E-Book, Deutsch, 152 Seiten
Für ein gelingendes Miteinander
E-Book, Deutsch, 152 Seiten
ISBN: 978-3-17-037972-5
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Die Beziehung als soziale Basis von Lernen und Lehren
»Die Asymmetrie des Pädagogischen ist immer zurückgebunden an eine Symmetrie des Sozialen. Die Ungleichheit von Erzieher und Edukand gründet in ihrer Gleichheit als Menschen« (Herzog, 2006, S. 514). In der Schule verbringen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schüler viel Zeit miteinander. Lehrpersonen prägen ihre Schülerinnen und Schüler. Wir erinnern uns an Lehrpersonen, die wir als Vorbilder erlebten, mit denen wir uns identifizierten und zu denen wir gerne in die Schule gingen. Andere Lehrpersonen blieben uns vielleicht in Erinnerung, weil wir Demütigung oder Ausgrenzung erfuhren. Soziale Beziehungen entstehen und entwickeln sich durch die täglichen sozialen Interaktionen im Unterricht. Sie konstituieren sich über gegenseitige Wahrnehmung, doppelte Kontingenz und Reziprozität (Gouldner, 1984; Malinowski, 2001) und zeichnen sich durch Dauerhaftigkeit und Geschichtlichkeit aus. Die sozialen Interaktionen und Erfahrungen bilden die Basis für die Entstehung einer Beziehung und beeinflussen auch deren Qualität. Als soziale Interaktion wird das aufeinander bezogene Handeln zweier oder mehrerer Personen verstanden (Goffman, 1971; Mummendey, Linneweber & Löschper, 1984). Menschen versuchen, in sozialen Interaktionen ihre Handlungen durch die absichtliche Übermittlung von Information sowohl verbal als auch nonverbal zu koordinieren und gleichzeitig auch andere zu beeinflussen (Käsermann & Foppa, 2002; Schilbach, 2015). So kann eine Lehrerin nonverbal z. B. mit wohlwollendem Blick und Gestik einen schüchternen Schüler ermutigen, auf eine Frage zu antworten, oder mit einem ermahnenden Blick eine schwatzende Schülerin daran erinnern, weiterzuarbeiten. Im Folgenden werden wir im ersten Teil dieses Kapitels aufzeigen, welche Bedeutung der Beziehung zwischen Lehrpersonen und ihren Schülerinnen und Schülern im Kontext von Unterricht zukommt. Im zweiten Teil stehen die Asymmetrie und die Rollenspezifität der pädagogischen Beziehung im Fokus, da Lehrpersonen eine andere Rolle und Verantwortung im Unterricht haben als ihre Schülerinnen und Schüler. Im dritten Teil wird aufgezeigt, welche Bedürfnisse Schülerinnen und Schüler haben und welche Bedeutung der Beziehung zur Lehrperson für ihre Motivation und das Lernen zukommt. 2.1 Die Bedeutung der pädagogischen Beziehung für Lernende und Lehrende
Die Beziehung zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern ist sowohl eine wichtige Grundlage für das schulische Wohlbefinden und die psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern (Harding et al., 2019; Kidger, Araya, Donovan & Gunnell, 2012) als auch für erfolgreiches Lernen und Lehren (Pianta et al., 2003; Wentzel, 2012). Verschiedene Studien haben gezeigt, dass eine gute Beziehung zwischen der Lehrperson und ihren Schülerinnen und Schülern, die sich durch Nähe, Sicherheit, Vertrauen und Unterstützung auszeichnet (Wentzel, 2012), mit einer höheren Lernmotivation (Wentzel, 2010) und besseren schulischen Leistungen (Pianta, Hamre & Stuhlman, 2003) sowie einer positiveren psychosozialen Entwicklung einhergehen (Davis, 2003; Obsuth et al., 2017; Pianta, 2006; Wentzel, 2002). Eine qualitativ wenig hochwertige Beziehung zur Lehrperson wirkt sich hingegen negativ auf das Befinden der Schülerinnen und Schüler wie auch auf ihre schulischen Leistungen aus (Roorda et al., 2011). Auch für das Wohlbefinden und die Berufszufriedenheit von Lehrpersonen sind positive Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern wichtig. Studien haben gezeigt, dass Lehrpersonen mit qualitativ hochwertigen Beziehungen zu ihren Schülerinnen und Schülern in ihrem Beruf zufriedener und weniger häufig von Burnout betroffen sind (Chang, 2009; Friedman, 2006; Spilt et al., 2011). Die Erfüllung des Bedürfnisses von Lehrpersonen nach Verbundenheit mit ihren Schülerinnen und Schülern führt zu einem höheren Engagement (Klassen et al., 2012) und positiven Emotionen (Hagenauer, Hascher & Volet, 2015; Klassen, Perry & Frenzel, 2012). Diese Ergebnisse sind deshalb relevant, weil gesunde Lehrpersonen besser in der