...und andere wunderbare Geschichten
E-Book, Deutsch, 290 Seiten
ISBN: 978-3-7578-5057-9
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
1963 in Tübingen geboren. Nach dem Studium der Visuellen Kommunikation endlich wieder weg aus Bielefeld und los gen Italien. In Rom hängen geblieben und dort als Journalist und Fotograf für deutsche Magazine und Tageszeitungen tätig. Nach sieben Jahren Italien Schluss mit Dolce Vita und Neuanfang im Filmgeschäft in Hamburg. Seit zweiundzwanzig Jahren selbstständiger Filmproducer in der deutschen Hauptstadt.
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1.
Friedrich, das Zitroneneis, das keiner wollte
Früher als sonst war Sabrina an diesem Abend von ihrer Mutter ins Bett geschickt worden. Die Vorbereitungen für den großen Tag nahmen kein Ende. Der Tisch für den Kindergeburtstag war bereits fertig geschmückt, an der Decke hingen Luftschlangen und Lampions, und die Geschenke zu Sabrinas sechstem Geburtstag standen aufgereiht nebeneinander, fertig zum Auspacken. Aber es dauerte bis tief in Nacht, bis es nach leckeren Plätzchen und süßen Kuchen aus der Küche duftete und Sabrinas Mutter die frischgemachten Eissorten endlich in den Kühlschrank legen konnte, die sie extra für das Fest gezaubert hatte. Auch Friedrich, das Zitroneneis, nahm sich viel vor für diesen großen Tag. Neben dem süßen Vanilleeis und dem Schokoladeneis, das die Kinder bei den letzten Geburtstagen schon gemocht hatten, hatte die Mutter dieses Mal noch ein neues Rezept für eine Sorte mit Sauermilch, abgeriebener Zitronenschale und Zucker gemacht. Seine Zutaten waren nacheinander in den Mixer geschüttet worden und kaum, dass der Motor aufheulte, wild durcheinandergewirbelt. Friedrich hatte einen ordentlichen Schwindel von den vielen Umdrehungen bekommen und sich erst wieder davon erholt, als die Flüssigkeit auf mehrere Eisformen verteilt wurde, die zum Einfrieren bereitstanden. Bevor sie die Tür zum Eisfach schloss, hatte Sabrinas Mutter den drei Sorten noch einmal erklärt, wie sie sich morgen beim Geburtstag verhalten sollten. Am besten sei es, sich den Kindern einfach hinzugeben, wenn sie zum Schlecken aus dem Gefrierfach geholt würden. Sie dürften sich gern gehen lassen und dahinschmelzen, wenn ihnen danach sei. Auf jeden Fall bräuchten sie keine Angst haben vor diesem großen Moment, von dem keiner von ihnen wieder zurückkehren würde. Dann sagte sie noch, dass sie sehr gespannt sei, welchen Geschmack die Kinder wohl am meisten mochten, drückte noch ein paar Holzstiele zum Festhalten in die Formen und sperrte das Eisfach zu. Friedrich lag im Dunkeln und war aufgeregt. Schließlich war es das erste und letzte Mal, dass er die Chance hatte, die Kinder von seinem Geschmack zu überzeugen. Er wollte unbedingt neben den wohlbekannten Sorten bestehen und nahm sich vor, über Nacht besonders kalt und wohlschmeckend zu werden, damit die Kinder lange Freude an ihm hatten. In der einzigen Nacht seines Lebens schlief er tief und wurde fest und fester. Von den Seiten aus wuchsen die Eiskristalle in seine Mitte, bis er sich nicht mehr bewegen konnte. Nur einmal schreckte er auf, weil er von dem Moment träumte, in dem er für immer in einem Kindermund verschwand. Doch kaum, dass er wieder eingenickt war, fror seine Oberfläche weiter zu herrlichen Eisblumen, die auf seinem kalten Gesicht funkelten wie tausend kleine Diamanten. Dann war es endlich soweit. Die Tür zum Kühlschrank flog auf und jemand holte etwas heraus. Als sie wieder zufiel, war Friedrich wach. Es waren noch ein paar Stunden bis zum Festbeginn am Nachmittag, aber mit der Ruhe war es jetzt vorbei. Nur die Tür zum Gefrierfach trennte die drei Eissorten von der Geschäftigkeit an diesem besonderen Tag. „Morgen“, sagte Friedrich verschlafen zu den anderen Sorten und versuchte sich zu strecken, doch es war ihm nicht möglich, so fest war er über Nacht in die Form hineingefroren. Gestern, als er noch flüssig gewesen war, hatte sein Körper bequem hineingepasst, aber jetzt als Eis hatte er sich ausgedehnt und war in der Nacht fast über den Rand geschwappt. „Hallo“, kam es eiskalt von links und rechts zurück. Auch Vanilleeis und Schokoladeneis waren komplett eingefroren in ihren Schalen. Sie hatten sich über Nacht so richtig breit gemacht und nahmen Friedrich und die anderen Zitroneneisportionen in die Zange. Dass sie der neuen Sorte in der Gunst der Kinder keine Chancen einräumten, war ausgemacht, und wenn es nicht sowieso schon kalt gewesen wäre, hätte man jetzt Gänsehaut bekommen, so eisig begutachteten sie die Fremdlinge mit dem Zitronengeschmack. „Wer will schon ein saures Eis schlecken!