E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
E-Book, Deutsch, Band 1, 416 Seiten
Reihe: Die Schwärze hinter dem Licht
ISBN: 978-3-946408-00-0
Verlag: tensual publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Tag 3
David Li ließ sich in den Sitz seiner N-Tek sinken. „Regierungssitz des Verwaltungsrates“, wies er das Navigationsgerät der Transportkapsel an. Er blickte konzentriert aus dem Fenster, und erst, als das Vehikel sich reibungslos in den fließenden Verkehr eingereiht hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit den Unterlagen zu. Die Zeit, die er nun auf Bat’klan lebte, hatte noch nicht ausgereicht, sich an die fahrerlosen Transportkapseln zu gewöhnen. Auf Tharkos gab es keine Fahrzeuge mit automatischer Navigation. Dort fuhr man sein Automobil selbst. Als er das erste Mal mit einer N-Tek gefahren war, erschien es ihm beinahe wie ein Wunder, ohne Zwischenfall ans Ziel gelangt zu sein. Er hatte sein Misstrauen immer noch nicht ganz abgelegt, auch wenn er wusste, dass es irrational war. Das System funktionierte perfekt. Doch Logik hatte selten Einfluss auf die Gefühle. Jetzt fühlte er sich jedoch aus einem ganz anderen Grund unwohl. Das vor ihm liegende Gespräch würde nicht leicht werden. Den Inhalt der Unterlagen kannte er längst auswendig. Trotzdem las er sie noch einmal durch. Die Fakten waren eindeutig. Er verzog die Nase. Der Geruch von Paz’ Parfum hing in den Polstern der Sitze. Er mochte es nicht. Es war ihm zu herb und zu holzig. Leider benutzte sie es reichlich. Die Fahrt dauerte nicht lang, der Verwaltungsrat befand sich wie das Polizeipräsidium in Kuppel eins. Die N-Tek parkte ein. Er stieg aus und betrat das Gebäude. „Ich möchte zu Kanzlerin Hegwarth. Ich habe einen Termin.“ Die Rezeptionistin lächelte ihn an. „Sie werden bereits erwartet, Inspektor Li. Zimmer dreihunderteins im dritten Stock.“ Er dankte mit einem Nicken. Aus Gewohnheit benutzte er die Treppe und lief zwei Stufen auf einmal nehmend nach oben. Dabei geriet er kaum außer Atem. Generalsekretär Bowen befand sich bereits im Büro der Kanzlerin. „Inspektor Li, was ist so dringend, dass Sie dieses Treffen veranlasst haben?“, fragte Frau Hegwarth. Sie war hinter ihrem Schreibtisch hervorgetreten, um ihn zu begrüßen. In diesem Moment wurde die Tür aufgerissen und Robaine Barr stürmte herein. Alle sahen auf ihn und eine seltsame Stille entstand. Er hatte nicht geklopft. Die Kanzlerin räusperte sich. „Vielleicht setzen wir uns erst einmal.“ Sie wies auf ihre Sitzgruppe. „Verzeihen Sie mein unhöfliches Benehmen, verehrte Kanzlerin. Auch Sie, meine Herren.“ Robaine Barr schien ehrlich zerknirscht. „Ich sollte so schnell wie möglich kommen. Die Nachricht klang verstörend ernst. Was ist passiert?“ Er sah mit gerunzelter Stirn auf David. „Ich will es kurz machen. Die Spurensicherung hat am Tatort im Fall Carla Jansen ein Haar gefunden. Beim Abgleich mit der DNA-Datenbank konnte es zweifelsfrei Protektor Robaine Barr zugeordnet werden.“ Barr öffnete den Mund, doch David ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Das macht Protektor Barr zu einem Tatverdächtigen.“ Er räusperte sich. „Ich muss mich als Ermittler für befangen erklären.“ Nur langsam erkannten die Anwesenden die Bedeutung seiner Aussage, wie er an ihren Mienen ablesen konnte. „Sie können ihr Amt nicht abgeben. Bat’klan hat nur eine Mordkommission“, stellte Kanzlerin Hegwarth fest. „Ich stehe unter Mordverdacht?“, polterte Robaine los. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein, David!“ „Dein Haar wurde gefunden, Robaine. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ „Du kannst doch unmöglich glauben, dass ich Carla Jansen umgebracht habe!“ Robaine war aufgesprungen und breitete die Arme aus. „Was ich glaube oder nicht glaube, steht nicht zur Debatte. Das Problem ist, dass unsere Freundschaft einer rechtssicheren Mordermittlung im Wege steht. Es geht hier nicht darum, den Tatbestand deiner Beteiligung zu klären. Dieses winzige Haar legt gerade die ganze Ermittlung lahm.“ „Haben Sie Vorschläge, Inspektor Li, wie wir das Problem lösen können?“, mischte sich der Generalsekretär ein. „Ja, die habe ich. Ich würde ungern die Ermittlungen abgeben. Derzeit hat niemand vor Ort auch nur annähernd meine Erfahrungen in Bezug auf Mordermittlungen. Mein Vorschlag wäre, dass wir einen außerplanetarischen Polizisten zum Fall hinzuziehen. Das würde eine neutrale Untersuchung gewährleisten, insbesondere, wenn dieser ortsfremde Ermittler die Vernehmung von Protektor Barr übernehmen würde.“ Es blieb einen Moment still. Robaine Barr stand auf, ging einige Male hin und her und trat dann ans Fenster. „Das erscheint mir, eine gute Lösung zu sein“, sprach Kanzlerin Hegwarth als Erste. „An wen können wir diesbezüglich unsere Anfrage richten?