Ein Fehmarn-Roman | Liebesroman über Neuanfang an der Ostsee auf Ferienhof mit Alpakas
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-377-90089-0
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als waschechtes Küstenmädel lebt Rebecca Schulz im hohen Norden und schreibt Romane mit ordentlich Ostseefeeling. Sie entführt ihre Leser:innen mit Sonne, Sandstrand und Möwen im Gepäck für ein paar schöne Stunden ans Meer.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt
(Wilhelm Busch) Mit meinem grünen Smoothie in der einen Hand und der Handtasche in der anderen stürme ich durch die Tür ins Wartezimmer. In aller Eile trete ich mir die feuchten Stiefel auf der Fußmatte ab, bevor ich an den Tresen gehe. Babsi wirft mir unter ihrer schwarzen Lockenmähne einen vorwurfsvollen Blick zu, aber dafür habe ich sie eingestellt. Ohne sie hätte ich längst die Übersicht über meine Termine verloren. Da sie das Telefon und den Kalender wie eine Amazone bewacht, kann ich mich auf meine Klienten konzentrieren. »Die Grünings warten seit zehn Minuten.« Ihre Stimme klingt rau, als hätten ihre Kinder sie letzte Nacht wieder nicht schlafen lassen. Sie sollte endlich mit ihrem Mann darüber sprechen, dass er sich im Alltag mehr einbringen muss. Ein schneller Blick zur Uhr hinter ihr an der Wand bestätigt ihre Aussage. Ich bin zu spät. Doch davon geht die Welt nicht unter. Wer sich morgens stressen lässt, wird den Tag über nicht ruhiger werden. Ich schenke meiner Assistentin mein schönstes Lächeln, um das faltige Chaos auf ihrer angespannten Stirn zu besänftigen. Als das nicht funktioniert, überreiche ich ihr einen der Toffees aus der bunten Schale vor ihr auf dem Tresen. »Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, liebste Babsi.« »Moin.« Grinsend nimmt sie das Karamell entgegen. »Ich habe die Grünings mit Kaffee versorgt.« »Du bist ein Engel.« Babsi öffnet die Arme und ich gebe ihr meinen Mantel, der vom Hamburger feuchtkalten Winter durchnässt ist. Mit einem verschwörerischen Blick winkt sie mich zu sich heran. »Herr Grüning scheint mir ziemlich grantig. Das wird heute nicht einfach für dich werden.« »Danke, Liebes.« Zwinkernd trinke ich einen Schluck des grünen Lebenssafts aus meiner gläsernen Trinkflasche. »Aber noch habe ich jeden Suchenden zufrieden gestimmt. Wir wollen doch nicht die Statistik aus den Augen verlieren, nicht wahr?« Mit meinem Mantel auf den Armen hält Babsi beide Daumen hoch, während ich mich zur Tür begebe. »Ach …« Ehe ich meinen Tempel betrete, drehe ich mich zu ihr um. »Es geht mich zwar nichts an, doch falls du mit Christian zu mir kommen willst, ich habe immer ein offenes Ohr für euch.« Babsis müde Augen leuchten, nur um gleich wieder hinter einem Schatten zu verschwinden. »Danke, für dein Angebot.« Sie hängt meinen Mantel neben ihren in den Schrank hinter dem Tresen. »Aber mein Mann würde sich niemals mit einer Fremden über unsere Beziehung unterhalten.« »Ich? Eine Fremde? Wie lange kennen wir uns, Babsi?« »Über zehn Jahre«, sagt sie lächelnd. »Siehst du.« Ich proste ihr mit meinem grünen Smoothie zu. »Überleg es dir. Ich kann helfen. Ich bin gut in meinem Job.« »Du bist die Beste!« Stimmt. »Bring deinen Mann mal mit, damit er mich besser kennenlernen kann. Er wird sich sicher wohlfühlen.« »Du hast recht«, antwortet sie mir, obwohl ihre müden Augen etwas anderes sagen. »Wir kriegen das hin.« Männer sind in der Regel der schwierigste Part meines Berufs. Sie öffnen sich langsamer bei intimen Themen als Frauen. Aber bisher habe ich jede sture Nuss geknackt. Tief atme ich ein, setze ein freundliches Lächeln auf und öffne die Tür. Ein abgestandener Duft nach Zimt und Zedern quillt mir entgegen, als ich meinen Tempel betrete. Das strahlende Gelb der Wände begrüßt mich und hebt meine Laune weiter an. Draußen ist der Himmel grau, aber in meinem Tempel brauche ich keine Gewitterwolken. Von den Meditationskissen in der hinteren Ecke blicken mich die Grünings erwartungsvoll an. Sie sitzen direkt unter dem Mandala in Blautönen, das ich von Julius zur Eröffnung meiner Praxis bekommen habe. Herr Grünings Augenbrauen