Schirach | Die Nacht der Physiker | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 320 Seiten

Schirach Die Nacht der Physiker

Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-911327-01-5
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe

E-Book, Deutsch, 320 Seiten

ISBN: 978-3-911327-01-5
Verlag: Berenberg Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Im April 1945 verhafteten die US-Amerikaner die Elite der deutschen Atomphysiker und internierten sie auf einem englischen Landsitz. Hier erfuhren sie vom Abwurf der Hiroshima-Bombe. Abgesehen von der Katastrophe war das auch eine persönliche Niederlage. Bis dahin waren sie überzeugt, dass sie allein den Schlüssel zu dieser Massenvernichtungswaffe in der Hand hielten. Spannend schildert Richard von Schirach den nuklearen Wettlauf während des Krieges und wie Deutschland am Ende in einem badischen Bierkeller fast noch eine Atombombe beschert worden wäre. Er erzählt von Wissenschaftlern, die sich für unfehlbar hielten und in Kriegsverbrechen verstricken ließen. Eine deutsche Geschichte zwischen Genie, Hybris, Schuld und Naivität.

»Die Schärfe und Genauigkeit, mit der Richard von Schirach die Biographien dieser Topwissenschaftler seziert, macht diese Geschichte zu einem abgründigen Seelendrama, ebenso bewegend wie verstörend.«

Norbert Kron, ARD (titel, thesen, temperamente)

»Spannend und präzise formuliert, voller neuer Informationen, lesenswert vom ersten bis zum letzten Buchstaben.«

Mirko Smiljanic, Deutschlandfunk

»Liest sich wie ein Wissenschaftskrimi«

Oliver Pfohlmann, Neue Zürcher Zeitung

»Richard von Schirachs Geschichte der deutschen Kernphysik erwirbt sich das große Verdienst, auch für Nichtphysiker verständlich zu sein.«
Jutta Person, Literaturen

