E-Book, Deutsch, 1787 Seiten
Schulter Alle 3 Bände der düster-romantischen Reihe in einer E-Box! (Die Geschichte von Sin und Miriam)
1. Auflage, Mehrfachband 2018
ISBN: 978-3-646-30151-9
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
(Die Geschichte von Sin und Miriam)
E-Book, Deutsch, 1787 Seiten
Reihe: Die Geschichte von Sin und Miriam
ISBN: 978-3-646-30151-9
Verlag: Carlsen
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Miriam Es war ein wundervoll sonniger Tag und ich freute mich bereits darauf, mit Sophie joggen zu gehen. Gleich um die Ecke lag ein kleiner Park, in dem es sich gut laufen ließ. Ich kam mit zwei Gläsern aus der Küche und sog tief die frische Luft ein, die durch die Balkontüren hereinwehte. Sophie erzählte gerade von dem Jungen aus unserem Studiengang, der sie auf der letzten Party angesprochen hatte. »Und dann wendet er sich tatsächlich zur Seite und kotzt mitten auf die Tanzfläche«, rief Sophie aus. Prustend ließ ich mich neben sie auf das Sofa fallen, bevor sie mir mit einem Lachen das Glas aus der Hand nahm. »Warte ab, bis du ihm das nächste Mal begegnest«, meinte ich und musste mich erst einmal beruhigen, bevor ich etwas von meinem Wasser trinken konnte. »Wahrscheinlich wird er dir nie mehr in die Augen blicken können.« Sophie seufzte. »Schade, dass er sich erst volllaufen lassen musste, bevor er sich getraut hat mich anzusprechen. Ich mochte ihn.« Ihre Heiterkeit verwandelte sich jedoch schnell in eine ernste Miene, als sie mir ins Gesicht sah. Den letzten Satz hatte ich kaum mitbekommen, denn ein sehr bekanntes Gefühl forderte meine Aufmerksamkeit. Es war wieder da! Mein Herz begann zu klopfen und mein Blick schoss aus dem Fenster und über die Dächer des gegenüberliegenden Hauses. »Es ist zurück«, hauchte ich, sprang von den Polstern auf und eilte an Sophie vorbei, bevor diese etwas erwidern konnte. Seit meinem zehnten Lebensjahr hatte ich ständig das Gefühl gehabt, beobachtet zu werden, doch nie entdeckte ich auch nur das geringste Anzeichen von jemandem. Es war richtig gespenstig. Zu Beginn hatte es mich so nervös gemacht, dass ich abgespannt und aufgewühlt durch die Gegend hetzte, mit der Zeit gewöhnte ich mich jedoch daran und verspürte Behaglichkeit, solange der unsichtbare Blick auf mir ruhte. So widernatürlich es auch klang, aber wenn man sich nie allein fühlte, konnte daraus durchaus Sicherheit wachsen. Vor drei Jahren dann, als ich mein Medizinstudium hier in München begann, war mein unsichtbarer Beschützer einfach verschwunden. Von einem Moment auf den anderen hatte ich mich schutzlos und verlassen gefühlt. Damals erzählte ich Sophie von diesem eigenartigen Beobachter, doch sie hatte es als Einbildung abgetan, mich jedoch immer getröstet, wenn ich traurig vor Einsamkeit war. Selbst in der Gegenwart meines letzten Freundes hatten mich diese Emotionen manchmal eingeholt. Vielleicht hatte es deswegen nicht so lange mit uns gehalten, denn er hat mir nie die Sicherheit gegeben, die ich brauchte. Nun war das Gefühl der Beobachtung zurück und mein Herz jubilierte. »Soph, es ist wieder da!«, rief ich ihr über die Schulter zu. Sie trat zu mir auf den Balkon und ließ ebenfalls ihren Blick über das Dach gegenüber gleiten. Mir schien, dass er etwas länger auf einem bestimmten Fleck ruhte, doch dann schüttelte sie den Kopf und sah mich mit einem kleinen, traurigen Lächeln an. »Miri, da ist nichts.