“ Sie beugte sich vor und fixierte David gespannt. Er starrte eine Wimper an, die ausgefallen und auf ihrem Wangenknochen liegen geblieben war. Das Haar von Robaine, das sie gefunden hatten, war ebenfalls eine Wimper, zwölf Millimeter lang und damit eindeutig vom oberen Lidrand. Die unteren Wimpern waren kürzer. Die Lebensdauer von Wimpern beträgt einhundert bis einhundertfünfzig Tage. Dann fallen sie aus. Ein ganz normaler Vorgang. Wie war die von Robaine an den Tatort gekommen? „Wir werden einen Telepathen engagieren“, wurde er vom Protektor aus seinen Gedanken gerissen. „Einen telepathisch veranlagten Polizisten. Er soll mich vernehmen, damit meine Unschuld schnellstmöglich bewiesen wird.“ „Einen Telepathen?“ David starrte seinen Freund an. Die Wimper der Kanzlerin war vergessen. „Nein, auf keinen Fall.“ Er verschränkte seine Arme. „Wieso einen Telepathen?“, fragte Generalsekretär Bowen. „Die Telepathie ist in diesem Fall anderen Ermittlungsmethoden überlegen“, erklärte Barr. „Lügen müssen nicht in kriminalistischer Kleinarbeit aufgedeckt werden. Der Telepath erkennt sie sofort. Der Mörder muss gefunden werden. Am besten schon gestern. Die Menschen auf Bat’klan sind verunsichert. Sie haben Angst.“ „Aber Protektor Barr, bedenken Sie, auch vor einem Telepathen haben die Leute Angst“, warf die Kanzlerin ein. „Nicht, wenn sie davon nichts wissen.“ Robaine setzte sich wieder an den Tisch. „Sie meinen, wir sollen heimlich einen Telepathen engagieren?“, fragte Bowen. „Ich denke nicht, dass das so einfach geht.“ „Warum denn nicht? Es wird nur von einem externen Ermittler die Rede sein.“ Barr zuckte mit den Schultern. „Das wäre Betrug“, stellte David fest. Er spürte die Ader auf seiner Stirn pochen. „Nein, das wäre es nicht. Niemand wird behelligt, der Mörder kann rasch gefasst werden. Das ist im Interesse aller. Manchmal heiligt der Zweck die Mittel.“ Robaine hatte bestimmt geklungen. „Ich will nicht mit einem Telepathen zusammenarbeiten!“ „Und ich will nicht mit einem Mörder auf Bat’klan leben müssen.“ David und Robaine starrten sich an. * * * Auf Tellur Nur ihre Füße ragten aus dem Schrank hervor. In die Socken waren blaue Nilpferde gewebt. „Das gibt es nicht! Hier muss es doch irgendwo sein“, schimpfte Sona, und ihre Stimme klang zwischen den Kleiderschichten dumpf. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“, fragte John Gabriel. „Ich brauch dir nicht mehr zuzuhören. Du wiederholst dich seit Stunden. Ich habe meine Entscheidung getroffen und dabei bleibt es.“ Sie krabbelte rückwärts aus dem Kleiderschrank und blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Hier drin ist es auch nicht. Wo könnte ich noch suchen?“ „Als gäbe es nichts Wichtigeres als dieses dumme T-Shirt!“ Johns Mentalkorona waberte rot-schwarz empor. Wolkig und zerfasert. So sah sie immer aus, wenn er wütend war. Sie nannte ihn dann John-Erzengel-Gabriel-mit-dem-Flammenschwert. Natürlich nur heimlich. Es war nicht ratsam, ihn in dieser Stimmung noch zu reizen. Und dieses Wortspiel würde ihm mit Sicherheit nicht gefallen. „John, du nervst. Ich habe einen Vertrag unterschrieben, und ich werde ihn einhalten. Über alles, was du mir aufzählst, habe ich mir längst Gedanken gemacht, das Für und Wider abgewogen. Es gibt Risiken, natürlich. Aber die gibt es immer. Ich bin weder doof noch ein kleines Kind. Ich weiß ganz genau, auf was ich mich einlasse.“ Sie ging zum Bett, packte einen Stapel T-Shirts, stopfte ihn in ins Schrankfach und knallte die Türen zu. Sie war jetzt ebenfalls wütend. John war ihr Freund. Ein sehr guter Freund. Nein, mehr als das. Es war drei Jahre her, dass sie ein Paar gewesen waren. Ihre Beziehung war an seiner Promiskuität gescheitert. Sie waren Freunde geblieben, hatten die Hormone beiseitegeschoben und das Vertraute behalten. Ein Kunststück, wie es selten nach einer Trennung gelang. Sie fühlten sich einander verbunden. Auf geschwisterliche Art. Doch manchmal konnte diese Liebe erdrückend sein. So wie jetzt. Sie seufzte, wollte nicht mit ihm streiten und signalisierte es ihm mit einer empathischen Wolke der Zuneigung. Es funktionierte. Johns Mentalkorona wurde kleiner und ging ins Orange-Gelbliche über. „Wir arbeiten ausschließlich in Teams und das hat seinen guten Grund. Es wird dich mental auslaugen. Du kannst in einen katatonischen Schockzustand fallen“, drang er weiter auf sie ein. Statt Wut flackerte nun Eindringlichkeit bläulich in seiner Mentalkorona. „John, ich weiß doch, dass du dir Sorgen machst. Und im Prinzip hast du ja auch recht.“ Sie fasste ihn an den Oberarmen und schaute zu ihm hoch. Himmelblaue Augen konnten nie wirklich düster wirken. Erst recht nicht in...