Roman | Liebesroman an der Ostsee: Bridget Jones zieht nach Fehmarn
E-Book, Deutsch, 276 Seiten
ISBN: 978-3-377-90026-5
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als waschechtes Küstenmädel lebt Rebecca Schulz im hohen Norden und schreibt Romane mit ordentlich Ostseefeeling. Sie entführt ihre Leser:innen mit Sonne, Sandstrand und Möwen im Gepäck für ein paar schöne Stunden ans Meer.
Autoren/Hrsg.
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Aller Anfang ist schwer
Ein dumpfer Knall befreit mich aus einer unruhigen Nacht. Im Halbschlaf vernehme ich das Trampeln von Schuhen draußen auf den Treppenstufen. Offenbar hat mein freundlicher Nachbar die Wahrheit erzählt. Er ist ein waschechter Frühaufsteher. Thies Kruse. Mein letzter Gedanke, bevor ich eingeschlafen bin und mein erster, wenn ich aufwache. Leidenschaftlich gähne und strecke ich mich unter der Wolldecke, die als provisorische Bettdecke hatte herhalten müssen. Der gestrige Tag sitzt mir in den Knochen und quält meine eingerosteten Gelenke. Auf meiner Zunge liegt der bittere Geschmack nach schalem Rotwein, und das grelle Tageslicht, das durch mein Schlafzimmerfenster brüllt, stiehlt mir fast das Augenlicht. Ich vermisse die bodenlangen Vorhänge aus meiner Berliner Altbauwohnung, die zwar nicht den Großstadtlärm, dafür den beginnenden Tag aussperren konnten. Der erste Griff gilt meinem Smartphone. Unzählige Nachrichten meiner Mutter. Kurz nach sieben Uhr. Viel zu früh, obwohl die Vögel vor dem Fenster zwitschern, als wäre es Mittag. Kurz überlege ich, weiterzuschlafen, entscheide mich jedoch dafür, meinen ersten Tag auf Fehmarn zu nehmen, wie er ist: laut, sonnig, mit einem Hauch von Kopfschmerzen und übersäuertem Magen. Beim Aufstehen lese ich Neeles Nachricht. Sie ist mit Gerrit wohlbehalten zu Hause angekommen. Ich freue mich, bald ihre gemeinsame Wohnung zu sehen, wie Neeles ungezügelte Weiblichkeit Gerrits Hang zur Unordnung in jedem Quadratmeter aufmischt. Eine Dusche und einen riesigen Becher Kaffee mit zwei Stückchen Zucker, nichts anderes verlangt mein Körper jetzt. Mit nackten Füßen und in einem viel zu kurzen weißen Schlafshirt quäle ich mich ins Wohnzimmer, um die Kaffeemaschine plus Filter zu suchen, die ich gestern Nachmittag hatte bereitstellen wollen. Ich winde mich durch das Kartonchaos und reiße das Klebeband von der obersten Pappe, als mein Blick auf die Terrasse fällt. Ein ungeheuer lautes Quieken entweicht mir. Mitten auf den grauen Steinen hockt ein getigerter Kater mit schweren Knochen. Unter seinen Schnurrhaaren wackelt ein langer, dünner Schwanz, der zu einem sehr lebhaften, sehr kleinen Mäuschen gehört. »Kusch, kusch!«, krächze ich mit belegter Stimme. Mein Klopfen an der Terrassentür ist weniger verhalten. »Verzieh dich. Kusch!« Der Kater, dessen rechtes Ohr abgeknickt nach vorn hängt, als komme er frisch aus einem Gefecht, rührt sich nicht von der Stelle. Mit wachen, gelben Augen schaut er mich an, als erwarte er ein saftiges Dankeschön für den Fang. Doch da kann der verwahrloste Tiger lange warten. Tote Tiere auf der Terrasse kann ich zu meinem eigenen Kater nicht gebrauchen. Vorsichtig öffne ich die Glastür, die kalte Morgenluft kriecht mir unter das T-Shirt. Wie ein wackeliges Windrad wedle ich mit den Armen, um den Kater mitsamt der Beute zu verscheuchen. Der Störenfried scheint die Geste jedoch misszuverstehen. Mit dem Mäuschen im Maul trottet er auf mich zu. »Nicht!«, kreische ich. »Bleib stehen!« Ich strecke ihm das nackte Bein entgegen und halte ihn mit dem Fuß auf Abstand, immer darauf bedacht, das Mäuschen zwischen seinen Zähnen nicht zu berühren. Als ein weißer Firmenwagen mit grün-gelber Aufschrift die Auffahrt hinauffährt und die Reifen auf dem Kies knirschen, hoffe ich, dass der Kater sich fortbewegt. Doch der spuckt das arme Tier nur auf den schönen, grauen Stein und rollt das benommene Mäuschen anschließend mit der Pfote über die Platten. »Treten Sie nach Thunfisch?« Ich ziehe das Bein sofort zurück, denn das griesgrämige Gesicht zu der eiskalten Stimme kommt mir unangenehm bekannt vor. Thies Kruse stakst auf mich zu. Sein harter Gang steht im Widerspruch zu dem weichen Holzfällerhemd, das über seinem Werkzeuggürtel hängt, den er locker um die Hüfte trägt. Sein Gesichtsausdruck ähnelt einem Krieger, der für einen Sieg über Leichen geht. Lächelt dieser Mann denn niemals? »N-nein!