50 Fragen zu Sterben, Tod und Bestattung
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-641-27978-3
Verlag: Gütersloher Verlagshaus
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Für David Roth ist Bestatter-Sein der schönste Beruf der Welt. Für viele Menschen wäre das undenkbar, denn ihnen fällt es schon schwer, einfach nur über den Tod zu sprechen. David Roth ist jedoch davon überzeugt, dass es einen positiven Einfluss auf das Leben hat, wenn man sich hin und wieder mit dem Tod beschäftigt, wenn man nicht die Augen verschließt und das Unabwendbare verdrängt. Denn: Sterben müssen wir alle einmal.
Er erlebt in seiner Praxis oft Fragen, wie z.B.: Kann man an Trauer sterben? Ist da wirklich ein Licht? Tut Sterben (immer) weh? Dürfen Bestatter weinen? Darf man auf dem Friedhof grillen? Oder: Darf man Abschiedsgeschenke in den Sarg legen?
50 der erstaunlichsten Fragen, die in diesem Zusammenhang gestellt werden können, beantwortet David Roth in diesem Buch einfühlsam, lebensnah, praktisch und manchmal auch überraschend humorvoll.
Ein Buch für alle, die sich für das Thema Tod und alles, was damit zusammenhängt, interessieren und mehr wissen wollen!
Autoren/Hrsg.
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SOLL MAN MIT STERBENDEN ÜBER DEN TOD REDEN? Auf diese Frage kann es nur eine persönliche Antwort geben. Mein Gesprächspartner Klaus Reichert und ich möchten mit Ihnen unsere Erinnerungen an die letzten Gespräche, das Sterben und den Tod unserer Väter teilen. David, darf man schwerstkranken Menschen sagen, dass sie bald sterben werden? Ja. Es ist hart, aber ich glaube, das ist auch ganz wichtig. Sich der Tatsache zu stellen, dass es nicht immer gut gehen wird, dass Menschen einfach sterben. Vielleicht reden wir über unsere eigenen Erfahrungen. Mein Vater war zum Beispiel nicht bereit, sich in irgendeiner Form mit uns über dieses Thema zu unterhalten, bis er dann eines Tages tot in seinem Badezimmer lag. Er war schwerer Alkoholiker und ihm war anzusehen, dass das nicht mehr allzu lange gehen wird. Sein Zustand wurde immer schlechter. Wann auch immer wir auf das Thema zu sprechen kamen, wehrte er ab: Nein, ich habe nur eine Grippe, nur eine Erkältung. Er hatte dann Ausfallserscheinungen an den Füßen, konnte nicht mehr richtig laufen, mit den Händen konnte er nicht mehr richtig greifen. Er hat dieses Thema völlig verdrängt. Als er tot im Badezimmer lag und ich ihm ins Gesicht gesehen habe, hatte ich das Gefühl: Er war überrascht, dass er sterben musste. Bei meinem Vater war es etwas anders. Er war ein kleiner Hypochonder wie ich und hat trotz all seiner Energie sehr genau gesehen, dass sich etwas verändert hat. Er ist zu den Ärzten gegangen, weil eine Erkältung nicht mehr aufhören wollte, und hat dadurch relativ früh erfahren, dass er Krebs hatte. Dann kam eine sehr bewusste Auseinandersetzung. Das gipfelte darin, dass er in der Sendung »Kölner Treff« bei Bettina Böttinger offen gesagt hat, dass er todkrank sei. Zu der Zeit wusste er von einem Freund mit der Diagnose Krebs, allerdings ein Krebs, der sich nicht so schnell entwickelte wie in seinem Fall. Wir waren damals in einer Phase, in der wir ohnehin viel miteinander gesprochen haben, weil es um Nachfolge ging. Das haben wir eigentlich zehn Jahre lang gemacht. Aber am liebsten sprach er darüber, was er noch alles tun möchte. Er hat uns immer damit gedroht, dass er bis 95 im Büro bleibt. Ab und zu hatte er dann Phasen, in denen er sagte: Jetzt ist auch mal genug, im nächsten Jahr werde ich ein Jahr lang reisen und so etwas. Das hat er dann doch nicht gemacht. Für uns war es die reinste Achterbahnfahrt, die