E-Book, Deutsch, 185 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
Sagan Bonjour tristesse
17001. Auflage 2017
ISBN: 978-3-8437-1674-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 185 Seiten
Reihe: Ullstein eBooks
ISBN: 978-3-8437-1674-1
Verlag: Ullstein HC
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Françoise Sagan wurde 1935 geboren. Mit achtzehn Jahren schrieb sie in wenigen Wochen ihren ersten Roman: Bonjour tristesse wurde 1954 mit dem Grand Prix des Critiques ausgezeichnet. Neben Romanen verfaßte sie Theaterstücke und Drehbücher. Françoise Sagan starb am 24. September 2004 in Honfleur.
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1
ICH ZÖGERE, diesem unbekannten Gefühl, dessen Wehmut und Süße mich bedrücken, einen Namen zu geben, den schönen, ernsten Namen Trauer. Es ist ein so umfassendes, so egoistisches Gefühl, dass ich mich seiner fast schäme, während mir Trauer doch immer als etwas Achtbares erschienen ist. Ich kannte sie vorher nicht, ich kannte nur die Wehmut, das Bedauern, seltener die Reue. Heute aber umschließt mich etwas wie Seide, zermürbend und weich, und trennt mich von den anderen.
Ich war siebzehn in jenem Sommer und vollkommen glücklich. Die »anderen«, das waren mein Vater und Elsa, seine Geliebte. Ich muss diese Situation gleich erklären, die sonst in einem falschen Licht erscheinen mag. Mein Vater war vierzig Jahre alt und seit fünfzehn Jahren Witwer. Er war ein junger Mann, voller Vitalität und Möglichkeiten, und als ich zwei Jahre zuvor das Internat verlassen hatte, war es mir absolut verständlich erschienen, dass er mit einer Frau zusammenlebte. Weniger leicht hatte ich hingenommen, dass er sie alle paar Monate wechselte! Aber sein Charme, dieses neue, unbekümmerte Leben und meine Veranlagung halfen mir bald dabei. Er war ein lebenslustiger Mensch, geschickt in Geschäftsdingen, immer neugierig und rasch gelangweilt, und er gefiel den Frauen. Ich konnte ihn mit aller Zärtlichkeit lieben, denn er war gut, großzügig, fröhlich und voller Zuneigung für mich. Ich kann mir keinen besseren, unterhaltsameren Freund vorstellen. Zu Beginn dieses Sommers ging seine Liebenswürdigkeit sogar so weit, dass er mich fragte, ob mich die Gesellschaft seiner aktuellen Geliebten Elsa in den Ferien nicht stören würde. Ich konnte ihm nur zureden, wusste ich doch, wie sehr er die Frauen brauchte und dass Elsa uns zudem gar nicht lästig fallen würde. Sie war ein großes, rothaariges Mädchen, ungestüm und mondän zugleich, die in den Studios und Bars der Champs-Élysées als Statistin arbeitete. Sie war nett, ziemlich einfach gestrickt und stellte keine großen Ansprüche. Im Übrigen waren mein Vater und ich viel zu glücklich, wegzufahren, um gegen irgendetwas Einwände zu erheben. Er hatte am Mittelmeer eine entzückende, abseits gelegene weiße Villa gemietet, von der wir seit den ersten heißen Tagen im Juni träumten. Sie stand auf einem Felsvorsprung über dem Meer, von der Straße aus verborgen durch einen Pinienwald. Ein Ziegenpfad führte hinunter zu einer kleinen, goldschimmernden Bucht, die von roten Felsen gesäumt war, zwischen denen das Meer schaukelte.
