E-Book, Deutsch, 228 Seiten
ISBN: 978-3-7431-4594-8
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
H.C. Scherf wurde im Jahre 1948 in Essen geboren. Der gelernte Schriftsetzer hat sich die Liebe zum gedruckten Buch bis zum heutigen Tag bewahrt.
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Wie alles begann
Peter Sobier ließ den Wagen einige Meter vor der Garageneinfahrt ausrollen und betrachtete ihr neues Heim. Die Fenster und Türen waren während ihres dreiwöchigen Urlaubs in der Karibik eingebaut worden, das Außengerüst war schon teilweise abgebaut. Sogar die Klinkerarbeiten hatte die Baufirma geschafft. Nur die vielen Sandhügel und herumliegenden Materialien störten noch das Gesamtbild. »Ist das schön geworden.« Vera hatte das Fenster heruntergefahren und blickte verträumt auf die Riesenterrasse, auf die sie bei der Planung bestanden hatte. »Morgen werden wir uns das einmal von innen ansehen. Jetzt geht´s nach Hause zum Auspacken und ausruhen. Ich spüre nun auch die Müdigkeit nach dem langen Flug.« Peter startete den Motor wieder und setzte zurück. Sein Blick fiel dabei auf Patrick, der ruhig schlafend im Sicherheitsgurt hing. Zuhause angekommen weckte Peter vorsichtig seinen Sohn und drückte ihm eine leichte Reisetasche in die Hand. Vera hielt dem Kleinen, der sein Gepäck mühsam hinter sich herzog, lächelnd die Haustür auf und folgte mit ihrem Trolli. Die schweren Koffer überließ sie dem starken Geschlecht. Das Frühstück stand duftend auf dem Küchentisch und wartete auf hungrige Mäuler. »Patrick, du bist ja noch gar nicht gewaschen, wach auf mein Schatz.« Vera berührte den Kleinen an der Schulter. Langsam öffnete er die Augen und blickte um sich. »Haben wir verschlafen? Wir wollten doch zum Haus.« Er blinzelte und umarmte seine Mutter. »Guten Morgen Mama. Wie spät ist es?« »Es ist noch früh genug, du Schlafmütze. Wasch dich schnell, das Frühstück wartet. Papa ist schon vom Joggen zurück. Auf, auf.« Der Möbelwagen blockierte die Auffahrt, sodass Peter den Mercedes auf der Straße parkte. »Wer zuerst am Haus ist, dessen Zimmer wird heute noch eingerichtet, also bei Drei. Eins, Zwei ... halt, du Betrüger, erst bei Drei! Da Peter auch noch beim Loslaufen absichtlich wegrutschte, erreichte Patrick vor seinen Eltern die Haustür und blieb laut lachend stehen. »Ihr Schlappschwänze ... Ich habe gewonnen.« Peter nahm seinen Sohn in die Arme und warf ihn spielerisch hoch. Den kleinen Blutfaden, der aus dem Nasenloch sickerte, übersah er dabei und begrüßte die Möbelpacker, die sich den herumalbernden Hausbesitzern grinsend genähert hatten. Patrick wischte sich mit dem Handrücken über die Lippen und erschrak heftig. »Mama, ich blute.« Vera drehte sich ihm zu und kramte ihr Taschentuch aus der Hosentasche. »Du hast nur Nasenbluten. Habt ihr wohl doch etwas zu heftig getobt. Werde Papa jetzt mal ordentlich die Meinung geigen. Das geht ja gar nicht.« »Lass Papa in Ruhe. Der kann da nichts zu. Ich habe mich bestimmt gestoßen.« »Na, dann hat dein Vater ja noch mal Glück gehabt. Wenn du dich so für ihn einsetzt, werde ich ihn ein letztes Mal verschonen.« Lachend liefen beide zum Möbelwagen und bestaunten die unzähligen Kartons. »Kommst du runter, Patrick? Das Abendessen ist fertig?« Den ganzen Tag über hatten sie den Aufbau der Möbel beaufsichtigt. Patrick hatte eifrig beim Tragen der kleinen Päckchen geholfen und lag nun geschafft auf seinem Bett. Vera fand ihn schlafend und tupfte vorsichtig den kleinen Blutfaden weg, der sich wieder unter seiner Nase gebildet hatte. Sie entschloss sich dazu, ihn ruhen zu lassen und das Essen aufzubewahren, falls er doch Hunger verspürte und runter kam. »Der Kleine ist völlig alle. Der wird bis morgen früh durchschlafen. Ich verstehe nur nicht, warum er plötzlich Nasenbluten bekommt. Das hat er doch noch nie gehabt.« Sie sah Peter fragend an, während sie die dampfenden Kroketten entgegennahm, die er ihr anreichte. »Das wird wohl die Klimaumstellung sein, du wirst schon sehen. Musst du nicht übermorgen zu Doktor Klein? Nimm Patrick doch mit, der soll ihn sich mal ansehen.« »Gute Idee, Schatz. Der kennt ihn ja schon von Geburt an.« »Morgen will ich mit ihm noch den versprochenen Ausflug zum Sea Life nach Oberhausen machen. Nachmittags bringe ich dann wieder ein paar Kartons rüber. Die empfindlichen Gegenstände vertraue ich nicht gerne den Möbelpackern an. Hast du eigentlich darüber nachgedacht, ob wir ihm den Hund gestatten? So ein Berner Sennenhund wird ja ziemlich groß. Der macht schließlich Arbeit und schränkt uns bestimmt ein.