgl. Tabelle 1) enthält im Überblick einige Informationen, die hilfreich bei der Festlegung des jeweils wichtigsten bzw. zweitwichtigsten Konflikts und des entsprechenden Verarbeitungsmodus sind. Bei der Einstufung ist wichtig, sich Folgendes zu verdeutlichen: Der Nähe-versus-Distanz-Konflikt sollte nur dann diagnostiziert werden, wenn Bindungen elementar gestört sind. Er zeigt sich im aktiven Modus als Angst vor Nähe und Suche nach übersteigerter emotionaler Unabhängigkeit und im passiven Modus als Angst vor Trennung und Suche nach engen Beziehungen. Er sollte nicht diagnostiziert werden, wenn flexible Bindungen zu anderen möglich sind, zum Beispiel außerhalb des Elternhauses zu anderen Personen. Der Konflikt Unterwerfung versus Kontrolle bedeutet, dass Selbst- und Fremdkontrolle beziehungsbestimmend sind. Im aktiven Modus findet man ständiges Aufbegehren gegen Pflichten, im passiven Modus Gefügigkeit und Unterordnung. Beim Konflikt Selbstversorgen versus Versorgtwerden ist das Versorgtwerden das beziehungsbestimmende Thema. Im aktiven Modus finden wir Selbstversorgung und Aufopferung für andere, im passiven Modus ein anklammerndes, parasitäres Verhalten. Beim Selbstwertkonflikt steht die Regulierung des Selbstwertes im Vordergrund. Im aktiven Modus finden wir eine grandiose Selbstüberschätzung, im passiven Modus deutliche Einbrüche des Selbstwertes. Der Schuldkonflikt entsteht dann, wenn Kinder und Jugendliche versuchen, die Beziehung zu den Eltern in jedem Fall zu sichern und unangemessene Schuldgefühle haben. Im aktiven Modus finden wir Entwertungen familiärer Beziehungen, im passiven Modus erwecken die Kinder und Jugendlichen den Eindruck, als hätten sie schwere Schuld auf sich geladen, und zeigen eine überzogene Treuebindung an die Eltern. Beim ödipalen Konflikt stehen erotisch-sexuelle Wünsche und deren Abwehr im Vordergrund. Sexualität und triadische Beziehungen werden im aktiven Modus betont, während die Kinder und Jugendlichen im passiven Modus sehr sachlich und eher sexuell unattraktiv und uneindeutig erscheinen. Beim Identitätskonflikt sind Identitätsfindung und -sicherung lebensbestimmend. Im aktiven Modus finden wir eine unkritische Übernahme wechselnder Identifizierungen, im passiven Modus Orientierungs- und Ratlosigkeit. Tabelle 1: Übersicht über die Konfliktthemen und Modi Bei der Konfliktdiagnostik ist eine wichtige Frage, wie man den Konfliktfokus findet. Hier geht es darum, welches Konfliktthema erlebens- und verhaltensbestimmend ist, wobei die unbewusste Dynamik, etwa in der Gegenübertragung und im szenischen Verstehen, ebenfalls einbezogen wird. Auch Märchen oder Lieblingsgeschichten bzw. -filme des Kindes oder Jugendlichen können wichtige Hinweise geben. Darüber hinaus muss man sich fragen, welcher Konflikt die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen am meisten behindert, hier wird also die Dysfunktionalität genauer betrachtet. Da aber im Verlaufe einer Behandlung oft auch noch andere konflikthafte Themen deutlicher werden, ist es sinnvoll, auf dem Einstufungsschema zu schauen, welche weiteren entwicklungsbehindernden Konflikte sich andeuten. Die Einstufung ist komplex, da eine Integration von diagnostischem Material aus vier verschiedenen Quellen notwendig ist: a) aus dem Gespräch mit Kindern oder Jugendlichen und ihren Eltern, b) aus der Beobachtung beim Spiel sowie aus den Ergebnissen der (projektiven) Testverfahren, c) aus der Anamnese der Eltern und teilweise auch des Kindes oder Jugendlichen, d) aus der szenischen Darstellung. Wir gehen davon aus, dass die Qualität der psychodynamischen Diagnostik dann am höchsten ist, wenn sowohl das szenische Verstehen als auch die explorative Interviewtechnik zur Befunderhebung je nach Kind oder Jugendlichem und Fragestellung mit unterschiedlichem Schwerpunkt angewandt werden. Insbesondere in klinischen Zusammenhängen kann einer offenen Gesprächsführung mit Schwerpunkt auf dem szenischen Verstehen der Vorzug gegeben werden. Zur Einschätzung der intrapsychischen Konflikte bleibt das Kernstück der Befunderhebung das Interview mit dem Kind oder Jugendlichen. Zusätzlich ist die Anamnese der Eltern und/oder anderer Bezugspersonen unerlässlich. Nach Bildung von Konflikthypothesen aus den ersten Sitzungen können dann in den nächsten Sitzungen gezieltere Nachfragen im Vordergrund stehen (Trichterprinzip), die möglicherweise...