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E-Book, Deutsch, 129 Seiten

Schade Geschichtsfragmente

Essays
2. Auflage 2022
ISBN: 978-3-7565-3555-2
Verlag: epubli
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Essays

E-Book, Deutsch, 129 Seiten

ISBN: 978-3-7565-3555-2
Verlag: epubli
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Wissen Sie, welch Glanz und Elend im Hotel 'Excelsior' am Anhalter Bahnhof herrschte? Kennen Sie die 'Inseln der Glückseligkeit' und ihre wechselvolle Geschichte? Waren Sie schon einmal im Park der Monstren in Italien? Kennen Sie die Innenansicht des Hotel 'Adlon'? Haben Sie schon einmal die legendären 'Externsteine' bei Detmold besucht und sich in ihre Geheimnisse einweihen lassen?

Waltraud Schade, Magister in Germanistik mit Abschlussarbeit über Karoline von Günderrode und Bettine Brentano. Tourismus- und Öffentlichkeitsarbeit in der Fraueninfothek Berlin. Vorträge und Lesungen verschiedener Texte und zu Aspekten meiner Magisterarbeit. Essay zur Kunst von Brigitta Sgier und Ulrike Bock. Veröffentlichungen von 1975 - 2006, u.a. Text zur Geschichte der Frauenprojekte in Berlin-Schöneberg. Texte über die Ereignisgeschichten historischer Gebäude in Berlin-Kreuzberg und Tiergarten. Biografien für eine Friedhofs-CD Rom über Berühmtheiten des 19. Jahrhunderts. Biografien von Schriftstellerinnen in Berlin-Treptow. Im Verein mit den »Mörderischen Schwestern« (Krimiautorinnen). Immer wieder begeistern mich meine Ideen und ich staune, was aus ihnen beim Schreiben wird.

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In Berlin ... am Alexanderplatz


