E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Liebe, Lügen, Tod und Grenzen - Wie wir bei schwierigen Themen die richtigen Worte finden
E-Book, Deutsch, 192 Seiten
Reihe: GU Einzeltitel Partnerschaft & Familie
ISBN: 978-3-8338-9775-7
Verlag: GRÄFE UND UNZER Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Wichtiger Hinweis
Zur Autorin
»Ihr erzähle ich alles«
Grundlagen
Wie Kinder sprechen lernen: Hör mir zu!
Wie Kinder Ruhe lernen: Magst du herkommen?
Wie wir Empathie lernen: Was fühlst du?
Wie man eine Grenze setzt: Ja, verstehe ich, leider geht es nicht
Wie man die Wahrheit sagt: Mut lernen
Wie Kinder Freunde finden: Wer bist du?
Wie man Liebe macht: Was magst du?
Wie Kinder mit Geld umgehen lernen: Was brauchst du?
Wie wir Toleranz leben: Wie lebst du?
Spiritualität, Tod und Jenseits: Wohin gehen wir?
Danksagung
Quellen
Gespräche mit Säuglingen? Ernsthaft? Ja, ernsthaft! Das Lernen von Wörtern ist enorm wichtig und je früher und je umfassender Kinder mit Sprache umgehen können, umso besser. Dazu müssen sie noch gar nicht selbst sprechen können. RICHTIG ZUHÖREN
Oft erzählen wir Säuglingen, was wir sehen und was um sie herum geschieht. Das ist wichtig und gut, denn so lernen sie, welche Namen die Dinge besitzen. Genauso wichtig ist aber auch, dass wir ihnen zuhören, wenn sie selbst »sprechen«. Schon ganz kleine Babys geben erste Laute von sich. Wenn wir diese Laute wiederholen, imitieren oder verstärken, das zeigen Studien, geben die Kinder mehr, länger und vielschichtigere Laute von sich, als wenn wir einfach darüber hinweggehen. Außerdem sehen sie, wie Kommunikation funktioniert: Ich sage etwas, du reagierst darauf, ich sage etwas, du reagierst … Es ist ihre erste Erfahrung darin, dass wir ihnen zuhören und ihre Lautäußerungen wichtig sind. Es ist auch eine Erfahrung von Selbstwirksamkeit: Ich tue etwas und die Welt reagiert darauf. So wie wir zu ihnen gehen und sie auf den Arm nehmen, sie füttern oder beruhigen, wenn sie weinen, so reagieren wir auf ihre Angebote, mit uns zu »sprechen«. Wenn wir mit Säuglingen zwischen 9 und 24 Monaten diese Art von »Gesprächen« führen und uns beim »Reden« abwechseln, wächst ihr Vokabular deutlich schneller.13 Und das macht einen Unterschied, zum Beispiel für ihre spätere Grundschulkarriere:14 Je nachdem, wie viel und wie gut die Kinder im Kindergartenalter sprechen konnten, zeigten sie bessere Leistungen in der Grundschule. Aber nicht nur das: Sie können sich in der Regel dann auch besser regulieren, mit ihren Gefühlen umgehen, sagen, was sie brauchen, und ihre Probleme benennen und lösen. An dieser Stelle stellt sich natürlich die Frage, ob es nicht einfach so ist, dass sich kleine Kinder, die freundlicher und ruhiger sind, mehr unterhalten. Oder sind es doch die Unterhaltungen, die dazu beitragen, sich besser zu regulieren? Eine kleine Studie aus 2021 zeigte, dass häufige Gespräche offenbar helfen, dass Kinder sich und andere besser verstehen – nicht umgekehrt.15 Das kann daran liegen, dass sich das Gehirn an entscheidenden Stellen anders und besser vernetzt.16 REDEN MIT SÄUGLINGEN