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Nach dem Ende
Von Haigerloch nach Urfeld
Seit Anfang 1945 waren Hechingen und Haigerloch die Rückzugsorte des von Werner Heisenberg geleiteten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik in Berlin-Dahlem. Otto Hahns Institut für Chemie wurde zur selben Zeit in das benachbarte Tailfingen verlagert. Die Spitzen der deutschen Physik versuchten hier noch kurz vor Kriegsende, den ersten deutschen Atomreaktor in Gang zu bringen. Jeder weitere Apriltag des Jahres 1945 aber ließ selbst die verwegensten Hoffnungen schwinden. Die täglichen Messreihen des sogenannten »Grossversuchs B[erlin]-VIII« schienen zeitweise anzuzeigen, dass der im Felsenkeller des Schwanenwirtes in Haigerloch versteckt untergebrachte Uranreaktor kurz davor stand, die erste Kettenreaktion auszulösen. Dann aber war das Spiel aus. Das Gerassel französischer Schützenpanzer drang bereits in das Eyachtal, als die Wissenschaftler versuchten, alle Spuren ihres Geheimprojekts zu verwischen. Heisenberg ließ die an Ketten im Schwerwasser-Bottich hängenden Uranwürfel und die erst kürzlich unter großen Schwierigkeiten von Stadtilm in Thüringen hierher transportierten gepressten Uranoxid-Würfel in einem frisch gepflügten Acker vergraben, das Schwerwasser abschöpfen und in Tanks in einer aufgelassenen Textilfabrik verstecken. Er hoffte, dass diese Ressourcen nach dem überstandenen Krieg als »Fundus« für künftige Forschungen zur Verfügung stehen würden. Nachdem alle Materialien sicher verstaut waren, beauftragte Heisenberg seinen ehemaligen Schüler und Freund Karl Wirtz mit der Aufsicht über die Höhle und fuhr dann wie gewöhnlich mit dem Fahrrad nach Hechingen zurück. Im April 1939 zog sich Heisenberg mit seiner Frau, die ihr drittes Kind erwartete, in den Kurort Badenweiler zurück. Sie beschlossen, einen Zufluchtsort auf dem Lande zu suchen. Ein Freund machte sie darauf aufmerksam, dass in Urfeld ein geräumiges Holzhaus mit Blick auf den Walchensee für 26.000 Mark zu haben sei. Es handelte sich um das ehemalige Haus Petermann des Malers Lovis Corinth. Heisenberg, der die Gegend um den Walchensee von früheren Radtouren her sehr gut kannte, wurde im Sommer 1939 Eigentümer. Zwei Tage später, Heisenberg war schon von Hechingen in Richtung Heimat davongeradelt, steckten Weizsäcker und Wirtz die Forschungspapiere des Instituts in einen Metallkanister, verlöteten ihn und versenkten diesen in der Jauchegrube hinter Weizsäckers Haus – eine unrühmliche Entsorgung für die einstige Spitzenforschung der deutschen Physik. Den in Hechingen und Umgebung untergebrachten Wissenschaftlern blieb nun nichts mehr zu tun, als das Unvermeidliche abzuwarten. Heisenberg aber konnte sich endlich auf den Weg zu seiner Familie in Urfeld machen, einem Ort mit 20, 30 Seelen am Walchensee in Oberbayern. »Wir wollten die Kinder nach Möglichkeit vor dem Chaos der Luftangriffe bewahren«, begründete Heisenberg die Übersiedlung der Familie von Leipzig an den Walchensee. Seine Frau, die inzwischen fünf Kinder hatte, wurde allerdings mit dieser Lösung nicht glücklich. Sie war in Urfeld von aller Hilfe abgeschnitten, die sich die Physikerfamilien und technischen Mitarbeiter in Hechingen gegenseitig leisteten; und sie kam auch nicht mit dem harten Schlag der Bauern zurecht. Land und Leute schienen ihr nicht wohlgesinnt: »Der Boden war steinig und unfruchtbar, und was wuchs, wurde mit Sicherheit von den Hirschen und Rehen abgefressen. Dazu waren die Bauern gegen uns Zugereiste von unerschütterlichem, misstrauischem Geiz. In der Tat hatten wir ernstliche Schwierigkeiten und führten einen verbissenen Kampf gegen Hunger und Krankheit.« Die von Heisenberg eigenhändig eingekochten Marmeladen und Obstkisten, die er aus Berlin nach Urfeld schickt, kamen meist gar nicht oder erst nach Wochen »verfault, geplündert oder zerschlagen« an. Aber nun sollte er selbst bald tatkräftig seiner Familie beistehen können. Frühmorgens um halb vier machte er sich am 20. April 1945 mit dem Fahrrad in Richtung Walchensee auf den Weg. In Hechingen konnte er noch ein Päckchen amerikanischer Zigaretten organisieren – eine Lebensversicherung. Die Strecke nach Urfeld beträgt ungefähr 270 Kilometer. Aus Furcht vor marodierenden Soldaten und Tieffliegern fährt er vorwiegend nachts. Den Tag verbringt er in Straßengräben, »dicht an den Boden gepresst«. Alles befindet sich in Auflösung, Heisenberg sieht Haufen von Jugendlichen, nicht älter als 14 oder 15, die hungernd und ratlos am Wegesrand kampieren und nicht mehr wissen, wo sie hingehören; Horden von Soldaten verschiedenster Nationalitäten, die irgendeinem Ziel zustreben, zerlumpte, fremdsprachige Gestalten, die aus Lagern oder aus der