hängen tief in seinem unrasierten Gesicht. Er reiht sich damit in eine lange Schlange von Männern ein, deren Skepsis es in der ersten Sitzung abzubauen gilt. Als sein Blick auf meinem bunten Strickmantel aus verschiedenfarbigen Patches hängenbleibt, verzieht er die Lippen zu einem dünnen Strich. Er erinnert mich dabei an meine Schwester, wenn ich das Mittagessen nicht nach ihrem Geschmack zubereitet hatte. Tasche und Smoothie stelle ich auf dem Schreibtisch ab. Frau Grüning kaut an ihren Nägeln, während ich über den rot-blauen Gabbeh auf sie zugehe, um ihr die Hand zu reichen. »Guten Morgen, entschuldigen Sie meine Verspä-« »Nicht schlimm«, unterbricht sie mich mit einer piepsenden Stimme. »Machen Sie sich keine Gedanken.« »Sie sind zu spät!« Ihr Mann zerdrückt mir bei unserer Begrüßung fast die Hand. »Ich habe mir extra den Vormittag freigenommen und Sie tauchen nicht auf? Wir warten bereits seit einer Ewigkeit.« »Ich verstehe Sie.« Bei derart viel negativer Energie brauche ich Unterstützung. Von der Kommode aus Mahagoni neben meinem Schreibtisch greife ich nach dem Tablett, das ich für die besonders kritischen Klienten bereithalte. »Kristall, Herr Grüning?« Er sieht mich an, als serviere ich ihm eine Qualle zum Frühstück. »Nehmen Sie irgendeinen Stein, der Sie anspricht. Verlassen Sie sich auf Ihre Intuition.« Er zögert. »Kommen Sie. Kristalle beißen nicht.« Seufzend langt er nach einem kleinen Stein mit tiefblauer Marmorierung. »Ah, der Lapislazuli … Interessant. Eine gute Wahl. Er schenkt Optimismus, hilft gegen schlechte Gewohnheiten und löst seelische Blockaden.« »Seeli-, was?« Klirrend landet der Kristall zurück auf dem Tablett und bringt meine Anordnung durcheinander. Herr Grüning quält sich von dem bunten Meditationskissen hoch. »Hast du mich zu einer Hexe geschleppt? Bist du närrisch?« »Aber nein, Herr Grüning … Bitte! Ich bin studierte Psychologin.« Mit einer knappen Handbewegung weise ich ihn an, sich wieder zu setzen. »Kristalle sind dafür bekannt, unter anderem das Nervensystem zu beruhigen. Sie dienen uns als Unterstützung im Leben. Ich gebe meinen Klienten gern ein wenig Starthilfe, denn das Erstgespräch ist für viele Paare besonders aufregend.« Lächelnd halte ich seiner Frau das Tablett hin, von dem sie zögerlich einen milchig-trüben Stein mit rosa Färbung nimmt. »Oh, der Rosenquarz. Planen Sie eventuell schwanger zu werden?« Frau Grüning umschließt den Kristall mit den Fingern wie einen Schatz. »Ja, das auch, aber deswegen sind wir nicht hier.« »Gut, dann lassen Sie uns beginnen.« Mit dem Stabfeuerzeug zünde ich das Räucherstäbchen auf der Kommode und die dahinterstehenden Kerzen an. Anschließend setze ich mich gegenüber meinen Klienten im Schneidersitz auf mein violettes Meditationskissen. Bei Herrn Grünings verstörter Miene hätte ich angenommen, dass er und seine Frau die Stühle vor meinem Schreibtisch als Sitzplatz wählen, doch es zeugt von Offenheit, gleich bei der ersten Therapiesitzung auf den Kissen Platz zu nehmen. »Lassen Sie uns gemeinsam atmen.« Herr Grüning wirkt mit seinen zusammengekniffenen Lidern, als würde er jeden Moment aus meiner Praxis stürmen. Aber seine Frau greift nach seiner Hand und scheint ihn mit ihrem vielsagenden Blick zu beruhigen. »Richtig zu atmen, löst eventuelle Spannungen, die sie mitgebracht haben. Es ist mein übliches Vorgehen, ehe wir mit der Beratung beginnen. Schließen Sie bitte beide die Augen.« Mit geschlossenen Lidern nickt Frau Grüning. Ihr Mann dagegen schnauft wie eine Lokomotive. Er ist nicht der Erste, der sich mit jeder Faser gegen meine Methoden sperrt, aber auch er wird mit der Zeit erkennen, wie gut sie ihm tun. »Wir atmen tief durch die Nase ein.« Ich demonstriere meinen Klienten, was ich meine, und hole Luft. »Dann halten wir den Atem einen Augenblick an und lassen ihn durch den Mund wieder gehen.« Die Grünings atmen, wie ich es ihnen vorgebe. »Das Ganze noch einmal, bitte. Tief einatmen – Halten! – und wieder ausatmen.« Als ich die beiden ansehe, lächelt Frau Grüning. Ihr Mann betrachtet mich noch immer wie eine Verrückte. »Wir hätten zu diesem Bock am...