Wertvolles Wissen und ganzheitliche Übungen, um die Körpermitte in Spannung zu bringen
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
ISBN: 978-3-492-99749-2
Verlag: Piper Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Astrid Scheuermann ist Physiotherapeutin mit eigener Praxis in Köln. Mit ihrem effektiven Trainingsprogramm für den Beckenboden hat sie vielen Betroffenen wieder zu mehr Lebensqualität verhelfen können.
Autoren/Hrsg.
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»Hauptsache, er tut, was er soll« – Der vernachlässigte Beckenboden
»Der ist eben einfach da« – (Un-)Achtsamkeit
Wir bemerken, dass wir unseren Beckenboden zu lange als selbstverständlich betrachtet haben. Unsere Aufgabe ist es, jetzt achtsam zu werden und uns um uns zu kümmern. Ina: »Bis ich hierhergekommen bin, habe ich keine wirkliche Beziehung zu meinem Beckenboden gehabt. Er war einfach da. Ich habe nicht über ihn nachgedacht. Irgendwie war er unterrepräsentiert in meiner Wahrnehmung. Warum sollte ich denn auch eine Beziehung zu ihm haben? Er funktioniert, oder besser gesagt, funktionierte. Ist es denn wichtig, dass man ihn wahrnimmt? Im Regelfall nicht, oder? Ohne die Erkenntnis, dass ich jetzt einen vielleicht irreparablen Schaden habe, brauchte ich doch nicht nachzudenken. Das ist wie bei allen Krankheiten: Solange du nicht betroffen bist, machst du einfach alles, woran du Spaß hast. Und gehst vielleicht auch sorglos mit deiner Gesundheit um. Ich bin doch kein Pessimist oder Hypochonder, der sich stundenlang damit beschäftigt, was alles passieren könnte.« Man muss nicht esoterisch veranlagt sein, um zu verstehen, dass Achtsamkeit positive Auswirkungen haben kann. Dabei geht es um eine besondere Form von Aufmerksamkeit. Am wichtigsten ist dafür, zuerst einmal wahrzunehmen. Das fällt vielen Frauen gerade beim Beckenboden schwer. Es ist wie mit unseren Füßen oder dem Herzen: Die machen einfach, tagein, tagaus. Man muss eigentlich keinen Gedanken daran verschwenden. Ina hatte recht: Solange alles an Ort und Stelle ist, denkt man nicht über den Beckenboden nach. Wie selbstverständlich man ihn doch nimmt. Dabei begleitet er uns bei jeder Tätigkeit, die wir im alltäglichen Leben verrichten. Er ist da, wenn wir liegen, wenn wir sitzen, wenn wir stehen. Beim Sporteln, beim Heben, beim Niesen, Husten, Lachen oder Weinen. Er lässt zu, dass wir auf die Toilette gehen. Und natürlich ist er dabei, wenn wir Sex haben, wenn wir uns selbst befriedigen. Ein Wahnsinnsapparat, eine Hammeraufgabe – jeden Tag, jede Stunde und Minute. Und wie danken wir es ihm? Kaum einmal, der Beckenboden ist pure Selbstverständlichkeit. Dabei wäre es so wichtig, einmal zu sagen oder wenigstens zu denken: »Gut, dass du deinen Job machst.« Erst wenn es Probleme gibt, wird plötzlich klar: Da war ja was. Viele Frauen reagieren dann zunächst mit Wut auf sich selbst. Sie fragen sich, warum ihnen das passiert. Wieso der Körper ihnen »dazwischenfunkt« – jetzt, wo sie doch sowieso viel zu tun haben. Oder ärgern sich, dass sie sich nie um sich gekümmert haben – und es auch kein anderer tut. Das ist okay für den Anfang, aber ganz schnell wird klar: Davon ändert sich noch nichts. Für ein erfolgreiches Powerzentrum Beckenboden ist es wichtig, den eigenen Beckenboden zu begreifen. Ihn wahrzunehmen. Erst dann kann man ihn auch wertschätzen. Ich möchte, dass Ihre