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Schley Wildes schönes Tier

Erzählungen
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-945944-03-5
Verlag: makrobooks
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Erzählungen

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ISBN: 978-3-945944-03-5
Verlag: makrobooks
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Ein Paar kehrt zurück an den Ort, den es in der ersten Zeit junger Liebe als magisch empfunden hat, doch die Beschwörung alten Glücks misslingt. Jule beibt nach einem Bad im Meer verschwunden und Arnold glaubt an Selbstmord. Später steht Jule plötzlich neben ihm, bereit für den Wiederbelebungsversuch ihrer Liebe, der die beiden hierher geführt hatte. Doch Arnold wird sich nicht verzeihen können, dass er sich leichteren Herzens mit dem Tod seiner Frau abgefunden hätte als dem Ende ihrer Beziehung. Es ist ein großes Thema, das Fridolin Schley in seinen neuen Erzählungen umkreist, vanitas vanitatum könnte über jeder der Geschichten dieses jungen Autors stehen: Ob in einer denkwürdigen Nacht im abriss-geweihten Palast der Republik oder der heimlichen Manipulation einer fremden Dreiecksbeziehung am Computer der Unibibliothek - stets ist der Autor der Vergänglichkeit auf der Spur und unseren sonderbaren Bemühungen, ihr zu entgehen.

Fridolin Schley, 1976 in München geboren, studierte Germanistik, Politik und Philosophie in München und Berlin sowie Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. 2012 erschien seine Dissertation er über W.G.Sebald. Heute ist Fridolin Schley Redaktionsleiter beim Literaturportal Bayern und weiterhin als Autor tätig. "Verloren, mein Vater" war Fridolin Schleys erste Romanveröffentlichung.