« Mit einem Stirnrunzeln musste ich ihr recht geben, doch das Gefühl spürte ich weiterhin. Da konnte sie sagen, was sie wollte. »Na gut«, wiegelte ich ab, damit sie mich nicht für verrückt hielt. »Lass uns joggen gehen.« Sophie folgte mir zurück in die Wohnung, jedoch nicht ohne noch einmal einen Blick auf das gegenüberliegende Dach zu werfen. *** Es war bereits spät am nächsten Tag, als ich mich müde streckte und dazu entschloss, lang genug über dem Buch der inneren Medizin gebrütet zu haben. Ich sah auf meine Uhr und seufzte. Es war schon nach halb acht und der Abend viel zu schön, um ihn in der Bibliothek zu verbringen. Sophies letzte Vorlesung würde gleich vorbei sein und vielleicht konnten wir zusammen noch etwas essen gehen, dann bräuchte ich nicht mehr zu kochen. Ich entschloss mich ihr entgegenzulaufen, packte schnell meine Sachen zusammen und stellte den dicken Wälzer zurück in das Regal. Das Buch war zu schwer, um es mit nach Hause zu nehmen, also würde ich auch die nächsten Tage in der Bibliothek verbringen müssen, selbst wenn die Sonne lockte. Ich verließ das alte Gebäude und lief durch einen kleinen, verwachsenen Garten zum gegenüberliegenden Haus. Wo genau hatte Sophie noch mal Vorlesung? Im ersten oder zweiten Stock? Es gab nur zwei Räume, die infrage kamen, also entschied ich mich für den im ersten Stock. Während ich durch die Gänge trabte, wühlte ich in meiner Tasche nach meinem Handy. Irgendwie fand ich nie, was ich suchte. Zum Glück kannte ich den Weg in- und auswendig und konnte mich komplett auf das Aufspüren meines Handys konzentrieren. Darin vertieft steuerte ich um eine Kurve und lief prompt in jemanden hinein. Mit einem überraschten Laut versuchte ich mein Gleichgewicht wiederzuerlangen, scheiterte aber und wäre wohl hingefallen, wenn mein Gegenüber mich nicht am Arm gepackt und wiederaufgerichtet hätte. »Hoppla, nicht so schwungvoll«, sagte eine tiefe, angenehme Stimme. Ich spürte, wie ich vor Scham rot anlief, und hob meinen Blick. »Tut mir leid …«, begann ich, verstummte aber überrascht. Vor mir stand ein Mann, der mir glatt den Atem nahm. Seine blauen Augen musterten mich überrascht und wurden leicht von blondem Haar verdeckt. Seine Haut war gebräunt, so als wäre er gerade erst aus dem Urlaub zurückgekehrt, und er trug eine einfache Jeans und ein T-Shirt, das mir ungehinderte Sicht auf die schlanken Muskeln seiner Arme bot. Zudem waren wir uns so nah, dass ich seinen Geruch wahrnahm, der irgendetwas in mir anschlug. Ich musste schlucken und er verzog den Mund zu einem amüsierten Lächeln. Reiß dich zusammen, Miriam!, ermahnte ich mich und trat einen halben Schritt zurück, sodass er mich loslassen musste. »Entschuldige«, setzte ich noch einmal mit einem nervösen Lächeln an. »Ich sollte nicht blindlings durch die Gänge laufen, während ich mit anderen Dingen beschäftigt bin.« »Da hast du nicht unrecht, sonst rennst du noch unschuldige Menschen über den Haufen.« Er zwinkerte mir zu, was mich erneut erröten ließ. Sein Lächeln war faszinierend und mir gefiel es, wie sein blondes Haar ihm in die Stirn fiel. In diesem Moment tauchte Sophie am Ende des Ganges auf. »Miriam?