Zwangsarbeit befreit worden sind und nun plündernd durch die Gegend ziehen. Gefahren lauern überall, ausweichen und sich verstecken ist am sichersten. An einer Kontrollstation ergibt sich eine höchst gefährliche Situation. Ein junger Soldat winkt ihn aus der Menge und verlangt seine Papiere. Die Lage ist brenzlig, denn jeder Soldat oder Offizier, der unerlaubt seinen Truppenteil verlassen hat, um sich in Sicherheit zu bringen, kann ohne viel Federlesen von einem Standgericht zum Tod verurteilt oder an die Front geschickt werden. Heisenberg hat sich Reiseerlaubnis und Marschbefehle selbst ausgestellt, aber ob die Papiere einer näheren Prüfung auch standhalten werden? Als sich der junge Mann anschickt, mit den ungewohnten Dokumenten seinen Vorgesetzten, der in einem Zelt die Untersuchungen durchführt, aufzusuchen, pokert Heisenberg hoch. Zigaretten sind heißbegehrt, und so fragt er den jungen Soldaten, ob er nicht auch gerne rauche. Als der bejaht, langt Heisenberg in seine Hosentasche und zieht die sagenhafte Schachtel Pall Mall hervor. Er drückt sie dem jungen Kameraden in die Hand, ein Blick, und Heisenberg darf passieren. Heisenberg ist überzeugt, dass er sein Leben verloren hätte, wenn er auf einen Nichtraucher gestoßen wäre. Die kleine Kreisstadt Weilheim steht in Flammen, als er eintrifft. Kein Zug fährt mehr. Heisenberg schläft ein paar Stunden im Bahnhof auf dem Fahrrad. Ein Güterzug, der sich überraschend in Bewegung setzt, nimmt ihn einige Kilometer mit. Weiter geht es wieder mit dem Fahrrad. Nach drei Tagen kommt er in Urfeld an, und seine Frau Elisabeth beschreibt den Eindruck, den ihr Mann auf sie macht, als sie ihn unverhofft, am Rande der Erschöpfung, den Berg heraufkommen sieht: »verdreckt, todmüde und glücklich«. Vor sechs Jahren war Heisenberg von Urfeld aus nach Berlin aufgebrochen, um dort im Vorgefühl der gigantischen Möglichkeiten die waffentechnische Anwendung der Kernspaltung zu erproben. Vor vier Jahren, als das Deutsche Reich im Zenit seiner Macht stand, war er noch überzeugt gewesen, dass es für die Entwicklung von Kernreaktoren und Nuklearwaffen kein Halten mehr gäbe. »Wir sahen eine freie Straße vor uns.« Und nun schleppte er sich, sichtbar gealtert, wie ein um alle Hoffnungen betrogener Kriegsheimkehrer zum Haus. Die kühnen Träume sind verweht, das Spiel ist aus. In Urfeld zählen nicht mehr Neutronen, sondern Lebensmittel und Brennholz. Unerlässlich für die Versorgung der Kinder ist der regelmäßige Gang entlang der Uferstraße nach Sachenbach, um an frische Milch zu kommen. Unterwegs begegnet ihm eines Tages der erfolgreiche nationalsozialistische Reiseschriftsteller Colin Ross mit seiner Frau, der in nachbarlicher Nähe in einem schindelgedeckten Holzhaus lebt, das auf den See blickt. Sie haben sich lange nicht gesehen, und Heisenberg drückt den Wunsch aus, man möge sich doch jetzt wieder häufiger begegnen. Erst später wird er sich daran erinnern, wie wortkarg und in sich gekehrt der weitgereiste Colin Ross gewirkt hat. Wer überleben will, muss hamstern oder stundenlang Schlange stehen, um vielleicht noch irgendetwas ergattern zu können. Da es in dem winzigen Urfeld nichts zu kaufen gibt, führt der Weg oft nach Kochel. Dort, es ist der 29. April 1945, bekommt er mit, dass ein Zug am Bahnhof steht, aus dessen geöffneten Waggontüren Menschen in Häftlingskleidung blicken. Als Heisenberg nach endloser Warterei und mit dürftiger Ausbeute im Rucksack – nur der Metzger Pfleger rückte ein Stück Fleisch heraus – nach dem beschwerlichen Weg über den Kesselberg wieder in Urfeld auftaucht, spricht ihn die Tochter von Ernst Brackenhofer, dem Wirt des Gasthofs zur Post an und berichtet, dass Colin Ross und seine Frau in der Nacht zuvor ihrem Leben ein Ende gesetzt haben. Heisenberg sucht das Haus auf, um Ross und seiner Frau die letzte Ehre zu erweisen, und blickt in die Gesichter des tot am Boden liegenden Ehepaares, das eine afrikanische Reisedecke umhüllt. In seinen stenogrammartigen Aufzeichnungen, die ihn zum Chronisten der letzten Kriegstage am Walchensee machen, hält er auch fest, dass er beim Betreten des Sterbezimmers zum letzten Mal die Hand zum Hitlergruß...


Richard von Schirach, geboren 1942, war Sinologe, Publizist und Übersetzer. Seine Autobiographie »Der Schatten meines Vaters« erschien 2005 im Hanser Verlag. Die unter dem Titel »Ich war Kaiser von China« erschienene Autobiographie des letzten chinesischen Kaisers Pu Yi, von Bernardo Bertolucci als »The Last Emperor« verfilmt, hat er für die deutschsprachige Ausgabe herausgegeben und zusammen mit Mulan Lehner aus

dem Chinesischen übersetzt. Richard von Schirach starb 2023 in Garmisch-Partenkirchen.



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