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Wie fröhlich bin ich aufgewacht / Wie hab ich geschlafen so sanft die Nacht DAS HERZ DER REPUBLIK
Erst auf dem Weg nach Hause, als Fabian den Palast über die Spreeseite hin schon lange hinter sich gelassen hatte, wunderte er sich über das Ausmaß seiner Erschöpfung und darüber, dass er mit keinem der anderen Besucher ins Gespräch gekommen war. Fabian hatte das Gefühl, dass nur die Willkür seiner Orientierungsschwäche ihn dorthin geführt hatte. Auf einem seiner abendlichen Spaziergänge durch die trotz der Weitläufigkeit ihrer Straßen vor allem bei einbrechender Dunkelheit bedrohlich ihn einengende Innenstadt hatte er sich bald im Scheunenviertel verlaufen und richtete, gegen aufwallende Panik, seinen Blick starr auf die farbig blinkenden Lichter des Fernsehturms am Alexanderplatz, ihnen wie von einem Bannstrahl gezogen entgegeneilend, ohne auf den Verkehr oder das lebhafte Treiben in den Seitenstraßen zu achten. Dass ihm als Kind diese Wege einmal zutiefst vertraut gewesen sein mussten, erschien ihm jetzt wie eine undurchsichtige Finte seiner Erinnerung. Erst die dunkle Weite des Lustgartens und die barocke Erhabenheit des Doms beruhigten ihn so weit, dass er für einen Augenblick stehen bleiben, sich umsehen und erkennen konnte, dass der auf der anderen Straßenseite gelegene Palast der Republik nicht wie angenommen wie ein längst verlassenes Fabrikgebäude in der Dunkelheit kauerte, sondern durch einige der Fenster zum ehemaligen Schlossplatz hin leuchtete und dass sich vor dem Eingang eine größere Menschentraube gebildet hatte, die gerade in diesem Augenblick in Bewegung geriet und ins Innere drängte. Natürlich war der Palast von Anfang an Fabians Ziel gewesen. Er fühlte sich auf kindliche Weise verwegen, als er das Ende der Schlange erreichte und sich einreihte,ohne zu wissen, was ihn erwartete, und er steigerte das angenehme Gefühl von Wagnis noch, indem er dem Ehepaar vor sich, das elegant gekleidet war, freundlich zunickte und »Angenehmen Abend« wünschte. Der Mann erwiderte seinen Gruß und sagte,Wagner à la DDR, das kann ja heiter werden, und auch den Verantwortlichen am Eingang, der die Eintrittskarten kontrollierte, bedachte Fabian mit einem wissenden Lächeln und trat, ohne aufgehalten zu werden, in die Eingangshalle. Schon begann sich das Publikum zu verteilen; einige verharrten an einem lose aufgestellten Metallgeländer und beobachteten die dahinter ihre Instrumente stimmenden Musiker, die sich am Fuße einer steinernen Freitreppe gruppiert hatten, andere trieben wie auch er tiefer hinein in den Raum und in einen spärlich beleuchteten Gang, dessen Ausdehnung nicht auszumachen war. Fabian erinnerte sich, dass dieses katakombenähnliche Geschoss ursprünglich nicht den Besuchern des Palastes offen gestanden hatte, sondern mit vielen kleinen Räumen als Stau-und Garderobenraum genutzt worden war. Die Decke des Hauptgangs hing nur knapp über Kopfhöhe, er tastete sich an dem feuchtkalten Gemäuer entlang, an dem links und rechts alte Gasleitungen wie Adern verliefen, setzte jeden Schritt mit Bedacht und ließ seinen Vordermann nie mehr als drei Meter entkommen. Nur nicht verlassen sein hier unten, dachte er, keiner sprach mehr ein Wort, hinter ihm nur das scharrende Geräusch von Schritten, die sich entfernenden Dissonanzen der Instrumente, und sie, die Besucher, wie Gefangene, gemeinsam auf der Flucht. Über eine Treppe, die sich aus dem Nichts rechter Hand aufgetan hatte, erreichten sie das erste Geschoss und betraten erleichtert einen weiten, kaum zu überblickenden Raum, der sich nach allen Seiten immer wieder zu verwinkeln und neu aufzutun schien und der in seiner Höhe in Widerspruch zu der beklemmenden Enge des Eingangsbereiches stand. Von hier, meinte Fabian zu wissen, hatten einst Treppen und Fahrstühle in alle Etagen geführt und den Großen Saal mit der Volkskammer verbunden. Minutenlang stand er auf der Stelle, drehte nur seinen Kopf nach allen Seiten. Die Wände waren zum größten Teil eingerissen worden, der ganze Raum war ein fleischloses Gerippe, durchzogen von tragenden Stahlgerüsten und Metallgestänge, von den über tausend Kugelleuchten, die einmal den Saal erhellt hatten, waren nur noch rostende Eisenträger übrig geblieben,in regelmäßigem Abstand mit gelben Zeichen und Zahlen beschriftet. Es gelang Fabian nicht, den Ort als Ganzes zu fassen, zu sehr zerflossen die Konturen in der Tiefe. Das Muster eingefallener Ziegelmauern, die einzeln aufragenden Säulen, die Gesimse und Scheiben der hohen Seitenfenster, dazu das fahl-diffuse Licht, in dem geisterhafte Silhouetten von Besuchern mitunter kurz auftauchten und wieder verschwanden,vermittelten den Eindruck großer Unbestimmtheit. Nur unscharf deuteten sich in der Ferne noch größere Räume an, sah