Story Center
E-Book, Deutsch, 292 Seiten
ISBN: 978-3-95765-896-8
Verlag: p.machinery
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Marianne Labisch wurde 1959 in München geboren. Schon als Kind liebte sie es, ihre Geschwister und Freunde mit Gruselgeschichten zu erschrecken. Erst mit fünfzig Jahren begann sie, ihre Geschichten aufzuschreiben und konnte sich schon bald über ersten Veröffentlichungen in Anthologien und Kalendern freuen. Sie verfasst Märchen, ebenso gerne wie Alltagsgeschichten, wagt Ausblicke in die Zukunft und ist den Gruselstorys treu geblieben, in denen ganz normale Menschen dem Außergewöhnlichen begegnen und nicht selten ein aufmüpfiges Eigenleben entwickeln. Sie lebt mit ihrem Mann in Baden-Württemberg und arbeitet in einem Mikrosystemtechnikverband. Galax Acheronian ist ein Autor und Zeichner, der bereits in jungen Jahren Geschichten schrieb. Seit 2009 veröffentlicht er regelmäßig Kurzgeschichten, Novellen und verschiedene Romane aus dem Bereich Science-Fiction und Fantasy. Mehr Informationen gibt es auf www.acheronian.de. Die einzelnen Autoren werden in den Vitae ausführlich vorgestellt.
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Enzo Asui: Die Smileys von Triangel
In blutroten Buchstaben projizierte der Beamer den Bescheid an die Kabinenwand. Treffer. Versenkt. Berta aktivierte den Replikator, orderte einen doppelten Merkur Spezial und spülte den milchigen Inhalt auf ex hinunter. Brennend schlich der konzentrierte Alkohol durch ihre Speiseröhre. Enttäuschung legte sich über sie wie eine Bleidecke. Schlechte Nachrichten umhüllte die Bürokratie gern mit sperriger Sprache, dachte Berta, und vor ihr stand ein prägnantes Beispiel. Zwingende Voraussetzung für die Ernennung zur kosmischen Rätin sei nach der neuesten Richtlinie die erfolgreiche Erschließung eines Planeten der Terra-Klasse und die könne sie nicht vorweisen. Mit Hinweisen auf die Rechtsquellen, großem Bedauern und besten Zukunftswünschen … Die konnten sie doch alle mal. Wussten die Sesselpupser in der Zentralverwaltung, wie viel Scott und sie investieren mussten, um einen erdähnlichen Himmelskörper zu entdecken? Wie viel Glück ein Archeteam benötigte, die ausgesetzten Tiere und Pflanzen so zu konfigurieren, dass er innerhalb von neun Jahren mindestens elf Promille irdische Organismen aufwies? Hilflose Wut stieg in Berta auf. Sollte die mühevolle Arbeit im zermürbenden Staub, im prasselnden Regen, unter glühender Sonne, gepeinigt von scharfem Wind und stechwütigen Insekten, sollten die langweiligen Zellanalysen umsonst gewesen sein? Lag es an ihr, dass die ausgesetzten Organismen auf allen Himmelskörpern, die sie betreten hatte, eingingen wie Eistorten in der Wüste? Warum gönnte ihr der heilige Gagarin kein einziges Erfolgserlebnis in fünfzehn harten Jahren? Ein rhythmisches Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. Berta schaltete die Projektion ab und stellte das Glas in den Replikator zurück. »Herein.« Scott schob seinen hünenhaften Körper in den Raum. »Hast du Zeit?« Berta nickte. Scott sank in den abgesessenen Besucherstuhl, der sich ächzend unter der Last des Hünen verbog. »Du hattest mich gebeten, dich zu informieren, wenn wir auf einen Planeten mit Terra-Potenzial stoßen. Vielleicht haben wir einen Kandidaten gefunden: Sonde Alpha-357 meldet einen Planeten mit erdähnlicher Sauerstoffatmosphäre. Er könnte für eine Besiedlung infrage kommen.