Roman
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-7317-6021-4
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Margit Schreiner wurde 1953 in Linz geboren. Nach längeren Aufenthalten in Tokio, Paris, Berlin, Italien und dann wieder in Linz lebt sie derzeit in Gmu?nd, Niederösterreich. Sie erhielt fu?r ihre Bu?cher zahlreiche Stipendien und Preise, u. a. den Oberösterreichischen Landeskulturpreis und den Österreichischen Wu?rdigungspreis fu?r Literatur. 2015 wurde sie mit dem Johann-Beer-Literaturpreis und dem Heinrich-Gleißner-Preis ausgezeichnet, 2016 erhielt sie den Anton-Wildgans-Preis. Mit Kein Platz mehr war sie 2018 fu?r den Österreichischen Buchpreis nominiert. www.margitschreiner.com
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2 Niemand hätte gedacht, daß das alles einmal so ausgeht. Alle haben uns doch bewundert. Zwanzig Jahre, so eine lange Zeit, und das soll jetzt auf einmal nicht mehr zählen? Zwanzig Jahre und der große Umzug in das neue Haus im letzten Jahr, und vorher haben wir gespart und alles vorbereitet – und dann ist alles fertig und so schön geworden – da gehst du weg! Kaum im Haus, schon wieder hinaus aus dem Haus, kaum den Garten umgestochen, die Bäume und Blumen gepflanzt, schon wieder weg. Du kannst nicht mehr mit mir zusammenleben! Das ist doch verrückt! Endlich ist das große Haus fertig, endlich hast du Platz, kannst machen, was du willst, da ziehst du aus. Hat dir ein Zimmer nicht genügt? Von mir aus hättest du auch zwei Zimmer haben können, ich hätte dir meines gegeben, weil ich brauche kein eigenes Zimmer, ich habe meine Werkstatt im Keller, und du hättest doch außerdem das Atelier auf dem Dachboden oben gehabt. Ein eigenes Atelier, immer hast du das gewollt, dann hast du es endlich bekommen – und da gehst du weg! Was wirst du denn jetzt haben? Du kannst dir doch alleine nichts leisten. Eine kleine Wohnung ohne Atelier wirst du haben. Ich darf sie ja nicht sehen. Du läßt mich nicht hinein. Ich darf nicht einmal sehen, wo du jetzt wohnst mit meinem Sohn! Unten im Flur habe ich einen Steinboden gelegt. Das hast du dir doch gewünscht. Immer schon. Einen Flur, hast du gesagt, mit einem roten Steinboden möchte ich haben, wenn ich mir so etwas einmal leisten kann. Weil du nämlich einen Onkel gehabt hast, der Pfarrer in Meggenhofen war, und der hat in einem gelben Pfarrhaus gewohnt mit einem großen Flur, und der Flur hat einen roten Steinboden gehabt. Siehst du, wie ich mir alles gemerkt hab, was du mir erzählt hast aus deinem Leben. Immer habe ich gedacht: Eines Tages bau ich der Resi ein Haus mit einem roten Steinboden im Flur. Weißt du überhaupt, was das für eine Arbeit war, den Steinboden zu verlegen? Du weißt es nicht, weil du ja nie darauf geachtet hast, was ich alles für euch tue. Denk an den Wohnzimmerschrank vor sieben Jahren, den ich selbst im Keller getischlert habe. Und damals war ich noch in der Firma! Jeden Abend bin ich hinunter gegangen in den Keller und habe an dem Schrank gebaut, und jedes Wochenende auch. Aber das war für dich immer nur selbstverständlich. Manchmal hast du sogar gesagt: Warum arbeitest du denn Tag und Nacht im Keller? Laß es bleiben, wenn es so eine Arbeit ist. Wir können uns doch einen fertigen Schrank kaufen, und wenn der zu teuer ist, dann gehen wir zum Flohmarkt, da bekommen wir immer etwas Preiswertes. Aber ich wollte deinen Wohnzimmerschrank nicht auf dem Flohmarkt kaufen. Ich habe gedacht, daß das für dich ein Wert ist, wenn ich ihn selber tischlere und wenn