Schiller / Kosenina / Ko?enina | Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Studienausgabe | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

Schiller / Kosenina / Ko?enina Der Verbrecher aus verlorener Ehre. Studienausgabe

Schiller, Friedrich - Deutsch-Lektüre, Deutsche Klassiker der Literatur - 19184

E-Book, Deutsch, 128 Seiten

Reihe: Reclams Universal-Bibliothek

ISBN: 978-3-15-960449-7
Verlag: Reclam Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Oft wird behauptet, Schiller habe mit seiner Erzählung der »wahren Geschichte« des berüchtigten Verbrechers Johann Friedrich Schwan, genannt der Sonnenwirt, das Genre der Kriminalgeschichte erfunden. Das hat er zwar nicht, dennoch ist das Werk, ein frühes und besonders erfolgreiches Beispiel für die überaus beliebte literarische Gattung, die Unterhaltung mit frühen Formen von Sozialpsychologie verband und dabei gleichzeitig juristisches Wissen, z.B. über Tatmotive und Zurechnungsfähigkeit, verbreiten wollte. Die neue Studienausgabe erschließt mit einem umfangreichen Materialienteil dieses zeitgenössische kriminologische Umfeld des Textes. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.

Friedrich Schiller (seit 1802: von; 10. 11. 1759 Marbach a. N. - 9. 5. 1805 Weimar) bildet mit Goethe den Kern der Weimarer Klassik, der bedeutendsten deutschen Literaturepoche. Schiller begann als Aufsehen erregender Sturm-und-Drang-Dichter und prägte seit 1795 als Publizist, Theoretiker, Dramatiker und Lyriker das berühmte klassische Weimarer Jahrzehnt. Schillers Dramen gehören noch heute zu den meistgespielten der deutschen Literatur, seine Gedichte, z. B. die Balladen, zählten im 19. Jahrhundert und darüber hinaus zum festen kulturellen Kanon der deutschen Literatur.
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[7] Der Verbrecher aus verlorener Ehre*
Eine wahre Geschichte*
  [9] In der ganzen Geschichte des Menschen* ist kein Kapitel unterrichtender für Herz und Geist, als die Annalen seiner Verirrungen*. Bey jedem großen Verbrechen* war eine verhältnißmäßig große Kraft in Bewegung. Wenn sich das geheime Spiel der Begehrungskraft* bey dem matteren Licht gewöhnlicher Affekte versteckt, so wird es im Zustand gewaltsamer Leidenschaft desto hervorspringender, kolossalischer*, lauter; der feinere Menschenforscher*, welcher weiß, wie viel man auf die Mechanik der gewöhnlichen Willensfreyheit eigentlich rechnen darf, und wie weit es erlaubt ist, analogisch zu schließen, wird manche Erfahrung aus diesem Gebiete in seine Seelenlehre herübertragen, und für das sittliche Leben verarbeiten. Es ist etwas so einförmiges, und doch wieder so zusammengeseztes, das menschliche Herz*. Eine und eben dieselbe Fertigkeit oder Begierde kann in tausenderley Formen und Richtungen spielen, kann tausend widersprechende Phänomene bewirken, kann in tausend Karakteren anders gemischt erscheinen, und tausend ungleiche Karaktere und Handlungen können wieder aus einerley Neigung gesponnen seyn, wenn auch der Mensch, von welchem die Rede ist, nichts weniger denn eine solche Verwandtschaft ahndet. Stünde einmal, wie für die übrigen Reiche der Natur, auch für das Menschengeschlecht, ein Linnäus* auf, welcher nach Trieben und Neigungen klaßifizierte, wie sehr würde man erstaunen, wenn man so manchen, dessen Laster in einer engen bürgerlichen Sphäre, und in der schmalen Umzäunung der Gesetze* jezt ersticken muß, mit dem Ungeheuer Borgia* in einer Ordnung beysammen fände. Von dieser Seite betrachtet, läßt sich manches gegen die gewöhnliche Behandlung der Geschichte einwenden, und