Und wie lernen Säuglinge, ein Gespräch zu führen? Indem wir in Babysprache mit ihnen sprechen: langsamer, in einem höheren Ton und mit übertriebener Mimik. Auch wenn man oft das Gegenteil hört: Nichts daran ist falsch oder peinlich. Es führt dazu, dass sie Laute besser auseinanderhalten17, Wörter unterscheiden18 und schneller lernen können. Sprechen Sie in kurzen Sätzen, einfacher Grammatik und wiederholen Sie sich oft: »Na, siehst du den Hund? Siehst du den Hund? Ja? Den Hund?« Stellen Sie auch schon den Kleinsten offene Fragen: »Was magst du gerne trinken?« Das motiviert sie, nicht einfach den Kopf zu schütteln oder zu nicken, sondern eigene Wörter zu benutzen. Verwandeln Sie schon die einfachsten Antworten in ganze Sätze: »Wahwah« wird zu »Ah, du möchtest etwas Wasser. Hier ist dein Wasser.« Beziehen Sie schon die Kleinsten in Gespräche mit ein: »Hund? Ah ja, wir haben heute einen großen Hund gesehen. Wie groß war er? Genau, so groß wie du! Und du hast ihn gestreichelt …« Wenn Ihr Kind etwas falsch oder nur halb sagt, zum Beispiel »Getti!«, dann korrigieren Sie es nicht, sondern ergänzen: »Ja, das sind Spaghetti, die hatten wir letztens bei Oma auch.« Wenn Sie diese Sätze zusätzlich mit Babyzeichen untermalen, lernt Ihr Kind die Struktur von Sätzen sogar noch, bevor es selbst die ersten Worte sagen kann. BABYZEICHEN
Es waren Kinder, deren Eltern die Gebärdensprache nutzten, bei denen Wissenschaftlern zuerst auffiel, dass sie Zeichensprache verstanden, bevor sie selbst sprechen konnten. Diese Kinder bildeten schon im Alter von sieben oder acht Monaten mit ihren Händen Wörter, Zweiwort- und sogar Dreiwortsätze – ehe sie selbst Wörter benutzten und lange bevor Gleichaltrige so komplexe Sprachstrukturen in Worten bewältigten. Untersuchungen zeigen, dass kleine Kinder viel mehr verstehen, als man bisher dachte. Wir merken es nur noch nicht, weil sie die komplexen Sprechwerkzeuge nicht beherrschen. Wenn sie es allerdings mit ihren Händen »sagen« können, fällt es ihnen viel leichter, das zu zeigen, und sie fangen früher an zu »sprechen«. Verzögert das die Sprachentwicklung? Im Gegenteil, die Kinder verstehen früher, worum es geht. Darauf aufbauend gibt es heute Kurse, damit auch Kinder, deren Eltern keine Gebärdensprache verwenden, die Zeichensprache lernen können. Die Systeme heißen Babyzeichen, Zwergensprache oder Babysignal. Manche lehnen sich an die offizielle Gebärdensprache an, andere haben die Zeichen vereinfacht. Ob Sie als Eltern die Babyzeichen in einem Kurs lernen oder einfach selbst zu Hause damit beginnen möchten: Es ist in jedem Fall eine Möglichkeit, Ihrem Kind Sprache nahezubringen, bevor es selbst sprechen kann. Ein guter Anfang sind Zeichen für Dinge, die Kindern wichtig sind und die in unserem Leben häufig vorkommen, so wie zum Beispiel die Begriffe heiß, kalt, noch einmal bitte, Milch, Essen, Katze oder Buch. Ich selbst habe mit meinen Kindern damals mit dem Zeichen für »mehr« (mit dem Zeigefinger in die Handfläche tippen) begonnen – in Situationen, in denen sie garantiert »mehr« wollten. Sie können damit zum Beispiel starten, wenn Sie etwas gemacht haben, das Ihr Kind zum Lachen bringt, etwa eine witzige Grimasse. Sie fragen dann »Noch mal?« und machen das Zeichen. Wenn es gut läuft, wird Ihr Kind das Zeichen imitieren, um Sie dazu zu bringen, noch einmal so ein witziges Gesicht zu machen. Sobald das Kind das Prinzip verstanden hat, können weitere Zeichen eingeführt werden – idealerweise beim Vorlesen und draußen in der Welt. Sie benennen dazu die Dinge, die Ihr Kind faszinieren: »Bagger«, »Wo ist?