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Révay Die weissen Lichter von Paris

Roman
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-641-26050-7
Verlag: Goldmann
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Roman

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Verlag: Goldmann
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Der große Bestseller aus Frankreich. So bewegend wie 'Anna Karenina'
Paris in den 20er Jahren: Gräfin Xenia trägt die russische Seele in ihrem Gesicht - stolz, geheimnisvoll, berückend schön. Ein einzigartiges Gesicht in der glamourösen Modewelt, das auch der deutsche Fotograf Maximilian nicht vergessen kann. Xenia aber flieht vor ihren Gefühlen, zu sehr haben Trauer, Armut und Leid ihr Leben geprägt, seit sie vor der Revolution aus Russland fliehen musste. Jahre später begegnen sich die beiden unter dramatischen Umständen wieder. Wird Xenia erkennen, dass es die große Liebe nur einmal im Leben gibt?

Leidenschaft und bewegendes Schicksal in der dramatischsten Epoche des 20. Jahrhunderts.

Theresa Révay, 1965 in Paris geboren und aufgewachsen, studierte französische Literatur an der Sorbonne. Sie veröffentlichte ihren ersten Roman mit Anfang zwanzig. Danach arbeitete sie viele Jahre als Übersetzerin und Gutachterin für verschiedene französische Verlage. 'Die weißen Lichter von Paris' ist ihr dritter Roman in deutscher Übersetzung. Momentan schreibt Theresa Révay an einer Fortsetzung.

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Petrograd, Februar 1917

Das Glück hat nichts für die Halbherzigen übrig. Es will herausgefordert und errungen werden, kurz gesagt man muss es sich verdienen wie den Orden des heiligen Georg auf dem Schlachtfeld. Und natürlich sah sich Xenia Fjodorowna Ossolin als Eroberin.

Der Krieg dauerte fast schon drei Jahre und wollte kein Ende nehmen. Von der Ostsee bis zur Donau fielen die Russen zu Zehntausenden. Da war die Aussicht eher gering, dass ein gewisser junger Offizier der kaiserlichen Garde zu ihrem Geburtstagsdinner kommen würde; aber sie hatte trotzdem nicht gezögert, ihm eine Einladung zu schicken. Und als sie keine Antwort erhielt, hatte sie bei ihm zu Hause angerufen, um sich zu vergewissern, dass er tatsächlich Heimaturlaub hatte. Ihre Mutter wäre entsetzt gewesen.

Xenia drückte die Nase ans Fenster. Sie hauchte auf die Doppelscheibe, wie sie es als Kind getan hatte, und malte ein Gesicht darauf. Ob sie wohl Geduld lernen würde, wenn sie älter wurde? Die paar Demonstranten, die um die Kirche der Gottesmutter von Kazan herumliefen, würden ihr jedenfalls ihr Fest nicht verderben.

Mit einem Knall fiel die Eingangstür zu, und im Vestibül ließ sich die tiefe Stimme ihres Vaters vernehmen. Sie kannte jede Nuance darin und begriff gleich, dass er verärgert, ja vielleicht sogar zornig war. Xenia stellte sich vor, wie er seinen dicken Mantel auszog und sich schüttelte wie ein Bär; dann hörte sie, wie er mit seinem ungleichmäßigen Schritt den Raum durchquerte, um in sein Arbeitszimmer zu gehen. Auf dem Parkettboden zog er das rechte Bein nach, die Folge einer Kriegsverletzung.

Xenia fuhr herum und ließ den Blick durch den Salon schweifen. Sie hatte keine Lampe angezündet. Hoch aufgerichtet und ruhig stand sie in der Dunkelheit des Spätnachmittags in ihrem langen Rock aus grauem Wollstoff und der weißen Hemdbluse mit dem plissierten Kragen da. Sie hatte sich einen Schal über die Schultern gelegt. Immer noch nahm sie den beißenden Geruch der Desinfektionsmittel aus dem Lazarett wahr, in dem sie bei der Pflege der Verwundeten half. Dort vertraute man ihr keine verantwortungsvollen Aufgaben an, denn mit ihren fünfzehn Jahren betrachtete man sie als zu jung für eine Ausbildung zur Krankenschwester. Ansonsten hätte sie es allerdings mit eiternden Wunden oder Verletzungen an delikaten Körperstellen zu tun bekommen. Doch beim Verbinden, dem Desinfizieren der chirurgischen Instrumente oder wenn es darum ging, die Moral der Soldaten zu stärken, war ihre Hilfe willkommen.