Geh aus mein Herz … Er läuft fröhlich über den Platz. Seine Gedanken sind bei seiner Braut. Sie wollen unbedingt nächste Woche heiraten. Er will jetzt gleich mit der Wohnungssuche beginnen. Sein Blick geht in eine der Gassen, die auf den Platz zulaufen. Vielleicht, dass dort eine kleine Mansarde billig zu haben wäre – da plötzlich sieht er Menschen, die aus der Gasse quellen und auf die Mitte des Platzes rennen.
„Auf die Barrikaden!“ Mit dem tausendfach gebrüllten Ruf stürmt eine wild entschlossene Menschenmenge in der Nacht vom 18. auf den 19. März 1848 auf den Platz und beginnt sogleich mit dem Bau. Leiterwagen werden zusammengestellt und Wald- und Felslandschaften aus den Theaterkulissen herangeschafft. Andere bringen Degen, Speere, Gewehre, die Theaterwaffen aus dem Fundus des nahe gelegenen Königstädter Theater in Stellung. Unter den Revolutionären bewegt sich der junge Theodor Fontane, der sich aus der etwas entfernteren Apotheke „Zum schwarzen Adler“ losgeeist hatte. Er müht sich ab mit den Brettern, will sie schichten und sie fallen immer wieder durcheinander. Wenn er sich umsieht, blickt er in befeuerte, hell glühende Gesichter. Das Militär, das mit Kanonen anrückt, schießt wirklich und – hinterlässt im Eckpfeiler eines im Wege stehenden Hauses ein Loch mit einer Sechspfünder Kugel, die den ganzen Sommer über dort stecken bleibt, wie eine Warnung „An meine lieben Berliner“. Die Kugel hat eine Proklamation Friedrich Wilhelms IV. glatt durchschossen und noch der Anfang davon flattert an der Hauswand. Ob er etwas für sich und seine Braut gefunden hat, ja das weiß – nach einem solchen Umsturz kein Mensch zu sagen. Vielleicht hat er das Kommunistische Manifest in die Hand gedrückt bekommen und darüber sein Vorhaben vergessen?
Der letzte Acker ist verschwunden und auch die alten Gassen, die den Platz umgaben, auf ihn zugestrebt waren – verdrängt von rasch nachwachsenden Büro- und Wohngebäuden. Die Märkte unter freiem Himmel verzogen sich in die schnell hergerichtete Kleine Alexhalle. Dem Kaufhaus Tietz wirft die Berolina eine Grußhand zu. Es ist schon die dritte Kopie der Figur. 1871 hatte die erste am Halleschen Tor die heimkehrenden siegreichen Truppen aus dem Deutsch-Französischen Krieg begrüßt – die zweite 1898 Umberto, den König von Italien. Sie ist die Personifizierung Berlins, ihr Vorbild war die Berliner Schustertochter Anna Sasse – wohl eine lebenspralle dicke Berta, die nun als Göttin über die Stadt wacht. Als die Berolina ihre Hand nach dem Warenhaus Tietz ausstreckt, sich besieht, wie sie da vor ihr liegen – das Warenhaus, die Markthalle und das Grand Hotel, diese Tempel der Genussverehrung – da ist der Platz von Schienen schon zerschnitten. Siebzig Jahre später ist der Verkehrslärm mörderisch, die Zeit reif für noch mehr Bewegung. Die Untergrundbahn ist in Arbeit. Fußgänger gehen über Bretter und spähen durch die Ritzen in die Tiefe. Die in die Höhe wachsenden Häuser blickmeidend, deren Mieten niemand mehr bezahlen kann. Da läuft sie – eine junge Frau mit keckem Hütchen. Sie stolpert, hatte versucht, ein Preisschild zu lesen … Ist es nicht vernünftig, sich Schuhe für weniger als 80 Reichsmark zu kaufen – „Koof mich“ – und in der Miefbude im Wedding zu bleiben, überlegt sie, während sie jemand auffängt. An dem Arm, der sie gefasst und angehoben hat, hängt ein Mann, der sie freundlich fragt: „Wollen Sie einen Kaffee mit mir trinken?“ Sie weiß nicht recht, nickt und lässt sich von ihm zu Aschinger ziehen. Sie müssen einem Fuhrwerk ausweichen und die Tram fährt auch gefährlich nahe an sie heran. Aus den Augenwinkeln verfolgt sie den Abtransport der Berolina, das kolossale Weib musste den Bauarbeiten der U-Bahn weichen. Man kann sie sich unmöglich schwebend vorstellen. Im großen Caféhaussaal von Aschinger gehen sie vorbei an Tischen mit bunten Torten auf blassen Tellern. Jeder Tisch ist besetzt – Frauen mit Hüten, der letzte Schrei – Männer ohne, dafür Krawatten im Gleichklang. Kein Blick fällt auf die Bauruine Alex, man blickt höchstens seinen Rauchwölkchen nach, während man sein Gegenüber reden lässt. Aus dem Königstädter Theater ist Aschinger geworden, aus dem Aufruhr – Gleichgültigkeit. Sie bestellt sich einen Cognac, schüttet ihn in einem Zug hinunter – er bekommt große Augen, wen hat er da vor sich? Er entschuldigt sich bei ihr und eilt zur Toilette. Sie wartet nicht, bezahlt ihre Rechnung selbst und schwingt sich zur Tür. Dort rempelt sie ein Mann an: „Oh Entschuldigung – darf ich Sie auf einen Kaffee einladen?“ Sie dreht sich zur Drehtür, ruft über die Schulter: „Keine Zeit – keine Zeit.“ Herausgedreht aus Aschinger, atmet sie gierig die Staubluft ein: „Wie wohltuend, wie wunderbar!“ Jemand betrachtet sie interessiert. Sie beeilt sich die Tram zu erreichen, die gerade vorbei klingelt.
