Ein historischer und kulinarischer Wiesn-Bummel
E-Book, Deutsch, 144 Seiten
ISBN: 978-3-641-04760-3
Verlag: Südwest
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Die Bierbarone und ihre Paläste (S. 32-33)
Wie schon berichtet (siehe Seite 54), tummelten sich in den ersten Jahren des Oktoberfestes die Gäste in kleinen Bierbuden. Erst Ende des 19. Jahrhunderts etablierten sich die großen Zelte, nämlich als die Wirte begannen, ihre Buden in aufwendiger gestaltete Hallenkonstruktionen umzubauen und sie auch außerhalb des alten Wirtsbudenringes anzusiedeln. Die Festhallen und -zelte wurden größer, immer größer. Das größte jemals auf dem Oktoberfest errichtete Zelt war das Festzelt der Pschorr-Bräurosl von 1913.
Es beherbergte 12.000 Sitzplätze! Mit dem Aufbau dieses Riesenzeltes war man ganze fünf Monate beschäftigt. Zum Vergleich: Heute haben in den großen Festhallen rund 7.000 Personen Platz. Die Festwiese veränderte ihre Gestalt. Die Festhallen der neuen Bierbarone machten dem alten Königszelt Konkurrenz. Das entsprach ja im Grunde auch der gesellschaftlichen Entwicklung in Bayern und in ganz Deutschland während des 19. Jahrhunderts: Das Bürgertum erlangte immer mehr wirtschaftliche und politische Macht, die königliche Herrschaft begann zu bröckeln. Die Revolution von 1918 hat dann die Monarchie aus Deutschland und Bayern und das Königszelt von der Wiesn gefegt.
Doch Vorsicht! Auch heutzutage ist der Einfluss der Wirte im »Bierfürstentum Theresienwiese« immer noch gewaltig, genauso wie die unglaubliche Anziehungskraft des flüssigen Wiesn-Goldes eben. Da regieren die Barone, sagen wir die größten zehn, über das versammelte Wiesn-Volk. Heute kann man als Gast ja schon überaus stolz sein, sich geradezu geehrt und geadelt fühlen, wenn jene Herrscher über Tausende von Hektoliter Bier und ganze Armeen von Hühnerhälften überhaupt noch Zeit zum Grüß-Gott-Sagen haben.
Das kommt dann schon einer Aufnahme unter die Ritter der Tafelrunde gleich. Trotzdem: Als äußerst moderne Monarchie ist das Fürstentum Theresienwiese - zum Beispiel durch Schankvorgaben und das Reinheitsgebot - sozusagen konstitutionell verfasst und von einem gesunden Verhältnis zwischen Überangebot und noch mehr Nachfrage geprägt, nicht von Despotie.
Schließlich sind die Barone dann nach sechzehn langen Tagen auch gerne bereit, das Zepter wieder abzugeben - um im folgenden Jahr wieder in vollem Glanze auf die Wiesn einzuziehen und die Salbung der Häupter aufs Neue zu erfahren. Im Grunde sind die Bierbarone gerechte und reformwillige Gebieter edlen Gemüts, die doch offenbar ganz prächtig für ihre Schäflein sorgen. Anders wären die jährlichen Schlangen vor den Zelten und der allgemeine Besucherandrang wohl nicht zu erklären.