« Überrascht zuckte ihr Blick zu dem jungen Mann und umwölkte sich augenblicklich. Er bemerkte das scheinbar auch, denn er gab sich sichtlich einen Ruck. »Pass das nächste Mal etwas mehr auf, wohin du läufst«, sagte er und zwinkerte mir noch einmal zu, bevor er an mir vorbei den Flur entlangging. »Miri, was wollte der Kerl?«, fragte Sophie, als sie bei mir ankam. »Nichts«, meinte ich und sah ihm verstohlen hinterher. Als hätte er meinen Blick gespürt, schaute auch er über die Schulter zurück. Und wieder wurde ich puterrot. Schnell wandte ich mich ab. »Ich wollte dich überraschen und bin aus Versehen in ihn hineingerannt.« Ich atmete tief durch. »Himmel, sah der gut aus! Weißt du zufällig, ob er hier studiert?« Sophie betrachtete mich finster. »Nein.« Verdutzt über ihre schlechte Laune ruderte ich zurück. »Ist ja auch egal. Hast du zufällig Lust, mit mir essen zu gehen? Ich will um die Uhrzeit nicht mehr kochen.« Sofort hellte sich Sophies Gesicht auf. »Na klar, lass uns gehen.« *** Wir entschieden uns für die kleine Pizzeria an einer Straßenecke ganz in der Nähe meiner Wohnung. Von der Universität und auch von Sophies Wohnung lag sie ein ganzes Stück entfernt, aber Sophie war es lieber, wenn wir bei mir in der Nähe aßen und ich keinen so langen Weg nach Hause hatte. Die gute Sophie. Immer war sie besorgt um mich. Das zeigte sich bereits, als wir uns im Gymnasium kennenlernten, und ich fragte mich nicht zum ersten Mal, womit ich ihre Fürsorge verdient hatte. Mit einem Schulterzucken schob ich den Gedanken beiseite, während ich mir die Hände auf der kleinen Toilette des Restaurants abtrocknete. Sophie wartete nur noch auf die Rechnung, dann würden wir gehen. Es war bereits recht spät und ich froh bald nach Hause zu kommen. Ich verließ die Toilette und bahnte mir meinen Weg zurück zu unserem Tisch, an dem Sophie wild gestikulierend telefonierte. »Sin, mir ist es egal, ob es ein Versehen war. Das hätte nicht passieren dürfen … Aber … Das ist mir auch egal!«, zischte sie wütend, bevor sie erneut zuhörte und schließlich laut seufzte, als würde ihre ganze Welt zerbrechen. »Kaum bist du wieder da, machst du mir das Leben schwer … Ja, ganz wie du wünschst.« Obwohl sie mürrisch klang, stahl sich Belustigung in ihre Stimme und sie rieb sich resigniert über die Stirn. Dann blickte sie sich plötzlich um und bemerkte mich. »Ich muss jetzt Schluss machen … Ja, bis später.« Dann legte sie auf, während ich mich auf meinen Stuhl setzte. »Was war denn?«, fragte ich unschuldig. Sin war ein ungewöhnlicher Name. Sophie winkte ab. »Nur ein alter Freund, der, kaum dass er wieder in der Stadt ist, Unfug macht. Lass uns nach Hause gehen. Ich habe die Rechnung bezahlt, aber das nächste Mal bist du dran.« Sie nahm ihre Jacke von der Lehne ihres Stuhls und ich tat es ihr gleich. »Na klar! Oder ich koche mal wieder für dich.« Ihr begeisterter Blick auf dieses Angebot sprach Bände. Vor der Pizzeria umarmten wir uns kurz und verabschiedeten uns dann. Ich blickte meiner Freundin hinterher, bis sie um die nächste Ecke ging, und machte mich dann auf den kurzen Weg nach Hause. Das Gefühl, beobachtet zu werden, trat wieder ein und ich seufzte erleichtert auf. Wie sehr man so etwas doch vermissen konnte, wenn man...