Schreiber / Standhartinger / Strotmann | Die Johannesbriefe | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 357 Seiten

Schreiber / Standhartinger / Strotmann Die Johannesbriefe


1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-17-045439-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 357 Seiten

ISBN: 978-3-17-045439-2
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Meist gelten die drei Johannesbriefe als Dokumente eines innerchristlichen Konflikts; demgegenüber geht der vorliegende Kommentar neue Wege, indem er sie in ein jüdisches Szenario einordnet. Kleine jüdische Hausgemeinden bekannten Jesus als Messias und setzten so neue Akzente innerhalb ihres Judeseins. Daraus ergaben sich Spannungen zur jüdischen Tradition, die zu einer Spaltung der Messias-Gemeinden führten. Die Briefe versuchen, in dieser Situation die Einheit der Gemeinden zu wahren und die Zugehörigkeit zu Jesus zu festigen. Das Messias-Modell modifiziert dabei das jüdische Gottesbild, und das Liebesgebot Jesu bildet den Maßstab für die Auslegung der heiligen Schriften Israels, wodurch die ethische Perspektive in den Vordergrund tritt. Eine Entwicklung von Gemeindeämtern vollziehen die Briefe nicht mit.

Schreiber / Standhartinger / Strotmann Die Johannesbriefe jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


