Seebacher | Wenn alles in Scherben fällt | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, Band 6, 248 Seiten

Reihe: Memoria. Erinnerungen an das 20. Jahrhundert

Seebacher Wenn alles in Scherben fällt

Erinnerungen eines Bozner Laubengasslers

E-Book, Deutsch, Band 6, 248 Seiten

Reihe: Memoria. Erinnerungen an das 20. Jahrhundert

ISBN: 978-88-7283-487-9
Verlag: Edition Raetia
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Luis Seebacher erzählt facettenreich sein Aufwachsen als Laubengassler im Bozen der Zwanziger- und Dreißigerjahre: von Lausbubengeschichten, der faschistischen Schule und seiner Leidenschaft für den Boxsport. Hautnah erlebte er als junger Bub den Besuch des italienischen Königs auf dem Waltherplatz oder den Brand des Vogelweider-Verlages unter den Lauben mit. Auch die Weltwirtschaftskrise von 1929 machte vor Bozen keinen Halt: Hungrig klopfte er an die Pforte des Franziskanerordens und bettelte um "a Schtickl Prout". Die Optionsnachricht erreicht ihn während seines Militärdienstes in Turin. Er ging und wurde in die deutsche Wehrmacht überstellt. Lebhaft schildert Seebacher die Jahre des Kriegseinsatzes in Russland, den langsamen Rückzug vor den vorrückenden Sowjets, das Bangen und Hoffen, heil zu seiner frisch gegründeten Familie heimzukehren, welche bald selbst dem Bombenhagel der Alliierten ausgesetzt ist.
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Weitere Infos & Material


Da fiel mir meine Kindheit ein
Haus Nummer 57
Durch die Altstadt
Si parla italiano!
Revier Waltherplatz
Ferien im Ländle, Freizeit in Bozen
Über den Gugler und das Stadttheater
Patres als Professoren
Harte Zeiten
Faszination Radio und faschistische Subversion
Leidenschaft Boxen
Servus Bozen
Vom Regen in die Traufe?
Kriegsernst
Gebremster Vormarsch
Wir setzen uns nach Westen ab
München im Bombenhagel
Das Ende naht
Vom Auffanglager in die Freiheit
Vom Neuanfang zur Pensionierung
Markante Erlebensdaten