« Ich verfluche mich dafür, dass ich die Terrassentür geöffnet habe. Ich hätte liegen bleiben und ausschlafen sollen, so wie ich es vorhatte. »Bloß verscheuchen.« Ich schenke Thies ein besonders charmantes Lächeln, als er vor mir an der Rasenkante abrupt stehen bleibt. »Ich mag keine Mäuse in der Wohnung, wissen Sie? Ich habe nicht einmal ein Haustier.« Er reagiert nicht, weshalb ich weiterrede. Stumm mit ihm auf der Terrasse zu verharren und zu sehen, wie er mich mit samtbraunen Augen verurteilt, ertrage ich nicht ohne einen starken Kaffee. »Früher war ich eine richtige Pferdenärrin, aber meiner Mutter war der Kontakt mit großen Tieren zu gefährlich, deshalb durfte ich kein eigenes Pferd haben, nicht einmal ohne Begleitung auf einem reiten. Ich erinnere mich genau, wie ich das erste Mal auf einem Pferd saß. Das war auf dem Reiterhof in Gahlendorf. Meine Beine baumelten in der Luft und die Zügel hatte ich fest …« Ich lasse den Satz ohne einen Punkt ins Leere laufen. So forschend, wie mein Nachbar mich betrachtet, hört er mir nicht zu. Wie beim Appell drückt Thies den Rücken durch, als bereite ihm die Konversation mit mir Unbehagen. Gleich salutiert er, so angespannt sieht er aus. Schweigend wie eine kräftige, deutsche Eiche steht er vor mir. Eigentlich besitze ich eine Schwäche für große Männer, bei denen ich mich auf die Zehenspitzen stellen muss, um mir einen Kuss zu stehlen. Aber für Thies und seinen Bart mache ich eine Ausnahme. »Die Maus wird nicht mehr lange leben«, sagt er mit Blick auf den Kater. »Thunfisch ist ein echter Killer.« Genauso wie sein Dosenöffner, schießt es mir durch den Kopf und ich unterdrücke ein Lachen. Dass Neele mir dieses Gerücht erzählt hat, werde ich ihr nie verzeihen. »Glauben Sie mir nicht?« Mein Nachbar fixiert mich, als würde ich mir eher eine Beleidigung als jemals einen Kuss von ihm einfangen. Was hat dieser Mann gegen gute Laune? Er wirkt wie der Grinch. Grantig und haarig, nur weniger Grün. »Doch, ich glaube Ihnen.« Mit Thies zu diskutieren würde heute früh nicht gut für mich enden. Mir fehlt meine übliche Dosis Koffein, die mich einigermaßen klar denken lässt. Dafür betrachte ich das wohlgenährte Fellknäuel vor mir, das abgeknickte Ohr, das strubbelige Fell, den sehnsüchtig verklärten Ausdruck im getigerten Gesicht. »Ihr Kater sieht unglaublich gefährlich aus. Ein regelrechtes Monster.« Ein Schmunzeln zuckt um die Mundwinkel meines Nachbarn. Ein zartes, scheues Lächeln. Wenn ich zu lange auf seinen schönen Mund starre, verscheuche ich es. Deshalb hole ich nach, was ich ihm gestern Nacht hatte sagen wollen. »Es tut mir sehr leid, Herr Kruse … wegen gestern.« »Was meinen Sie?« Sein Lächeln löst sich so schnell auf, wie es entstanden war. »Dass Sie mir kopflos vor mein Auto gelaufen sind oder mich um meinen wohlverdienten Schlaf gebracht haben?« Tiefschlag. Offenbar ist mein Nachbar niemand, der vergisst, geschweige denn verzeiht. Ich schlucke meinen Stolz hinunter und will die Sache zwischen uns bereinigen. Immerhin habe ich vor, in dieser Wohnung ein paar schöne Jahre zu verleben, bis ich jemanden gefunden habe, mit dem ich mir ein Häuschen teilen kann. Da möchte ich nicht jedes Mal in Deckung hüpfen, wenn sein Bart auf unserer Auffahrt schleift. »Für beides möchte ich mich entschuldigen.« Ich trete auf die Terrasse und spüre den kalten Stein unter den nackten Füßen. »Ich war so froh über einen Neuanfang auf Fehmarn, wissen Sie? Da habe ich glatt meine guten Manieren vergessen. Könnten wir nicht von vorn anfangen?« Energisch strecke ich ihm die Hand entgegen. »Ich bin Rike, Friderike Hansen. Ihre neue Nachbarin.« Zu meinem Erstaunen reagiert Thies nicht. Von der weltbekannten Fehmaraner Freundlichkeit sehe ich nichts. Sein Blick ruht wortlos auf mir, selbst sein mächtiger Bart zeigt keine Regung, nur seine Ohren gewinnen unter dem nussbraunen Haar langsam an Röte. Je länger wir uns schweigend gegenüberstehen, je länger er mich eindringlich betrachtet, desto mehr befürchte ich, dass meine Geste unpassend war und er sich von mir bedrängt fühlt. Ehe ich die Hand zurückziehen kann, greift er nach ihr und hält...