(3) 2 Joh 7–10. 2 Joh 7 greift das Motiv des Antichristus auf und wiederholt den Vorwurf aus 1 Joh 4,2 fast wörtlich: „die nicht bekennen Jesus als Christus, der im Fleisch kommt“. Dass in 2 Joh 7 das Partizip Präsens steht („kommend“), verdankt sich wohl der Grundsätzlichkeit der Messiasfrage. Auch hier lehnen die Konkurrenten das Bekenntnis ab, dass Jesus als vergänglicher, schwacher Mensch der Messias ist. Wenn 2 Joh 9 vor „jedem, der weitergeht/fortgeht (ho proagon) und nicht bleibt in der Lehre von Christus“ warnt, wird erneut deutlich, dass es sich um ehemalige Mitglieder des johanneischen Kreises handelt, die sich abgewandt haben. 2 Joh 10 fordert eine strikte Abgrenzung von denen, die sich nicht mehr an diese Lehre – die johanneische Tradition – halten: „Nehmt ihn nicht ins Haus auf und entbietet ihm nicht den Gruß“. Das zeigt die engen persönlichen Kontakte, die Christus-Gruppen und Antichristus-Gruppen noch pflegen. Vielleicht ist es auf den ersten Blick gar nicht so klar, wer noch zum johanneischen Kreis und seiner Lehre gehört und wer nicht mehr. 7.4  Ergebnis: Die Konkurrenten und die Johannesbriefe
Innerhalb des johanneischen Kreises – selbst Teil des Judentums seiner Zeit – kam es zu einer Abspaltung einer Gruppe, die die JohBr polemisch als „Antichristus“ etikettieren. Auffälligstes Merkmal dieser Gruppe war die Ablehnung des Bekenntnisses zu Jesus als Messias und Sohn Gottes, weil ein schwacher, vergänglicher Mensch („im Fleisch“) nun einmal nicht der Messias sein kann. Warum sich die Antichristus-Gruppe gerade zu dieser Zeit vom johanneischen Kreis abwandte, können wir nur vermuten. Das JohEv zeigt einen Konflikt mit „den Juden“ und eine fortgeschrittene Distanz des Kreises (der Schüler Jesu) zu den lokalen jüdischen Synagogen (Joh 9,22; 12,42; 16,2).88 Die Lehre über Jesus als Christus nahm stärker exklusive Züge an (Joh 10,30: „Ich und der Vater sind eins“), sodass aus der Perspektive anderer Juden das Gottesbild Israels auf dem Spiel stand: Stellt allein Jesus als Messias den Zugang zu Gott dar?89 Mit dem Bekenntnis war eine deviante Praxis, ein veränderter Umgang mit der Praxis des Sabbats (vgl. Joh 5 und 9)90 und der Reinheit (Joh 2,6), verbunden. Die Profilbildung schritt im johanneischen Kreis voran. Zur Zeit der JohBr lebte der Kreis in einer gewissen Distanz zu den lokalen Synagogen, ohne dass er den Boden des Judentums verlassen hätte. Die Distanz zeigt sich auch darin, dass 1 Joh die eigene Gruppe dem Rest der Menschen, der „Welt“, gegenüberstellt, ohne zwischen jüdischen Menschen und Menschen aus den Völkern zu differenzieren.91 Zu dieser Zeit konnte und wollte die Antichristus-Gruppe die Entwicklung nicht mehr mittragen. Ihr wurde bewusst, dass das Christus-Bild und die Lebenspraxis des Kreises eine sich vertiefende Distanz zur jüdischen Gemeinschaft aufbauten. Als Gegenbewegung lehnte sie die besondere Nähe Jesu zu Gott und Jesu Einheit mit ihm ab und näherte sich einem breit akzeptierten Judesein wieder an. Dass für die Antichristus-Gruppe auch wirtschaftliche Faktoren eine Rolle gespielt haben, deuten die Texte nur an: „Großtuerei mit dem Vermögen“ (1 Joh 2,16), „Wer etwa die Güter der Welt hat“ (3,17), Zugehörigkeit zur „Welt“ (4,5). Die Konkurrenten pflegten wohl bessere Beziehungen zu ihrer Umwelt als der johanneische Kreis, was ihnen das Zusammenleben in den Stadtteilen erleichtern und die wirtschaftliche Prosperität fördern konnte. Seine Schärfe gewinnt der Konflikt durch die große persönliche Nähe zwischen dem johanneischen Kreis und den Konkurrenten. Die in 2 und 3 Joh sichtbaren Besuchsbewegungen zeigen diese Nähe. In dieser Situation intendiert besonders 1 Joh die Stärkung der Identität seiner Adressaten und Adressatinnen – was pragmatisch mit dem Anliegen der frühjüdischen Diaspora-Briefe übereinstimmt (s. 2.1). Er gibt ihnen eine Anleitung für die Gestaltung des Lebens nach der johanneischen Tradition an die Hand. Sie sollen im Vater und im Sohn „bleiben“ (1 Joh 2,24) – in der johanneischen Tradition und beim johanneischen Kreis. Die Diskussion findet im jüdischen Kulturraum statt, besitzt darin aber eigenes Profil: Die Gemeinschaft mit dem Vater – dem Gott Israels – ist an die Gemeinschaft mit dem Sohn – Jesus – gebunden: „Wer den Sohn bekennt, hat auch den Vater“ (1 Joh 2,23). 8.  Die Adressaten und Adressatinnen
Die drei JohBr enthalten kaum historische Angaben zu ihren Adressaten und Adressatinnen. In 1 Joh fehlt ein Präskript völlig, in 2 Joh ist die Adressatenangabe chiffriert („erwählte Herrin“), und nur 3 Joh nennt einen Adressaten mit Namen, „Gaius“, ohne nähere Informationen über ihn zu vermitteln. Ein Bild der Adressaten lässt sich also nur umrisshaft aus den Briefaussagen selbst erschließen. 8.1  Die Anonymität der Adressaten in 1 Joh
