Die Küste der Schwerter
E-Book, Deutsch, Band 10, 416 Seiten
Reihe: Die vergessenen Welten
ISBN: 978-3-641-07485-2
Verlag: Blanvalet
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
R. A. Salvatore wurde 1959 in Massachusetts geboren, wo er auch heute noch lebt. Bereits sein erster Roman »Der gesprungene Kristall« machte ihn bekannt und legte den Grundstein zu seiner weltweit beliebten Romanserie um den Dunkelelf Drizzt Do´Urden. Die Fans lieben Salvatores Bücher vor allem wegen seiner plastischen Schilderungen von Kampfhandlungen.
Weitere Infos & Material
TEIL 1
Wind und Gischt
Sechs Jahre. Nicht sehr lange für die Lebensspanne eines Drow, und dennoch, wenn ich die Monate, Wochen, Tage und Stunden zählte, kam es mir vor, als wäre ich bereits hundert Mal so lange fort von Mithril-Halle. Es war ein ganzes Leben, eine ganze Lebensweise weit entfernt. Mithril-Halle war nicht mehr als eine Stufe zu … Wozu? Wohin? Meine lebendigste Erinnerung an Mithril-Halle ist die an jenen Moment, als ich mit Catti-brie an meiner Seite von dort fortritt, wir über die Schulter zurücksahen und über die Rauchschwaden, die von Siedelstein aufstiegen, zu dem Berg Vierter Gipfel blickten. Mithril-Halle war Bruenors Königreich, Bruenors Heim, und Bruenor gehörte zu meinen liebsten Freunden. Aber es war nicht mein Heim, war es nie gewesen. Ich konnte es damals nicht erklären und kann es auch jetzt noch nicht. Nach der Abwehr der Invasionsarmee der Drow hätte alles gut sein müssen. Mithril-Halle war mit allen benachbarten Königreichen in Freundschaft und Handel verbunden, es war Teil einer Gemeinschaft von Königreichen, die über die Macht verfügten, ihre Grenzen zu schützen und ihre Bürger zu ernähren. Aber dennoch war Mithril-Halle nicht mein Zuhause, weder meines noch das von Catti-brie. Und so waren wir fortgezogen und ritten nach Westen zur Küste und nach Tiefwasser. Ich habe nie mit Catti-brie über ihre Entscheidung gestritten, Mithril-Halle zu verlassen – obgleich sie das sicher von mir erwartete. Wir empfanden dasselbe. Wir hatten beide niemals wirklich unsere Herzen an den Ort gehängt; wir waren zu beschäftigt damit gewesen, unsere Feinde zu besiegen, die Zwergenminen wieder zu öffnen, nach Menzoberranzan zu reisen und schließlich die Dunkelelfen zu bekämpfen, die gegen Mithril-Halle gezogen waren. Nachdem dies alles vorbei war, schien es an der Zeit zu sein, zur Ruhe zu kommen, sich niederzulassen und Geschichten von unseren Taten zu erzählen und auszuschmücken. Wäre Mithril-Halle schon vor diesen Kämpfen unser Heim gewesen, so wären wir auch geblieben. Nach den Kämpfen, nach den Verlusten, war es sowohl für Catti-brie als auch für Drizzt Do’Urden zu spät. Mithril-Halle war Bruenors Heim, nicht das unsere. Es war ein vom Krieg gezeichneter Ort, an dem ich erneut dem Vermächtnis meiner dunklen Herkunft hatte gegenübertreten müssen. Es war der Anfang der Straße, die mich zurück nach Menzoberranzan geführt hatte. Es war der Ort, an dem Wulfgar gestorben war. Catti-brie und ich hatten geschworen, eines Tages dorthin zurückzukehren, und das würden wir auch tun, denn Bruenor war dort und Regis ebenfalls. Aber Catti-brie hatte die Wahrheit erkannt. Man würde den Gestank des Blutes niemals aus den Steinen herauswaschen können. Wir waren dabeigewesen, als das Blut vergossen worden war, und dieser Geruch würde Bilder in uns wecken, die zu schmerzlich waren, als daß wir damit hätten leben können. Sechs Jahre, und ich habe Bruenor und Regis vermißt und Stumpet Reißklaue und sogar Berkthgar den Tapferen, der über Siedelstein herrscht. Ich habe meine Reisen in das faszinierende Silbrigmond vermißt und den Anblick des Tagesanbruchs, wie er sich von einem der vielen Felskämme von Vierter Gipfel bietet. Ich befahre jetzt die Wellen entlang der Schwertküste, den Wind und die Gischt im Gesicht. Meine Höhlendecke sind die vorbeiziehenden Wolken und ein Baldachin aus Sternen; mein Fußboden sind die knarrenden Planken eines schnellen, sturmerprobten Schiffes, und hinter diesem erstreckt sich die azurene Weite, die flach und still daliegt, die wogt und rollt, unter dem Regen prasselt und unter dem Aufprall eines hindurchbrechenden Wales explodiert. Ist dies mein Heim? Ich weiß es nicht. Eine weitere Stufe, nehme ich an, aber ich kann nicht sagen, ob es wirklich eine Straße, eine Treppe gibt, die mich zu einem Ort führen wird, den ich Heim nennen kann. Und ich denke auch nicht oft darüber nach, denn ich habe erkannt, daß es mich nicht kümmert. Wenn diese Straße, diese Treppe, nirgendwohin führt, so sei es. Ich gehe diesen Weg mit Freunden, und bei ihnen habe ich mein Zuhause.
