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E-Book, Deutsch, 380 Seiten

Rotermund Nach dem Rundfunk

Die Transformation eines Massenmediums zum Online-Medium

E-Book, Deutsch, 380 Seiten

ISBN: 978-3-86962-558-4
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Medien haben ihre geschichtliche Zeit. Die Massenmedien, darunter der Rundfunk, also Radio und Fernsehen, haben den Zenit ihrer Bedeutung für die private und öffentliche Kommunikation überschritten. Die Praxis dieser linearen Medien genügt den Anforderungen einer Netzwerkgesellschaft nicht. Das Buch zielt darauf ab, Interventionsmöglichkeiten aufzudecken, die eine verspätete Transformation des Rundfunks dennoch möglich machen.

Die Untersuchungen gliedern sich in vier Schwerpunkte und Perspektiven: Der Medienwandel ist in der Sicht des Autors nicht auf technische und ökonomische Innovationsprozesse (Digitalisierung) beschränkt. Neuen Gewohnheiten und Wahrnehmungsweisen wird das massenmediale Prinzip der dialogfreien Verbreitung nicht gerecht. Auch die Leitideen der gesetzgeberischen Regulierung der Medien sind an historische Formationen angelehnt, deren Gestalt sich weitgehend verändert hat. Organisation und Management von Rundfunkmedien halten an ihrer Orientierung am linearen Verbreitungsparadigma fest. Die dialogischen Strukturen digitaler Umgebungen stellen jedoch speziell an journalistische Medien neue Anforderungen. Ein unverkürztes Verständnis von Public Value adressiert neben Medieninhalten auch Prozesse der Produktion, der Verwaltung und des Managements von Unternehmen mit gemeinwohlorientiertem Anspruch. Deren Akzeptanz ist permanent auszuhandeln. Das abschließende Kapitel sammelt Argumente für Szenarien des Nichtgelingens und des Gelingens einer Transformation des Rundfunks.
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Autoren/Hrsg.


Weitere Infos & Material


Vorwort
Danksagung
1. Medienwandel
Epochenenden
Massenmedien seit 1900
Disruptionen
Digitalisierung und Konvergenz
Die nächste Gesellschaft
2. Regulierung
Rundfunk als Staatsaufgabe
Rundfunkrecht nach 1945
Leitideen der Rundfunkfreiheit
Breitenwirkung, Aktualität, Suggestivkraft
3. Organisation
Strukturen
Inhalte
Datenmanagement
Crossmedialität
Aspekte der Transformation
4. Public Value
Mark Moore
Gemeinnützige Medien
Drei Dimensionen des Public Value
5. Szenarien
Sackgassen
Auswege
6. Literatur
Allgemeine Literatur
Gerichtsurteile
Gesetze und Staatsverträge


