Russell | Swamplandia | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

Russell Swamplandia

E-Book, Deutsch, 512 Seiten

ISBN: 978-3-0369-9160-3
Verlag: Kein & Aber
Format: EPUB
Kopierschutz: Wasserzeichen (»Systemvoraussetzungen)



Die Familie Bigtree ist weit über Floridas Sümpfe hinaus für ihren Vergnügungspark Swamplandia berühmt. Ava träumte schon immer davon, der große Star der Alligatoren-Show zu werden, doch seit dem Tod ihrer Mutter bleiben die Zuschauer weg. Nachdem erst ihr Bruder, dann ihr Vater aufs Festland verschwunden sind, ist das Mädchen alleine für die Insel und die siebzig Alligatoren verantwortlich - und für ihre ältere Schwester Osceola, die ihr Herz an einen Geist verloren hat. Als auch noch Osceola abhaut, bricht Ava zu einer gefährlichen Odyssee durch den Sumpf auf. Statt gegen Alligatoren kämpft sie nun um ihre Familie und entpuppt sich dabei als wahre Heldin.

Karen Russell, 1981 in Miami geboren, studierte an der Northwestern University in Evanson/Illinois Englisch und Spanisch. Ihre Erzählungen erscheinen u.a. im «New Yorker» und im «Granta Magazine». Ihr Erzählband «Schlafanstalt für Traumgestörte» (2008) war für den «Guardian First Book Award» nominiert, ihr Roman «Swamplandia» (2011) unter den Finalisten für den Pulitzer-Preis. Vom New Yorker wurde sie neben Jonathan Safran Foer, Nicole Krauss und anderen auf die Liste der zwanzig besten Nachwuchsautoren der USA gesetzt, vom Granta Magazine als eine der «Best of Young American Novelists» ausgezeichnet und gewann 2012 den «National Magazine Award for Fiction». 2013 erschien ihr neuster Erzählband «Vampire im Zitronenhain». Karen Russell lebt in New York.
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KAPITEL EINS Der Anfang vom Ende Unsere Mutter trat bei Sternenlicht auf. Ich habe nie erfahren, wessen Einfall es war – vermutlich Chief Bigtrees, und die Idee war gut –, das Rampenlicht zu löschen, sodass der Mond unangefochten, gestochen scharf über den Himmel wanderte; das Mikro auszuschalten; die metallenen Lider der Scheinwerfer geschlossen zu lassen, damit die Touristen auf der Tribüne die Dunkelheit unserer Insel auskosten konnten; dem gesamten Stadion die Gelegenheit zu geben, gemeinsam mit dem Star von Swamplandia, der weltberühmten Alligator-Ringerin Hilola Bigtree, tief einzuatmen. Viermal die Woche erklomm unsere Mutter in einem grünen Zweiteiler die Leiter am Rande der Alligatorengrube, blieb an der äußersten Kante des Sprungbretts stehen und sog scharf die Luft ein. Bei Wind umwehte das lange Haar ihr Gesicht, während sie reglos verharrte. Die Nächte im Sumpf waren stockfinster und sternenübersät – unsere Insel lag fast fünfzig Kilometer vom Lichternetz des Festlands entfernt –, und obwohl man mit bloßem Auge den runden Punkt der Venus und die haarfeinen Saphirfäden der Plejaden ausmachen konnte, war der Körper meiner Mutter nur als schemenhafter Umriss vor den Palmen erkennbar. Irgendwo direkt unter Hilola Bigtree schoben Dutzende von Alligatoren die furchteinflößenden spatenförmigen Köpfe, die mit eiszapfenförmigen Zähnen bewehrt waren, durch die elftausend Liter Filterwasser. Das tiefe Ende des Beckens – die schwarze Ecke, wo Mom ins Wasser sprang – war acht Meter zwanzig tief; an der flachsten Stelle brandete die gerade mal zehn Zentimeter tiefe Brühe an kupferroten Sand. In der Mitte der Grube erhob sich eine etwa zehn Quadratmeter kleine, aus dem Kalkbett gebaggerte Insel; tagsüber krochen dort bis zu dreißig Alligatoren über- und untereinander, bildeten einen lebenden Berg und sonnten sich. Das Stadion rings um die Alligatorengrube bot Platz für 265 Touristen. Acht abgestufte Sitzreihen umgaben das eingezäunte Becken; auf den vorderen Plätzen war man auf Augenhöhe mit den Alligatoren. Meine ältere Schwester Osceola und ich sahen uns die Show unserer Mutter von der Tribüne aus an. Wenn Ossie sich vorbeugte, tat ich es ihr gleich. An den Eingang zur Alligatorengrube hatte unser Vater – der Chief – ein Schild aus Kistenbrettern genagelt: ZUSCHAUER IN DER ERSTEN REIHE WERDEN GARANTIERTNASS! Gleich darunter hatte meine Mutter mit ihrer kleinen, energischen Schrift hinzugefügt: IRGENDWER KÖNNTE VERLETZT WERDEN. Auf den Tribünen verlagerten die Touristen das Gewicht von einer Pobacke zur anderen, schlugen nach den allgegenwärtigen Moskitos und zupften sich die Khakishorts und gemusterten Kaufhausröcke von den verschwitzten Schenkeln. Drängelnd und fluchend ermahnten sie einander, still zu sein; Paare hatten die blassen Beine ineinander verschränkt, Bier wurde verschüttet und Kinder weinten. Schließlich gab der Chief das Zeichen für die Musik. Fanfaren ertönten aus unseren klobigen, altmodischen Lautsprechern, und das riesige blinde Auge des Verfolgerscheinwerfers irrte suchend über die Palmwedel, bis es Hilola fand. Plötzlich war sie nicht mehr unsere Mutter. Ruhm legte sich wie ein Schleier über sie – »Ladys und Gentlemen, Hilola Bigtree!