« Berta seufzte. Bei ihrem Glück sicher wieder eine Sternschnuppe, die sie schon mit ihren Eingangsfragen zum Verglühen bringen würde. »Flora? Fauna? Unsere Pioniere möchten sich schließlich nicht von Aminosäurensuppe ernähren.« »Die Sonde meldet elf Pflanzen- und acht Tierarten. Kohlenstoffbasis.« Konsterniert starrte Berta den Riesen an. Ihr war kein Planet mit Fauna und Sauerstoffatmosphäre bekannt, auf dem die Zahl der komplexen Lebensformen nicht mindestens sechsstellig war. »Du meinst sicher, elf und acht Millionen?« »Nein: Alpha-357 sondierte ein Gras, vier Algen, drei Sträucher und drei Baumtypen. Die Fauna besteht aus fünf Insekten und drei auf dem Land lebenden hoch entwickelten Tierarten.« »Keine Fische? Keine Vögel? Keinerlei biologische Vielfalt? Unmöglich! Weist die Sonde einen Defekt auf?« »Es gibt keinen Hinweis auf Fehlfunktionen. Und mir ist noch etwas aufgefallen. Kennst du Triangel?« Wer kannte es nicht? Stereotyp betete Berta den Trailer herunter, mit dem Universe Unlimited das Game seit jeher bewarb. »Triangel – das ultimative Strategiespiel. Gelingt es dir, das Rätsel zu lösen? Einen Sternenhaufen mit mindestens einem schwarzen Loch, elf weißen Zwergen, zwanzig roten und dreihundert gelben Sonnen sowie dreitausend Planeten so zu konzipieren, dass er von einem erdgroßen Planeten auf einer triangelförmigen Flugbahn durchquert wird?« »Exakt, Berta. Triangel bereitete Millionen von Computernerds schlaflose Nächte, die theoretischen Möglichkeiten sprengen die aktuellen Kapazitäten der Rechenleistung selbst der größten Netzwerke. Auch nach mittlerweile fast sieben Jahren hat noch niemand die Massen, Abstände, Geschwindigkeiten und Zentrifugalkräfte so justiert, dass alle Anforderungen erfüllt werden.« »Universe Unlimited verspricht der Person, die diese Nuss knackt, ja auch nicht umsonst ein Preisgeld von zwei Millionen Solaris. Ein geschickter Schachzug; das Ding wird immer noch wie verrückt heruntergeladen, obwohl das Rätsel bei Experten mittlerweile als unlösbar gilt. Aber was hat das mit dem seltsamen Planeten zu tun?«, fragte Berta nach. »Nun, der von Sonde 357 untersuchte Kandidat erfüllt die Anforderungen des Titelhelden aus dem Computerspiel. Ich habe mir deshalb den Spaß gegönnt, ihn Triangel zu taufen. Aber das ist noch nicht alles.« Scott richtete seinen Holostick auf die Präsentationswand. Neugierig beugte sich Berta vor. Vielleicht bot ihr dieser ominöse Himmelskörper die Chance, sich mit einem Artikel auf der Kuriositätenseite im Galaktischen Explorer zu verewigen. Wenn schon die seriöse kosmische Karriere verebbte. Die Sternenkarte des Quadranten, auf den sie zusteuerten, nahm Gestalt an. Eine ungewöhnlich dichte Gemengelage von Himmelskörpern ballte sich zusammen, an deren oberem Rand ein Punkt besonders markiert war. »Unseren Zielplaneten erkennst du am Blinken. Nicht nur er entspricht den Vorgaben des Computerspiels, auch der Sternenschwarm, in dem er sich befindet, übertrifft die Mindestvoraussetzungen bei Weitem. Das hat mich verblüfft und neugierig gemacht. Ich habe unseren Computer spaßeshalber mit Abständen und Rotationsgeschwindigkeiten der Himmelskörper in diesem Sternenschwarm gefüttert und auf dieser Basis eine Extrapolation der Bewegungen berechnen lassen. Das Ergebnis wird dich umhauen.