Roman
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
ISBN: 978-3-95438-103-6
Verlag: Liebeskind
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Josephine Rowe, 1984 in Queensland geboren, gehört zu den wichtigsten jungen Stimmen der australischen Literatur. Sie lebte mehrere Jahre in den Vereinigten Staaten und in Kanada. Ihre Erzählungen erschienen u.a. bei McSweeney's und in der Paris Review. Josephine Rowe erhielt Arbeitsstipendien der University of Iowa und der Stanford University. 2016 wurde sie für ihre Kurzprosa mit dem Elizabeth Jolley Prize ausgezeichnet, im selben Jahr erschien ihr Debütroman 'Ein liebendes, treues Tier'. Sie lebt in Tasmanien.
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1.
EIN LIEBENDES, TREUES TIER
Es war der Sommer, in dem ein Pottwal krank in die Bucht trieb und tot am Strand von Mount Martha angeschwemmt wurde. Es war der Sommer, in dem die besten Zeichentrickfilme aus dem Programm genommen und durch Golfkriegsberichte in Infrarot-Bildern ersetzt wurden, und in dem deine Mutter sich Sprüche angewöhnte wie Ich war mal wirklich hübsch, wisst ihr? und Mann, war ich mal mutig! Während du gedacht hast, mutig sein heißt, nicht zu heulen, wenn einen die Nachbarstochter mit spitzen roten Fingernägeln in den Arm krallt, bis es zu bluten anfängt und sie selber aufschreit, weil ihr graust. Du warst noch dumm genug, dir einzubilden, das heiße siegen. Ungefähr zu dieser Zeit tauchte dein Onkel Tetch immer öfter in der Garage auf. Am Neujahrsmorgen hast du das Rolltor hinaufgeschoben, um dein Fahrrad zu holen, und da stand er, barfuß neben dem Ölfleck, den das Auto deines Vaters zurückgelassen hatte. Die Garage war bestens aufgeräumt und sah aus wie aus dem Baumarktkatalog. Pass auf, hast du Tetch gewarnt. Hier laufen jede Menge Spinnen rum. Rotrückenspinnen. Weiß ich, sagte er und hielt dir einen seiner Schuhe hin, um dir die zertretenen Spinnenleichen an der Sohle zu zeigen. Ich will nur mein Rad holen. Tetch ging zur Wand, wo das Fahrrad stand, und schob es raus. Ich hab die Klingel repariert, sagte er und ließ sie bimmeln. Bei Onkel Tetch stimmte irgendwas nicht ganz, da waren sich alle einig. Andererseits stimmte bei allen irgendwas nicht so ganz – deine Schwester Lani konnte ihre Beine nicht zusammenhalten, und du hattest diesen Knoten in der Brust, der einfach nicht verschwinden wollte. Das seien nur Wachstumsschmerzen, wurde dir versichert, der Knoten ginge bestimmt bald weg; Tatsache war, dass er immer fester wurde. Und dann auch noch Belle, die arme Hündin. Was mit Belle passierte, war einfach nicht fair. Als dein Vater fortging – Anfang Dezember, wenn die Sommersprossen wiederkommen und die Küche nach Insektengift stinkt –, schickte Tante Stell eine Postkarte, auf der stand: Es ist besser, geliebt zu haben und zu verlieren, als für immer mit einem Irren zusammenzuleben. Deine Mutter fand das so gut, dass sie die Karte auf den Kühlschrank stellte, und dort stand sie bis nach den Feiertagen, die kleinste ihrer kleinen Racheaktionen, zwischen lauter Weihnachtskarten mit Schnee, Rentieren und Kamelen. Die Karte steht übrigens noch immer da, einsam und diskret stolz der hektischen Entweihnachtung des Hauses trotzend. Deine Schwester und du, ihr habt den ganzen Vormittag Lametta und Lichterketten aufgewickelt und Kunstschnee von den Fensterscheiben gekratzt, während Lani sich beschwerte: Warum! Scheiße! Müssen immer wir das machen? Mum würdigt sie keines Blickes. Du weißt ganz genau, warum, sagt sie. Weil es Unglück bringt, wenn man es nicht wegräumt. Ru beschwert sich nicht, oder, Ru? (Nein.) Lani lässt den Schaber fallen. Ha, sagt sie. Unglück. Als könnte es uns noch beschissener gehen als sowieso schon. Und Ru beschwert sich nur deswegen nicht, weil ihr nichts Besseres einfällt. Müsste jemand in ihrem Alter nicht Hobbys haben? So, wie sie das sagt, klingt es nachgeplappert, sicher hat sie es von jemand Älterem übernommen. Grandma Mim vielleicht. Dabei hast du sehr wohl Hobbys. Sie sind bloß nichts zum Vorzeigen. Ru hat eine lebhafte Innenwelt, nicht wahr, Schatz? Mum zitiert deine Kunstlehrerin, wörtlich. Deine Schwester schüttelt den Kopf und wendet sich wieder dem künstlichen Raureif zu. Genau, eine lebhafte Innenwelt … Was soll das denn heißen? Das heißt, mach nur weiter so, Mädchen. Du wirst schon sehen, was passiert. Ru, Liebes, kannst du mir mit diesen Weihnachtsmännern helfen? Ich weiß nicht, warum wir uns überhaupt die Mühe machen, sagt Lani, leise genug, dass nur du es hörst, während du vom Stuhl steigst, um Mum die Deko abzunehmen. Sie hat recht – mal abgesehen vom Fahrrad, war Weihnachten auch nicht viel anders als sonst: lahme