E-Book, Deutsch, 122 Seiten
Schneidt Das Dorf in der Stadt
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-7438-9668-0
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Unzensierte Einblicke einer Flüchtlingshelferin in eine Welt mit ganz eigenen Regeln
E-Book, Deutsch, 122 Seiten
ISBN: 978-3-7438-9668-0
Verlag: BookRix
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Spätestens seit der großen Flüchtlingswelle kennt jeder dieses Wort: Parallelgesellschaft! Doch was kann man sich darunter vorstellen? Wie sieht so eine Gesellschaft in ihrem Inneren aus? Warum stellt sie eine Gefahr dar und ist eines der größten Integrationshindernisse? Wie leben die Menschen in diesen Strukturen und nach welchen Regeln? Katja Schneidt weiß es: Die Muslimin hatte selbst viele Jahre durch ihren türkischen Lebenspartner und seine Großfamilie in einer Parallelgesellschaft, mitten in Deutschland, gelebt und so Einblicke in eine Welt bekommen, die den meisten verborgen bleibt. Sie weiß, was hinter den verschlossenen Türen passiert und was viele Menschen in den Parallelgesellschaften über die Deutschen wirklich denken. Auch heute noch ist Schneidt fast täglich in diesen Strukturen unterwegs. Seit 27 Jahren betreibt sie ehrenamtliche Flüchtlingshilfe und geht dorthin, wo die Hilfe direkt benötigt wird und es auch manchmal wehtut. Betreten Sie zusammen mit der Sozialdemokratin die Welt der Parallelgesellschaften und bekommen Sie ungefilterte Einblicke in einen Mikrokosmos, der mitten in unserer Gesellschaft existiert, aber trotzdem für die meisten doch unerreichbar bleiben wird.
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2. So nah und doch so fern
Wenn ich eine unserer Parallelgesellschaften einen Besuch abstatte, dann meist mit gemischten Gefühlen. Zum einen ist da diese unglaubliche Gastfreundschaft, die fast jedem Menschen entgegengebracht wird, der es geschafft hat, dass die Bewohner der Parallelgesellschaft ihm Vertrauen entgegenbringen und man hat wirklich das Gefühl herzlich Willkommen zu sein. Zum anderen wird mir auch schon fast schmerzhaft, schnell bewusst, dass es wirklich eine komplett andere Welt ist, in die man sich begibt. Eine Welt, die zwar mitten in Deutschland liegt, aber ungefähr genauso wenig mit diesem Land gemeinsam hat, wie die Wüste mit dem Nordpol. Was auffällt ist die Tatsache, dass sich unsere Parallelgesellschaften fast ausschließlich dort gebildet haben, wo es unzählige Mehrfamilien- oder sogar Hochhäuser gibt. Die Teile einer Stadt, in der sich die Menschen mit Migrationshintergrund zurückgezogen haben, sind meist gar nicht so riesig, aber aufgrund des „Hochbauens“, sind es doch eine ganze Menge Menschen, die in diesen Stadteilen zusammenleben und sich quasi ein eigenes Dorf in der Stadt errichtet haben. Diese Parallelgesellschaften existieren fast völlig autark und wer keine Berührungspunkte mit Deutschen haben möchte, kann diese fast problemlos umgehen. Wenn man sich nun die Frage stellt, warum bei den meisten Migranten Deutschland eines der beliebtesten Länder ist, dann gehört eine ganze Portion Ehrlichkeit dazu, sich vor Augen zu halten, dass es wohl kaum die Kultur oder die Schönheit unseres Landes ist, welche die Menschen hierhergeführt hat. Ich denke ich verrate kein Geheimnis, wenn ich behaupte, dass es die hohe soziale Absicherung ist, die in vielen Menschen den Wunsch aufkommen lässt, ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland zu verlegen. Dass es allerdings schwierig ist, als Land den Status „Sozialstaat“ für sich zu beanspruchen, aber gleichzeitig eine Politik der offenen Grenzen zu praktizieren, hat uns die immer noch andauernde