hier, [10] vermuthe ich, liegt auch die Schwierigkeit, warum das Studium derselben für das bürgerliche Leben noch immer so fruchtlos geblieben. Zwischen der heftigen Gemüthsbewegung des handelnden Menschen, und der ruhigen Stimmung des Lesers, welchem diese Handlung vorgelegt wird, herrscht ein so widriger Kontrast, liegt ein so breiter Zwischenraum, daß es dem leztern schwer, ja unmöglich wird, einen Zusammenhang nur zu ahnden. Es bleibt eine Lücke zwischen dem historischen Subjekt und dem Leser, die alle Möglichkeit einer Vergleichung oder Anwendung abschneidet, und statt jenes heilsamen Schreckens, der die stolze Gesundheit warnet, ein Kopfschütteln der Befremdung erweckt. Wir sehen den Unglücklichen*, der doch in eben der Stunde, wo er die That beging, so wie in der, wo er dafür büßet, Mensch war wie wir*, für ein Geschöpf fremder Gattung an, dessen Blut anders umläuft, als das unsrige, dessen Wille andern Regeln gehorcht, als der unsrige; seine Schicksale rühren uns wenig, denn Rührung* gründet sich ja nur auf ein dunkles Bewußtseyn ähnlicher Gefahr, und wir sind weit entfernt, eine solche Aehnlichkeit auch nur zu träumen. Die Belehrung geht mit der Beziehung verloren, und die Geschichte, anstatt eine Schule der Bildung zu seyn, muß sich mit einem armseligen Verdienste um unsre Neugier begnügen. Soll sie uns mehr seyn und ihren großen Endzweck erreichen, so muß sie nothwendig unter diesen beyden Methoden wählen – Entweder der Leser muß warm werden wie der Held, oder der Held wie der Leser erkalten. Ich weiß, daß von den besten Geschichtschreibern neuerer Zeit und des Alterthums manche sich an die erste Methode gehalten, und das Herz ihres Lesers durch hinreißenden Vortrag bestochen* haben. Aber diese Manier ist eine Usurpation des Schriftstellers und beleidigt die republikanische Freyheit* des lesenden Publikums, dem es zukömmt, selbst zu Gericht zu sitzen*; sie ist zugleich eine Verletzung der [11] Gränzengerechtigkeit, denn diese Methode gehört ausschließend und eigenthümlich dem Redner und Dichter*. Dem Geschichtschreiber bleibt nur die leztere übrig. Der Held muß kalt werden wie der Leser, oder, was hier eben so viel sagt, wir müssen mit ihm bekannt werden, eh’ er handelt, wir müssen ihn seine Handlung nicht bloß vollbringen, sondern auch wollen sehen*. An seinen Gedanken liegt uns unendlich mehr, als an seinen Thaten, und noch weit mehr an den Quellen seiner Gedanken, als an den Folgen jener Thaten. Man hat das Erdreich des Vesuvs untersucht, sich die Entstehung seines Brandes zu erklären, warum schenkt man einer moralischen Erscheinung weniger Aufmerksamkeit als einer physischen? Warum achtet man nicht in eben dem Grade auf die Beschaffenheit und Stellung der Dinge, welche einen solchen Menschen umgaben, bis der gesammelte Zunder in seinem inwendigen Feuer fing? Den Träumer, der das Wunderbare* liebt, reizt eben das seltsame und abentheuerliche einer solchen Erscheinung; der Freund der Wahrheit sucht eine Mutter zu diesen verlorenen Kindern. Er sucht sie in der unveränderlichen Struktur der menschlichen Seele, und in den veränderlichen Bedingungen, welche sie von außen bestimmten, und in diesen beyden findet er sie gewiß. Ihn überrascht es nun nicht mehr, in dem nämlichen Beete, wo sonst überall heilsame Kräuter blühen, auch den giftigen Schierling* gedeihen zu sehen, Weisheit und Thorheit, Laster und Tugend in einer Wiege beysammen zu finden. Wenn ich auch keinen der Vortheile hier in Anschlag bringe, welche die Seelenkunde aus einer solchen Behandlungsart der Geschichte zieht, so behält