Die Pendeluhr maß tickend die Minuten. Im Raum ließen sich die beruhigenden Umrisse von Diwanen und Sesseln erahnen. Das junge Mädchen schloss die Augen und ließ vor ihrem inneren Auge die Anordnung des Mobiliars erstehen – der persischen Teppiche, der Spiegel, der Konsole mit den Sphinxköpfen, der runden Tischchen aus Rosen- und Amaranthholz und der Stühle mit den geschnitzten Ornamenten. An den Wänden hingen Gemälde von Meistern; eine Sammlung, die in der guten Gesellschaft der Stadt berühmt war. Wie ein flüchtiges Gespenst hätte sie zwischen den hellen Möbeln aus karelischer Birke hindurchgleiten und die emaillierten Bilderrahmen, die auf dem Flügel aufgestellt waren, oder die Sammlung von Tabakdosen berühren können. Sie kannte den großen Salon in- und auswendig, ebenso wie jeden der Räume, die sich in diesem zugleich gemütlichen wie auch repräsentativen Anwesen aneinanderreihten. In der samtweichen Stille meinte sie den Puls des Hauses zu spüren, der sich in ihren Adern fortsetzte und sie ganz und gar erfüllte. Das Herz ihres Elternhauses, das auf halbem Weg zwischen zwei Kathedralen an einem zugefrorenen Kanal lag, schlug im Einklang mit dem ihren.

Gebrüll riss sie aus ihrer Gedankenverlorenheit. Verwirrt fragte sie sich, ob die Aufregung von draußen kam; doch als sie die Augen aufschlug, begriff sie, dass ihr Vater sich am Telefon ereiferte, und sie spitzte die Ohren. In letzter Zeit war ihr das zur Gewohnheit geworden. Wenn sie durch die Stadt spazierte, sammelte sie Informationsbröckchen, Klatsch oder Klagen – alles, was die Menschen im Vorübergehen von sich gaben. Seit Monaten standen die Menschen ab drei Uhr morgens vor den Bäckereien an. Die Frauen in ihren dicken Wintermänteln, deren Wangen vor Kälte aufgesprungen waren, zeterten, verlangten Brot und jammerten über die hohen Preise. Man überhäufte die Regierung mit Vorwürfen und warf ihr vor, das Mehl zu verstecken oder sich an die Deutschen verkauft zu haben. Sie sei unfähig, hieß es, die Versorgung der Stadt zu gewährleisten, in der es an allem fehlte: an Kohle und Fleisch, an Kerzen, Seife und Zucker. Als Rasputin ermordet wurde, hatte man geglaubt, das Problem sei gelöst, aber die Lage verbesserte sich nicht. Man hätte glauben mögen, dass der Staretz seine unheilvolle Macht noch über das Grab hinaus ausübte. In manchen Vierteln erfroren die Armen, die sich kein Brennholz leisten konnten, in ihren ungeheizten Wohnungen.

Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Auch bei den Ossolins wurde gespart. Das Haus wurde nicht mehr so verschwenderisch geheizt wie früher. Manche Räume waren bis zum Frühjahr abgeschlossen. Jetzt teilte sie ihr Zimmer mit ihrer kleinen Schwester Mascha, die es abends nicht müde wurde, sie zum Vorlesen von Märchen und Legenden zu drängen. Das ging so weit, dass Xenia bisweilen energisch werden musste, bis das Kind unter seinem Berg von Decken einschlief.

»Das Maß Kartoffeln kostet jetzt fünf Rubel. Vor dem Krieg waren es fünfzehn Kopeken! Was sollen die Menschen denn noch essen, Nina?«, brüllte ihr Vater aus vollem Halse.

Er musste die Tür seines Arbeitszimmers offen gelassen haben. Xenia vernahm die leise Stimme ihrer Mutter, die ihn zu beschwichtigen versuchte. Mit ihren hellen Augen und ihrem feingliedrigen Körperbau besaß Nina Petrowna Ossolin die weibliche Sanftheit jener Frauen, die einen segensreichen Einfluss auf ihre reizbaren Ehegatten ausüben. Wie oft hatte Xenia schon miterlebt, wie ihr Vater oder manche ihrer Onkel – verdiente Gardeoffiziere – ihren Gattinnen gehorchten, ohne dass die Damen auch nur die Stimme zu erheben brauchten? Die Fügsamkeit, die diese kolossalen Gestalten an den Tag legten, war verblüffend. Es erstaunte sie nicht, ihren Vater über die Lebensmittelpreise sprechen zu hören. Er war ein intelligenter Mensch und pflegte zu sagen, ein Krieg werde an der Front gewonnen, aber in der Heimat verloren. Seit vielen Monaten wurden die Straßenbahnen bestreikt, die reglos auf ihren Gleisen standen. In den Sitzungen im Taurischen Palais debattierten die Abgeordneten aufgeregt. Das Hinterland des heiligen Russland bockte wie ein ungebärdiges Pferd.