Flüchtlingskrise in den letzten Jahren und Monaten immer wieder aufgezeigt. Auch wenn unsere Politiker sehr gerne mit stolz geschwellter Brust verkünden, dass die Anzahl der neu ankommenden Flüchtlinge stetig sinkt, vergessen sie doch gerne zu erwähnen, dass dies nicht der Verdienst der deutschen Flüchtlingspolitik ist - oder gar der Tatsache geschuldet, dass sich weniger Menschen auf den Weg nach Europa gemacht haben. Es ist in erster Linie darin begründet, weil die umliegenden EU-Staaten ihre Grenzen geschlossen haben, als für sie das Maß des Zumutbaren überschritten war. Ich selbst bin seit über 25 Jahren ehrenamtliche Flüchtlingshelferin und aus diesem Grund sehr nah an den nach Deutschland geflüchteten Menschen dran. Deshalb beobachte ich auch mit wachsender Sorge, dass auch die Migranten - bis auf wenige Ausnahmen – am liebsten unter sich bleiben. Selbst in den Gemeinschaftsunterkünften in denen meist Muslime leben, die aus unterschiedlichen Ländern kommen, kann man dieses Phänomen beobachten. Man könnte ja davon ausgehen, dass diese Muslime in und durch ihren Glauben vereint sind und damit schon einmal eine Gemeinsamkeit haben. Aber dem ist nicht so! Sehr schnell bilden sich Gruppen, die aus Menschen gleicher Nationalität bestehen. Natürlich kann ich das menschlich nachvollziehen, denn fernab der eigenen Heimat sucht man automatisch nach Bekanntem und Vertrautem, da dies bekanntlich Ängste und Heimweh abbaut. Leider verleitet es aber auch dazu, sich der neuen Kultur, der fremden Sprache und den anderen Werten zu versperren und damit alles zu tun, damit eine Integration nur unzureichend oder auch gar nicht funktioniert. Ich habe da bei dem Teil der Migranten noch Verständnis, die ohnehin nur so lange in Deutschland bleiben möchten, bis es in ihrem Herkunftsland wieder sicher ist und dann dorthin zurückkehren möchten. Aber aus vielen, vielen Gesprächen weiß ich, dass bei den meisten Flüchtlingen daran kein Interesse besteht. Sie sind in der Regel gekommen, um zu bleiben, sich ein neues Leben aufzubauen und ihre Familie nachzuholen. Da wird es ohne jegliches Integrationsbemühen schwierig und weitere Parallelgesellschaften, in bisher ungeahntem Ausmaß, werden die Folge sein! Natürlich ist dies auch Thema, wenn ich Freunde besuche, die in genau einer solchen Parallelgesellschaft leben und sie verstehen sogar meine Bedenken. Für sie liegt der Schuldige klar auf der Hand: Unsere Regierung und unser Rechtssystem. Etwas, was sie mir in vielen, vielen Gesprächen immer wieder deutlich machen. Ihre Argumente sind dabei durchaus nachvollziehbar: Die meisten Bewohner der Parallelgesellschaften kommen aus Ländern in denen strenge Diktatoren herrschen und für die meisten von ihnen ist eine Demokratie eine Lebensform, mit der sie bisher keinerlei Erfahrung haben. Sie sind es gewohnt nach bestimmten Regeln zu leben. Das schränkt zwar die persönliche Freiheit jedes Einzelnen ein, aber es gibt auch Sicherheit. Nämlich die Sicherheit, nichts falsch zu machen, solange man sein Leben nach den aufgestellten Regeln richtet. Selbst in den innersten Familienstrukturen wird selten demokratisch gelebt. Der Vater ist das Familienoberhaupt und hat das Sagen. Alle anderen Familienmitglieder beugen sich seinen Anweisungen und Wünschen und solange dies so gehandhabt wird, herrscht Frieden und jeder weiß was er zu tun hat. Das war im Übrigen auch in Deutschland mal so. Der Mann war meist der Alleinverdiener und bestimmte was innerhalb der Familie zu passieren hatte. Erst in den fünfziger und sechziger Jahren begannen die Frauen für mehr Selbstbestimmung und Gleichberechtigung zu kämpfen und forderten ihre Rechte ein.
