E-Book, Deutsch, Band 4, 256 Seiten, Format (B × H): 12 mm x 19 mm
Leitmedien, Liberalismus und Liberalität
E-Book, Deutsch, Band 4, 256 Seiten, Format (B × H): 12 mm x 19 mm
Reihe: Schriften zur Rettung des öffentlichen Diskurses
ISBN: 978-3-86962-532-4
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie steht es also um Liberalismus und Liberalität im öffentlichen Diskurs? Sie stehen unter Druck – und sind Zerreißproben unterworfen: Neoliberalismus, Identitätspolitik, Corona-Krise. Im Mittelpunkt dieser Zerreißproben stehen immer wieder Medien und Journalismus.
Was wissen wir über das Verhältnis von Leitmedien zu Liberalismus und Liberalität? Wie wird über liberale Anliegen oder Parteien berichtet? Wie sehen und empfinden Journalisten ihr Verhältnis zum Liberalismus – und die Liberalität des Berufsfelds? Kann und sollte der Journalismus für mehr Freiheit Partei ergreifen? Und warum hat der "Neoliberalismus" einen so schweren Stand in Redaktionsstuben? Wie ergeht es in diesem medialen Umfeld liberalen Parteien, aber auch der innerparteilichen Streitkultur?
Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes erkunden Antworten auf diese Fragen.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Kommunikationswissenschaften Massenmedien & Massenkommunikation
- Sozialwissenschaften Ethnologie | Volkskunde Ethnologie Kultur- und Sozialethnologie: Politische Ethnologie, Recht, Organisation, Identität
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Ideologien Liberalismus, Libertarismus
Weitere Infos & Material
Christian P. Hoffmann / Stephan Russ-Mohl
Mediale Zerreißproben für den Liberalismus – liberale Zerreißproben für den Journalismus 11
1. LIBERALISMUSSCHWUND UND LIBERALITÄTSVERLUSTE 30
Ulrike Ackermann
Liberalismus unter Druck – die identitäre Herausforderung 31
Thomas Petersen
Die zerrissene öffentliche Wahrnehmung des Liberalismus 37
Jan Schnellenbach
Schimpfwort (Neo-)Liberalismus? 44
Josef Joffe
Hier die Woke-Aktivisten, dort der Wohlfühlstaat 51
Daniel Cohn-Bendit / Claus Leggewie
Pluralität und Toleranz – alte Werte neu entdeckt 59
Margit Osterloh
Das Autoritätsvirus in Politik, Wissenschaft und Medien 63
Heribert Prantl
Grund- und Freiheitsrechte in Quarantäne 69
Bruno S. Frey
Freiheit, Liberalität und Glück 81
2. LIBERALER JOURNALISMUS, LIBERALE JOURNALISTEN? 88
Beatrice Dernbach
Liberalität ist ein grundlegender journalistischer Wert 89
Christian Pieter Hoffmann
Journalismus zwischen politischer Einseitigkeit und Perspektivenvielfalt 98
Uwe Krüger / Holger Pötzsch / Hendrik Theine
Wie neoliberal sind die Medien? 113
Ulf Poschardt
Freiheitsneid unter deutschen Medien 126
Jochen Bittner
Nicht einknicken! Dein Mitbürger, der Unterdrücker 132
Gregor Engelmeier / Fatina Keilani
Identitätsanordnungen. Journalismus für eine postfaktische Gesellschaft 142
Rainer Hank
Journalismus als Erziehungsinstanz? 149
Henrik Müller
Lärmspiralen und andere Ärgernisse. Zur ökonomischen Kompetenz im Journalismus 157
Tim Krieger
Die Schwierigkeit, Ordoliberalismus zu vermitteln 164
3. PARTEIEN UND LIBERALISMUS IN DEN MEDIEN 170
Roland Schatz
Die FDP in den Medien 171
Wolfgang Kubicki
Medienberichterstattung über die FDP – aus der Innensicht 186
Laura Schieritz
Die One-Man-Show als mediales Narrativ 192
Hasso Mansfeld
Wie hältst du es mit dem Zeitgeist? Liberale Politik erfolgreich kommunizieren 199
Peter Unfried
Sind die Grünen parteipolitisch Erben des Liberalismus? 206
Antonia Haufler
Auf dem Rückzug und Vormarsch zugleich: Liberalismus in der CDU 213
Juli Zeh
SPD, Liberalität und Linksliberalismus – ein Interview 220
Sahra Wagenknecht
Auch die Linke braucht Liberalität 224
4. SCHLUSSAKKORD 233
Stephan Russ-Mohl
Der kleine, GROSSE Unterschied. Liberalität im Journalismus, in der Medienforschung – und im Leben 234
Herausgeber 245
Autoren 247
Christian P. Hoffmann / Stephan Russ-Mohl
Mediale Zerreißproben für den Liberalismus – liberale Zerreißproben für den Journalismus