«, rief Dad ins Mikro. Kurz bevor sie sprang, standen ihre Schulterblätter hervor wie Flügel. Die Wasseroberfläche war mit mächtigen grauen und schwarzen Körpern gespickt. Hilola Bigtrees Sprung erforderte ungeheure Präzision, noch in der Luft musste sie winzige Korrekturen vornehmen, um den Alligatoren auszuweichen. Der Scheinwerfer des Chief warf einen hellen Raureif aus Licht auf die trübe Brühe, und in diesem Kreis schwamm meine Mutter einmal durch das gesamte Becken. Menschen schrien auf und zeigten mit den Fingern, wenn sich ein Alligator zu ihr gesellte: ein kräftiger Schwanz, der urplötzlich den Lichtkegel durchschnitt, oder eine piekförmige Schnauze, die neben ihr auftauchte. Unsere Mutter schwamm ungerührt weiter, streifte hier und da den Rand des Scheinwerferkegels, als wolle sie die Grenzen eines schwimmenden Pferches erkunden. Die Wasseroberfläche kräuselte und wellte sich wie schwarze Seide. Mit kräftigen Zügen durchpflügte Hilola das Becken; man hörte das Klatschen ihrer eintauchenden Arme und wie sie nach Luft schnappte. Dann und wann blitzte ein rot glühendes Augenpaar im weißen Licht auf, das der Chief über die Grube gleiten ließ. Drei, vier endlose Minuten vergingen, bis sie mit einem weithin hörbaren Keuchen das Geländer am östlichen Bühnenrand packte. Wir alle atmeten mit ihr auf. Unsere Bühne war nichts Besonderes, bestand nur aus ein paar Zypressenbrettern auf ein Meter achtzig hohen Pfählen über der Alligatorengrube. Hilola Bigtree stieg aus dem Becken. Sie schlang die zitternden Arme um ihren Bauch, spuckte Wasser aus und winkte kurz. Die Menge tobte. Wenn der Scheinwerfer sie zum zweiten Mal fand, war Hilola Bigtree – die »Sumpf-Zentaurin« – verschwunden. Unsere Mutter war wieder sie selbst: lächelnd, braungebrannt und muskulös. Etwas fülliger um Taille und Hüften als auf den ersten Postern, so scherzte sie selbst oft gern, aber schließlich hatte sie seitdem drei Kinder zur Welt gebracht. »Mom!«, schrien Ossie und ich, während wir um den die Grube umgebenden Drahtzaun über den nassen Zement zu ihr liefen, bevor die Autogrammjäger uns abdrängen konnten. »Du hast gewonnen!« Meine Familie, der Bigtree-Stamm von den Ten Thousand Islands, lebte einst auf einer vierzig Hektar großen Insel vor der Südwestküste Floridas, an der Golfseite des Großen Sumpfs. Lange Jahre war Swamplandia in der Umgebung der führende Alligator-Themenpark mit Sumpfcafé gewesen. Wir pachteten eine teure Werbetafel an der Interstate südlich von Cape Coral: BESUCHEN SIE DEN »SETH«, REISSENDE BESTIE UND URZEITMONSTER DES TODES!!! Wir nannten all unsere Alligatoren Seth, denn Chief Bigtree pflegte zu sagen: »Tradition ist so wichtig, Kinder, wie Werbematerial teuer ist.« Das Plakat zeigte den Seth, einen knapp drei Meter langen Alligator. Das aufgerissene Maul war innen rosig wie eine Fechterschnecke; die Schuppen glänzten schwarz und feucht. Wir Bigtrees knien der Größe nach angeordnet im Halbkreis um das Urzeitmonster herum: mein Vater, mein Großvater Sawtooth, meine Mutter, mein älterer Bruder Kiwi, meine Schwester Osceola und zum Schluss ich. Unser Haar ist zu Zöpfen geflochten, und wir tragen Indianerkostüme, Leihgaben aus dem Bigtree-Souvenirladen: Hirschlederwesten, mit Federn von Kanada- und Silberreihern verzierte Stirnbänder aus Stoff, deren dicke Perlen uns in die Stirn hängen, Alligator-»Reißzahn«-Ketten. Obwohl kein Tropfen Seminolen- oder Mikasuki-Blut durch unsere Adern fließt, verkleidete uns der Chief für Fotos immer als Indianer. Er sagte, wir seien »ein eigener Stamm«. Unsere Mutter hatte einen toastbraunen Teint, sodass ein Tourist sie mit zusammengekniffenen Augen für eine Indianerin halten mochte – und auch Kiwi, Grandpa Sawtooth und ich nahmen schnell Farbe an. Nur meine Schwester Osceola war schneeweiß zur Welt gekommen – ihre Haare und Haut waren nicht einfach nur hell, sondern Frost pur, mit Augen, die zwischen Kastanienbraun und Violett changierten. Sie sah aus wie ein helleres Spiegelbild unserer Mutter. Bevor wir für das Plakatfoto posierten, schminkte unsere Mutter sie mit Rouge aus dem Drugstore. Der Chief sorgte dafür, dass sie im Schatten eines Baumes stand. Kiwi scherzte gern, sie erinnere ihn an eines der todgeweihten Geschwister auf Wildwest-Daguerreotypien, bei denen man denkt: Oh Gott, beeilt euch mit dem Foto, das Mädchen macht es nicht mehr lange. Unser Park beherbergte in der Grube 98 gefangene Alligatoren. Außerdem hatten wir den Reptilien-Lehrpfad, einen drei Kilometer langen, durch Everglades-Palmen und Sägegras führenden Bohlensteg, den mein Großvater zusammen mit meinem Vater entworfen und angelegt hatte. Dort konnte man Kaimane bewundern, Ganges-Gaviale, Burmesische und Afrikanische Pythons, alle möglichen Laubfroscharten und einen Bau voller Rotbauchschildkröten und welker Prunkwinden, außerdem ein seltenes Kuba-Krokodil namens Methusalem – ein Kroko, das es so geschickt verstand, einen Baumstamm nachzuahmen, dass es sich in meinem Beisein nur einmal bewegte, nämlich als sein Maul aufklappte wie ein Koffer. Wir hatten auch ein Säugetier, Judy Garland, eine kleine, immer kahler werdende Florida-Braunbärin, die als Junges von meinen Großeltern gerettet worden war, denn damals streiften Bären noch frei durch die Pinienwälder der nördlichen Sümpfe. Judy Garlands Fell hatte Ähnlichkeit mit einem angekokelten Teppich – mein Bruder behauptete, sie leide an einer Bärenversion von kreisrundem Haarausfall. Sie hatte...


