Klassiker der Weltliteratur
E-Book, Deutsch, 441 Seiten
ISBN: 978-3-7562-1945-2
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Heinrich Vollrat Schumacher war ein deutscher Schriftsteller.
Autoren/Hrsg.
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Erstes Kapitel
»Ein Schiff! Emma, ein Schiff!« Jubelnd liefen die Kinder dem Strande zu, mit ihren jungen Stimmen die Luft erfüllend. Im stillen Wasser des Deegolfs lag eine Barke am Ufer. Über ihre mit bunten Teppichen und seidenen Kissen bedeckten Bänke spannte sich ein Baldachin, an dem schmale Wimpel flatterten. Von der warmen Sonne des Maientages bestrahlt wiegte sich die Barke auf der klaren Flut, in rosigen, goldgelben, purpurnen und azurblauen Farben schillernd. Wie ein großer, fremdländischer Vogel, von den Winden des irischen Meeres an die Küste von Wales getrieben. Emma suchte die Kinder zurückzurufen, aber sie waren schon bei den Fremden, die sich in langsamem Wandern näherten. Der Herr fing den Knaben in seinen Armen auf. »Halt, Bürschlein!« rief er lachend und bog ihm den Kopf zurück, um ihm ins Gesicht zu sehen. »Was für ein hübscher Junge du bist! Wie heißt der kleine Mann?« Der Knabe sträubte sich gegen die haltende Hand und sah neugierig nach dem Schiffe. »John!« sagte er hastig. »John Thomas!« Der Fremde ließ ihn zu Boden gleiten. »John?« Er wandte sich zu der Kleinen, die durch das Gewirr ihrer Locken zu ihm aufsah. »Und du, Blonding, wie nennt man dich?« Sie machte einen zierlichen Knicks. »Sarah! Ich heiße Sarah Thomas! Laß uns das Schiff sehen!« Seine verdüsterten Augen glitten über die jungen Gestalten. »John! Sarah! Haben Sie gehört, Miß Kelly? Die Namen meiner Kinder. So alt wie diese waren; sie, als ich sie zum letzten Male sah!« Die Dame hörte nicht zu. Sie betrachtete Emma, die nähergekommen war. »Sehen Sie doch, Romney!« sagte sie halblaut; »Das kleine Landmädchen da! Ist Ihnen jemals ein reizenderes Geschöpf vorgekommen?« Sie faßte seine Hand und zwang ihn aufzublicken. Seine prüfenden Augen umfaßten Emmas ganze Gestalt. Plötzlich öffneten sie sich weit und etwas blitzte in ihnen auf. »Hebe!« rief er entzückt. »Hebe, den Göttern des Olymp den Trank ewiger Jugend kredenzend! Wirklich, Miß Kelly, sie ist wundervoll! Sie stellt unsere berühmtesten Schönheiten in den Schatten! Selbst Sie, Arabella, selbst Sie!« Miß Kelly lächelte. »Sie wissen, Romney, ich verzichte gern auf den Preis der Schönheit, wenn man mir nur ein wenig Geist zuerkennt!« Sie winkte Emma lebhaft zu. »Kommen Sie doch näher, Kind, und lassen Sie sich anschauen! Wissen Sie, daß das ein Vergnügen ist? Oder ahnen Sie noch nicht, daß Sie imstande sind, die anspruchsvollsten Männerköpfe in Verwirrung zu setzen?« Sie suchte sie an sich heranzuziehen. Aber Emma widerstrebte. Dunkle Röte brannte auf ihren Wangen. Kein Laut dieser lebhaften Stimmen war ihr entgangen. Seltsam, wie die Sprache einer, fremden Welt waren ihr die Worte ins Ohr gedrungen. Weich, mit schmeichelnder Berührung. Aber der flammende Blick des Mannes bedrückte sie. Gierig schien er ihre Kleider zu durchwühlen, ihren Leib zu enthüllen, ihre Glieder zu betasten. Scheu machte sie sich von der Hand der Fremden los. »Ich bitte, lassen Sie mich! Ich kenne Sie nicht und will nicht mit Ihnen sprechen! Kommt, Kinder! Wir gehen!« Der Herr brach in ein gutmütiges Gelächter aus. »O weh, Arabella! Wir sind mit unserem Enthusiasmus an eine Herzogin geraten! Hoheit läßt uns ungnädigst abfallen!« Auch Miß Kelly lachte. »Keine Herzogin, mein Freund!« sagte sie etwas scharf. »Eine Herzogin hätte mehr Geist gezeigt!« Emma wandte sich kurz herum und sah ihr gerade ins Gesicht. »Eine Herzogin hätten Sie auch wohl nicht in dieser Weise anzureden gewagt!« stieß sie blitzenden Auges heraus. »Und auch dieser Herr hätte eine Herzogin wohl kaum so angesehen, wie er mich ansah!« Die Fremden tauschten einen schnellen Blick, dann eilte Miß Kelly Emma nach. »Sie haben Geist und Gefühl, mein Kind!« sagte sie sanft und schmeichelnd. »Wir wollten Sie nicht verletzen! Aber,« setzte sie wie scherzend hinzu, »wenn Sie glauben, daß dieser Herr es nicht wagt, Herzoginnen so anzusehen, wie er Sie ansah, so sind Sie im Irrtum. Mr. George Romney ist einer der berühmtesten Maler Englands, und jede Fürstin würde es sich zur Ehre schätzen, von seiner Hand verewigt zu werden! Wissen Sie nun, warum er Sie so ansah?« »Und würden Sie mir erlauben,« fügte Romney hinzu, der ihr gefolgt war, »Sie in dieses Buch einzuzeichnen, in das nicht jede Herzogin Aufnahme findet?