« Scott aktivierte die Zeitrafferfunktion. Der blinkende Punkt nahm Fahrt auf. Er wanderte auf gerader Linie bis zum Rand des Sternenhaufens, bremste und bog scharf ab, während um ihn herum die Sonnen und Planeten wimmelten und rotierten wie die Mückenschwärme in der Sommerhitze Schleswig-Holsteins. Wieder durchzog er den Sternenpulk. Erneut wurde er kurz vor dem Erreichen der Grenze gestoppt, deren Überschreiten ihn bei seiner Geschwindigkeit wie eine Pistolenkugel aus dem Sternenhaufen katapultiert hätte, und änderte seine Richtung. Dieses Szenario wiederholte sich ein drittes Mal, bevor das Blinken wieder seinen Ausgangspunkt erreichte. Die markierte Spur offenbarte den zweiten Grund, aus dem Scott diesen Namen gewählt hatte. »Erstaunlich, nicht wahr? Die physikalischen Kräfte spielen Flipper mit den Planeten. Kein Sternenkörper bleibt lange auf einer einfachen Umlaufbahn, aber Triangel ist besonders stark gebeutelt. Er tanzt durch den Pulk wie wir beide beim letztjährigen Polkawettbewerb durch den Großen Saal der Akademie, befindet sich mal im Zentrum, mal am Rand, kommt aber immer wieder zu seinem Ursprungspunkt zurück«, führte Scott stolz aus. »Als spielte eine Superintelligenz Planetenbillard. Wie lange dauert ein Wanderzyklus von Triangel?« »Ziemlich genau viertausend Jahre.« Berta ließ einen erstaunten Pfiff über ihre Lippen gleiten. Scott setzte seinen Vortrag fort. »Während dieser Zeit nehmen mal lebensfeindliche Minusgrade, mal glühend hohe Temperaturen Triangel in die Mangel; der maximale Temperaturunterschied beträgt zweitausendzwanzig Kelvin. Die Chance, dass sich komplexes tierisches oder pflanzliches Leben, wie wir es kennen, entwickelt, besteht nur für circa dreihundert Jahre. Nach allem, was wir wissen, ist dies für die Evolution eine viel zu kurze Spanne, um hochwertige Lebensformen hervorzubringen.« »Und dann entdeckt Alpha-357 auf diesem rätselhaften Himmelskörper genau elf Pflanzen- und acht Tierarten, alle hoch entwickelt …« Das Phänomen stachelte Bertas Neugier an. Auch wenn Triangel keine geeignete Plattform für eine dauerhafte menschliche Besiedlung bot, konnte ein Besuch auf dieser kosmischen Kuriosität nicht schaden. Hitze. Kälte. Toter Stein. Blühende Flora. Ein stetes Pfeifen. Bertas Gesäß kontaktierte harten Untergrund. Durch eine programmierbare Luftmatratze geweckt zu werden, die pünktlich um sechs Uhr morgens ihre Luft verliert, war unangenehm und retro, aber verlässlich. Benommen führte Berta die Hand an die Stirn und versuchte, die Bilder einzuordnen, die sie im Schlaf heimgesucht hatten. Vergeblich. Neue Planeten, neue Träume; nicht zum ersten Mal empfing ein Himmelskörper irdische Besucher mit nächtlichen Visionen. Berta ließ ihre blonde Mähne fliegen, um Klarheit in ihren Kopf zu bekommen, stemmte sich hoch und trottete zur Dusche. Elf Minuten und eine Dampfpatrone später betrat sie in vorzeigbarem Zustand den Forschungs- und Frühstücksraum. »Morgen, Scott. Wie geht es Sir Henry und Clara-Bella?« Der Schotte deutete auf die Laufräder, die er auf der Gangway aufgebaut hatte und die zwei weiße Ratten fröhlich quiekend auf Trab hielten. »Blühen und gedeihen. Es ist erstaunlich: Beide vertragen das Gras von Triangel nicht nur problemlos, es steigert offensichtlich auch ihr Wohlbefinden und ihre Leistungsfähigkeit. Obwohl, aktiv waren sie ja schon früher …« Scott erlaubte sich ein anzügliches Grinsen, doch Berta ging nicht...