Aufmerksamkeit in Ihr Becken wandert, besonders ins kleine Becken. Denn dort befinden sich die Beckenbodenmuskulatur und – obenauf liegend – wichtige Organe wie die Blase, der Enddarm, die Gebärmutter. Ich möchte erreichen, dass Sie diese als Teil Ihres Körpers bewusst wahrnehmen. Und zwar mit der gleichen Wertigkeit wie Arme, Beine, Gesicht. Es ist enorm wichtig, dass das geschieht, denn es geht nicht nur darum, Übungen zu machen. Ich bin davon überzeugt: Ein Beckenboden wird auch dadurch (wieder) stark, dass er die Isolierstation im Körper verlässt. Dann wird er wieder all seine Aufgaben erfüllen können. Sie werden ein inneres Bild und hoffentlich ganz neue Gefühle zu diesem Teil Ihres Körpers entwickeln. Aber dafür ist es wichtig, dass die Körperwahrnehmung geschult wird. Das gelingt dann gut, wenn Sie anfangen, Ihre Aufmerksamkeit auf den Beckenboden, die lang vernachlässigte Körpermitte, zu richten. »Der ist doch irgendwie da unten« – Beckenboden
Wir verstehen, dass Scham und Verdrängung der falsche Weg sind. Denn nur deshalb wissen wir so wenig über einen der wichtigsten Bereiche des weiblichen Körpers. Lara: »Ich hab mir schon manchmal die Frage gestellt, ob alle Frauen in ihrem Intimbereich gleich aussehen. In der Umkleide oder Schwimmbaddusche fällt ja bis auf die Farbe der Schamhaare maximal noch die generelle Größe der Vulva auf. Einen intensiveren vergleichenden Blick habe ich noch nie gewagt. Männer haben es da leichter: Kurzer Seitenblick auf den Nachbar am Pissoir, und schon ist alles klar. Aber bei Frauen ist das schwierig. Selbst wenn man unterschiedliche Äußerlichkeiten entdeckt oder um verschiedene Tampongrößen weiß, eines kann man sicherlich nicht beurteilen: Wie groß, breit oder lang ist eine Vagina? Und was bedeutet das eigentlich?« Die Beckenbodenregion ist tabuisiert. Schon von Kindesbeinen an wird mit ihr mehr oder weniger distanziert umgegangen. Eltern spielen hier die erste, entscheidende Rolle. Wir sollen uns in der Öffentlichkeit »untenrum« nicht berühren – das lernen kleine Jungen und vor allem Mädchen sehr früh. Der Beckenbodenbereich wird so frühzeitig zu einer Art Mysterium: kaum betrachtet, wenig berührt und verschlossen. Bei Jungen gibt es trotz allem noch einen Ausgleich. Sobald sie in der Lage sind, selbstständig auf die Toilette zu gehen, haben sie einen Teil der Beckenbodenorgane täglich sprichwörtlich in der Hand. Sie halten ihren Penis, wenn sie urinieren. Sie sehen ihn vor sich, wenn sie nackt sind. Bei Mädchen muss ein Spiegel genutzt werden – und das gilt als unpassend. Fragen Sie sich ganz einfach selbst: Würden Sie auf den Gedanken kommen, den Beckenboden zu massieren, weil er verspannt ist? Ähnlich wie einen schmerzenden Rücken, Arm oder ein Bein? Vermutlich nicht. Der Beckenboden und die unmittelbar mit ihm verbundenen Genitalien sind mit Scham behaftet. Gerade für Frauen heißt das: Alles, was zwischen den Schenkeln sitzt, ist im Generellen keine bewusste Region für sie. Außer beim Sex natürlich. Möglicherweise auch noch beim Einführen eines Tampons. Zu allen anderen Gelegenheiten soll der Beckenboden nur eines tun: funktionieren. Wenn er das nicht (mehr) tut, wird es schwierig. Natürlich verlangt niemand, dass jegliche Beckenbodenthemen bis ins Detail in der Öffentlichkeit beredet werden müssen. Wenn es allerdings so etwas wie eine Selbsthilfegruppe gäbe, dann könnten