er nicht fertig gekauft ist. Aber dafür habt ihr ja keinen Sinn. Du hast uns ja auch nie eine Hose genäht oder ein Hemd, obwohl du eine Nähmaschine gehabt hast. Nicht einmal gekauft hast du sie für uns. Kauft euch eure Hosen und Hemden selbst, hast du gesagt, mir liegt das nicht. Ja, das hat dir noch nie gelegen, für uns etwas zu schneidern oder zu kochen oder die Wohnung schön zu putzen. Immer nur für andere, da könnt ihr arbeiten. So schöne Kleider hast du genäht, aber nie für uns. Kommt ihr denn nicht einmal auf die Idee, daß wir uns freuen würden, wenn ihr uns selbst eine Hose näht oder ein Hemd, und daß eure Kinder dann für später eine Erinnerung hätten an ihre Mutter. Daß sie später sagen könnten: Meine Mutter, die hat jede Hose und jedes Hemd, das ich in meiner Kindheit getragen habe, selbst genäht. An so etwas erinnert man sich doch ein Leben lang! Aber ihr schickt uns ins Kaufhaus, damit wir uns die Hosen und Hemden selbst kaufen. Kommt euch das nicht lieblos vor? Wir kaufen für euch Seidenschals zum Geburtstag oder zu Weihnachten oder zum Muttertag, die wickeln wir ein in Geschenkpapier und binden schöne Schleifen drum herum, damit ihr eine Freude habt. Aber die könnt ihr ja nicht zeigen. Keine Freude, kein Glück, nichts. Eine wie die andere. Ihr wickelt die Geschenke aus und streicht unseren Söhnen über den Kopf. Uns seht ihr nicht einmal an dabei. Ihr sagt höchstens: Schön ist das. Und dann legt ihr unsere Geschenke zur Seite und tragt sie kein einziges Mal. Du hast nie etwas annehmen können, weder die Geschenke zu Weihnachten oder zum Geburtstag oder zum Muttertag noch den selbstgetischlerten Wohnzimmerschrank noch das schöne neue Haus, das ich für dich gebaut habe. Marie-Thérèse! Ich habe dich ja förmlich zwingen müssen, die Pläne für das Haus überhaupt anzuschauen. Komm, schau dir das an, habe ich sagen müssen, möchtest du die Küche nach hinten hinaus oder nach vorne hinaus, willst du ein Fenster im Bad oder nicht, reichen zwei Toiletten, eine oben und eine unten, habe ich sagen müssen, oder brauchen wir drei? Du hast mich verwundert angeschaut, als ob du noch nie gehört hättest, daß wir bauen, meistens hast du geseufzt, wenn du die Pläne angeschaut hast, und dann hast du gesagt: Mach, was du willst, Franz, mir ist es egal. So eine Gleichgültigkeit, weißt du, die nimmt einem alle Freude am Hausbau. Du hast es mir nicht leicht gemacht mit deiner Freudlosigkeit, deiner Gleichgültigkeit, deiner Herzlosigkeit. Und wenn ich nur ein Wort gesagt habe, dann bist du gleich ganz starr geworden und hast den schmalen Mund bekommen, den du immer bekommen hast, wenn man einmal anderer Meinung gewesen ist als du, weil das wäre euch am liebsten: immer der gleichen Meinung sein wie ihr, nur nicht abweichen, alles soll genau so geschehen, wie ihr das wollt. Das ist nämlich eure Tyrannei, und uns wollt ihr hinstellen als die großen Unterdrücker! Jedenfalls hast du den schmalen, verkniffenen Mund gehabt, genau wie deine Mutter, bevor sie zu keifen angefangen hat, und dann hast du gesagt: Ich wollte nie ein Haus bauen, Franz. Daß ihr das nicht merkt, was für eine Kälte da dahinter steckt, uns und unseren Kindern gegenüber, was für eine Kälte und Gleichgültigkeit. Ich entwerfe den Plan für das Haus, ich wähle den Baumeister aus, ich tue und mache und suche aus, und alles, was euch einfällt, ist: Ich will kein Haus. Und mein Sohn? An meinen Sohn hast du nicht gedacht. Was glaubst du, was das später für ein Wert für ihn ist, wenn er ein eigenes Haus