« Vera runzelte die Stirn und blickte zur Treppe, um sich zu vergewissern, dass Patrick nicht mithörte. »Ich würde empfehlen, dass wir das Thema im Augenblick zurückstellen, es könnte sein, dass es nur so eine fixe Idee war und er das wieder vergisst.« »Das glaube ich allerdings nicht. Ist dir aufgefallen, wie er reagiert, wenn er Hunde sieht? Der wird ja täglich aufs Neue daran erinnert, wenn er draußen ist. Was machst du übrigens heute, Liebling?« Erwartungsvoll sah er Vera an. »Du bist ein typischer Macho, du hörst mir einfach nicht zu. Ich habe dir noch zuletzt am Gepäckband in Düsseldorf gesagt, dass ich mit Mama zum Frisör nach Essen-Rüttenscheid fahre. Sie schwärmt so vom Salon Conny Giese, dass ich ihn auch mal ausprobieren möchte. Lass mir die Haare komplett kurz schneiden, ist jetzt total in.« Lange hielt sie Peters entgeistertem Blick nicht Stand, sie prustete los. »War doch nur ein Scherz ... Was soll das ... was willst du? ... Peter, nein.« Mit gespieltem Entsetzen riss sie die Arme hoch, um sich vor seinem Angriff zu schützen. Die Gegenwehr erlahmte jedoch, als sie seine Lippen auf ihren spürte und seine Hände ihre Taille umfassten. Peter hob sie vom Stuhl auf den Teppich, der nicht zum ersten Mal als Unterlage für spontane Liebesspiele diente. Seine Hände begannen, ihren Körper zu verzaubern. »Wie lange soll ich noch auf dich warten? Du musst kein Schwimmzeug einpacken, das ist ein Aquarium ausschließlich für Meeresbewohner.« Peter trommelte ungeduldig auf den Dielenschrank und kramte nach dem Autoschlüssel. »Das weiß ich auch, Papa. Aber ich habe die Kamera nicht gefunden, wir können aber jetzt sofort los. Wo ist Mama? Ich hab´ noch nicht Tschüss gesagt.« Vera schaute aus dem Bad, die Haare hatte sie mit dem Handtuch zum Turm gebunden. Beide Männer wurden begutachtet. Erst das von einem Lächeln begleitete Nicken zeigte ihnen, dass sie outfitmäßig ohne Beanstandungen durch die entscheidende Kontrolle gekommen waren. »Fahrt ihr danach direkt zum Haus, oder zieht ihr euch erst noch um? Ich komme so gegen fünfzehn Uhr mit Mama dorthin. Sie will unbedingt helfen.« Sie zuckte entschuldigend mit den Schultern und verabschiedete die beiden Männer mit einem Kuss. Mit einem hintergründigen Lächeln kniff sie Peter in den Po und verschwand wieder im Bad. »Hab´ ich im Spiegel gesehen«, feixte Patrick und lief lachend zur Garage. Die A42 war relativ frei und Shakira schmetterte ihren WM-Song ›Waka Waka‹ durch den Äther. Laut sangen Peter und Patrick mit. »Papa, ich glaube, es geht schon wieder los, meine Nase blutet. Hast du ein Tempo für mich?« Peter sah kurz nach hinten und klappte das Handschuhfach auf. In der äußersten Ecke fand er ein angebrochenes Paket und reichte es nach hinten. Eine Bodenwelle ließ das Auto aufschwingen, sodass die Tücher hinter den Beifahrersitz fielen. Spontan griff Peter danach. Den ausscherenden Lastwagen rechts vor ihm bemerkte er noch aus den Augenwinkeln und riss das Steuer nach links. Mit diesem Manöver hatte der überholende Kleintransporter nicht gerechnet, er katapultierte Peters Mercedes wieder zurück auf die mittlere Spur. Sein Schrei ging unter im Lärm des sich verbiegenden Metalls und zersplitternder Scheiben. In sein Unterbewusstsein fraß sich als letzte Wahrnehmung Patricks ungläubiger Blick und der aufgerissene Mund. Eine gnädige Ohnmacht entriss ihm dieses Bild. »Ich schaff das nicht aus meiner Position, könnt ihr das Lenkrad hochstellen? Der Arm ist eingeklemmt und scheint gebrochen zu sein, müssen wir wohl provisorisch schienen. Habt ihr den Jungen schon im Helikopter?« Wie durch einen wabernden Nebel vernahm Peter Wortfetzen der Unterhaltung. Er versuchte, die Augen zu öffnen und seine Gedanken zu ordnen. Jeder Atemzug schmerzte höllisch. Er spürte, wie Hände an ihm zogen, ihn bewegen wollten. Schemenhaft nahm er die um ihn herumhängenden Säcke der Airbags wahr. Irgendjemand versuchte, sie zur Seite zu drücken. »Hallo ... können Sie mich verstehen? Wir haben Sie gleich hier raus, bleiben Sie ganz ruhig, alles wird gut.« »Patrick ... Patrick ... wo?« Er hauchte die Worte so leise, sodass einer der Helfer sein Ohr dichter an Peters Mund hielt. »Was haben Sie gesagt? Bitte wiederholen...