Schami | Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 208 Seiten

Schami Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat

und andere seltsame Geschichten

E-Book, Deutsch, 208 Seiten

ISBN: 978-3-423-40750-2
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein liebevoller Brückenschlag zwischen Orient und Okzident
Seit beinahe vierzig Jahren lebt Rafik Schami nun schon in Deutschland, seinen staunenden und kritischen Blick auf den deutschen Alltag hat er dabei nicht verloren. Unnachahmlich charmant erzählt er in den teilweise erstmals veröffentlichten Erzählungen aus den Jahren 1990 bis 2010 von den Deutschen und ihren sprachlichen Eigenheiten, wundert sich über die unerschütterliche Konsequenz, mit der deutsche Gäste bei Einladungen selbst gemachten Nudelsalat mitbringen, muss erfahren, dass ein Kaufhaus kein Basar ist, verrät, warum er kein Amerikaner wurde, und schließt – beinahe – Freundschaft mit der sprechenden Stubenfliege Subabe.
Neue, bislang unveröffentlichte und überarbeitete Erzählungen aus den Jahren 1990 bis 2010.
 
Inhalt:

- Warum wir keine Amerikaner wurden
- Erinnerst du dich?
- Eine deutsche Leidenschaft namens Nudelsalat
- Der Leichenschmaus
- Entspannung in Frankfurt
- Von echten und unechten Deutschen
- Vaters Besuch
- Warum ist ein Kaufhaus kein Basar?
- Eine Germanistin im Haus erspart den Psychiater
- Schulz plant seine Entführung
- Der geborene Straßenkehrer
- Mein sauberer Mord
- Eine Leiche zu viel
- Der Libanese
- Subabe
- Eine harmlose Lesung
- Der letzte Zettel
- Gottes erster Kriminalfall
- Einmal Kairo und zurück
- Das Buch der Zukunft
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Erinnerst du dich?
Erinnerst du dich an unsere erste Begegnung? Ich weiß es noch wie heute. Es war Ostern, und Damaskus hatte es wie immer eilig und bot seinen Bewohnern einen sommerlich heißen Tag. Du hast ein dunkelblaues Kleid getragen und dieses merkwürdige klotzige vergoldete Herz an einer nicht dazu passenden dünnen Halskette. Ich ahnte sofort, dass du aus ärmlichen Verhältnissen kommst. Das ist das Geschenk, das reiche Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben: einen unbestechlichen Blick für die Armut, auch wenn sich diese mit Strass und Klunkern tarnt. Aber als du mich angeschaut hast, war ich irritiert. Deinen Blick besaßen damals nicht einmal die Töchter der höchsten Kreise. Nur die Söhne der Feudalen hatten diesen herrischen Blick, der jedem sagte, hier bin ich der Herrscher, der dir gestattet, seine Anwesenheit zu genießen. Deine Antworten waren verwirrend frisch. Sie begaben sich nie ins Labyrinth der arabischen Höflichkeiten, sondern zielten ins Schwarze und trafen mein Herz. Ich war zwanzig und befand mich bereits am Ende einer Sackgasse. »Hat jetzt eine weitere Tonne bitterer Galle dein Herz verlassen?«, hast du oft scherzhaft gefragt. Übertrieben hast du nie. Jahr für Jahr hast du eine Region meines Herzens von Bitterkeit befreit, bis ich mich nach zehn Jahren an deiner Seite eines schönen Morgens so federleicht fühlte, dass ich, wenn ich etwas mutiger gewesen wäre, hätte fliegen können. Du hast mir viel Zeit gegeben. »Warum warst du so bitter?«, hast du erst Jahre später gefragt; und ich wollte es dir immer erzählen, doch ich fand keine Gelegenheit oder hatte die Ruhe nicht. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt. Mein Vater, der große Georg Abiad, hatte mit seiner Schwester Amina, der steinreichen Witwe des ersten syrischen Bankiers, Joseph Hawi, ausgemacht, dass ich ihre Tochter Maissa heiraten sollte, um Ruhm und Reichtum zu vermählen. Ich mochte Maissa nicht. Sie war doppelt so groß wie ich und ihr Hintern roch ekelhaft nach altem Ziegenbock. Woher ich das wusste? Das ist eine kleine Geschichte. Sie war drei Jahre älter als ich, und was ich von ihr aus vergangenen Kindertagen im Gedächtnis behalten hatte, war, dass sie mich immer schlug, mich zu Boden warf, sich auf meine Brust setzte und ihre Süßigkeiten aß. Sie nannte mich nur Kissen und Docht oder Zahnstocher. Mit den Jahren bekam ich immer Angst, wenn ich hörte, dass Tante Amina mit ihrer Tochter Maissa zu uns kommen wollte. Ich versteckte mich, und obwohl unser riesiges Haus Nischen und Winkel hatte, die nicht einmal ich kannte, und obwohl mich keiner der vielen Bediensteten meiner Eltern verriet, saß Maissa schon nach einer Viertelstunde auf mir und aß, bis irgendjemand Mitleid mit mir bekam und sie höflich bat, mich freizugeben. Sie sagte dann nur schlecht gelaunt: »Na, wenn es sein muss«, und stand auf. Und danach rochen mein Hemd und meine Hose so sehr nach altem Ziegenbock, dass ich mich sofort umziehen musste, wollte ich mich nicht erbrechen. Ich habe sie gehasst, doch wie so oft im Leben sollte gerade sie mir zu meinem Glück verhelfen, aber das kam ja erst viel später. An dem Tag, als ich dich sah, war ich also sehr verbittert. Mein Vater hatte am Morgen mit dem Bischof gesprochen und festgelegt, dass die Hochzeit an Ostern stattfinden sollte. Wir, meine Cousine und ich, könnten uns in dem verbleibenden Jahr näher kommen. »Docht«, sagte sie mir bei der nächsten Begegnung. Sie war dreiundzwanzig, und obwohl sie sich seit Jahren nicht mehr auf mich setzte, roch ich nach jeder Begegnung mit ihr sehr unangenehm und musste mich duschen. »Docht, ich will dich nicht«, sagte sie leise, »ich liebe einen anderen, einen Prachtkerl, der mich bei jeder Umarmung zerquetscht. Er ist verheiratet, aber er wartet, bis seine schwerkranke Frau stirbt, und ich will nur ihn. Zum Teufel mit deinem Vater und meiner Mutter.« Ich liebte damals keine Frau. Ich wusste nicht einmal, was Liebe ist. Meine Eltern küssten sich nie. Ich erinnere mich noch daran, wie ich einmal in der Küche den Chauffeur meines Vaters dabei ertappte, wie er unsere hübsche Köchin küsste, und wie ich schrie: »Mama, Mama, der Chauffeur frisst unsere Köchin!« Mein Vater ging, was ich erst viel später erfuhr, jede Woche zu seiner Hure, was meine Mutter damals mit der Geduld der arabischen Frauen ertrug. »Männer brauchen das«, sagte sie später verklärend und umhüllte ihre sklavische Haltung mit dem Mantel der Weisheit. »Sonst steigen ihnen die Samenwürmchen ins Hirn und fressen es auf.« Ich fand Maissa zum ersten Mal in meinem Leben sympathisch und sehr mutig. Sie beging eine Todsünde und kümmerte sich nicht darum. Jeden Sonntag in der Kirche nahm sie die Kommunion und ging an mir vorbei zur Bank der Frauen. Sie ging mit verklärtem Blick, als wäre sie die heilige Therese persönlich. Als ich sie einmal unter vier Augen giftig darauf ansprach, lächelte sie. »Mein aufrechter Zahnstocher«, sagte sie, weil ich mir besondere Mühe gab, mit geschwellter Brust vor ihr zu stehen, »Liebe ist nie Sünde, lass dir das gesagt sein. Die Pfaffen haben keine Ahnung davon. Sie leben zu lange hinter hohen Mauern, und wenn sie das Kloster verlassen, tragen sie die Mauer im Herzen. Nein, mein Gewissen ist reiner als eine Lilie, und wenn Halim, mein Geliebter, mich drückt, rieche ich das Paradies und manchmal sehe ich sogar Engel auf einer Wolke vorbeischweben.« Damals dachte ich, sie spinnt, aber hast du mir nicht später auch immer wieder dieselben Worte gesagt, als hätte Maissa sie dich gelehrt? Ja, Maissa. Sie wartete Jahre auf ihren Halim, doch er starb vor seiner Frau. Und sie? Sie wurde verrückt vor Trauer. Aber auch das war ja erst viel später. Damals, als ich dich sah, war die Welt ein einziger Schmerz. Mein Vater hatte von meiner Mutter erfahren, dass ich Maissa nicht wollte. »Und warum?