hat. Abgesehen davon, daß es auch jetzt schon ein Wert für ihn wäre, weil so etwas zählt nämlich in den Augen der Lehrer, der Mitschüler undsoweiter, ob einer im eigenen Haus wohnt oder in einer Mietwohnung. Wenn er seine Freunde eingeladen hätte, und die hätten gesehen, daß er ein großes eigenes Zimmer mit Tür zum Garten hinaus hat, dann hätten sie ihn aber gleich viel lieber besucht. Vor seiner Gartentür habe ich selbst ein Stück Wiese zubetoniert, damit er seine eigene kleine Terrasse hat, und wenn dann einmal ein Freund bei ihm übernachtet hätte, dann hätten die beiden am nächsten Morgen draußen frühstücken können. So etwas kannst du heute aber lange suchen, einen Freund, bei dem du auf der eigenen Terrasse im Garten frühstückst, mit Blick auf den Bioteich, den ich auch selbst angelegt habe. Das bestimmt ein ganzes Lebensgefühl, so ein Haus mit Garten. Dein Sohn wäre bestimmt besser geworden in der Schule, weil er gespürt hätte, daß er etwas ist und daß seine Eltern etwas sind und daß er auch etwas erreichen muß im Leben. Wie soll denn einer, der in einer Mietwohnung lebt, das Gefühl dafür bekommen, daß es sich lohnt, im Leben etwas zu lernen und fleißig zu sein und etwas zu leisten. In einer Mietwohnung muß doch so ein Kind das Gefühl bekommen, daß es ganz gleichgültig ist, wo man wohnt, weil man kann jederzeit umziehen und woanders wohnen. Wenn man gerade Geld hat, hat man eine große Wohnung, hat man keines, zieht man in eine kleine. Und wenn etwas kaputtgeht, dann ruft man bei der Hausverwaltung an, und die schicken dann jemanden, der repariert es wieder. Aber so ein Haus, das ist etwas ganz anderes. Da bist du selbst verantwortlich, da mußt du selbst dafür sorgen, daß alles erhalten bleibt und nichts kaputtgeht. Aber genau das ist es ja, was euch nicht paßt. Ihr müßtet ein bißchen arbeiten im Haus und im Garten. Wir können ja nicht alles alleine machen. Es reicht schließlich, wenn wir den Bioteich anlegen, wir können ihn nicht auch noch pflegen; alles hat seine Grenzen! Vor allem, weil wir ja die schweren Arbeiten machen müssen, das Umgraben, das Streichen, das Ausbessern und Reparieren, alles, was ihr gar nicht könntet, selbst, wenn ihr wolltet. Da werden wir uns nicht auch noch um die Rosenstöcke kümmern. Ein bißchen müßt ihr schon selbst tun, Marie-Thérèse! So ist das Leben, das kann euch niemand ersparen. Und bevor ihr für andere Leute arbeitet, könnt ihr ja wohl euer eigenes Haus in Ordnung halten. Du hättest ja einmal ein Kissen für das Wohnzimmer nähen können oder die Vorhänge. Du hättest alles selbst aussuchen dürfen, niemand hätte dir da reingeredet. Vorhänge, Polsterbezüge, Tagesdecken: Alles ganz nach deinem Geschmack! Aber du wolltest ja nicht. Dir sind ja die Fremden lieber, die dich bezahlen wie einen Sklaven. Und komme mir nicht mit dem Argument, daß einer ja das Geld verdienen muß. Ich habe es satt, mir das dauernd anzuhören. Tag und Nacht habe ich dieses Argument in den Ohren: Einer muß ja. Wer soll denn sonst, wenn nicht ich? Wer soll das Haus denn bezahlen? Alles deine Worte, alles deine Ungeheuerlichkeiten. Da arbeitet man ein Leben lang, und keineswegs aus Lust und Laune, meine Liebe, da hätte ich etwas Besseres gewußt, als Außenlifte zu bauen, das kannst du mir glauben, dann gehen die Aufträge zurück, die Firma muß radikal abspecken, siebzig Prozent Entlassungen, man steht da: siebenundvierzig Jahre alt! Wer kriegt denn da noch einen neuen Job, das ist ja so gut wie unmöglich, und dann muß man sich zu allem Überfluß...