Ein Krieg kennt nur Verlierer, keine Helden
Luis Seebacher und seine Familie gehörten zu jenen circa 75.000 Südtirolern, die im Verlauf von Option und Umsiedlung zwischen 1939 und 1943 ihre „alte Heimat“ Südtirol verließen, um im damaligen Deutschen Reich eine „neue Heimat“ zu finden. Sie waren Teil jenes gigantischen Stroms von Flüchtlingen, Umgesiedelten, Vertriebenen, die die beiden totalitären Regime in Berlin und Rom und der von Hitler entfesselte Krieg verursacht hatten. Fast 50.000 dieser Südtiroler Umsiedler kehrten nach Kriegsende nicht mehr nach Südtirol zurück, der Großteil von ihnen hatte in den am Rande der verschiedenen Städte und größeren Zentren Vorarlbergs, Tirols und Salzburgs erbauten „Südtirol-Siedlungen“ Unterkunft gefunden, wo nicht selten bis heute noch deren Kinder und Enkelkinder wohnen. „Neue Heimat“ hatte ja auch nicht zufälligerweise jenes NS-Siedlungswerk geheißen, das zumeist noch während des Krieges diese Wohnungen erbaut hatte. Luis Seebacher war nach seiner Heirat 1940 in München fünf Jahre lang Soldat einer Nachrichteneinheit an den verschiedenen Fronten und fand dann mit seiner Familie zunächst in Bludenz Wohnung und Arbeit. Dort wohnten nämlich die Eltern seiner Mutter, die Familie Fasolini. Diese gehörte zu jenen vielen Familien, die im Zuge der industriellen Revolution in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Trentino, dem „Armenhaus Tirols“, oder aus dem Veneto nach Vorarlberg gezogen waren, um hier als Beschäftigte in der florierenden Textilindustrie des Landes eine bessere Zukunft zu erhoffen. Ein Leben unter sozial prekären Verhältnissen beziehungsweise als „Migranten“ – denn auch seinen Vater hatte es als Zimmerer und Baupolier für einige Jahre nach Bayern verschlagen, wo ja Luis selbst 1920 in Altötting kurz vor der Rückkehr der Familie nach Südtirol geboren wurde – war also Luis Seebacher quasi mit in die Wiege gelegt. Zu den Kindern aus begüterten Familien, „nati con la camicia“ (nicht arm und nackt, sondern eben schon „mit einem Hemd bekleidet geboren“), wie es der italienische Volksmund so schön formuliert, gehörte Luis wahrlich nicht. Er musste sich alles selbst und hart erarbeiten. Dieser sein ausgeprägter Leistungswille, sein Bewusstsein, dass beruflicher Aufstieg über den Weg der Bildung möglich ist, gepaart mit der Überzeugung von der Notwendigkeit größerer sozialer Gerechtigkeit in der Gesellschaft, prägte das ganze Leben Luis Seebachers und findet sich auch auf allen Seiten seiner Erinnerungen wieder. Und so übernahm er gewissermaßen den Beruf des Vaters, wenngleich sozusagen in einer potenzierten Form beziehungsweise auf einer höheren Ebene, denn sein Weg führte ihn zielstrebig von einer kurzen Zeit als Holzfäller und fünf Jahren im Stollen beim Kraftwerksbau über die Betriebsratsfunktion, die Absolvierung der Sozialakademie der Wiener Arbeiterkammer in Mödling, die Funktion eines Landessekretärs für die Arbeiter des Bau- und Holzsektors in Vorarlberg bis zum jahrelangen Einsatz als Anwalt und Interessenvertreter aller Bau- und Holzarbeiter Österreichs in seiner Funktion als Zentralsekretär dieser Kategorie im Österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB). Seebachers Erinnerungen sind vor allem ein nostalgischer Rückblick auf die Zeit seiner Kindheit und Jugend im Alt-Bozen zwischen den beiden Weltkriegen. Aber es ist, bei aller Nostalgie über die Verspieltheit, Unbekümmertheit, Abenteuer- und Unternehmungslust des Jugendlichen, k e i n Blick zurück mit n u r romantisch-verklärendem Anstrich. Stets ist die Schilderung von schulischen und „freizeitlichen“ Erlebnissen und Abenteuern der „Laubengassler-Buben“ um Luis, dessen zwei Jahre jüngeren Bruder Norbert, den unzertrennlichen Freund Rudi Mair und andere Jugendfreunde a u c h ergänzt mit Informationen über die oft schwierige finanzielle Situation der Familie. Ein angenehmes, sorgenfreies oder gar luxuriöses Leben war es zweifellos nicht, dieses Leben der Angestellten, Arbeiter, Beamten, kleinen Ladenbesitzer oder Handwerker im Herzen des deutschsprachigen Bozen, zu denen der Kreis der Verwandten und Bekannten um die Familie Seebacher gehörte. Auch so mancher schon vor ein bis zwei Generationen zugewanderte (und inzwischen weitgehend assimilierte) „Welschtiroler“ aus dem Trentino befand sich darunter, sodass für das Stadtkind Luis der Wechsel vom deutschsprachigen Kindergarten bei den Barmherzigen Schwestern zur italienisch-faschistischen Volksschule ein nicht ganz so traumatischer „Kulturschock“ gewesen sein mag wie für die allermeisten deutschsprachigen Kinder in der ländlichen Peripherie Südtirols. Oftmals finster, grau und feucht war das Wohnen der kleinen Leute unter sanitär-hygienisch prekären Verhältnissen in den damaligen Bozner