»Warum ist eigentlich immer der ›Neoliberalismus‹ an allem schuld?«, titelte jüngst fragend Rainer Hank, auch Autor eines Beitrags im vorliegenden Band, in der Neuen Zürcher Zeitung. Zahllose sozial- und geisteswissenschaftliche Schriften, Vorträge und Kolloquien, aber auch unzählige Artikel, Analysen und Kommentare in den Massenmedien obduzieren die Verfehlungen des Neoliberalismus: Armut, Klimakatastrophe, Wohnungsknappheit, Rassismus und Sexismus, Austerität, Demographie – kein Übel dieser Welt kann offenbar nicht auf den Neoliberalismus zurückgeführt werden. Auf Twitter macht sich der Ökonom Holger Schäfer regelmäßig den Spaß, öffentlich geäußerte Vorwürfe gegenüber dem Neoliberalismus zu sammeln. Die lange Liste umfasst Schätze wie Körpergeruch, Selbstverwirklichung, Fitness, die 1990er-Jahre und Wiesbaden. Der Neoliberalismus ist heute so etwas wie der Beelzebub der progressiven Gesellschaftskritik – allgegenwärtig, nahezu allmächtig und doch kaum je zu fassen. Als die Herausgeber dieses Bandes mit dem Gedanken zu spielen begannen, ein Werk zum Verhältnis von Journalismus und Liberalismus zu veröffentlichten, raunte ihnen schnell die Warnung entgegen: das dürfe aber nicht in einer Neoliberalismus-Apologetik enden, das zerstöre jede Akzeptanz! Liberalismus ja, Neoliberalismus nein – eine Zerreißprobe. Der kritische Blick auf die öffentliche Debatte macht jedoch schnell deutlich: die Neoliberalismus-Kritik ist heute so weit verbreitet, so universell und ubiquitär, dass sie längst an Sprengkraft verliert. Auch unter Progressiven. Die Ablehnung des Neoliberalismus ist in Kreisen, die sich gerne als kritisch betrachten, so etwas wie eine Höflichkeitsgeste, eine Begrüßungssymbolik, die Zutritt gewährt. Doch hitzige Debatten entbrennen und den Puls in Höhe jagen lässt heute eine andere Herausforderung, die allenfalls ein Derivat der Neoliberalismus-Kritik darstellt: die Identitätspolitik. Die auf Twitter aktiven öffentlichen Intellektuellen rollen allenfalls mit den Augen, wenn mal wieder ein Ordnungsökonom – typisch deutsch! – die Marktwirtschaft verteidigt. Ganz anders, wenn eine Journalistin die Seenotrettung von Flüchtlingen hinterfragt, ein Migrationsforscher die schleppende Integration von arabischstämmigen Einwanderern moniert, eine Soziologin Frauenfeindlichkeit im Islam thematisiert, ein Biologe behauptet, es gäbe nur zwei Geschlechter, oder eine Anzeige impliziert, sportliche Menschen lebten gesünder. Es sind diese Art der Äußerungen, die nach einem identitätspolitischen Muster als frauen-, migranten-, homosexuellen-, behinderten- oder übergewichtigenfeindlich kategorisiert werden können, die intensive und langanhaltende öffentliche Empörung auslösen. Dürfen Social Media solchen Äußerungen eine Plattform bieten (›Hatespeech‹)? Sollen Journalisten sie thematisieren – und wenn ja, in welcher Form? Kritik an einer als schädlich oder gefährlich betrachteten Aussage ist unweigerlich mit dem Nachteil verbunden, dieser Aussage zusätzliche Aufmerksamkeit zu schenken. Wäre totschweigen nicht besser? Für den Journalismus ganz zweifellos: eine Zerreißprobe. Und ebenso für einen Band, der sich mit dem Verhältnis von Journalismus und Liberalismus beschäftigen soll. Er muss sich auch befassen mit Liberalität, mit der Offenheit öffentlich ausgetragener Debatten. Wenngleich wohlmeinende Begleiter der Herausgeber auch hiervon dringlich abrieten. Eine dritte Zerreißprobe ergab sich unerwartet und in tragischer Dimension während der Arbeit am Buchprojekt: die Covid-19-Pandemie. Nicht alle werden sich vermutlich daran erinnern, aber es gab vor dem Frühjahr 2020 eine Zeit, eine kurze, in der der Ausbruch der Epidemie für den Journalismus eine Sachfrage darstellte. Im Mittelpunkt standen Fragen wie: Woher kommt die Erkrankung, wie verbreitet sie sich, welche Folgen hat sie, wie kann man sich gegen sie schützen? Doch allzu schnell wurde die Pandemie befallen von der Politisierung und Polarisierung. Antworten auf Sachfragen wurden zu Glaubensfragen, natur- und sozialwissenschaftliche Argumente wurden zu politischen Bekenntnissen. Und wieder wurde diskutiert: Was sollte auf Social Media veröffentlicht werden dürfen? Was sind gefährliche ›Fake News‹, ja eine ›Infodemie‹? Darf, ja muss der Journalismus politische Maßgaben unterstützen? Inwiefern sollte er Kritik an Regierung, an Verordnungen, an Einschränkungen von Freiheiten Raum geben? Angesichts der