Zeitungen Auch die Kommunikation zwischen Abwesenden erzeugt sozialen Sinn. Diese Sicht hat der Historiker Rudolf Schlögl überzeugend dargestellt. Er betont, dass es sich dabei um eine Wechselwirkung und keine linear-kausale Beziehung handelt: »Die mediale Gestalt einer Gesellschaft und damit die soziale Gestalt ihrer Medien sind Emergenzphänomene, die aufeinander verweisen und sich auch gegenseitig voraussetzen, aber sich in relativer Selbständigkeit entfalten« (SCHLÖGL 2014: 14). Das durch permanente Konversation aufrechterhaltene Kommunikationsuniversum bezieht auch aktuelle Druckerzeugnisse ein, die zu wesentlichen Quellen der Konversation werden. Ende des 19. Jahrhunderts wandelte sich die Presse zum Massenmedium, wobei sie ihrem Publikum eine zweischneidige Erfahrung vermittelt. Sie erschließt durch ihre Berichtsfragmente neue Kontinente des Geschehens und des Wissens, verunsichert damit jedoch die vorhandenen Weltbilder der Rezipienten. Da die Zeitungen die täglichen Neuigkeiten liefern wollen und müssen, gelingt es ihnen unter keinen Umständen, diese selbst zu einem täglich aktualisierten Angebot eines Weltbilds zusammenzufügen. Kommentare und gelegentliche Hintergrundberichte machen entsprechende Angebote, aber ersetzen den Lesern nicht die Mühe, die vorhandene Irritation über das ungeahnte Neue zu bekämpfen und einen Zugang zu ihm zu finden. Entscheidende Beiträge hierzu leistet die direkte Kommunikation in kleinen und kleinsten sozialen Gruppen. Für Zeitungen gilt von Anfang an, dass das Interesse am Medium dem an einzelnen Inhalten vorausgeht. Der Zeitungshistoriker Johannes Weber beschreibt das für die Mediensituation im 17. Jahrhundert: »Angesichts der zeitgenössischen Knappheit an preisgünstigen Lesestoffen weltlichen Inhalts dürfte das neue Medium per se eine außerordentliche Anziehung ausgeübt haben. Es war wohl weniger entscheidend, die kontingenten Nachrichten aus der internationalen Politik in ihrer struktuellen Bedeutung zu begreifen, als überhaupt Neues aus der Fremde lesen zu können […] Zudem wird ein Teil des Publikums das Nachrichtenmaterial nicht systematisch, sondern punktuell oder selektiv rezipiert haben, wie das auch heute noch der Fall ist. Politische Meinung dürfte sich dabei allenfalls rudimentär gebildet haben« (WEBER 1997: 142). Zeitungsleser bildeten über mehrere Jahrhunderte hinweg eine mit der Gesamtleserschaft wachsende Gruppe der Gewohnheitsleser. Das Zeitunglesen selbst wurde zu einer ritualisierten Alltagspraxis, die Hegel bekanntlich als ›realistischen Morgensegen‹ karikierte. Für ältere Generationen erfüllt heute noch das Einschalten der Tagesschau um 20 Uhr eine vergleichbare Funktion. Die Zeitungen des 17. Jahrhunderts erfüllten und weckten Bedürfnisse nach Belehrung und Unterhaltung. Sie wurden von den gebildeten Ständen als willkommene Gelegenheit zur Befriedigung ihrer Neugierde angesehen. Dabei waren sie gleichzeitig ein ›öffentliches‹ und ›gemeinsames‹ Hilfsmittel, wie 1685 Christian Weise formulierte (nach POMPE 2004: 42). Das neuartige Öffentliche trat nicht nur in Gegensatz zum Privaten, sondern auch zum Geheimen, nämlich der absolutistischen Arkanpolitik. Deren Vertreter oder Verfechter waren die ersten Kritiker der Zeitungen. Sie kleideten ihre Sorge um den Erhalt der Kommunikationsordnung und ihrer Informationsfilter in das Gewand einer Kritik an der schädlichen Neugier. Zu dieser Kritik gesellte sich dann der Verdacht der unwahren Berichterstattung aus wirtschaftlichen Gründen. Der Zeitung wurde die Macht zugeschrieben, die wahre Wirklichkeit hinter der Materialität des Gedruckten verschwinden zu lassen (ebd.: 46). Der mit dem Buchdruck und der Vervielfältigung von Flugschriften begonnene Prozess der Wechselwirkung von Mediensystem und Gesellschaft wurde durch Zeitungen beschleunigt. Sie erzeugten das Bedürfnis nach dem Aufbrechen von bislang streng kontrollierten Kommunikationswegen, waren allerdings selbst eingehegt zwischen getreulicher Informationspflicht und obrigkeitlicher Maßregelung. Sie schufen Unordnung, da die Beschaffung von Informationen nun eigenmächtig geschehen konnte. Sie irritierten ferner durch die Auflösung narrativer Strukturen, in die persönlich weitergetragene Nachrichten zumeist eingebunden sind, zugunsten der fragmentarischen Aneinanderreihung zufällig einkommender Neuigkeiten. Wenn schon nicht als Geschichtenerzähler, verstanden sich Zeitungsschreiber doch als Geschichtsschreiber. Damit verweltlichten sie die Darstellung geschichtlicher Ereignisse und trugen zur Entwicklung des modernen Zeitbewusstseins bei. »Kalender und Chroniken verweisen auf das göttliche Archiv aller Ereignisse, in dem die vergangene und künftige Geschichte schon beschlossen liegt. […] Der frühneuzeitliche