E-Book, Deutsch, 534 Seiten
Schönknecht René Descartes - Denker der Moderne
1. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7562-7189-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine historisch-systematische Studie
E-Book, Deutsch, 534 Seiten
ISBN: 978-3-7562-7189-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Schrift bietet eine umfassende Einführung in Descartes' Philosophie. Sie entwickelt unter Bezugnahme auf den historischen Kontext deren singuläre denkgeschichtliche Rolle und analysiert gleichgewichtig ihre erkenntnistheoretisch-methodologischen, naturphilosophischen, metaphysischen und ethisch-praktischen Aspekte. Sie zeigt die Unüberholbarkeit von Descartes' Ansatz beim seiner selbst bewussten Subjekt auf und schließt mit einer Metakritik sowohl der naturwissenschaftlich-naturalistischen wie der fundamentalphilosophischen Kritik an Descartes.
Hans-Joachim Schönknecht, abgeschlossenes Hochschulstudium der Philosophie und Germanistik. Ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift GENIUS-Lesestücke, Mitherausgeber der Schriften Pierre de Coubertins und Verfasser mehrerer Monographien, u. a. 'Mythos - Wissenschaft - Philosophie. Zur Genese der okzidentalen Rationalität in der griechischen Antike' (3 Bde., 2017). Heute als freier philosophischer Autor tätig.
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I. Einleitung: René Descartes – Denker von epochalem Rang
Die folgende Darstellung der Philosophie des René Descartes (1596-1650) schließt, wie in der Vorbemerkung erwähnt, thematisch an meine frühere Schrift Mythos – Wissenschaft – Philosophie. Zur Genese der okzidentalen Rationalität in der griechischen Antike1 an. Darin hatte ich umfassend die Entstehung der okzidentalen Wissenschaftsidee rekonstruiert, beginnend mit dem berühmten, durch die vorsokratischen Denker geleisteten Übergang vom Mythos zum Logos (W. Nestle), über ihre Entfaltung durch Platon und Aristoteles, bis zu ihrer Schwächung im Skeptizismus und ihrer Unterdrückung bzw. Reduzierung auf Theologie durch das aufsteigende Christentum. Es handelt sich um jenen denkgeschichtlichen Umbruch, der Europa erst zu Europa und das Abendland zu einem solchen werden ließ. Es ist jene Form von Kultur, in der sich, auf den einfachsten Nenner gebracht, erstmals die Idee einer durch Beobachten und Nachdenken zu ermittelnden sachhaltigen, nicht mehr anthropomorphen Wahrheit kristallisierte und in der erstmals die Wahrheit als Wahrheit, das heißt auch: der Gegensatz von Wahrheit und Irrtum, zum Thema von Reflexion wurde. Das hier vorgelegte Buch versucht, in Analogie zu dem vorhergehenden, die Erneuerung des wissenschaftlich-rationalen Weltzugangs am Beginn der Neuzeit zu rekonstruieren. Im Unterschied zu der früheren Publikation ist es jedoch nicht als historischer Längsschnitt angelegt, sondern exponiert mit Descartes den Denker, der wie kein anderer den geistigen Umschwung verkörpert. Vielleicht nur noch dem Aristoteles vergleichbar, verbinden sich in Descartes‘ Denken breite wissenschaftliche Forschung mit deren philosophischer, d.h. methodologischer und metaphysischer Grundlegung. Sehr im Unterschied zu Aristoteles jedoch enden Descartes‘ denkerische Bemühungen nicht in dem generellen Erkenntniszweifel der Skeptiker, der seinerseits in unbändige religiöse Empfänglichkeit umschlägt, sondern fundieren einen Jahrhunderte dauernden, sich bis in unsere Gegenwart intensivierenden und ausweitenden, dank seiner realen Ergebnisse die menschliche Welt und alle Lebensverhältnisse transformierenden Wissenschaftsprozess, dessen Ende nicht abzusehen ist. Dass Descartes für die Wissenschaftskultur der Neuzeit von überragender Bedeutung ist, ist zwar kein neuer Gedanke, er wurde jedoch, zumindest im deutschen Sprachraum, selten zur Grundlage einer Darstellung. Meist beschränkte sich die Interpretation auf die Metaphysik Descartes‘, ohne deren erkenntnis- bzw. wissenschaftstheoretische Funktion zu berücksichtigen. Die Stellung Descartes‘ ist auch insofern eine besondere, als sich an ihm bis in die Gegenwart die Geister scheiden, im Unterschied zu seinen heute praktisch vergessenen philosophischen Zeitgenossen oder auch zu großen Fortsetzern wie Spinoza und Leibniz, deren theoretische Impulse sich längst erschöpft haben und die heute nur noch philologisch behandelt werden. Descartes dagegen ist von ungebrochener Aktualität, seine Philosophie kann man sich noch zu eigen machen, man kann noch Cartesianer sein – und im Grunde sind es alle. Aus dieser Tatsache resultiert allerdings auch seine Umstrittenheit, und ich beginne die Ausführungen mit einem Blick auf einige jüngere Stellungnahmen pro und contra Descartes. Daran anschließen wird sich ein Aufriss des historischen Kontextes, denn natürlich steht auch der originellste Denker im Schnittpunkt geschichtlicher Tendenzen; auch sein Erscheinen gehorcht dem Prinzip des zureichenden (historischen) Grundes. So apostrophiert der amerikanische Descartes-Forscher Lawrence Nolan in der Präsentation des von ihm edierten gewichtigen Cambridge Descartes Lexicon