Jakob, Simone
Karen Russell, 1981 in Miami geboren, studierte an der Northwestern University in Evanson/Illinois Englisch und Spanisch. Ihre Erzählungen erscheinen u.a. im «New Yorker» und im «Granta Magazine». Ihr Erzählband «Schlafanstalt für Traumgestörte» (2008) war für den «Guardian First Book Award» nominiert, ihr Roman «Swamplandia» (2011) unter den Finalisten für den Pulitzer-Preis. Vom New Yorker wurde sie neben Jonathan Safran Foer, Nicole Krauss und anderen auf die Liste der zwanzig besten Nachwuchsautoren der USA gesetzt, vom Granta Magazine als eine der «Best of Young American Novelists» ausgezeichnet und gewann 2012 den «National Magazine Award for Fiction». 2013 erschien ihr neuster Erzählband «Vampire im Zitronenhain». Karen Russell lebt in New York.

Russell, Karen
Karen Russell, 1981 in Miami geboren, studierte an der Northwestern University in Evanson/Illinois Englisch und Spanisch. Ihre Erzählungen erscheinen u.a. im «New Yorker» und im «Granta Magazine». Ihr Erzählband «Schlafanstalt für Traumgestörte» (2008) war für den «Guardian First Book Award» nominiert, ihr Roman «Swamplandia» (2011) unter den Finalisten für den Pulitzer-Preis. Vom New Yorker wurde sie neben Jonathan Safran Foer, Nicole Krauss und anderen auf die Liste der zwanzig besten Nachwuchsautoren der USA gesetzt, vom Granta Magazine als eine der «Best of Young American Novelists» ausgezeichnet und gewann 2012 den «National Magazine Award for Fiction». 2013 erschien ihr neuster Erzählband «Vampire im Zitronenhain». Karen Russell lebt in New York.

Karen Russell, 1981 in Miami geboren, studierte an der Northwestern University in Evanson/Illinois Englisch und Spanisch. Ihre Erzählungen erscheinen u.a. im «New Yorker» und im «Granta Magazine». Ihr Erzählband «Schlafanstalt für Traumgestörte» (2008) war für den «Guardian First Book Award» nominiert, ihr Roman «Swamplandia» (2011) unter den Finalisten für den Pulitzer-Preis. Vom New Yorker wurde sie neben Jonathan Safran Foer, Nicole Krauss und anderen auf die Liste der zwanzig besten Nachwuchsautoren der USA gesetzt, vom Granta Magazine als eine der «Best of Young American Novelists» ausgezeichnet und gewann 2012 den «National Magazine Award for Fiction». 2013 erschien ihr neuster Erzählband «Vampire im Zitronenhain». Karen Russell lebt in New York.


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