geprägt war von Miteinander-Sprechen, aber auch einem gewissen Unglauben, ob das wirklich geschehen würde. Später kamen dann immer heftigere Behandlungen, die er vorher vielleicht abgelehnt hätte und die dann so schleichend auf ihn zukamen. Zum Beispiel eine Art Dialyse, die für seine Leber und Nieren gemacht wurde. Irgendwann ist es mir schon so gegangen, dass ich es einfach nicht mehr ausgehalten habe, wenn er über tausend triviale Sachen gesprochen hat und gar nicht absehbar war, was passieren wird und wie es mit ihm weitergeht. Für mich war klar: Das wird so nicht mehr weitergehen und es geht leider in eine klare Richtung. Nachdem ich dann mit einem der Ärzte geredet hatte, habe ich ihn darauf angesprochen, wie er das eigentlich sieht? Mir war klar: Wenn ich jetzt nicht mit ihm über dieses Thema spreche, kann ich das in zwei Monaten garantiert nicht mehr tun. Das war für mich sehr hart, weil ich diese fortschreitende Entwicklung miterlebt habe. Es wurde immer schwieriger, er wurde immer schwächer, die Behandlungen wurden immer weniger aussichtsreich. Dann kam dieser Punkt, wo man immer hört: »Du musst jetzt kämpfen!« Und wo ich das Gefühl hatte nach dem Gespräch mit ihm, dass er es auch akzeptiert hatte und die Entwicklung dann immer schneller ging. Wie hast du diese Situation erlebt, dass jemand tatsächlich begreift: Mir ist nicht mehr zu helfen? Fritz, dein Vater, hatte Leberkrebs. Das ist eine Diagnose, mit der schlagartig der endende Horizont sichtbar wird, weil es kaum Heilungschancen gibt. Nur die Möglichkeit, das Leben noch ein bisschen zu verlängern. Aber wenn ich mich richtig erinnere, ist vom Moment der Diagnose bis zu seinem Tod nicht einmal ein Jahr vergangen. Ja, so war es. Es gibt viele Geschichten, in denen es trotz allem gut ausgehen kann. Es ist vielleicht nicht so ein krasses Todesurteil wie Bauchspeicheldrüsenkrebs zum Beispiel. Es gibt Statistiken für alles und jenes und auch neue, innovative, hochgefährliche Behandlungsmethoden. Die Crux an dem Ganzen ist, dass er gar nicht so krasse Einschränkungen hatte wie andere in der Zeit. Das war für ihn sicher ein Riesenglück. Er hatte nicht diese unerträglichen Tumorschmerzen, wurde zwar ein bisschen schläfriger, aber er hatte einfach immer viel Energie. Von außen sah es weiter so aus, dass er mit ganz großer Energie alle seine Ziele und Themen weiterverfolgt. Wenn die Leute wegguckten, musste er sich dann aber auch mal einen Moment hinlegen. Ich erinnere mich noch daran, dass er zwei oder drei Wochen vor seinem Tod bei Günther Jauch in der Talkshow saß. Man sah ihm an, dass er nicht gesund war, dass da ein schwerkranker Mann sitzt. Aber dass es dann so schnell gehen würde, damit hat gar keiner gerechnet, oder? Das konnte keiner fassen, viele waren fassungslos, als sie das gehört haben. Direkt nach dieser Sendung ist er am nächsten Morgen das letzte Mal ins Krankenhaus gegangen, und hat es bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen. Er hat per SMS oder Telefon noch Leute zu sich bestellt, auf einen Kaffee oder dieses und jenes. Das erlebe ich auch im Alltag, wenn ich mit Angehörigen spreche, dass Leute, die auf einmal bettlägerig werden, dies für eine Episode halten. Woran kann man erkennen, ob jemand bereit ist für ein Gespräch über den nahenden Tod? Ich konnte mit meinem Vater nie ein solches Gespräch führen. Wann immer ich versucht habe, in irgendeiner Form mit ihm darüber zu sprechen, hat er das total abgeblockt. Ich denke, wir sehen eine Art Signale. Ich hatte eher das Gefühl, dass da ein Widerstand auf der anderen Seite ist. Es ist ein Finden des stimmigen Moments, so