Xenia runzelte die Stirn und dachte an ihr blassblaues Abendkleid aus Satin und mit Glasperlen besticktem Tüll, das in ihrem Zimmer auf sie wartete. Sie hatte es Mascha unter Androhung einer exemplarischen Strafe, über deren Art sie sich noch nicht im Klaren war, verboten, es anzurühren. Ihre Eltern hatten ihr eine schöne Geburtstagsfeier versprochen; die Belohnung dafür, dass sie am Obolenski-Lyzeum fleißig gelernt hatte und eine eifrige Schwesternhelferin war. Ihre Mutter hatte sie in die Mokhowaja-Straße zu Anna Grigoriewna Gindus begleitet, die für das junge Mädchen die Verkörperung der vollendeten Eleganz darstellte, da die Schneiderin ihre Ausbildung bei Jeanne Paquin in Paris absolviert hatte. Xenia war zumute, als würde sie ihren Eintritt in die Erwachsenenwelt mit einem Jahr Vorsprung feiern, was ihr ganz ausgezeichnet zupasskam, da sie sich gern von anderen abhob. Als sie ihren Freundinnen von dem Essen erzählte, das nach der Aufführung eines Stücks von Lermontow im Alexandrinski-Theater stattfinden sollte, waren sie vor Neid rot angelaufen. Der Krieg brachte zwar für alle neue Freiheiten mit sich, aber die Eltern der anderen Mädchen hielten strenger auf die Konventionen.

Es kam gar nicht in Frage, dass die fieberhafte Aufregung, die in der Stadt herrschte, die Lustbarkeiten trübte, auf die sie sich seit mehreren Wochen freute. Entschlossenen Schritts verließ sie den Salon und rannte die Treppe hinauf zu ihrem Vater. Mit einem Mal spürte sie das Bedürfnis, ihn zu sehen, um sich bei ihm zu versichern, dass alles gut war.

Im Türrahmen des Arbeitszimmers blieb sie stehen und betrachtete den General, der am Ofen stand und eine Depesche überflog. Seine Schultern waren gebeugt, und er rieb sich mit müder Hand den Nacken. Seine kleine, in Gold gefasste Brille ließ ihn wie einen Gelehrten wirken. Die Gefühle, die sie für ihren Vater hegte, waren tief und beinahe dramatisch. Ihr Vertrauen zu ihm war absolut, rund und prall wie eine sommerliche, mit Süße gesättigte Frucht. Wenn sie bei ihm war, gab es keinen Zweifel und keine Verlegenheit. Hochgewachsen, mit breiten Schultern und kräftigen Händen, wirkte er so vital wie die Sonne selbst. Wenn sie zuschaute, wie sich Mascha in seine Arme schmiegte, bedauerte sie, dass sie zu alt war, um ebenfalls Zuflucht dort zu suchen. Sie musste sich jetzt mit den schmatzenden Küssen zufriedengeben, die er ihr auf die Wange versetzte, wobei sein dichter blonder Schnurrbart sie kitzelte.

Er murmelte einen Fluch und bückte sich, um die Depesche in die Öffnung des Kachelofens zu werfen, als er seine Tochter bemerkte. Sogleich hellten sich seine grüblerischen Züge auf. Er nahm die Brille herunter, die einen roten Abdruck auf seinem Nasenrücken hinterließ.

»Da bist du ja, mein Täubchen; ich habe dich gar nicht kommen gehört. Wie ist das Befinden der Ballkönigin?«

»Und du, Papa, wie geht es dir?«

Er ließ sich in den Ledersessel fallen und legte die Unterarme auf die Stapel Papiere, die auf dem...


Révay, Theresa
Theresa Révay, 1965 in Paris geboren und aufgewachsen, studierte französische Literatur an der Sorbonne. Sie veröffentlichte ihren ersten Roman mit Anfang zwanzig. Danach arbeitete sie viele Jahre als Übersetzerin und Gutachterin für verschiedene französische Verlage. „Die weißen Lichter von Paris“ ist ihr dritter Roman in deutscher Übersetzung. Momentan schreibt Theresa Révay an einer Fortsetzung.



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