Die ersten Tage waren strahlend schön. Überwältigt von der Hitze, verbrachten wir Stunden am Strand und nahmen allmählich eine gesunde goldbraune Farbe an, außer Elsa, die krebsrot wurde und sich unter schrecklichen Qualen schälte. Mein Vater versuchte mit komplizierten Beinübungen seinen Bauchansatz abzutrainieren, der sich mit seiner Bestimmung zum Don Juan nicht vertrug. Ich tauchte schon am frühen Morgen ins Wasser, das kühl und durchscheinend war, und tummelte mich darin bis zur Erschöpfung in wilden, chaotischen Bewegungen, um alle düsteren Schatten und allen Staub von Paris abzuwaschen. Ich streckte mich im Sand aus, nahm eine Handvoll davon, ließ ihn in einem weichen gelblichen Strahl durch meine Finger rinnen und sagte mir, dass er wie die Zeit verrann. Was für ein einfacher Gedanke! Und es war angenehm, solche einfachen Gedanken zu haben. Es war Sommer.
Am sechsten Tag sah ich Cyril zum ersten Mal. Er glitt die Küste in einem kleinen Segelboot entlang und kenterte vor unserer Bucht. Ich half ihm, seine Sachen aus dem Wasser zu fischen, und während wir zusammen lachten, erfuhr ich, dass er Cyril hieß, Jura studierte und die Ferien mit seiner Mutter in einer benachbarten Villa verbrachte. Er hatte ein südländisches Gesicht, sehr dunkel, sehr offen, und er strahlte eine Ausgeglichenheit und Sicherheit aus, die mir gefiel. Dabei mied ich normalerweise diese groben Studenten von der Universität, die vor allem mit sich selbst und ihrer Jugend beschäftigt waren und darin den Gegenstand eines Dramas oder einen Vorwand für ihren Lebensüberdruss fanden. Ich mochte junge Leute nicht. Mir waren die Freunde meines Vaters viel lieber, Männer um die vierzig, die höflich und teilnahmsvoll mit mir sprachen, mir zugleich die Zartheit eines Vaters und die eines Liebhabers entgegenbrachten. Doch Cyril gefiel mir. Er war großgewachsen und manchmal schön, von einer Schönheit, die Vertrauen einflößte. Ohne die Abneigung meines Vaters gegen alles Hässliche zu teilen, die dazu führte, dass wir oft mit geistlosen Leuten verkehrten, empfand ich doch gegenüber Menschen, denen jeder körperliche Reiz abging, eine Art Unbehagen oder Mangel. Dass sie sich damit abfanden, nicht zu gefallen, erschien mir wie ein unpassendes Gebrechen. Denn war es nicht genau das, wonach wir strebten: zu gefallen? Bis heute weiß ich nicht, ob sich hinter dieser Lust an der Eroberung ein Übermaß an Vitalität verbirgt, ob es das Verlangen ist, Einfluss auszuüben, oder aber das verstohlene, uneingestandene Bedürfnis nach Selbstbestätigung, nach Bestärkung.
Als Cyril aufbrach, bot er an, mir das Segeln beizubringen. Ich ging zum Abendessen zurück, völlig gefangen genommen von seinem Denken, und nahm so gut wie gar nicht an der Unterhaltung teil. Kaum, dass ich die Nervosität meines Vaters bemerkte. Nach dem Essen streckten wir uns wie jeden Abend in den Sesseln auf der Terrasse aus. Über uns funkelten die Sterne. Ich betrachtete sie in der unbestimmten Hoffnung, dass sie, obwohl es noch zu früh dafür war, den Himmel in jedem Augenblick als Sternschnuppen durchzucken würden. Aber wir hatten erst Anfang Juli, und sie rührten sich nicht. Im Kiesbett der Terrasse sangen die Zikaden. Tausende mussten es sein, die trunken von Hitze und Mond nächtelang diesen merkwürdigen Schrei ertönen ließen. Jemand hatte mir erklärt, dass sie nur ihre Flügel aneinanderrieben, aber ich wollte lieber an ihren kehligen Gesang glauben, triebhaft wie das Geschrei der Katzen, wenn deren Zeit gekommen ist. Wir fühlten uns gut. Allein die kleinen Sandkörner zwischen meiner Haut und meiner Bluse schützten mich vor dem zärtlichen Ansturm des Schlafes. In dem Moment hüstelte mein Vater und richtete sich in seinem Liegestuhl auf.
»Ich habe euch einen Besuch anzukündigen«, sagte er.