“, giftete ein Vanilleeis über Friedrich und seine Zitroneneisgefährten hinweg zum Schokoladeneis hinüber. „In der Tat“, lästerte es aus einer Schokoladeneisschale zurück. „Sauermilch als Zutat geht gar nicht! Nur frische Sahne bringt vollen Geschmack.“ „Und dann auch noch mit Zitronenschale.“ Das Vanilleeis rümpfte die kalte Nase. Das fängt ja prima an, dachte Friedrich, während er eingequetscht zwischen den beiden eifersüchtigen Streithähnen darauf wartete, wer als Erstes aus dem Eisfach gezogen wurde. Plötzlich drang von hinten aus der dunkelsten Ecke des Eisfaches, in der niemand mehr etwas vermutet hätte, eine krächzende Stimme und wünschte ebenfalls „Guten Morgen!“. Verdutzt drehte Friedrich den Kopf nach hinten, und auch die anderen Eissorten versuchten in der pechschwarzen Tiefe etwas zu erkennen. Aber das Einzige, was sie dort sahen, war ein dicker Eispanzer, der sich über die Jahre angesammelt hatte, weil das Gefrierfach wahrscheinlich nie abgetaut worden war. „Ist da jemand?“, rief Friedrich ins Dunkle hinein. „Ja!“, rief die Dunkelheit zurück und schickte kalten Hauch nach vorn, der den drei Eissorten frostig ums Gesicht wehte. „Wer bist du denn?“, fragte ein Vanilleeis verblüfft. „Ich bin ein Eiswürfel“, kam es saukalt aus der Ecke. „Was machst du so tief hinten im Eisfach?“ „Ich bin festgefroren und kann mich nicht mehr bewegen.“ „Wohin hättest du dich denn bewegen wollen, als du noch konntest?“ „Ich sollte im letzten Sommer den Whiskey von Sabrinas Vater auf der Veranda kühlen. Der hat aber nur zwei von uns Eiswürfeln rausgenommen, danach ist das Wetter umgeschlagen, und ab da trank er lieber heißen Tee im Haus. Jetzt sitze ich hier mit den restlichen Eiswürfeln und warte darauf, dass der Sommer wiederkommt und wir endlich ins Glas dürfen.“ „Uns kann das nicht passieren“, trompetete das Vanilleeis dem Schokoladeneis zu. „Genau“, posaunte das zurück. „Süße Sachen an einem Kindergeburtstag gehen immer. Egal wie das Wetter ist. Deshalb sehe ich den Neuzugang hier auch klar versauern.“ „Sind denn noch andere Zutaten eingefroren und vergessen worden?“, wollte ein Schokoladeneis von dem Eiswürfel wissen. „In der Ecke gegenüber liegen noch ein aufgerissenes Päckchen Minzeblätter und ein paar verstreute Heidelbeeren, die hart sind wie Stahl,“ erwiderte dieser kühl. Die Stunden bis zum Fest vergingen, und die Stimmung unter den drei Eissorten wurde noch frostiger, als sie es sowieso schon war. Die süßen Sorten versuchten die sauren Fremdlinge nach hinten ins Eisfach zu bugsieren, doch Friedrich wehrte sich nach Kräften. Allen war klar, dass der, der den Platz vorn an der Tür hatte, am ehesten von den Kindern ausgesucht und weggeschleckt werden würde. Deshalb gab keiner nach. Das Gerangel um den richtigen Platz drang bis vor die Kühlschranktür. Immer wieder ging das Eisfach auf und Friedrich blickte in das verdutzte Gesicht von Sabrinas Mutter, die nachsehen wollte, ob drinnen alles mit rechten Dingen zuging. Sie bemerkte nicht, dass alle nur kurz innehielten, und kaum, dass sie das Eisfach wieder geschlossen hatte, der Streit weiter ging. Friedrich und die anderen Zitroneneisportionen wehrten sich nach Kräften und kickten ihre Gegner bis in die hintersten Ecken des Eisfaches, doch die süßen Formen waren in der Überzahl. Kaum, dass eine abgeschlagen war, kam eine andere mit Wucht zurück. Friedrich gab ihnen Saures, doch sie waren einfach nicht abzuschütteln. Immer wieder setzten sie sich mit ihrer klebrig süßen Zunge an seiner Eisschale fest und schleuderten ihn mit Schwung nach hinten, wo die alten Eiswürfel, die Heidelbeeren und die Minzeblätter lagen. Plötzlich flog die Tür auf und eine kleine Hand griff ins Eisfach. Sofort ließen die Streithähne voneinander ab, warfen sich in Pose und präsentierten sich von ihrer besten Seite. Suchend glitten die kleinen Finger hin und her und tasteten die Sorten nacheinander ab. Friedrich hatte sich ganz nach vorn gedrängelt und hielt links ein Vanilleeis und rechts ein Schokoladeneis in Schach. Schon sah er die Hand vor seinem Gesicht größer und größer werden, als sie im letzten Moment umschwenkte, nach dem Holzstiel eines Vanilleeises griff, es an sich zog und damit nach draußen verschwand. Kaum, dass das Eisfach wieder geschlossen war, konnte man das „Hm!“ und „Ah!“ vernehmen, von dem Sabrinas Mutter am Abend zuvor erzählt hatte. Es klang herrlich, auch wenn es nicht die Lust auf Zitroneneis war, die Friedrich da hören musste. Enttäuscht ließ er vom Schokoladeneis ab, das er bis zu diesem Moment im Würgegriff gehalten hatte. Das stimmte ein hämisches Gelächter an, sobald es wieder zu Atem gekommen war. „Hehehe! Ist doch klar, dass du hier versauerst. Haben...