Nun wäre es an uns, dies auch den Menschen zu vermitteln, die oft auch heute noch Frauen als ihr Eigentum ansehen und ihnen eine eigene Meinung und Selbstbestimmung verbieten. Leider ist es aber gerade andersherum: Anstatt konsequent die verkrusteten Strukturen bestehender Parallelgesellschaften aufzuweichen und die Menschen in die Mitte der Gesellschaft zu holen, sind wir diesen Intoleranten gegenüber tolerant und scheinen dabei gar nicht zu bemerken, dass wir mit dieser Vorgehensweise die Strukturen der Parallelgesellschaften stärken, anstatt sie zu schwächen und schließlich sanft aufzubrechen, um aus „Ich“ und „Du“ ein „Wir“ zu schaffen.
Dabei wäre das so dringend notwendig!
Es gibt auch heute noch unzählige Migranten, die auch nach Jahrzehnten, in denen sie hier in Deutschland leben, fast kein Wort unserer Sprache verstehen und folgedessen auch nicht selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können. Sie bekommen Sozialleistungen, die sie wiederrum in die komfortable Lage versetzen, ihre Parallelgesellschaft nicht verlassen zu müssen. Was wiederum die Berührungspunkte mit dem Land in dem sie leben einschränkt und teilweise gegen Null laufen lässt. Immerhin haben heute 55% aller Hartz4 Bezieher einen Migrationshintergrund. Das ist mehr als jeder zweite! (Quelle: Die Welt)
Ich selbst bin mit einer armenischen Familie befreundet, die fast 15 Jahre nur als Geduldete hier lebten, bevor sie endlich ihren Aufenthaltstitel bekamen. Sie haben die 15 Jahre in einer Gemeinschaftsunterkunft gelebt, da man als Geflüchteter erst dann in eine Privatwohnung ziehen darf, wenn man einen gültigen Aufenthaltstitel bekommen hat. Das hat natürlich seine Berechtigung, denn wenn ein Antrag auf eine Aufenthaltsgenehmigung endgültig abgelehnt wurde, muss die Ausreise normalerweise zügig erfolgen und es bleibt keine Zeit, die Wohnung zu kündigen, die Kündigungsfrist einzuhalten und das Hab und Gut zu verkaufen. Allerdings bedeutet es auch, dass diese Menschen bis zur endgültigen Entscheidung ebenfalls in einer Parallelwelt leben. Dieses Mal sogar in einer vom Staat Konstruierten. Da liegt die Motivation dieser Menschen sich in Deutschland zu integrieren ebenfalls ungefähr bei ungefähr Null. Warum? Weil sie ja ständig mit der Sorge leben müssen, dass die Polizei vor der Tür steht und sie zwecks Ausreise zum Flughafen bringt.
Meiner Meinung nach ist es ein Skandal, dass sich die Verfahren bezüglich eines gültigen Aufenthaltstitels teilweise über viele Jahre hinziehen!
Und wer nun denkt, dass es sich dabei um Einzelfälle handelt, befindet sich im Irrtum: Ich betreue eine afghanische Familie, die bereits seit fünf Jahren in einer Gemeinschaftsunterkunft lebt und um ihren Aufenthalt kämpft. Und auch bei dem von mir betreuten syrischen Vater mit seinem Sohn dauert der Kampf schon drei Jahre an. Wie sollen, können und wollen sich diese Menschen integrieren?
Bei meinen armenischen Freunden ist es so, dass sie jetzt seit fünf Jahren einen gültigen Aufenthaltstitel haben, aber der Mann mit nunmehr fast sechzig Jahren nicht einen einzigen Tag in Deutschland gearbeitet und für den Lebensunterhalt seiner Familie gesorgt hat. Er war 55 Jahre alt, als er endlich die Aufenthaltsgenehmigung bekam und in diesem Alter, fast ohne deutsche Sprachkenntnisse und völlig unqualifiziert, sind seine Chancen auf dem...