sie schon allein darum den Vorzug, weil sie den grausamen Hohn und die stolze Sicherheit ausrottet, womit gemeiniglich die ungeprüfte aufrechtstehende Tugend auf die gefallne herunterblickt, weil sie den sanften Geist der Duldung verbreitet, ohne welchen kein [12] Flüchtling zurückkehrt, keine Aussöhnung des Gesetzes mit seinem Beleidiger statt findet, kein angestecktes Glied der Gesellschaft von dem gänzlichen Brande gerettet wird. Ob der Verbrecher, von dem ich jezt sprechen werde, auch noch ein Recht gehabt hätte, an jenen Geist der Duldung zu appelliren? ob er wirklich ohne Rettung für den Körper des Staats verloren war? – Ich will dem Ausspruch des Lesers nicht vorgreifen. Unsre Gelindigkeit fruchtet ihm nichts mehr, denn er starb durch des Henkers Hand* – aber die Leichenöffnung seines Lasters unterrichtet vielleicht die Menschheit, und – es ist möglich, auch die Gerechtigkeit. Christian Wolf* war der Sohn eines Gastwirths in einer …schen Landstadt* (deren Namen man, aus Gründen, die sich in der Folge aufklären, verschweigen muß) und half seiner Mutter, denn der Vater war todt, bis in sein zwanzigstes Jahr die Wirthschaft besorgen. Die Wirthschaft war schlecht, und Wolf hatte müßige Stunden. Schon von der Schule her war er für einen losen Buben bekannt. Erwachsene Mädchen führten Klagen über seine Frechheit, und die Jungen des Städtchens huldigten seinem erfinderischen Kopfe. Die Natur hatte seinen Körper verabsäumt*. Eine kleine unscheinbare Figur, kraußes Haar von einer unangenehmen Schwärze, eine plattgedrückte Nase und eine geschwollene Oberlippe, welche noch überdies durch den Schlag eines Pferdes aus ihrer Richtung gewichen war, gaben seinem Anblick eine Widrigkeit, welche alle Weiber von ihm zurückscheuchte, und dem Witz seiner Kameraden eine reichliche Nahrung darbot. Er wollte ertrotzen, was ihm verweigert war; weil er mißfiel, sezte er sich vor, zu gefallen. Er war sinnlich, und beredete sich, daß er liebe. Das Mädchen, das er wählte, mißhandelte ihn, er hatte Ursache zu fürchten, daß seine Nebenbuhler glücklicher wären; doch das Mädchen war arm. Ein Herz, das seinen Betheurungen verschlossen blieb, öffnete sich vielleicht seinen [13] Geschenken, aber ihn selbst drückte Mangel, und der eitle Versuch, seine Außenseite geltend zu machen, verschlang noch das wenige, was er durch eine schlechte Wirthschaft erwarb. Zu bequem und zu unwissend, seinem zerrütteten Hauswesen durch Spekulation aufzuhelfen, zu stolz, auch zu weichlich, den Herrn, der er bisher gewesen war, mit dem Bauer zu vertauschen, und seiner angebeteten Freyheit zu entsagen, sah er nur einen Ausweg vor sich – den tausende vor ihm und nach ihm mit besserem Glücke ergriffen haben – den Ausweg, honett zu stehlen*. Seine Vaterstadt gränzte an eine landesherrliche Waldung, er wurde Wilddieb, und der Ertrag seines Raubes wanderte treulich in die Hände seiner Geliebten. Unter den Liebhabern Hannchens* war Robert, ein Jägerpursche des Försters. Frühzeitig merkte dieser den Vortheil, den die Freygebigkeit seines Nebenbuhlers über ihn gewonnen hatte, und mit Scheelsucht forschte er nach den Quellen dieser Veränderung. Er zeigte sich fleißiger in der Sonne – dieß war das Schild zu dem Wirthshaus – sein laurendes Auge von Eifersucht und Neide geschärft, entdeckte ihm bald, woher dieses Geld floß. Nicht lange vorher war ein strenges Edikt gegen die Wildschützen* erneuert worden, welches den Uebertreter zum Zuchthaus verdammte. Robert war unermüdet, die geheimen Gänge seines Feindes...


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