wirklich Tipps und Tricks ausgetauscht werden. Denn das, was man überall in der Werbung sehen kann – all die Produkte für inkontinente Frauen –, hilft nur, die Folgen in den Griff zu bekommen. Mit dieser Art von Werbung wird vermittelt, dass es völlig normal ist, Urin zu verlieren, so wie es normal ist, seine Periode zu haben. Das stimmt aber nicht und widerspricht dem hohen Leidensdruck vieler Frauen. Sie werden so ermuntert, ihr Problem zu verdrängen und nicht aktiv an einer Problemlösung zu arbeiten. Viel wichtiger wäre eine offene Kommunikation zu hilfreichen Übungen, um das Problem in den Griff bekommen zu können. Mit entsprechender fachlich unterstützter Anleitung können viele Beckenbodenbeschwerden nachhaltig behandelt und gelindert werden. Aber da spielt auch Scham eine nicht zu unterschätzende Rolle. Eventuell ist es auch für Sie ein Problem, das Sie als sehr intim empfinden. Es betrifft Ihr Selbstbild, Ihr Frausein, Ihre Weiblichkeit. Es ist nicht nur eine funktionelle Einschränkung, sondern erfasst Sie womöglich ganz. Und dieses Ganze möchten Sie nur offenbaren, wenn Sie Hilfe vermuten, nicht aber, um zum bemitleidenswerten Gesprächsthema in Frauenrunden zu werden. So kommt es, dass Sie vielleicht andere, naheliegende Gründe vorbringen, wenn Sie sich hinlegen müssen, nicht schwer heben wollen oder schon zum dritten Mal in einer Stunde die Toilette aufsuchen. Auf der einen Seite ist das natürlich vollkommen legitim. Aber es beraubt Sie auch der Möglichkeit, unerwartet Hilfe und Unterstützung zu erfahren. Das ist schade. Und für mich ein wesentlicher Grund, Ihnen mit diesem Buch das Powerzentrum Beckenboden nahezubringen und selbst für mehr Aufklärung zu sorgen. »Ein totales Tabuthema« – Frauenkrankheiten
Wir schauen in die Geschichte des Umgangs mit Frauenleiden und denken über Tabuisierung heutzutage nach. Jessica: »Ich bin total verstört, ich weiß nicht, was in meinem Kopf und Herzen abgeht. Ich fühle mich total allein und isoliert. Ich habe noch nie davon gehört. Ich bin geschockt. All meine Weiblichkeit ist erschüttert. Mit wem soll ich darüber sprechen können? Totales Tabuthema! Unappetitlicher geht es kaum. Meine Blase hat sich durch meine Vagina nach außen gestülpt. Meine Gebärmutter ist abgesackt. Gerade fühle ich mich wie ein Wrack.« Die Frau – das große Mysterium. Gefährlich und faszinierend zugleich. Diese Zuschreibungen wirken seit Jahrtausenden. Und sie haben großen Einfluss auf den Umgang mit Frauengesundheit, bis heute. Noch immer wird tabuisiert. Bestimmte Krankheitsbilder gelten als peinlich, als zu intim, um sie einem Arzt anzuvertrauen. Viele Frauenleiden werden nicht öffentlich gemacht, sie werden kaum angesprochen. Die betroffenen Frauen selbst möchten das häufig nicht. Das Thema gilt als unappetitlich. Kein Small Talk. Fragt man Frauen nach ihrer Zurückhaltung, wird klar: »Darüber spricht man nicht.« Das sind tief verwurzelte Überzeugungen. Alles, was mit spezifisch weiblichen Gesundheitsthemen zu tun hat, ist menschheitsgeschichtlich erst seit kurzer Zeit überhaupt sagbar. Junge Frauen heute sind die erste Generation, die unbefangen über Menstruation, sexuelle (Un-)Lust oder intime Körperstellen sprechen. Die längste Zeit in der Geschichte aber galten Frauen in vielen Phasen ihres Lebens als unrein, die Begleitung und Behandlung von Frauen geschah ohne vertiefte Kenntnisse der...