zeitweise monothematischen medialen Befassung mit der Pandemie ergab sich so erstaunlich wenig Raum für kontroverse Debatten. Nicht nur das Publikum bekam angesichts schockierender Bilder aus Norditalien und New York Angst – es schien, als hätten auch Journalisten, Experten, Künstler und Politiker Angst, etwas Falsches zu sagen und einem pandemiediskurspolitischen Bannstrahl anheim zu fallen. Dass diese Angst nicht gänzlich unberechtigt gewesen sein mag, zeigte die hitzige Debatte um #allesdichtmachen. Die unter diesem Hashtag veröffentlichte, meist humorvoll intendierte kritische Auseinandersetzung zahlreicher, teils prominenter Künstler mit der Lockdown-Müdigkeit zog eine gewaltige Welle harscher Kritik und ängstlicher Distanzierungen nach sich. An vorderster Front kritisierten nicht selten: Journalisten. Journalismus als Schiedsrichter statt als Moderator des Diskurses? Eine Zerreißprobe. Auch hier blieb die Warnung an die Herausgeber nicht aus: Bloß dieses Thema nicht anfassen, das endet unweigerlich in Verschubladisierung! Niemand möchte schließlich mit ›Covidioten‹ und Verschwörungstheoretikern in Verbindung gebracht werden. Ist es nicht erstaunlich, wie schnell sich ganze Themengebiete ansammeln, die nach wohlmeinendem Rat nicht angesprochen werden sollten, wenn ein Band das Verhältnis von Journalismus, Liberalismus und Liberalität kritisch analysieren will? Gerade bei dieser Zielsetzung stellen allzu viele und allzu leichtfertig umrissene Tabuzonen unweigerlich eine contradictio in adiecto dar. Sind es nicht gerade die Zerreißproben, die uns faszinieren und beschäftigen sollten? Journalismus, wie hältst du es mit… »Haltung bewahren!« Wer konnte seinerzeit ahnen, dass diese konservativ anmutende Aufforderung zum Kern eines der hitzigsten Aufregerthemen der medialen Selbstreflektion der letzten Jahre werden würde. Braucht der Journalismus Haltung? Wenn ja, wieviel – und welcher Art? ›Haltungsjournalismus‹ ist heute in manchen Kreisen ein Schimpfwort vergleichbar der ›Lügenpresse‹. Und dennoch stehen zahlreiche Vertreter der Zunft zur Forderung nach Haltung im Journalismus. Hinter dem schillernden Begriff verbirgt sich dabei alles Mögliche: unverdächtige Überlegungen, wie das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, diskutable Aufforderungen, wie das Vertreten eines individuellen oder organisationalen Wertekanons – man denke etwa an die Grundsätze des Axel-Springer-Verlags –, oder eben der streitbare Einsatz für politische Projekte, wie etwa die ›Willkommenskultur‹. Debatten bleiben meist unfruchtbar, wenn der Gegenstand der Debatte nicht klar definiert ist. So ist es auch beim Haltungsstreit. Sehen manche in journalistischer Haltung ein selbstverständliches Bekenntnis zu Berufsnormen, entdecken andere einen Verrat an genau diesen, eine Aufforderung zu Gesinnungsjournalismus, zu politischem Aktivismus statt distanzierter journalistischer Professionalität. Tatsächlich lässt sich im Fachdiskurs beobachten, wie Experten immer lautstarker gegen Ausgewogenheitsnormen argumentieren (›False Balance‹) und für klare normative Positionsbezüge (›Moral Clarity‹). Die Bewegung des ›konstruktiven Journalismus‹ möchte mehr als nur Probleme diagnostizieren, sie will Lösungsvorschläge unterbreiten. Vor allem jüngere Journalisten sehen nicht nur kein Problem, sondern gar eine Notwendigkeit darin, politische Anliegen wie den Klimaschutz oder die Flüchtlingsaufnahme zu unterstützen. Wenn aber der Journalismus Distanz fallen lässt und Position bezieht, dann stellt sich die Frage: Wo genau findet sich diese Position? Wie tickt der Journalismus, welche Anliegen unterstützt er, welche lehnt er ab? Wo endet Journalismus, und von welchem Punkt an wechselt ein Journalist auf die ›Gegenseite‹, wird de facto Öffentlichkeitsarbeiter und PR-Experte, der bestimmte Anliegen, Persönlichkeiten oder Organisationen fördert? Die Journalismusforschung bietet viele wertvolle Erkenntnisse zu Berufsnormen. Alle paar Jahre mal wird auch mit Hilfe von Umfragen gezeigt, welche politischen Parteien unter Journalisten mehr oder weniger populär sind. Doch insgesamt wissen wir erstaunlich wenig über die politischen Orientierungen im...