E-Book, Deutsch, 194 Seiten
Schuster / Ameln-Haffke Selbsterfahrung durch Malen und Gestalten
2., aktualisierte Auflage 2021
ISBN: 978-3-8444-3059-2
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die therapeutische Kraft der Kunst nutzen
E-Book, Deutsch, 194 Seiten
ISBN: 978-3-8444-3059-2
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie wirkt das Malen auf seelische Prozesse? Können künstlerische Tätigkeiten zur seelischen Gesundheit beitragen? Jede Hobbykünstlerin und jeder Hobbykünstler weiß, wie entspannend, ja beglückend das kreativ-bildnerische Tun sein kann. Dieses Buch richtet sich an Personen jedes Alters, die Malen und Gestalten unter kunsttherapeutischer Anleitung systematisch zur Befindlichkeitsverbesserung und Selbsterfahrung nutzen möchten.
Der Ratgeber bedient sich des Erfahrungsschatzes der Kunsttherapie, um Übungen bereitzustellen, die das Malen und Gestalten heilend wirken lassen. Zahlreiche Fotos und Beispiele veranschaulichen das Vorgehen. Kurz und verständlich wird der therapeutische Hintergrund zu jeder Übung erklärt. Der Band zeigt auf, wie künstlerisches Tun unvermutete Ressourcen wecken, Selbstheilungskräfte freisetzen und zu mehr Lebensfreude beitragen kann. Für die 2., aktualisierte Auflage wurde der Ratgeber um Tipps zur Nutzung des Buches, Anregungen zum Umgang mit Niederlagen sowie Literaturhinweise erweitert.
Zielgruppe
Hobbykünstler_innen, Kunst- und Kreativtherapeut_innen, Kunstpädagog_innen, Kunstpsycholog_innen
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
|28|2 Therapeutisches Malen
2.1 Wie sieht es aus, wenn „alles besser“ ist? Der Kraft der Vorstellung eine Richtung geben (All-Better-Bild)
Unser Denken spielt sich weitgehend in Bildern ab. Diese kann man aber nicht mitteilen. Wir müssen unsere Vorstellungsbilder in Worte übersetzen, wenn wir sie mitteilen wollen. Diese Erfahrung hat jede Person gemacht, die einen Traum in Worte fassen will. Mit gemalten oder vorgestellten Bildern könnte man allerdings in Kontakt zu dieser schwer zugänglichen Schicht des Denkens treten. Man könnte – sozusagen – ein „Vorbild“ in das bildhafte Denken hineinspielen. Darum geht es in dieser Übung. Inhaltlich kann sich die Übung auf jeden problematischen Sachverhalt beziehen, der sich ändern sollte bzw. den Sie ändern möchten. Befürchtungen und Hoffnungen prägen sich auch in Vorstellungsbildern aus, bevor sie vielleicht für unsere Mitmenschen in Worte übersetzt werden. Wir sind gar nicht besonders geübt darin, die dazugehörigen inneren Bilder zu bemerken, z.?T. laufen sie ganz unbewusst ab. Dennoch sind sie sehr mächtig und regulieren unsere Gefühle und Handlungen. Der erste Schritt ist, dass Sie sich ein Vorstellungsbild davon machen, wie ein problematischer Sachverhalt ihres Lebens bildlich aussieht. Das kann eine direkte Umsetzung sein, eine übertragene Umsetzung oder sogar eine Umsetzung in abstrakten Formen. Vielleicht setzen Sie sich erst einmal hin, schließen die Augen und denken an den problematischen Sachverhalt. Dabei beobachten Sie die Vorstellungsbilder, die dazu aufkommen. So ein Vorstellungsbild malen sie nun. Bei der Ausgestaltung gefällt es Ihnen vielleicht, etwas hinzuzufügen oder zu modifizieren, Sie müssen sich nicht sklavisch an die Vorstellung halten. Sie können dazu ein Malmaterial verwenden, das Ihnen liegt. Wenn das Bild fertig ist, betrachten Sie es und versuchen sich nun wieder vorzustellen, wie sich das entstandene Bild verändern müsste, wenn |29|„alles wieder gut“ wäre. Lassen Sie sich wiederum etwas Zeit, bis sich eine schlüssige Vorstellung einstellt. Dieses „Alles wieder gut“-Bild (All-Better-Bild) malen sie nun. Es ist ratsam, darauf etwas Mühe zu verwenden, weil es nicht schadet, dieses Bild als Anregung und Lenkung für das innere bildhafte Denken an einer für Sie gut sichtbaren Stelle an der Wand Ihrer Wohnung aufzuhängen. Schließlich können Sie überlegen, welche Ihrer Geschicklichkeiten oder Eigenschaften (Ressourcen) Sie einsetzen können, um den Zustand, wie sie ihn im ersten Bild festhielten, in den Zustand zu überführen, den das zweite Bild nun zeigt (vielleicht malen Sie auch diese Ressourcen einmal auf). Möglicherweise ist es sogar eine Eigenschaft, die Sie normalerweise gar nicht so besonders an sich schätzen, die Ihnen aber in dieser besonderen Aufgabe weiterhelfen kann. Beispiel: Karl war – auch bedingt durch eine autoritäre Erziehung, die oft von erheblichen Prügelstrafen begleitet war – im Laufe der Kindheit und Jugend rebellisch geworden. In der Schule machte es ihm