Drizzt Do’Urden Die Seekobold
Drizzt Do’Urden stand ganz am Ende des Bugspriets, so weit vorne, wie er nur konnte, und hatte mit einer Hand fest das Haltetau des Außenklüvers gepackt. Das Schiff war ein schnittiger Renner, dessen Ballast und Gleichgewicht perfekt ausgeglichen waren und dessen Mannschaft zu den besten zählte. Aber die See war an diesem Tag rauh, und die Seekobold schnitt mit vollen Segeln durch die Wogen und hinterließ eine hochspritzende Gischtspur. Drizzt kümmerte das nicht. Er liebte das Gefühl von Gischt und Wind, den Geruch des Salzwassers. Das war Freiheit: über das Wasser zu gleiten, durch die Wogenkämme zu schneiden, beinahe zu fliegen. Drizzts volles weißes Haar flatterte in der Brise, wogte hinter ihm wie sein grüner Mantel und trocknete fast so schnell, wie das Wasser es benetzte. Flecken aus getrocknetem Salz konnten den Schimmer seiner ebenholzfarbenen Haut nicht verringern, die vor Feuchtigkeit glitzerte. Seine violetten Augen funkelten vor Freude, als er zum Horizont blickte und kurz die Segel des Schiffes ausmachen konnte, das sie verfolgten. Das sie verfolgten und einholen würden, denn es gab kein Schiff nördlich von Baldurs Tor, das Kapitän Deudermonts Seekobold davonsegeln konnte. Sie war ein dreimastiger Schoner neuer Bauart, leicht, schmal gebaut und mit viel Segelfläche. Die Karavelle mit den Rah-Segeln, die sie jagten, war ihnen auf gerader Linie etwa ebenbürtig, aber sobald das klobigere Gefährt auch nur leicht den Kurs änderte, konnte die Seekobold sofort ein Stück aufholen. Und sie holte beständig auf. Zu diesem Zweck war sie geschaffen worden. Erbaut von den besten Ingenieuren und Zauberern von Tiefwasser, finanziert von den Fürsten der Stadt, war der Schoner ein Piratenjäger. Drizzt war ganz begeistert gewesen, als er von dem Glück erfuhr, das sein alter Freund Deudermont gehabt hatte. Mit Deudermont war er einst, als der Meuchelmörder Artemis Entreri Regis den Halbling entführt hatte, den ganzen Weg von Tiefwasser nach Calimshan gesegelt. Jene Reise, insbesondere der Kampf in Asavirs Kanal gegen drei Piratenschiffe, den Kapitän Deudermont – mit der nicht unbeträchtlichen Hilfe von Drizzt und seinen Gefährten – gewonnen hatte, hatte an der gesamten Schwertküste die Aufmerksamkeit von Seeleuten und Händlern erregt, und daher hatten die Herren von Tiefwasser diesen Schoner Deudermont angeboten. Der Kapitän liebte seinen kleinen Zweimaster, die ursprüngliche Seekobold, aber kein Seemann hätte dieser neuen Schönheit widerstehen können. Deudermont war in den Dienst von Tiefwasser getreten, und man hatte ihm erlaubt, dem Schiff seinen Namen zu geben und seine Mannschaft selbst auszusuchen. Drizzt und Catti-brie waren einige Zeit später in Tiefwasser eingetroffen. Als die Seekobold das nächste Mal in den großen Hafen einlief, hatte Deudermont gleich Platz für seine alten Freunde in der vierzig Mann starken Besatzung gemacht. Das war vor sechs Jahren und siebenundzwanzig Reisen gewesen. Für jene, die die Schiffahrtswege an der Schwertküste belauerten, war der Schoner zur Geißel geworden. Siebenunddreißig Siege, und das Schiff schwamm noch immer. Jetzt war Nummer achtunddreißig in Sicht. Die Karavelle hatte sie bemerkt, war aber zu weit weg, um die Flagge von Tiefwasser erkennen zu können. Das machte jedoch keinen großen Unterschied, denn kein anderes Schiff in der Region sah so aus wie die Seekobold und besaß drei Masten mit den vom Wind gewölbten, dreieckigen Lateinsegeln. Die Segel der Karavelle wurden gehißt, und die Jagd ging los. Drizzt stand im Bug, einen Fuß auf den löwenköpfigen Rammsporn gestellt, und genoß jede einzelne Sekunde. Er spürte die rohe Kraft der See, die unter ihm wogte, spürte die Gischt und den Wind. Er hörte laute Musik, denn einige der Besatzungsmitglieder der Seekobold waren Spielleute, und immer wenn eine Jagd losging, nahmen sie ihre Instrumente und spielten aufputschende Lieder. »Zweitausend!« rief Catti-brie aus dem Krähennest herab. Das war der Abstand, der noch einzuholen war. Sobald ihre Schätzung bei fünfhundert lag, würde sich die Mannschaft auf ihre Kampfstellungen begeben. Drei würden die große Ballista bedienen, die auf einem Drehzapfen auf dem Achterdeck der Seekobold montiert war. Zwei andere würden die kleineren drehbaren Armbrüste bemannen, die am Vorderteil der Brücke angebracht waren. Drizzt würde sich zu Deudermont am Steuer begeben und von dort aus den Nahkampf beaufsichtigen. Unwillkürlich legte er bei diesem Gedanken die Hand auf den Griff eines seiner Krummsäbel. Die Seekobold war aus der Ferne ein fürchterlicher Gegner. Sie verfügte über hervorragende Bogenschützen, eine geschickte Mannschaft an der Ballista, einen besonders bösartigen Zauberer, einen Beschwörer, der voller Feuerbälle und Blitze steckte, und natürlich Catti-brie mit ihrem tödlichen Bogen Taulmaril, dem Herzenssucher. Aber es war der Nahkampf, wenn Drizzt,...