E-Book, Deutsch, Band 204, 160 Seiten
Reihe: Perry Rhodan Neo
E-Book, Deutsch, Band 204, 160 Seiten
Reihe: Perry Rhodan Neo
ISBN: 978-3-8453-4904-6
Verlag: Perry Rhodan digital
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
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1. Unheil droht ... Algolsystem, Rumalor, 5. Mai 2089 Ein Erinnerungsecho: Metall- und Gesteinstrümmer rasten durchs All. Einige davon trafen die Plattform I. Die meisten verglühten in den aktivierten Schutzschirmen – aber nicht alle. Die bei der Kollision ins All geschleuderte Masse war für einen Totalschaden ausreichend. Für die Plattformen XXI und XXXV galt das ohnehin. Vega bint Ahmed Mansour fiel aus der Aufzeichnung zurück in die Realität. Sie holte tief Atem. Ihr Herz raste, sie spürte den Puls bis in den Hals hinauf. Dass sie derart rüde aus der Liveübertragung geschleudert worden war, versetzte ihr einen Schock. Wahrnehmungsfetzen jagten durch ihre Gedanken: Bilder, Geräusche, sogar Gerüche. Sie glaubte, glühendes Metall und verschmorenden Kunststoff zu riechen. Die Kommunikation zum Materiegürtel war unterbrochen, aus welchen Gründen auch immer. Die Eindrücke blieben – zunächst. Wäre ich abergläubisch, müsste ich das als Omen ansehen, dachte Mansour. Was ist nur mit dieser Verbindung los?, fragte die Wassermeisterin sich sofort danach. Sie aktivierte eine Prüfroutine, mehr konnte sie von Rumal aus kaum tun. Ich hoffe, Lahaie bekommt das in den Griff. Ich brauche Informationen. Das Fehlersignal machte sie unruhig. Der Plexus wimmelte von Schnittstellen aller Art, die sich an der Rückseite des ovalen Raums ballten. Zwischen blinkenden Lichtern waberten unzählige Holowolken. Die Menge der umgeschlagenen Daten war atemberaubend. Aber ausgerechnet die Informationen, die sie in diesem Moment brauchte, waren nicht verfügbar. Mansour war eine große Frau, sie fiel so gut wie immer auf. Ihre Eltern stammten aus Schiras im irdischen Zagros-Gebirge. Sie hielt sich im Plexus des Grid auf, der Gesamtheit aller Netzpartitionierungen, die Rumal am Leben hielten. Die Kolonie war klein, aber im Gegensatz zu den meisten anderen hochtechnisiert. Träger der Besiedlung war die Whistler Corporation, unterstützt von NATHAN und häufig von den Posbis. Wirtschaftlich war Rumal ein Erfolg. Das Schürfen unterschiedlichster Erze, insbesondere des begehrten Rumalins und hochwertiger Geminga-Drusen schuf eine gesunde ökonomische Basis. Sie drehte sich der Stirnseite des Raums zu, einem riesigen, konvexen Fenster aus Glassit. Das Licht, das von draußen hereinfiel, war schmerzhaft hell, alle drei Sonnen standen am Himmel. Rumal umkreiste den Dreifachstern Algol, 93 Lichtjahre von der Erde entfernt, im Sternbild Perseus. Mansour blinzelte, die Lichtflut ging zurück. Ihre okulare Membran regelte die Helligkeit automatisch nach unten, und die Wassermeisterin konnte die drei grellen Punkte nun problemlos sehen. Die technische Ausweitung der Augenfunktionen war auf Rumal eine der häufigsten Augmentierungen. Mansour hatte die Filter in den Glassitflächen der Panoramascheibe bewusst desaktiviert. Die integrierten Nanoteilchen sorgten im Normalfall selbsttätig dafür, dass die Lichtflut für Menschen erträglich war. Ihre Okularmembranen waren über den Grid mit ihrer Umgebung verbunden. Alle Systeme interagierten miteinander, die dezentrale Struktur entsprach eher dem Nervensystem eines Lebewesens als einem historischen Computernetzwerk. Sie schätzte den ungefilterten Kontakt zu ihrer Welt – obwohl es sich in diesem Fall nur um Licht handelte. Ihr Gehirn hatte die implantierten Augmentierungen längst ins eigene Körperempfinden integriert. Gedimmte Scheiben hingegen blieben ein Reiz von außen. Rumal sah sehr friedlich aus, ein krasser Kontrast zu der Zerstörung draußen im All, die Mansour gerade bezeugt hatte. Mitzuerleben, wie Steuertechniker Geoffry McGhee gestorben war, war auch für eine rumalische Wassermeisterin schwer erträglich. Unfälle waren im Algolsystem nicht unbedingt selten, Katastrophen dieses Ausmaßes allerdings schon. Sie war allein im Plexus. Als Wassermeisterin war sie für so gut wie alle Systeme verantwortlich, die nicht vom Schaltmeister kontrolliert wurden, darunter die Exklaven im Materiegürtel. Es war eine anspruchsvolle Aufgabe, mit der Mansour bisher stets gut zurechtgekommen war. Sie liebte es, Verantwortung zu übernehmen, und sie galt als die beste Wassermeisterin seit Langem. Der Grid war ein melodisches Flüstern in ihrem Kopf, das niemals verstummte. Nicht jeder war in der Lage, das auszuhalten ... und nicht jeder war zum Wassermeister berufen oder gar zum Schaltmeister. Die psychische Belastung durch das aktuelle Ereignis indes war enorm grenzwertig. Ihr Nervensystem produzierte kleine Wahrnehmungsfehler. Ein leises Stampfen, als nähere sich ihr jemand. Es war unangenehm, aber der Effekt würde sich gewiss schon bald legen. Die ganze Kolonie war ein Experimentierfeld – und sie selbst war eines dieser Experimente. In Augenblicken wie diesem bewunderte sie Krumar Rabkob, den Schaltmeister, noch mehr als sonst. Er war ihr Vorbild. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie weit sie von seinen Fähigkeiten noch entfernt war. Das Murmeln in ihrem Kopf schwoll an und ab. Viele der Entscheidungen, die sie traf, liefen unterhalb der Bewusstseinsschwelle ab – Mansour war integraler Bestandteil des Grid. Wassermeisterin zu sein, erforderte mehr als bloß einen wachen Verstand. In vielerlei Hinsicht entsprach ihre Funktion der eines Emotionauten. Nur der Schaltmeister übertraf ihre eigene neuronale Packungsdichte – und zwar um ein Vielfaches. Man musste zuerst Wassermeister gewesen sein, um Schaltmeister werden zu können. Vega bint Ahmed Mansour würde die nächste Schaltmeisterin werden. Zunehmende Erfahrung und die stetig größer werdende neuronale Vernetzung ihres Gehirns würden sie irgendwann dazu qualifizieren. Aber so weit war sie noch nicht. Sie war unverändert nervös. Das lag mittlerweile keinesfalls mehr daran, dass sie die Katastrophe virtuell miterlebt hatte, sondern war ein deutliches Zeichen dafür, dass sich irgendwo in der komplexen Struktur des Grid ein Problem aufschaukelte. Es ähnelte einer Drohung am fernen Horizont. Es drängte sie nach draußen, raus aus dem Raum. Kompensierendes Ausweichverhalten, konstatierte sie. Noch unterhalb der Bewusstseinsschwelle. Rabkob wüsste bereits, welcher Prozess sich entwickelt. Ein weiterer Versuch, die Kommunikation zum Materiegürtel wiederaufzubauen, scheiterte. Das verstärkte ihre Unruhe, wurde zur Beklemmung. Das Flüstern des Grid war ihr in dieser Situation keine Hilfe. Der Zugang zu den externen Partitionen fehlte. Luft. Ich brauche Luft, dachte sie. Ein Klaustrophobieanfall deutete sich an. Das hatte sie im Plexus noch nie erlebt. »Öffnen!«, befahl sie. Teile der Glassitwand schoben sich zur Seite. Prallfelder hielten weiterhin den feinen Staub und den Sand draußen, die Strukturlücke darin ließ keinen Mikrometer Platz, durch den sich Staub eventuell hätte hereinverirren können. Dennoch roch sie die Wüste. Wie kann ich etwas riechen, das definitiv nicht da ist?, ging es ihr durch den Kopf. Homöopathisches Riechen? Ist das möglich? Oder es ist eine nachhallende Wahrnehmungsstörung? Hinter ihr schloss sich die Glassitscheibe wieder. Diese traditionelle, nichtenergetische Lösung entsprach dem Pragmatismus der Rumaler. Prallfelder verbrauchten ohne Pause Energie. Glassit löste das Problem sehr viel einfacher. Sie trug den üblichen Nancoat, ein weites, langes, mantelähnliches Kleidungsstück. Er war schwarz und glänzte seidenmatt. Er erzeugte im Freien die nötigen Isolationsfelder, die den extrem feinen Staub von Rumal daran hinderten, überall einzudringen. Der Sand aus der Zusewüste brachte ihre Gesichtshaut zum Prickeln. Vom Arklis herab kam ein kühler Fallwind. Sie hatte die externen Isolationsfelder im Kopfbereich desaktiviert. Sie wollte die staubbeladenen Böen spüren, die nun sanft über ihre Wangen und ihre Stirn fuhren. An ihrer Unruhe änderte das jedoch nichts. Sie strich sich eine pechschwarze Haarsträhne aus den Augen und blinzelte. Die Wüste glitzerte bläulich weiß. Der Sand auf Rumal ähnelte vom Aussehen her Schnee. Myriaden von kleinen Lichtreflexen funkelten. Sie sah nach oben. Algol C stand beinahe im Zenit. Sie liebte diese Welt, mit all ihren Gefahren und Eigenheiten. Das mulmige Gefühl verstärkte sich. Mansour erhöhte die externe Datenrate. Das Rumoren in ihrem Kopf wurde lauter. Sie musste wissen, was vor sich ging. Das war ihre Aufgabe, ihre Verantwortung. Der Datenfluss von der Raumkontrolle schwoll kurz an. Drei kleine Frachter starteten von »Habakuks Landing«, dem Raumhafen, der den Namen des ersten Prospektors trug. Der Landeplatz war eher Nostalgie als effizientes Logistikzentrum, aber kein Rumaler hätte diesen Ort je verändert. Seit der Gründung der Kolonie war er ein Denkmal für das, was Menschen auf diesem Planeten erreicht hatten. Vergangenheit, dachte sie missmutig. Ich brauche diese Verbindung – sofort! Die drei kleinen Punkte stiegen in den Himmel, zogen Kondensstreifen hinter sich her. Sie würden Kurs auf den Materiegürtel nehmen. Diese Region im Außenbereich des Algolsystems war ein ergiebiges Schürfgebiet für Rohstoffe aller Art – sogar Rumalin fand man dort. Nur Geminga-Drusen suchte man vergeblich. Die Aktivitäten im Materiegürtel unterstanden der Kontrolle der Wassermeisterin, wie beinahe alle externen Angelegenheiten. Krumar Rabkob, der gegenwärtige Schaltmeister, war mit den Vorgängen auf Rumal selbst mehr als ausgelastet. Zudem waren die Schürferplattformen weitgehend autark. Etwas stimmte nicht. Mansours Gefühl war eindeutig. Immer wieder schlugen ihre...