z.?B. Freude, die Position des „advocatus diaboli“ einzunehmen, und er war stolz, wenn er es schaffte, sich nicht an die Regeln zu halten. Je wichtiger eine Person war, umso leichter konnte sie Karls Widerspruch auf sich ziehen. Als junger Erwachsener, in den ersten Stellen als Assistent in einer Rechtsanwaltskanzlei, erwies sich diese rebellische Einstellung als wenig nützlich. Die Widerworte und Angriffe gegen die erfahreneren und angesehenen Kollegen hatten negative Konsequenzen. Einflussreiche Klienten beschwerten sich über Karls Verhalten beim Leiter der Kanzlei. Karl gefiel seine Arbeit, eigentlich schätzte und bewunderte er seine älteren Kollegen, und er wollte gern seine Gewohnheit, widersetzlich und aufmüpfig zu sein, ablegen. In der Kunsttherapie wurde die Aufgabe gegeben, ein Bild des zu verändernden Zustandes zu malen und dann ein Bild, wie es aussehen würde, wenn alles wieder besser ist. Zudem sollte Karl malen, welche seiner Fähigkeiten oder Eigenschaften ihm helfen würden, den einen Zustand in den anderen zu überführen. Karl wählt eine metaphorische Umsetzung: Die Autorität steht auf einer Säule, wie bei einem Denkmal, die rebellische Ansprache ist als Treten gegen den Fuß der Säule bildhaft umgesetzt. Daraufhin wendet sich die Autorität feindselig gegen den Angreifer (vgl. Abb. 3). Alles wäre |30|gut, wenn Karl der Autorität den verdienten Respekt zollte. Das All-Better-Bild zeigt, wie er sich vor dem Säulenheiligen verbeugt (vgl. Abb. 4). Die Ressource, die ihm dabei helfen kann, ist eine gewisse allgemeine Ängstlichkeit, die auch aus der strengen Erziehung resultiert: Diese setzt er wiederum metaphorisch um. Er lässt sich von der Ängstlichkeit führen, statt auch ihr, wie sonst im Leben, Kontrollversuche entgegen zu setzen. Man hätte aber auch eine abstrakte Metapher wählen können: Die Autorität ist eine große, runde Masse, gegen die sich eine kleine spitze |31|Masse wendet und dabei zerquetscht wird. Es wäre besser, wenn auch die kleine Masse rund wäre, dann würde sie bei einem Zusammentreffen keinen Schaden nehmen (vgl. Abb. 5). Man könnte einwenden, dass eine unbedingte Anpassung an jede Autorität auch nicht der richtige Weg ist. Dies ist aber Karls Einfall gewesen, und sein Einfall ist für ihn richtig. Jeder Mensch wählt bei dieser Übung seinen eigenen Weg zum besseren Zustand. Es geht auch gar nicht um eine logisch-argumentativ gute Lösung, sondern eben um die Lösung, die spontan im bildhaften Denken entsteht und die sich emotional richtig anfühlt. Beispiel: Claudia wählt eine ziemlich direkte Umsetzung ihrer Sorgen. Studium und Abschlussprüfung, Kinder, Haus, Musik-Hobby sind Lasten auf ihren Schultern und an ihren Händen. Ihren Partner liebt sie innig im Herzen, aber der Kontakt ist eingeschränkt. Im All-Better-Bild hat sie ihre universitäre Abschlussprüfung geschafft, das Haus ist fertig und steht selbstständig. Sie hat sich nun (vielleicht ganz unbewusst) weiblicher gezeichnet. Die schmerzliche Sehnsucht nach einer Harmonie mit dem Partner hat sich nun in eine wirkliche, körperlich befriedigende Beziehung gewandelt (vgl. Abb. 6). Das Mittel der Umsetzung ist hier einfach die „Geduld“, diesen Zeitverlauf abzuwarten bzw. durchzustehen. |32| Jeder, der solche Prüfungen gemacht hat, weiß, dass die Arbeit danach erst wieder richtig losgeht. Man macht weitere Prüfungen, man muss sich im Beruf bewähren, in dem man erst wieder vieles lernen muss. Insofern ist das All-Better-Bild Claudias sicher nicht realistisch. Das ist aber auch gar nicht so wichtig, erst einmal eröffnet es einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft und erleichtert, die gegenwärtigen Belastungen zu ertragen. Diese Malübung kann auch bei körperlichen Beschwerden zur Aktivierung von Selbstheilungsprozessen eingesetzt werden. Man kann im „Ist-Zustand“ malen, wie ein befallenes Organ jetzt aussieht und „all better“ eben, wie es aussehen müsste, wenn alles wieder gut wäre (dies lässt sich natürlich auch malerisch-fantasievoll ausgestalten). Als Mittel zur Veränderung können die natürlichen Selbstheilungsmechanismen visualisiert werden, wie etwa T-Helferzellen, die Krebszellen eliminieren, oder andere Antikörper. Sicher unterstützt so eine Vorstelllung die Selbstheilung, was aber auch wichtig und heilungsunterstützend ist: Sie reduziert die Hilflosigkeit angesichts schwerer Erkrankungen. Beispiel: Eine Klientin des Autors litt seit früher Kindheit unter schwerer Neurodermitis. Immer wenn sie unter Stress stand, verschlimmerten sich die Symptome. Gerade vor dem...