Lage sind, eine positive Beziehung zu ihren Schülerinnen und Schülern aufzubauen und ein positives sowie unterstützendes Klassenklima zu schaffen (Harding et al., 2019). Ein unterstützendes Klassenklima stellt in der Unterrichtsforschung neben der Klassenführung und der kognitiven Aktivierung ein zentrales Qualitätsmerkmal von Unterricht dar (z. B. Klieme et al., 2006). Es geht dabei v. a. um die Interaktionen zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern (z. B. die emotionale Unterstützung) (Klieme & Rakoczy, 2008). Unterstützende Lehrpersonen zeigen Sensitivität für Probleme ihrer Schülerinnen und Schüler und können sich in sie hineinversetzen. Sie verhalten sich ihnen gegenüber respektvoll, sind empathisch und weisen eine hohe Schülerinnen- und Schülerorientierung auf (vgl. Einsiedler, 2017). Auf der anderen Seite fühlen sich Schülerinnen und Schüler in qualitativ hochwertigen Beziehungen zu ihren Lehrpersonen respektiert, unterstützt und wertgeschätzt (Doll, Zucker & Brehm, 2004). Die Anerkennung jeder einzelnen Schülerin bzw. jedes einzelnen Schülers als Individuum und eine wechselseitige Vertrauensbeziehung erweisen sich als wichtige Voraussetzung für deren Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit (Ritter, Bilz & Melzer, 2016). Schülerinnen und Schüler, die ihre Lehrpersonen als fürsorglich erleben und sich von ihnen unterstützt fühlen, gehen lieber zur Schule (Baker, 1999) und sind mit ihrem Leben zufriedener (Suldo & Huebner, 2006; Suldo et al., 2009). Sie weisen ein höheres Wohlbefinden (Pianta et al., 2003), einen besseren allgemeinen Gesundheitszustand und eine bessere psychische Gesundheit auf (John, Bilz, Fischer, Zeißig & Wachs, 2020; Ritter et al., 2016). Von besonderer Bedeutung ist hier nicht nur die emotionale, sondern auch die instrumentelle Unterstützung, welche die Schülerinnen und Schüler erhalten. Das heißt, inwiefern sich eine Lehrperson ihnen gegenüber fürsorglich, wertschätzend und vertrauensvoll verhält und sie auch instrumentell im Unterricht unterstützt (Suldo et al., 2009). 2.2 Asymmetrie und Rollenspezifität der pädagogischen Beziehung
Sowohl Schülerinnen und Schüler als auch Lehrpersonen haben keine Wahl bei der Auswahl ihrer Lehrpersonen bzw. ihrer Klasse. Sie wählen sich nicht gegenseitig aus und gehen somit nicht freiwillig eine Beziehung ein, sondern sie bilden zunächst eine Schicksalsgemeinschaft (Schweer, 2017). Ziel von Lehrpersonen ist es deshalb, ein Arbeitsbündnis mit ihren Schülerinnen und Schülern aufzubauen (Helsper & Mummrich, 2008). Damit dies gelingt, sollten die Besonderheiten der pädagogischen Beziehung berücksichtigt werden, auf die im Folgenden näher eingegangen wird. 2.2.1 Rollenbeziehungen im Unterricht
Was zeichnet die Beziehung zwischen Lehrperson und Schülerinnen und Schülern aus? Wie eng oder distanziert sollte sie sein? Beziehungen lassen sich in Abhängigkeit von den Rollen der Interaktionspartnerinnen und -partner in spezifische und diffuse Sozialbeziehungen unterteilen (Oevermann, 1996). Spezifische Sozialbeziehungen sind rollenförmig, wobei die Rollen, Zuständigkeiten und Themen klar geregelt sind. So beispielsweise zwischen Ärztin und Patient; die Ärztin stellt Fragen zur Gesundheit, der Patient lässt sich untersuchen und gibt Auskunft. Die Themen des Gesprächs beschränken sich dabei in der Regel auf die gesundheitliche Verfassung des Patienten. In diffusen Beziehungen, wie beispielsweise der Familie, sind diese Rollen, Zuständigkeiten und Themen nicht so klar vorgegeben und geregelt. So kann zum Beispiel ein Jugendlicher, der von seinem Vater auf die Unordnung im Zimmer angesprochen wird, auch mal dessen eigene Ordnung in Frage stellen. Während in spezifischen Rollenbeziehungen begründet werden muss, weshalb ein Thema angesprochen wird, wird in diffusen Rollenbeziehungen erklärt, weshalb man über ein Thema nicht sprechen möchte. Die Beziehung zwischen Lehrperson und ihren Schülerinnen und Schülern ist weder eine rein spezifische noch eine rein diffuse Sozialbeziehung. Sie zeichnet sich sowohl durch diffuse als auch spezifische Aspekte aus. An die Schülerinnen und Schüler und die Lehrpersonen werden bestimmte Rollenerwartungen gestellt (Spezifität), sie bringen sich allerdings auch als Individuen in den Unterricht ein...