Nachrichtenverkehr, wie ihn die Zeitungsperiodika betreiben, trägt dann nicht nur zur Säkularisierung der alles übergreifenden Heilsgeschichte bei, sondern bereitet den Gedanken der Immanenz alles Weltwissens und einer zum Neuen ständig fortschreitenden Weltgeschichte mit vor« (POMPE 2012: 17). Die Zeitungen setzten den typografischen Medienwandel nicht in Gang, aber beschleunigten und akzentuierten ihn. Sie waren von vornherein ein Medium der politischen Berichterstattung. Krieg und Politik dominierten bereits Anfang des 17. Jahrhunderts über Gegenstandsbereiche wie Handel und Wirtschaft, Religion, Hofberichte und Sensationen (ebd.: 14f.). Sie waren inhaltlich ein Mischprodukt und hatten mehrere Funktionen gleichzeitig. Sie waren für ihre Leser und (beim früher weit verbreiteten Vorlesen) für ihre Zuhörer ein Kommunikationsanlass – aber auch eine Kommunikationsstörung, indem sie die herrschenden Diskurse von Regierungen, Verwaltungen und Institutionen durchbrachen oder konterkarierten. Zudem waren und sind sie ein Unterhaltungsfaktor, der bei manchen Zeitungsgenres, und nicht nur bei Wochenzeitungen, dominant hervortritt. Nicht zuletzt sind sie ein Wirtschaftsfaktor und immer bestrebt, nachhaltige Bindungen zu ihrem Publikum herzustellen. Seit sie den Status von Massenmedien innehaben, also seit Ende des 19. Jahrhunderts, gehören sie zum festen Kalkül der Akteure auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet. Diese erwarten und wirken darauf ein, dass ihre Positionen und Wünsche wirksam in den Zeitungen und den anderen Medien repräsentiert werden. Ohnehin sind sie seit der Gründung der Intelligenzblätter im 18. Jahrhundert auch Werbeträger und bedienen zweiseitige Märkte – den ihrer Rezipienten und den ihrer Werbekunden. Einige dieser Faktoren können sie im 20. Jahrhundert mit den elektronischen Medien (Radio und Fernsehen) noch teilen, aber mit ihrer eigenen Digitalisierung und der Zuwendung des Publikums zu digitalen Medien bleibt von wesentlichen Funktionen der Zeitungen nur ein Torso übrig. Das wirtschaftliche Fundament der Rubrikenanzeigen ist verloren gegangen, und die Parallelproduktion überregionaler Berichte in noch immer etwa hundert ›publizistischen Einheiten‹ in Deutschland ist durch die Zugänglichkeit aller dieser Produkte an jedem beliebigen Ort kaum noch sinnvoll. Neben den digitalen Produkten von Zeitungen sind auch solche von Radio- und Fernsehsendern sowie native Unternehmungen im Netz vertreten. Zur Vermittlung der Vielfalt gesellschaftlicher Perspektiven würden auch zwanzig voneinander unabhängige redaktionelle Produkte genügen. Für die durch überregionale Angebote noch nicht substituierten Inhalte von Zeitungen – vor allem Lokales, Regionales und begleitende Serviceinformationen – fehlen noch solide Geschäftsmodelle. Radio Gegenüber Zeitungen, die als Medium der Unruhestiftung wahrgenommen werden und sich als abwesender Kommunikator in der Kommunikation von Anwesenden etablieren, wirkt das Radio zunächst als Ordnungsmedium. Zumindest in seiner Einführungsphase und speziell in Deutschland diente es – auch – der Entlastung von der Auseinandersetzung mit den sozialen Folgen des Weltkriegs und den Wirren der Weimarer Republik. Das Radio erreichte als Unterhaltungs- und Vortragsmedium der Deutschen Reichspost Hörerinnen und Hörer in ihren Privaträumen an ihren lizenzpflichtigen Geräten, mit denen sie die Programme ›abhörten‹. Das Radio setzte auf einer breiten Skala fort, was die phonographische Technik einige Jahre zuvor schon mit ihren Walzen und Schallplatten begonnen hatte: die Wiedergabe entfernter Stimmen. Das Eindringen einzelner Stimmen in den intimen Schallraum des eigenen Kopfes oder der familiären Wohnzimmer ist die eigentliche Sensation des neuen Mediums. Musiksendungen, so gern sie gehört wurden, hatten nicht denselben sinnlichen Effekt. Die Radiomacher lernten schnell. Weil sie daran dachten, dass sie gleichzeitig eine vieltausendköpfige Menge von Zuhörern ansprechen, verwendeten sie anfänglich noch den Sprechmodus von Massenveranstaltungen. »Das Publikum der technischen Medien konstituiert sich anders als die für die Massenkonzepte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts paradigmatische, an einem Ort versammelte Menschenmenge durch den Anschluss einer räumlich...


Hermann Rotermund, Jg. 1949, Prof. Dr., studierte Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Germanistik in Frankfurt am Main. Nach einer langen Phase freiberuflicher Tätigkeit war er von 2004 bis 2013 Professor für Medienwissenschaft in Köln und von 2013 bis 2016 Gastprofessor in Lüneburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind der Medienwandel und die Geschichte der Designtheorie.


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