Knallbonbon-Sprüche und Herumstochern in kalt gewordenem Grillhähnchen von Safeway, während im Wohnzimmer der Fernseher trübsinnig vor sich hin murmelt. Rotes und goldenes Lametta um die Antenne gewickelt, machte die Sache nur schlimmer. Aber du sagst nichts. Sollen sie es doch miteinander ausmachen. Sollen sie wie Katzen übereinander herfallen, wenn es ihnen Spaß macht. Sobald du die ganzen Silberglasnikoläuse in ihre zerbröselnden Styroporsärge gepackt hast, gehört der Rest des Tages dir. Jetzt steht Tetch in der Garage und sieht zu, wie du das Fahrrad über die sommerblonde Stoppelwiese schiebst. Toll fand er seinen Namen nie, das ist klar, aber er beschwert sich auch nicht. Du nimmst dir vor, ihn in Zukunft Les zu nennen, aber das ist gar nicht so einfach. Okay, hat deine Mutter mal gesagt. Tetch mag nicht so schlau sein wie sein Bruder. Dafür ist er aber auch nicht so gemein. Er ist ein bisschen jünger als dein Vater, und er hat nur acht Finger – die beiden Zeigefinger hat er sich abgesäbelt, um nicht nach Vietnam zu müssen. Ohne Schießfinger kann man nicht schießen. Die meisten Leute halten ihn wegen dieser Fingersache für einen Feigling, aber deine Mutter sagt, sie wüsste nicht, welcher Feigling in der Lage wäre, sich mit einer Bandsäge oder was eigenhändig zwei Finger abzuschneiden. Was er sich selber dabei dachte, keine Ahnung – sein Geburtsdatum war gar nicht ausgelost worden. Sonst aber ist er harmlos. Täte keinem Tier was zuleide, außer um es zu erlösen, wie er es mal mit einem Fuchs gemacht hat, einem kleinen räudigen, der vor Juckreiz ganz wahnsinnig war. Heutzutage will er sich nur noch nützlich machen, hängt in der Garage rum und repariert Fahrradklingeln und so. Du hast dir zu Weihnachten gar nichts von ihm gewünscht, aber er hat ein gebrauchtes Malvern Star aufgetrieben, frisch gestrichen in Flaschengrün, ohne klappernden Kinderkram in den Speichen. Es ist das beste Nichtlebewesen, das du je besessen hast, und du fährst einhändig, legst die Hand genau in die Mitte zwischen die Hörnchen, als wäre es ein liebendes, treues Tier. Ein liebendes, treues Tier, das hat Dad immer über Belle gesagt. Es wird dir immer noch schlecht, wenn du an die Fellfetzen im Garten denkst, bis zum Zaun hin verstreut, so wie man manchmal ein zerfleischtes Kaninchen sieht oder ein Possum, aber nie einen Hund. Das war das Letzte, was ihr vier gemeinsam getan habt, eine grauenhafte Schnitzeljagd – Belles Reste einsammeln. Es war Dad, der das Ohr fand, ein einzelnes Ohr unter der Magnolie. Mit Seidenfell und völlig intakt, so perfekt, dass man am liebsten hineingesprochen hätte, als könnte sie noch hören, wie furchtbar sie vermisst wurde. Dad hob das Ohr ganz vorsichtig auf. Er hielt es in der flachen Hand und betrachtete es, und du hast seine Schultern zucken sehen; das hatten seine Schultern noch nie getan. Dann drehte er sich schnell um und marschierte ins Haus zurück. Er hatte Belle unter der Pyalong-Brücke gefunden, als sie noch ganz winzig gewesen war. Vielleicht hat ein Fuchs sie erwischt. Das sagte Karlee Howard mit den spitzen roten Fingernägeln. Quatsch. Mit einem Fuchs wäre Belle spielend fertiggeworden. Du weißt, was es war. Natürlich hast du gesehen, wie es schwarz und geduckt in dem Meer aus hohem gelbem Gras kauerte. Es entzieht sich mühelos dem Zielfernrohr der Farmergewehre, der Känguruschützen. Erwischt wird es allenfalls mit einer Kamera, am unscharfen äußersten Bildrand: ein schmaler Schemen, ein aufblitzender Schwanz. Obwohl Wissenschaftler und Großwildjäger mit Zelten und Fallen hinter ihm her sind. Diese Kreatur ist viel zu gewitzt, es meidet ausgelegte Schlingen und bewegt sich so leichtfüßig, dass es selten tief genug in die Erde einsinkt, um einen Fußabdruck, ja irgendeine Spur zu hinterlassen. Seine Losung vergräbt es offenbar. Die Spurensicherung ergibt nichts als ein paar Gras- und Haarproben, Gewebe aus den aufgerissenen Bäuchen massakrierter Haustiere. Ungenügende Beweislage. Panther nennen es die Einheimischen. Du weißt, dass es nicht der Panther deines Vaters ist, der während des Kriegs in einer Lattenkiste aus Sumatra hergebracht wurde, weil seine Mutter abgeknallt worden war, aus Angst oder Vergnügen. Ein Panther lebt, wenn er Glück hat, zwanzig Jahre, und dieses Pantherjunge aus Sumatra hatte kein Glück – natürlich nicht –, erst verlor es die Mutter, und dann wurde es eingefangen und nach Australien geschmuggelt, wo es ein einsames Maskottchendasein auf dem Militärgelände Puckapunyal führen musste. Es muss schwach geworden sein, zu Tode gelangweilt auf diesem Stützpunkt, wo es andauernd hinter Gittern saß. Sicher fragte es sich, wo seine Artgenossen waren, wann sie es...