den Philosophen als „the father of modern philosophy“2 und verortet ihn, für die Freunde von Ranglisten, unter die „top five philosophers of all time“3. Es ist, was Nolan unerwähnt lässt, Schopenhauer gewesen, der bezüglich Descartes‘ erstmals das Bild vom „Vater der neuern Philosophie“4 bemüht hat. Aber schon Hegel hatte Descartes – unter Vermeidung der trivialen genealogischen Metapher – als „wahrhaften Anfänger der modernen Philosophie“5 bezeichnet. Wenn wir das in solchem Kontext für uns ungewohnte Wort ‚Anfänger‘ durch sein lateinisches Äquivalent ersetzen, wird die Sache klar: Descartes war der Initiator der neuzeitlichen Philosophie. Und da jede zeitgenössische Philosophie kraft historischer Notwendigkeit in dieser Tradition steht – selbst und gerade, wenn sie sich explizit dagegen wendet – ist sie Descartes auch verpflichtet; ich werde die hierin liegende Verschränkungen von Kontinuität und Diskontinuität noch genauer betrachten. Die gesamte geschichtliche Reichweite von Descartes‘ Denken musste aber auch Hegel als Philosoph des spekulativen Idealismus, d. h. als Denker einer Sinntotalität und der vorindustriellen Epoche, noch verborgen bleiben. Eine originelle und höchst bedeutsame Variation dieser anerkennenden Zuweisungen formuliert Edmund Husserl in seiner Krisis-Schrift von 1935. Er bezeichnet Descartes mit einer ebenfalls merkwürdig wirkenden Metapher als „Erzvater der Neuzeit“6 und würdigt damit nicht nur Descartes‘ philosophische Ausnahmestellung, sondern erhebt ihn zur prägenden Gestalt der Epoche – eine Beurteilung, der sich meine Interpretation anschließt und die für die Wahl ihres Titels maßgebend war. Noch ein Wort zu Nolans Erhebung Descartes‘ unter die fünf größten Philosophen: Die Verortung eines Denkers in einer Rangliste scheint zwar für eine konkurrenz- und wettkampforientierte Gesellschaft wie die unsere naheliegend, enthält aber doch etwas Missliches, genauer gesagt ein irrationales Moment: Warum bildet Nolan eine Gruppe von gerade fünf größten Denkern, und soll dies bedeuten, dass er Descartes Platz 5 zuweist? Es muss wohl so sein, denn sonst gäbe die Fünfzahl keinen Sinn. Verhält es sich aber so, fragt sich sogleich, wer denn die vier ihm vorgeordneten Denker sind. Die beiden ersten Plätze wird man wohl allgemein und aus historischen Erwägungen den Gründerfiguren Platon und Aristoteles zubilligen (falls man nicht geradezu noch älteren Denk-Giganten wie Thales und Anaximander oder Parmenides und Heraklit oder auch Sokrates den Vorzug gibt). In jedem Fall aber wird es schwierig, denn es kommen persönliche Präferenzen ins Spiel: Wer vermag sich etwa heute noch vorzustellen, dass vor fünfzig Jahren, trotz des damals die halbe Welt beherrschenden Kommunismus, Karl Marx im Westen der ‚angesagteste‘ Philosoph war?! Wie dem auch sei, um die beiden verbleibenden Positionen werden, abhängig vom Geschmack des Urteilenden und entlang historisch wechselnder Präferenzen, wohl Denker wie Augustinus und Thomas von Aquin, Kant und Hegel, aus dem 19. Jahrhundert Nietzsche und, als Gestalten der Gegenwart, Wittgenstein und Heidegger konkurrieren – und je nach Kombination wird Descartes gar aus der Spitzengruppe herausfallen. Man sieht: derartige Ranglisten haben wenig zu bedeuten7. Descartes‘ Beurteilung als Initiator der modernen Philosophie ist äquivalent zu der, dass Descartes nicht nur der erste moderne, sondern der die Moderne prägende Philosoph gewesen ist. Dies reflektiert der Titel der vorliegenden Schrift, die es sich zum Ziel gesetzt hat, sowohl den Sinn wie die Berechtigung dieses Urteils am Werk selbst aufzuzeigen. Ein wesentlicher Grund dafür soll aber schon jetzt benannt werden: Descartes‘ Modernität besteht darin, dass seine Philosophie rein weltlich, säkular ist und sich sachlich vollständig vom religiösen Hintergrund der mittelalterlichen Philosophie gelöst hat, auch wenn die Tatsache, dass er den ‚ontologischen Gottesbeweis‘ des Anselm von Canterbury (1033-1109) wiederbelebt, das Gegenteil zu beweisen scheint. Die mit Humanismus und Renaissance einsetzende Säkularisierung, der beginnende Verlust der Deutungshoheit des christlich-theologischen Paradigmas für Welt und Leben, wird durch Descartes auf einem vorher nicht erreichten Reflexionsniveau fortgesetzt und in gewissem Sinn bereits vollendet. Eine zweite Erwägung sei hier angeschlossen: Die Kennzeichnung Descartes‘ als Vater der modernen Philosophie könnte die Konnotation mit sich führen, dass seine Nachfolger den von ihm gesetzten Impuls vertieft und sachlich treffender ausgearbeitet hätten. Hier sei mit aller Vorsicht die Hypothese gewagt, dass die von Descartes beeinflussten Philosophen, insbesondere die sog. deutschen Idealisten, trotz ihres Ausbaus der cartesischen Ansätze zu umfassenden, viele Bände füllenden Systemen, in gewissem Sinne nicht über Descartes hinausgekommen, wenn nicht gar hinter ihn zurückgefallen sind. Wie dem auch sei – wenn wir dem Philosophieren, das ja nichts als eine bestimmte Methode des Nachdenkens ist, und zwar die Bestimmung durch das Allgemeine und die...