« Er schlug ein Skizzenbuch auf, das er in der Hand hielt, und öffnete einen kleinen Malkasten, den Miß Kelly getragen hatte, während diese eine Dienerin herbeiwinkte, die in respektvoller Entfernung wartete. Sie befahl ihr, den Kindern die Barke zu zeigen und Sorge zu tragen, daß ihnen nichts zustieße. Emma vermochte nicht zu widerstehen. Sie ließ es zu, daß Miß Kelly sie auf einer grasbewachsenen Erhöhung zurechtstellte und ihr das Haar löste. Miß Kelly stieß einen Ruf des Entzückens aus. Rotleuchtend fiel die Flut über Schulter und Rücken, einen schimmernden Mantel ausbreitend, dessen Saum den Boden berührte. Aber als die Fremde ihr das Kleid auf der Brust öffnen wollte, wehrte sich Emma. Alles Bitten war umsonst; selbst die drei Pfund, die der Maler ihr bot, vermochten ihren Sinn nicht zu ändern. Kopf, Arme und Hände und ein Stück des Halses gab sie ihm preis, sonst nichts. Und während Romney in schnellen Strichen malte, stand sie regungslos in den ihr gegebenen Haltungen und wagte kaum zu atmen. Und hörte zu, wie die Fremden ihre Schönheit lobten. Worte brauchten sie, die Emma nie vernommen. Blaue Sterne waren ihre Augen, rote Rubine ihre Lippen, zarte Rosen ihre Wangen. Die Gestalt einer Hebe hatte sie, das Profil einer Diana, die Hände einer Venus. Der weiche Schmelz unaussprechlicher Anmut breitete sich über ihr ganzes Wesen. Ein Bild holdester Jugend war sie, vollkommener, als ein Künstler in seinen kühnsten Träumen es je gesehen. Eine süße Trunkenheit hatte sich Emmas bemächtigt. Die Worte trafen sie, wie ihren nackten Leib die kühlen Silbertropfen des Wasserfalles, in dem sie in schwülen Sommernächten gebadet, damals, als sie noch die Schafe weidete in den Bergen von Wales. Zitternde Schauer rannen ihr über den Rücken, unnennbares Wohlgefühl dehnte ihr die Brust. Hatte sie nicht schon als Kind geträumt, daß sie eines Tages schön sein würde? Märchenhaft schön? Was das war, hatte niemand ihr bisher gesagt. Nur einer, Tom Kidd. Aber der war ein unwissender Fischerknecht und niemals vom Strande des Deegolfs fortgekommen. Und er liebte sie. Emma hatte ihm nicht geglaubt. Nun aber – auch diese Fremden sagten es. Und sie wußten, was schön war. Der Maler mit dem blassen, durchwühlten Gesicht und dem wie müde verschleierten Blick, in dem es leidenschaftlich aufflammte, wenn er sie ansah; die Dame mit den flinken, geschmeidigen Bewegungen einer Eidechse. Sie war selbst schön. Lang und schmal waren ihre Hände und strömten einen feinen Duft aus, wie Blumen ... brennend rote Lippen hatte sie ... » Wie die Königinnen, die Emma zuweilen in ihren seltsamen Träumen sah ... Lippen, die wohl heiß zu küssen verstanden ... Gern hätte sie diese roten, heißen Lippen einmal geküßt ... Gerade, da sie es dachte, begegnete sie den Augen der Fremden. Verwirrt senkte sie die ihren. Brausend stieg ihr das Blut ins Gesicht. Als der Maler mit der Zeichnung fertig war, sank sie mit einem Seufzer in sich zusammen. Hastig schlang sie das Haar wieder in den einfachen Knoten. Aber sie wagte nicht sich zu rühren. Sie fürchtete, daß sie voll Neugier hinstürzen würde, das Bild zu sehen. Um endlich einmal zu sehen, wie ihre Schönheit war. Miß Kelly brachte ihr das Buch. Vier verschiedene Bilder hatte Romney gemacht. Lange starrte Emma hin. »Das bin ich?« stammelte sie endlich. »Es ist nicht wahr! Es ist nicht möglich! So schön bin ich nicht!« Jene lachte. »Hören Sie, was sie sagt, Romney? Sie will nicht glauben, daß sie es ist!« Er stand in sich versunken. Sein Gesicht war wieder schlaff und welk und seine Augen blickten müde. Er sah aus wie ein alter Mann. »Sie hat recht; sie ist es nicht!« sagte er dumpf. »Sie ist unendlich viel schöner. Ein Stümper bin ich, ein Nichtskönner. Gainsborough, Reynolds hätten das tausendmal besser gemacht! – Her mit dem Buch, Arabella!« schrie er plötzlich voll Wut auf. »Zerreißen, verbrennen, in die Erde stampfen! Verflucht sei diese ganze mörderische Kunst! Ich gebe mich auf! Niemals wieder rühre ich einen Pinsel an!« Wild griff er nach dem Buche. Aber Miß Kelly versteckte es vor ihm in ihrem Kleide. Da warf er sich zu Boden und bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Seine Schultern zuckten. Um Miß Kellys volle Lippen flog ein halb mitleidiges, halb grausames Lächeln. »Wieder Ihre Künstlerschrullen, lieber Freund? Hören Sie doch endlich auf, nach Gainsborough und Reynolds zu fragen! Ob sie es besser gemacht hätten, ist gleichgültig. Romney hat es gemacht, wie Romney es machen mußte. Gainsborough ist einer, Reynolds ist einer und Romney ist auch einer. Und für England und die Kunst ist's ein Glück, daß die drei nicht dasselbe sind und dasselbe machen! Stehen Sie auf, Sie großes, altes...