Untröstlich schloss ich die Augen. Wir hatten es zu ruhig, das konnte ja nicht andauern!
»Sag schnell«, rief Elsa, die immer begierig war auf Neuigkeiten aus dem gesellschaftlichen Leben.
»Anne Larsen«, sagte mein Vater und wandte sich mir zu.
Ich sah ihn an, zu erstaunt, um darauf zu reagieren.
»Ich hatte ihr gesagt, wenn sie genug hätte von ihren neuen Kollektionen, solle sie doch auf ein paar Tage runterkommen, und nun … nun kommt sie.«
Darauf wäre ich nie gekommen. Anne Larsen war eine alte Freundin meiner armen Mutter und stand kaum noch in Verbindung mit meinem Vater. Trotzdem hatte mich mein Vater vor zwei Jahren, als ich aus dem Internat zurückkam, zu ihr geschickt, da er mit mir nicht recht was anzufangen wusste. Innerhalb einer Woche hatte sie mich mit viel Geschmack eingekleidet und mir Umgangsformen beigebracht. Ich hegte deshalb eine leidenschaftliche Bewunderung für sie, die sie geschickt auf einen jungen Mann aus ihrem Umfeld umzulenken verstand. Ich schuldete ihr also meine ersten eleganten Auftritte und meine ersten Liebschaften, wofür ich ihr sehr dankbar war. Mit ihren zweiundvierzig Jahren war sie eine äußerst verführerische, begehrte Frau mit einem schönen, etwas hochmütigen Gesicht, aus dem eine müde Gleichgültigkeit sprach. Diese Gleichgültigkeit war das Einzige, was man ihr vorwerfen konnte. Sie war liebenswürdig und unnahbar. Alles an ihr spiegelte einen festen Willen und eine Herzensruhe, die einschüchterten. Obwohl sie geschieden war und frei, war nichts von einem Liebhaber bekannt. Im Übrigen verkehrten wir nicht in den gleichen Kreisen: Sie suchte feinsinnige, intelligente und diskrete Menschen auf, wir hingegen lärmende und lebenshungrige, von denen mein Vater nur verlangte, schön oder witzig zu sein. Ich glaube, sie verachtete uns ein wenig, meinen Vater und mich, weil wir uns flüchtigen Vergnügen hingaben, so wie sie jedes Übermaß verachtete. Was uns einzig verband, waren Geschäftsessen – sie war in der Modebranche tätig, mein Vater in der Werbung – sowie die Erinnerung an meine Mutter und meine Bemühungen um sie, denn wenn sie mich auch einschüchterte, bewunderte ich sie doch sehr. Ihre plötzliche Ankunft erschien mir einfach etwas unpassend, bedachte man Elsas Anwesenheit und Annes Ansichten über Erziehung.
Elsa ging hinauf zum Schlafen, nachdem sie eine Menge Fragen zu Annes gesellschaftlicher Position gestellt hatte. Ich blieb allein mit meinem Vater und setzte mich auf eine der Stufen zu seinen Füßen. Er beugte sich vor und legte seine Hände auf meine Schultern:
»Warum bist du so dürr, meine Süße? Du siehst wie eine kleine Wildkatze aus. Ich hätte lieber ein schönes blondes Mädchen von etwas kräftiger Statur, mit Porzellanaugen und …«
»Darum geht es jetzt nicht«, sagte ich. »Warum hast du Anne eingeladen? Und warum hat sie angenommen?«
»Vielleicht um deinen alten Vater zu sehen. Das weiß man nie.«
»Du gehörst nicht zu der Sorte von Männern, für die sich Anne interessiert. Sie ist zu intelligent und besitzt zu viel Selbstachtung. Und Elsa? Hast du mal an sie gedacht? Kannst du dir vorstellen, worüber die beiden sich unterhalten sollen? Ich nicht.«
»Daran habe ich nicht gedacht«, räumte er ein. »Vermutlich wird das entsetzlich. Was meinst du, Cécile, meine Süße, sollen wir nach Paris...