1 Joh lässt die Briefadressaten bewusst anonym, indem er sie weder benennt noch lokalisiert. Er spricht sie mit „Ihr“ an, darüber hinaus als „Kinderchen“, „Geliebte“ und „Geschwister“.92 Damit öffnet er den Brief für mehrere Gemeinden des johanneischen Kreises. Die Adressaten und Adressatinnen stehen in enger Gemeinschaft mit dem Verfasser bzw. der Verfasser-Gruppe und besitzen als Christus-Anhänger eine eigene Identität, die sie von anderen Menschen (der „Welt“) unterscheidet. Sie haben die johanneische Tradition von der Verfasser-Gruppe gelernt und übernommen und stehen nun vor der Aufgabe, sich diese immer mehr anzueignen. Sie werden bei diesem Prozess allerdings durch den Rückzug einiger Gruppenmitglieder verunsichert, die das Bekenntnis zu Jesus als Messias nicht mehr mittragen (s. 7.3). Es wird sichtbar, dass die Adressaten (zumindest zum Großteil)93 ethnisch-kulturell zur jüdischen Gemeinschaft gehören, genauer zum vielfältigen Diaspora-Judentum ihrer Zeit. Daher sind die JohBr auch in griechischer Sprache abgefasst. Neben der Konkurrenz durch die Antichristus-Gruppe werden die Adressaten auch mit sozialen Spannungen zur paganen städtischen Lebenswelt konfrontiert gewesen sein (s. 7.4). Deutlich weiter geht die Annahme in der Forschung, dass zur Zeit von 1 Joh „einzelne Christusbekenner unter großem staatlichen Druck“ standen und „sich häufig vor staatlichen Gerichten zu verantworten hatten“; „der Böse“ von 1 Joh 2,13 meine den römischen Kaiser.94 Das lässt sich jedoch nicht am Text belegen; dagegen stand dafür die Offenbarung des Johannes Pate, deren Zusammengehörigkeit mit den JohBr freilich seit langem in der Forschung widerlegt ist. 8.2  Die Unsichtbarkeit von Frauen in den Briefen
Mit der Anonymität der Adressaten und Adressatinnen hängt es wohl zusammen, dass in den Briefen keine Frauen (namentlich) erwähnt werden und dass daraus kein Bild über Geschlechterrollen in den Gemeinden zu gewinnen ist.95 Die dominierende Anrede der Adressaten als teknia bzw. paidia, „Kinderchen“, ist geschlechtsneutral, die maskuline Form von agapetoi, „Geliebte“, und adelphoi, „Geschwister“, umfasst in der griechischen Sprache grundsätzlich Frauen und Männer. Die Anrede in der 2. Person Plural (z. B. „ihr habt die Salbung [...]“, 1 Joh 2,20), die Aussagen im inklusiven Wir (z. B. „wir wissen [...]“, 3,2) und die im Griechischen inklusiv zu verstehenden maskulinen Formen (z. B. „wer ist der Lügner“, 2,22; „jeder, der diese Hoffnung auf ihn hat“, 3,3) beziehen sich in gleicher Weise auf Männer und Frauen.96 Anders als die Paulusbriefe sprechen die JohBr nie Frauen direkt an, und die Anrede der „Väter“ und „jungen Männer“ in 1 Joh 2,12–14 scheint auf den ersten Blick eine Dominanz männlicher Rollen zu enthüllen. Doch gerade diese Stelle ist interessant, zeigt sie doch bei genauerer Lektüre, dass 1 Joh Rollen, die in der Gesellschaft an Männer gebunden sind, allen in der Gemeinde zuschreibt – Frauen wie Männern (s. Kommentar zu 1 Joh 2,12–14). Eine Gleichrangigkeit, die die Geschlechter übergreift, in der Gemeinde deutet sich an. Dazu passt, dass der Verfasser von 2 Joh 1 keine Vorbehalte gegenüber der Personifikation der Adressatengemeinde als Frauengestalt, als weibliches Kollektiv hat: „erwählte Herrin“ (s. 8.3), und die eigene Gemeinde als „erwählte Schwester“ bezeichnet (2 Joh 13). Vom Fehlen namentlich genannter Frauen in den JohBr darf man nicht darauf schließen, dass Frauen im johanneischen Kreis keine verantwortlichen Funktionen übernommen hätten.97 Im Gegenteil gilt die göttliche „Salbung“ in 1 Joh 2,20.27, die Erkenntnis über die eigene Lehre und Tradition verleiht, wiederum allen in den Gemeinden. Zum Thema erheben die JohBr eine Gleichrangigkeit der Geschlechter in den Gemeinden jedoch nirgends, sodass Unsicherheiten bleiben. 8.3  Die erwählte Herrin mit ihren Kindern in 2 Joh
Zum johanneischen Kreis und in den weiten Raum des Diaspora-Judentums gehören, wie aus den Gemeinsamkeiten der drei Briefe zu schließen ist, auch die Adressaten von 2 und 3 Joh (s. 4.; 5.2). Sie lassen eine enge Zusammengehörigkeit mit dem Verfasser der Briefe, dem Presbyter, erkennen, leben allerdings in einer gewissen räumlichen Entfernung zu ihm. Daher gehen Boten und Briefe hin und her, und der Presbyter kündigt einen Besuch erst an. Es sind Alltagssituationen, die in 2 und 3 Joh sichtbar werden. Die in 2 Joh 1 als Adressatin genannte „erwählte...


Prof. Dr. Stefan Schreiber lehrt Neutestamentliche Wissenschaft an der Universität Augsburg.



Ihre Fragen, Wünsche oder Anmerkungen
Vorname*
Nachname*
Ihre E-Mail-Adresse*
Kundennr.
Ihre Nachricht*
Lediglich mit * gekennzeichnete Felder sind Pflichtfelder.
Wenn Sie die im Kontaktformular eingegebenen Daten durch Klick auf den nachfolgenden Button übersenden, erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Ihr Angaben für die Beantwortung Ihrer Anfrage verwenden. Selbstverständlich werden Ihre Daten vertraulich behandelt und nicht an Dritte weitergegeben. Sie können der Verwendung Ihrer Daten jederzeit widersprechen. Das Datenhandling bei Sack Fachmedien erklären wir Ihnen in unserer Datenschutzerklärung.