Schneider Wilhelm Wundt – Völkerpsychologie
1. Auflage 2008
ISBN: 978-3-86234-063-7
Verlag: V&R unipress
Format: PDF
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Reader. E-BOOK
E-Book, Deutsch, 180 Seiten, Format (B × H): 158 mm x 240 mm
ISBN: 978-3-86234-063-7
Verlag: V&R unipress
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Christa Schneider, geb. 1954, Gymnasiallehrerin, Psychotherapeutin, Mitarbeiterin an der Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften Zürich. Buchveröffentlichung: Wilhelm Wundts Völkerpsychologie, 1990, Bouvier.
Autoren/Hrsg.
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Weitere Infos & Material
1;Inhalt;9
2;Vorwort;11
3;Einleitung zu Wilhelm Wundt, Völkerpsychologie;15
4;Bibliographie – Anmerkungen;33
5;Über Ziele und Wege der Völkerpsychologie (1888);43
6;Über das Verhältnis des Einzelnen zur Gemeinschaft;63
7;Die Anfänge der Gesellschaft. Eine völkerpsychologische Studie ( 1907);81
8;Märchen, Sage und Legende als Entwicklungsformen des Mythos ( 1908);117
9;Sprachwissenschaft und Völkerpsychologie (1911);131
10;Die Zukunft der Kultur (1920);143
11;Sachregister;175
12;Namensregister;181
" (S. 79-80)
Einleitung
Das Band, das Mythos und Sitte, das die Normen des Kultus und die Ordnungen des gesellschaftlichen Lebens verknüpft, ist ein so inniges, daß man auf keinem dieser Gebiete einen Schritt tun kann, ohne auf das andere zu stoßen. Wer immer, sei es vom Standpunkt geschichtlicher oder psychologischer Untersuchung aus, den Problemen nahetritt, dem wird daher an nicht wenigen Stellen der Zweifel kommen, was überhaupt in dieser Verkettung der Erscheinungen das Frühere sei: die Organisation der Gesellschaft in ihrer durch äußere Lebenseinflüsse und allgemein menschliche Triebe und Anlagen bedingten Entwicklung, oder die in Brauch und Sitte zum Ausdruck kommende mythologische Anschauung, die, wo sie nicht direkt bestimmte Lebensformen entstehen läßt, doch überall dazu beiträgt, sie in bindende Normen umzuwandeln.
So erstrecken sich hier Beziehungen herüber und hinüber, die sich nicht selten zu Wechselwirkungen gestalten, bei denen von einer unbedingten Priorität des einen oder des anderen jener allgemeinen Faktoren der Kultur kaum mehr die Rede sein kann. Diese Verhältnisse bringen es mit sich, daß auch die Ordnung, in der man die Gegenstände behandelt, bis zu einem gewissen Grade willkürlich bleibt; und diese Willkür wird begreiflicherweise um so fühlbarer, je komplexer die Erscheinungen werden.
Denn im gleichen Maße pflegt bei dem Fortschritt vom Einfacheren zum Verwickelten selbst eine zunächst einseitige Abhängigkeit einer Wechselbeziehung Platz zu machen. Wenn in meinem Versuch einer Gesamtdarstellung der Völkerpsychologie aus den in der Einleitung zu diesem Werk angedeuteten Gründen die Betrachtung von Mythos und Religion dem Abschnitt über Sitte und Kultur vorangestellt wurde, so ist demnach diese Reihenfolge keineswegs als ein unabänderliche anzusehen.
Vielmehr gestehe ich bereitwillig zu, daß hier dem der psychologischen Betrachtung nächstliegenden Weg von den mehr auf inneren Vorstellungs- und Gefühlsmotiven beruhenden Erscheinungen des mythologischen und religiösen Bewußtseins zu den in äußeren Handlungen und ihren Normen sich bestätigenden der Sitte, des Rechts und der gesellschaftlichen Ordnung von einem andern, z. B. dem kulturgeschichtlichen Standpunkte aus vielleicht der entgegengesetzte, der gewissermaßen von außen nach innen gerichtete, vorzuziehen wäre. Aber wie dem auch sei, in beiden Fällen wird man in Anbetracht eben jener Abhängigkeitsbeziehungen in allen diesen Äußerungen des geistigen Lebens dem Übelstande nicht entgehen, da und dort aus dem später zu behandelnden Gebiet manches voraussetzen zu müssen. Auch mag sich dieser Übelstand für den Psychologen noch in höherem Maße geltend machen als für den Historiker, weil er aus den seelischen Motiven selbst entspringt.
Die Unmöglichkeit, die sich hieraus ergibt, nach den nun einmal aus praktischen Gründen nicht zu vermeidenden Gebietsscheidungen die Tatsachen selber lückenlos zu ordnen, begegnet uns ja übrigens auch schon in der individuellen Psychologie. Empfindung, Gefühl, Vorstellen, Wollen – alle diese Bestandteile des seelischen Lebens sind zumal da, und in welcher Ordnung man sie betrachten möge, man wird nicht umhin können, nicht bloß auf Vorangegangenes zurück-, sondern da und dort auch auf Künftiges vorauszugreifen."