man Pfeilerreihen und gemauerte Bögen, die das obere Stockwerk trugen. Im aufgewellten Fußboden war noch vereinzelt das Mosaik von weißem und farbigem Marmor zu erkennen, das früher zum festlichen Gepräge beigetragen haben musste, Bälle, Kongresse und Konzerte hatten hier stattgefunden, und mit einem Mal, als sich Fabian endlich losgerissen hatte und ziellos umherging, erschien es ihm unbegreiflich, wie dieses Gebäude innerhalb so kurzer Zeit gänzlich der Zerstörung hatte anheimfallen können, wie es inmitten einer wachsenden, sich stetig entwickelnden Stadt stehen konnte und sich gleichzeitig von innen her immer weiter auflöste, und er dachte an die vielen Erinnerungen an diesen Ort, seine Geschichten, die, da dieser selbst über kein Gedächtnis verfügte, zusammen mit seinem Inneren aufgezehrt wurden, ohne jemals gehört oder aufgezeichnet worden zu sein. Schon eine Weile zuvor hatte wohl die Musik eingesetzt, denn von allen Seiten kamen nun die Besucher aus dem Dunst des Raumes zu der Balustrade geeilt, von der aus man die Eingangshalle einsehen konnte. Dort hatten der größte Teil des Orchesters und der Dirigent Platz gefunden. Doch nach einigen Minuten hörte Fabian zwischen Streichern und Bläsern immer deutlicher ein kratziges Leiern, wie von einem aus der Spur geratenen alten Plattenspielerarm, und das dumpfe Pochen elektronischer Bässe. Er sah sich um und machte weitere Musiker auf verschiedenen Stockwerken aus; ein mit Kopfhörern ausgestatteter DJ bediente auf einem Vorsprung des dritten Geschosses tatsächlich einen Plattenspieler. Die Musik schien das zu schaffen, woran Fabian selbst kurz zuvor gescheitert war, schien das gesamte Gebäude und alle seine Winkel erreichen und sogar ausfüllen zu können. Nach und nach lösten sich wieder einige Zuhörer aus der Balustradenversammlung und setzten ihren Rundgang fort. Die Bewegung der Besucher, ihr Flanieren musste zur Konzeption des Abends gehören, denn nirgends entdeckte Fabian Sitzgelegenheiten, man sollte während des Konzerts frei auf den verschiedenen Etagen umhergehen, als spielte man in Zeitlupe das Ballgeschehen vergangener Palastfeste nach. Auch Fabian war weitergegangen, blieb aber bald mit ein paar anderen vor einer großformatigen, auf einer Staffelei angebrachten Fotografie stehen, auf der er erst nach längerem Hinsehen denselben Raum, also jenes Hauptfoyer erkannte, in dem er sich augenblicklich befand. Das Bild war aus erhöhter Position, wahrscheinlich vom zweiten Geschoss aus, aufgenommen worden und zeigte in schräger Oberansicht den hell erleuchteten Tanzsaal, in dem in dunkler Abendgarderobe Menschen in kleinen Gesprächsgruppen zusammenstanden, einige waren inmitten der Tanzbewegung erstarrt, andere saßen am Rand in ledernen Sitzgarnituren mit erhobenen Sektgläsern oder lehnten an den massiven Säulen der Galerie im zweiten Stock und sahen unbeteiligt auf die Tanzenden hinab. Von der Decke strahlten die Kugellampen warmes orangefarbenes Licht in den Saal, den in der Mitte eine hohe Plastik aus Stahl und Glas schmückte, und immer wieder reckte Fabian den Kopf und versuchte, sich anhand der Fotografie im Raum zu orientieren, überlegte, wo die Plastik gestanden hatte und welche Stelle des Bildes er selbst in diesem Moment einnahm. Für eine Weile musste Fabian so den Kopf gehoben und gesenkt haben, um die Aufnahme der einstigen Pracht mit dem Zustand des Verfalls zu vergleichen, so dass er nachher an das Konzert selbst überhaupt keine Erinnerung hatte, auch konnte er nur vermuten, dass ohne Unterbrechung andere Besucher an ihm vorbeiliefen, kurz neben ihn traten, einen Blick auf die Fotografie warfen und ihren Weg wieder aufnahmen,während er beinahe bewegungslos verharrte. Die Gläserne Blume, hatte sein Vater gesagt, sei fast fünf Meter hoch gewesen und wie so vieles nach der Schließung des Palastes einfach verschwunden, auch Kunstwerke der Galerie seien gestohlen worden, große Ölgemälde von Willi Sitte und Arno Mohr, die schon in der berühmt gewordenen ersten Ausstellung »Dürfen Kommunisten träumen?« zu sehen gewesen seien. Fabian war weitergegangen und über eine Treppe ins zweite Geschoss gelangt, von wo aus man den ehemaligen Großen Saal erreichte, der in Höhe und Weite die Eingangshalle noch übertraf. 18 Meter hoch, 67 Meter breit, hatte sein Vater wieder und wieder erklärt, hier hätten vor allem Kongresse und politische Aktivitäten stattgefunden, aber dank der technischen Konstruktion und Ausstattung des Saales sei er auch für Bälle, Bankette und Orchesterkonzerte aller Art genutzt worden. Die auf Knopfdruck veränderbare Platzkapazität, ja, die vollständig variable Funktionalität und Ästhetik des Raums seien einzigartig in der Welt gewesen, bei Kongressen hätten 5000 Menschen an...



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