«,» laut« oder »ist weg«. Die Zeichen dafür können Sie aus einem Babyzeichenbuch entnehmen, die in kindgerechten Ansätzen die Deutsche Gebärdensprache (DGS) lehren. Sie können sich aber auch einfach eigene Zeichen ausdenken, die zu Ihrem Leben passen. Wenn für Sie die DGS wichtig ist, ahmen Sie ein »falsches« Zeichen mit dem richtigen Zeichen nach, so wie Sie es beim Sprechen auch tun würden: »Getti! Getti!« – »Ah, du willst Spaghetti? Gerne!« Wer lieber selbst kreativ ist: Los geht’s! Sie können dann zum Beispiel, wenn Sie ein DGS-Zeichen machen und Ihr Kind das Zeichen ändert, seine Variante übernehmen. Zum Beispiel änderte mein Sohn unser Zeichen für »Hund« (Klopfen auf den Oberschenkel) in ein Zeichen, das er selbst gut machen konnte (Klopfen auf die Brust). Und wenn wir Eltern uns selbst ein Zeichen ausdenken (etwa für »Ameise«), lehnen wir es am besten an Bewegungen an, die das Kind im Umfeld des Wortes macht (zum Beispiel mit dem Finger auf dem Boden herumkratzen) –, und lassen das Kind das Zeichen abwandeln, wenn es das möchte (beispielsweise mit dem Zeigefinger auf der Brust kratzen). Sie können die Zeichen auch prima mit dem Vorlesen kombinieren: Immer wenn im Lieblingsbuch eine Katze vorkommt, machen Sie das Zeichen für Katze – genauso bei Baggern oder Schokolade. Es ist eine Freude, zu sehen, wie Kinder die Zeichen draußen stolz übernehmen oder lange, bevor sie sprechen können, daran erinnern, dass hier gestern noch eine Katze war, die heute nicht da ist und »Katze? Wo ist?« mit ihren Händen fragen. Vorteile der Zeichensprache Mit Säuglingen schon früh über Zeichensprache zu kommunizieren hat viele Vorteile für die Kinder: Sie verstehen die Strukturen von Sätzen und Gesprächen. Sie können von Dingen erzählen, die sie gerne hätten, die aber nicht in ihrem Blickfeld sind (etwa die Katze von gestern). Es gibt weniger Missverständnisse und es ist daher weniger frustrierend,Sprache zu lernen. Sie können sich anderen besser mitteilen, die sie weniger gut kennen. Sie sind in der Lage, ihre Gedankenwelt mitzuteilen, bevor sie sprechen können. Das kann zu faszinierenden Erkenntnissen führen, zum Beispiel wenn ein noch nicht sprechendes Kind auf eine Raupe zeigt und das Zeichen für Schmetterling macht, weil ihm zu Hause die »Kleine Raupe Nimmersatt« vorgelesen wird. WARUM WIR VORLESEN
Kinder aus sozial schwachen Familien hören deutlich weniger Wörter als Kinder aus Familien mit einem hohen sozioökonomischen Status. Und das scheint einen Unterschied zu machen. In ihrer Studie mit 42 Familien aus dem Mittleren Westen zeichneten die Bildungforscherin Betty Hart und der Psychologe Todd R. Risley über 2,5 Jahre einmal im Monat eine Stunde lang die Sprache in jedem Haushalt auf. Die Familien wurden nach ihrem sozioökonomischen Status (SES) in »hohe« (Berufstätige), »mittlere/niedrige« (Arbeiterklasse) und »soziale« SES unterteilt. Hart und Risley fanden heraus, dass das durchschnittliche Kind in einer berufstätigen Familie 2153 Wörter pro wacher Stunde hört, das durchschnittliche Kind in einer Arbeiterfamilie 1251 Wörter pro Stunde und ein durchschnittliches Kind in einer sozial schwachen Familie nur 616 Wörter pro Stunde. Hochgerechnet bedeutet dies, dass »ein durchschnittliches Kind in einer Berufsfamilie in vier Jahren...