ähnlich, wie wenn man einem Menschen sagt, dass man ihn liebt. Da kommen tausend Faktoren. Das Schwierige ist, dass es immer die unausgesprochenen Gedanken auf beiden Seiten gibt, die man dem anderen nicht zumuten mag, diese verborgenen Welten. Ich glaube, irgendwann braucht es ein Bekenntnis. Soll man jemanden auffordern, darüber zu reden, oder lieber warten, bis jemand damit kommt? Wie war es bei dir? Hat dein Vater das Gespräch mit dir gesucht oder bist du auf ihn zugegangen? Ich bin auf ihn zugegangen. Ich glaube, es gibt dafür kein richtig und falsch. Man sollte sich der Situation und der Gefühle sicher sein, dann kann man es nur versuchen. Das Leben ist nichts für Angsthasen. Ich muss auch realistisch und ehrlich damit umgehen und ich kann keinen Menschen dazu zwingen. Bei meinem Opa war es ganz ähnlich wie bei deinem Vater. Er hat kurz mitbekommen, dass er den ganzen Körper voller Metastasen hatte, und genau einmal gesagt: Oh, dann habe ich wohl Krebs. Danach war das Thema für ihn gegessen. Er wollte in die Kneipe gehen, zu seinen Freunden, solange es nur irgendwie geht. Er wollte leben. Das sehe ich auch nicht als verkehrt an. Die gesamte Familie wusste über drei Jahre hinweg, in welche Richtung das geht. Wann hattest du bei deinem Vater das Gefühl: Er weiß, dass die Situation sich nicht mehr ändern wird? Wann war er sich wirklich bewusst: Jetzt sterbe ich? Ganz spät, erst zwei Tage vor seinem Tod. Es gab indirekte Zeichen, zum Beispiel hat er uns nicht mehr in irgendwelche Restaurants geschickt, um ihm was zu essen zu holen. Das ließ sogar schon ein paar Wochen vorher nach. Dann ließen auch seine Aktivitäten nach, er verließ kaum noch das Zimmer und hatte kaum noch Lust, mal eine Runde über die Station zu gehen oder das Gebäude zu verlassen, daran war schon gar nicht mehr zu denken. Irgendwann hat er dann die Offensive gesucht und uns alle um fünf Uhr morgens angerufen und zu sich bestellt. Seine Geschwister, meine Schwester und ihren Mann, mich und meine Lebensgefährtin und die Kinder. Dann wurde es so richtig typisch für ihn: Ganz melodramatisch hat er aus seinem Bett heraus jedem einzelnen gute Worte mitgegeben, so etwas wie Privataudienz gehalten. Nachdem das geschehen war, war es für ihn auch gut, dann wäre er gerne gestorben, wie auf dem Bild von Carl Spitzweg mit dem Künstler, der in der Mansarde liegt. Das hatte durchaus komische Züge. Wir durften dann alle wieder zu ihm kommen, haben noch einmal mit Getränken und Keksen angestoßen und versucht, das Schönste aus diesem Moment zu machen. Der Moment wurde dann lang: Der Tag ging langsam zu Ende und die Kinder, die wir mitgebracht hatten, mussten wieder nach Hause und ins Bett. Man stirbt nicht, wenn man das will, sondern wenn es so weit ist. Jedenfalls kam nicht dieser sanfte Übergang. Und wie seid ihr damit umgegangen? Habt ihr in der Familie darüber gesprochen, oder hast du dir jemanden gesucht, einen Trauerbegleiter, der dir quasi professionelle Hilfe geben konnte? Ich habe keine Trauerbegleitung für mich in Anspruch genommen, weil ich das mit meinem Umfeld machen konnte, mit meiner Lebensgefährtin, mit meiner Mutter, mit meinen Kindern, meinen Tanten, meiner Schwester, ihrem Mann. Es gab immer wieder Momente, wo wir darüber gesprochen haben. Und es gab in meinem Gefühl die Zwiesprache mit ihm, mit der Situation, mit dem, was ich da erlebt hatte, als ich ihn fast dazu gezwungen habe, mit mir darüber zu sprechen. Was ist, wenn du stirbst? Und er konnte dem nicht wirklich ausweichen, ich saß da, er lag da. Er hätte mich nur aus dem Zimmer werfen können. Es passierte ganz viel in dieser Zeit, was ich...