Lauben, und wer als Bewohner des obersten Stockwerkes das Glück hatte, Licht, Luft, Sonne und eine schöne Aussicht auf die umliegenden Berge zu haben, musste dafür als Strafe zumindest das Wasser für den täglichen Gebrauch über die engen und steilen Treppen kübelweise hinauf- und wieder hinunterschleppen. Früh schon waren die Kinder mit den Alltagssorgen der Familie konfrontiert, denn der karge Verdienst (Vater Seebacher war immerhin leitender Arbeiter im Baugeschäft, bis er 1934 nach einem Konkurs der Firma, bei der er angestellt war, für einige Zeit arbeitslos wurde) reichte oft kaum zum Bezahlen der Monatsmiete und des Nötigsten an Essen und Kleidung. „Verzichten und Sparen“, so heißt es einmal kurz und bündig in diesen Erinnerungen, war zumeist die notwendige „Überlebensstrategie der Familie“. Dass zur Aufbesserung des oft kaum reichenden Geldes für den täglichen Haushaltsbedarf gelegentlich sogar ein Zimmer der Wohnung an italienische Beamte, die im Zuge der faschistischen Migrationspolitik nach Bozen kamen, „untervermietet“ werden musste, veranschaulicht diesen Sachverhalt recht deutlich. So ist Luis Seebacher in diesen seinen Memoiren nicht nur ein penibler Chronist der sprachlich-kulturellen Veränderung der Stadt unter dem faschistischen Regime, angefangen von den Umbenennungen von Schulen, Plätzen und Straßen bis hin zu den alltäglichen Erfahrungen Schule und Freizeit betreffend, sondern er gibt auch immer wieder präzise Informationen über Lebensmittelpreise und Löhne, über Eintrittspreise in die Gugler’sche Schwimmschule in Quirein an der Talfermauer, bei kulturellen Veranstaltungen in den Bürgersälen oder im Stadttheater, über die Preise für Trinken und Essen in den Gasthäusern rund um Bozen, in denen bei den sonntäglichen Ausflügen eingekehrt wurde, sowie über die seinerzeitigen Essensgewohnheiten. Da angesichts der damals noch geringen Mobilität der Großteil solcher familiärer Wochenendausflüge von den „Stadtlern“ zu Fuß absolviert wurde, kam diesen Gasthöfen auch eine nicht unerhebliche gesellschaftliche und politische Funktion zu. Solche Landgasthöfe waren beispielsweise das „Scharfeck“ in Gries, die mitten in den Weingärten von Quirein gelegene „Hofer-Katl“ (einige Jahre lang ein Treffpunkt für die Sympathisanten der illegalen NS-Bewegung), vor allem aber die beiden Gasthöfe „Wendlandt“ und „Kohlerhof“ auf dem Virgl, wo für die Familie Seebacher mit der Familie Werner auch verwandtschaftliche Beziehungen bestanden. Als Chronist für das Praktisch-Konkrete vergisst Luis Seebacher natürlich auch nicht uns mitzuteilen, was damals bei den herbstlichen Ausflügen das Herz aller Kinder höher schlagen ließ: Maroni mit Maibutter (gebratene Kastanien mit Schlagsahne und ein bisschen Zimt drauf). Zumindest erahnen lässt uns so manche Erzählung Seebachers, inwieweit der gesellschaftliche „Modernisierungsschub“, den die faschistische Politik in den Dreißigerjahren auslöste, vor allem bei Jugendlichen auch auf Zustimmung stieß, trotz aller Unterdrückungsmaßnahmen im sprachlich-kulturellen Bereich. Dies war in erster Linie die bewusste Forcierung des Sports in Schule und Freizeit, die Einrichtung der „Gratis-Ferienkolonien“ am Meer als Prämie für begabte und fleißige Schüler, das neue Wahrnehmungsgefühl von Raum und Zeit, das mit einer größeren Mobilität und dem technischen Fortschritt, den ersten Stummfilmen im Kino, mit Motorrad, Auto und Radio verbunden war. Auch wenn all dies für die breite Masse der Bevölkerung zumeist noch unerschwingliche Luxusgüter waren (ein Telefunken-Radio, so erfahren wir, kostete ungefähr die Summe von drei durchschnittlichen Monatslöhnen eines Arbeiters!), so war die Faszination, die davon ausging, wahrscheinlich umso größer. Wichtige und große, explizit politische Ereignisse und Veränderungen der Bozner Stadtgeschichte jener Zeit bleiben in den Erinnerungen von Seebacher eher ausgeblendet. Dies ist wohl eine bewusste Entscheidung, denn ihm geht es nicht um eine (weitere) wissenschaftlich-historiografische Rekonstruktion der Veränderungen des Stadtbildes...


Luis Seebacher, geboren 1920 in Altötting/Bayern, gestorben 2011 in Wien. Kindheit und Jugend in Bozen, 1939 Option und Einzug in die deutsche Wehrmacht. Nach Ostfront und kurzzeitiger Kriegsgefangenschaft Neubeginn in Bludenz/Vorarlberg als Stollenarbeiter. 1953 Landessekretär der Gewerkschaft für Bau- und Holzarbeiter. 1961 Versetzung ins Zentralsekretariat des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) nach Wien, wo er 1967 vorerst stellvertretender und von 1974 bis zur Pensionierung Zentralsekretär der Gewerkschaft für Bau- und Holzarbeiter wird. Träger des "Großen Ehrenzeichens" für Verdienste um die Republik Österreich.


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