«, fragte er mich fast interessiert. »Ich liebe sie nicht«, sagte ich mit dem Mut des Verzweifelten. Er hatte mich als Kind wegen Nichtigkeiten oft halb totgeschlagen. »Maissa ist eine gute Frau und du wirst dich an sie gewöhnen, so wie ich mich an deine Mutter gewöhnt habe. Männer brauchen keine Liebe. Das ist Dichtung. Sie brauchen Rückendeckung und einen Stammhalter, und wie du siehst, habe ich keine schlechte Wahl mit deiner Mutter getroffen. Und wie lebt sie? Sie ist eine Königin. Sie braucht nur mit dem Finger zu schnippen, dann rennen alle im Haus, um ihr den Wunsch zu erfüllen.« Mutter hatte mit vierzig Jahren zehn Kinder in die Welt gesetzt, drei davon waren schon unter der Erde. Sie war rund und rotbackig geworden und starb mit fünfzig an einem Hirnschlag. Und Vater hatte nicht gelogen. Sie war für die anderen Menschen eine Königin, aber eine Sklavin vor ihm. Er verehrte sie – vor allem vor Gästen. Sie war in der Tat eine Herrscherin über zehn Bedienstete, die im großen Garten, in der Küche, in den Wäscheräumen und den unzähligen Salons, Schlafzimmern, Bädern, Vorratsräumen, Kellern und Dachböden unablässig beschäftigt waren. Sie war eine einsame Herrscherin, todunglücklich, und hatte zu uns Kindern kein Verhältnis. Sie kam mir vor wie die Direktorin eines vornehmen Kinderheims. Meine Eltern bewohnten damals das größte Haus in der Saitungasse. Es lag unmittelbar neben dem Sitz des katholischen Patriarchen. Ein Jahr nach unserer Flucht war das Haus dann in Brand geraten und Vater war dem Tode nur durch ein Wunder entkommen. Er wollte das Anwesen nie wieder betreten. Er verkaufte den Grund für viel Geld an die katholische Kirche und baute sich davon eine Villa in der neuen Stadt in Salihije. Dort leben heute noch meine drei jüngsten Schwestern mit ihren Ehemännern und zwanzig Kindern. Du weißt, sie können uns alle nicht in die Augen schauen, weil sie sich ihres Reichtums schämen, den sie durch meine Enterbung an sich gerissen haben. Aber das kam ja erst viel, viel später. Damals, als ich dich sah, war ich dem Tode nahe. Kennst du das? Man weiß, man will etwas nicht machen, aber alle anderen machen es. Michel wie Georg, die Söhne unserer wohlhabenden Nachbarn, heirateten Frauen, die von ihren Eltern bestimmt worden waren. Dabei hatten sie im Gegensatz zu mir bereits mit achtzehn ein abenteuerliches Leben mit jungen Frauen und Huren hinter sich, und ich dachte, wenn ich ihre Schilderungen hörte, ich komme aus einem Kuhdorf in den Bergen. Ich glaubte, sie würden es weit bringen und mindestens eine englische oder spanische Prinzessin heiraten, während ich als Ehemann unter Maissa liegen würde. Aber die zwei kamen in ihrem ganzen Leben nicht weiter als Bab Tuma, wo...


Schami, Rafik
Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren. 1971 kam er nach Deutschland, studierte Chemie und schloss das Studium 1979 mit der Promotion ab. Heute lebt er in Marnheim (Pfalz). Schami zählt zu den bedeutendsten Autoren deutscher Sprache. Sein Werk wurde in bislang 34 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur 2015 sowie dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis und dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis 2018. Seit 2002 ist Rafik Schami Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.

Rafik Schami wurde 1946 in Damaskus geboren. 1971 kam er nach Deutschland, studierte Chemie und schloss das Studium 1979 mit der Promotion ab. Heute lebt er in Marnheim (Pfalz). Schami zählt zu den bedeutendsten Autoren deutscher Sprache. Sein Werk wurde in bislang 34 Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Großen Preis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur 2015 sowie dem Elisabeth-Langgässer-Literaturpreis und dem Gustav-Heinemann-Friedenspreis 2018. Seit 2002 ist Rafik Schami Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.


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