Kehren wir zurück zu dieser prallen Berolissima. Bevor sie von den Nazis abtransportiert wird, um für die Waffenproduktion eingeschmolzen zu werden, steht die bronzene Dame noch ein paar Jahre wieder an ihrem alten Platz vor dem Warenhaus Tietz – nostalgisch an die wilhelminische Zeit erinnernd, auch wenn sich die eiligen Passanten nicht gerne daran erinnern lassen und lieber wegblicken. Die Leere, die sie nun hinterlässt, füllt ein Vierteljahrhundert später als Blick- und Treffpunkt – die Weltzeituhr. Die Zeit der (halben) Welt, mit der die sozialistische verbrüdert ist, ist in einem Rundgang abzuschreiten. Die da sitzt im Abendschein, hat keine Augen für das Schnellrestaurant Automat, den kurzen, schnellen Genuss kalter und warmer Speisen verheißend, ein Kotelett mit Gurkensalat, ein Schnitzel, eine Boulette mit Kartoffelsalat, eine heiße Bockwurst mit Senf ausspuckend, alles aus dem Automaten, durch ein Fensterchen zu sichten – eine neue Erfahrung der Selbstbedienung. Hätte Brigitte nur einen Moment hinübergeschaut, dann wäre ihr der kleine Vorfall nicht entgangen. Ein gieriger, ungeduldiger Junge hatte sich den Finger im zuklappenden Fenster eingeklemmt und musste seine Bockwurst mit Senf samt dem Pappteller vom staubigen Boden aufklauben. Doch sie hasst, was aus dem Automaten kommt, isst lieber im „Adlon“, das von ihresgleichen bewohnt war, bis noch vor ein paar Jahren, nach Kriegsende, ein Jahrzehnt lang. Seit die Dichterin Moskau besucht hat, sieht sie den Platz mit anderen Augen – der nach dem gleichfalls liberal denkenden Zar Alexander benannt ist, von dem anfangs noch liberal eingestellten Friedrich Wilhelm III. Versonnen versenkt sie ihre Lippe in einem Glas weißen Bordeaux, raucht eine „Karo“ und träumt sich weg vom Alex, läuft im Zick-Zack vom „Ganymed“ zum „Lukullus“ zum „Trichter“ rüber, dann zum „Café Praha“ von da zum „Niquet-Keller“ zur „Hafen-Bar“ rein in die „Die Möwe“ wieder raus und rein in die „Die Distel“, kehrt wieder zurück, sammelt Männer und weiß, Berlin ist zu hell und laut für Liebende. Sie schaut auf die Weltzeituhr, will die Zeit wissen, hat Zeit, die ihr der kurz aufblitzende Verstand auch wieder raubt. Sie hat ihren Lutz-Bruder verloren, er ist republikflüchtig geworden. Zerrissene Familien, das Gegeneinander von Geschwistern – ein literarisches Thema? Sie hat sich an eine Geschichte gemacht: „Die Geschwister“, eine schmerzlich-leidenschaftliche Arbeit. Der Bruder, schlecht und ungerecht beurteilt von der Partei, ohne angemessene Arbeit, keine Aussicht auf eine Wohnung, hat sich in den Westen abgesetzt, mitsamt seiner kleinen Familie. Sie versteht manches, aber was erwartet ihn dort? Die Kapitalisten sind auch nicht zimperlich. Inzwischen hat er sich etabliert, singt das Hohelied auf Freiheit und Demokratie! Schreibt Hassbriefe, versteht nicht, dass sie bleibt. Für sie ist er ein Renegat. Sie will das neue System mit gestalten. Dennoch war der Abschied herzzerreißend. Zwei Deutschlands – eine Tragödie.
Sie zündet sich noch eine Karo an, befingert die karierte Schachtel, ob sich’s noch lohnt, sie einzustecken, trinkt das Glas aus und verlässt den Platz, macht sich auf die Suche nach den Freu(n)den der Nacht.
Auf einem Steinblock sitzen zwei junge Frauen im Abendrot. Sie erholen sie sich von der anstrengenden Tätigkeit im Hotel Stadt Berlin. Sie sind dort in der Wäschekammer beschäftigt. Die eine als Aufseherin, die andere macht die Inventur. Beide sind erschöpft und lachen wie irre. Die Aufseherin hat gegen eine Abmahnung gekämpft – die andere gegen ihr Verbleiben in der Wäschekammer. Zusammen mampfen sie ihre Pausenbrote und spielen das Genossenspiel. Wer ist Genosse – wer nicht? „Der da – bestimmt! Schau dir den festen Gang an!“ „Ja“, antwortet die Nebensitzerin, „der ist ein Überzeugter!“ „Und der?“ „Eher nicht – das ist ein Romantiker, den interessiert die Realität die Bohne!“ „Kennst Du den neuesten Witz?“ – „Ne, aber gleich, erzähl!“ „Der Letzte macht das Licht aus!“ „Welches Licht?“ Sie lachen, stehen auf, streben zu einem Wurststand und bestellen zum Abschluss je eine Ketwurst.
Auf dem Platz lungern öfter Gestalten herum, den eiligen Passanten, Polizisten und anderen Ordnungsmächten sind sie Dornen in den Augen. Die das tun, wissen darum, welche Ungemütlichkeit sie diesen Leuten bereiten. 1988 ist es dann soweit – nach Ausbürgerungen, Todesschüssen an Grenze und Mauern treten sie in Aktion. Auf dem Alexanderplatz versammeln sich viele, viele Jugendliche zu ihrem...



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