Rossig Fotojournalismus
3. völlig überarbeitete Auflage 2014
ISBN: 978-3-7445-0729-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, Band 66, 266 Seiten
Reihe: Praktischer Journalismus
ISBN: 978-3-7445-0729-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
'Einfach draufhalten und abdrücken, wir brauchen dringend ein Foto für die Startseite!' In Zeiten schrumpfender RedaktionSetats und wachsendem Produktionsdruck finden sich schreibende Journalisten – insbesondere im Lokaljournalismus – schnell mit einer Kamera in der Hand wieder. Doch ein aussagekräftiges Pressefoto lässt sich nicht im Vorbeigehen schießen: Wenn es seine eigene Geschichte erzählen soll, benötigt es ebenso viel Fachwissen, Hingabe und Konzentration wie eine mühsam geschriebene Reportage. Julian J. Rossig zeigt anhand zahlreicher Beispielfotos, wie das geht. Er informiert über Technik, Komposition und wie man welche Motive fotografiert. Wie bringt man Dynamik in ein langweiliges Gruppenbild? Mit welchen Symbolen lassen sich unterbewusste Assoziationen transportieren? Und wie entstehen packende Action-Fotos? Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen sind elementar, vor allem bei Veröffentlichungen im Internet. Für die dritte Auflage wurde der bewährte Fachbuch-Klassiker grundlegend überarbeitet und aktualisiert. Neu sind beispielsweise Online-Bildstrecken für Audio-Slideshows oder Infos über die HDR-Technik. Mit Zusatzmaterial auf www.uvk.de/plus.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
Weitere Infos & Material
[10][11]1 Fotojournalist oder Pressefotograf? Gleich zu Beginn eine ganz persönliche Frage an Sie: Sehen Sie sich als einen Fotografen, dessen Veröffentlichungsmedium anstatt einer Galerie nun zufälligerweise eine Zeitung ist – oder als Journalist, der nicht mit Mikrofon oder Stenoblock, sondern mittels einer Kamera berichtet? Mit anderen Worten: Sind Sie Pressefotograf oder Fotojournalist? Die offizielle Bezeichnung im Behördendeutsch lautet Bild- bzw. Fotojournalist – und das nicht ohne Grund. Denn um die besonderen Zwänge des Mediums verstehen zu können, sollten Sie in allererster Linie Journalist sein. Das Wort »Foto« steht irritierenderweise zwar vorn, kommt bedeutungsmäßig aber erst an zweiter Stelle (offiziell wird bevorzugt die Bezeichnung »Bildjournalist« verwendet, die jedoch offensichtliche Abgrenzungsprobleme zu Mitarbeitern des gleichnamigen Springer-Blattes verursacht). Im Übrigen war die Bezeichnung »Fotograf« in Deutschland lange Zeit geschützt, sodass nur gelernte Fotografen diesen Titel tragen durften. Sie sind also ein Fotojournalist? Dann lautet das ultimative Ziel, genau wie das der Kollegen von der schreibenden Zunft, eine Geschichte zu erzählen. Über Geschehenes zu berichten, Menschen zu porträtieren, Emotionen darzustellen. Themen zu selektieren, Relevantes zu betonen, Fakten einzufangen und in die richtige Perspektive einzuordnen. Und das alles nicht mit Worten oder O-Tönen, sondern in einem einzigen Foto. 1.1 Zielgruppe und Medium kennen kennen Dazu – und das ist leichter gesagt als getan – müssen Sie Ihr Werkzeug kennen und verstehen. Der textende Kollege hat seinen Duden und seine Allegorien – wir haben Blitz und Verschlusszeit. Was uns eint, ist das Ziel: Getreu des journalistischen Berufsethos’ Neuigkeiten zu berichten und Geschichten zu erzählen. Um dies leisten zu können, reicht das bloße Verständnis von Technik und Stilmitteln nicht aus: Gleichzeitig müssen Sie auch die Zielgruppe und die speziellen Nöte Ihres Mediums kennen. Der durchschnittliche [12]Galeriebesucher verweilt fünf Minuten vor jedem Foto – der durchschnittliche Zeitungsleser fünf Sekunden, der flüchtige Internet-Leser gar nur Bruchteile einer Sekunde. In einer Ausstellung stehen die Fotos unangefochten im Mittelpunkt – in unserer Welt sind sie jedoch oft nur ein Mittel von vielen, um die Aufmerksamkeit des Lesers zu erregen und auf den Text zu lenken. Und auch hier gibt es gravierende Unterschiede zwischen den einzelnen Medien: In einem Anzeigenblatt kommt der Fotografie eine ganz andere Bedeutung zu als etwa in einer Fernsehzeitschrift oder einem Fachmagazin. Und noch ein weiteres Beispiel: Sicher haben Sie schon einmal auf einer Familienfeier oder einer kleinen Party unter Freunden einige »Erinnerungsfotos« geknipst. Was unterscheidet diese Art der Fotografie vom Fotojournalismus? In erster Linie: die Emotion. Wenn Ihre Freunde und Bekannten Ihre Partybilder betrachten, bringen sie die Emotionen bereits mit: »Was für ein schöner Abend das doch war … Und als der Jürgen dann gesungen hat!« Oder auch: »Schau mal, damals hat mir das geblümte Kleid noch gepasst!« Wenn der Betrachter mit dem Abgebildeten identisch ist oder jenen zumindest gut kennt, dienen die Bilder nur als bessere Gedächtnisstütze. Das Foto muss keine besonderen Stilmittel enthalten, um den Betrachter auf die Atmosphäre einzustimmen; im Gegenteil, Unschärfe und andere Kompositionsversuche wären nur hinderlich. Der durchschnittliche Zeitungsleser aber, der von der jüngsten Szeneparty oder dem Wiener Opernball liest, hat dieses Hintergrundwissen nicht. Ihm fehlt die Emotion – deshalb müssen wir sie ihm liefern. Zwei Fotos und ein gutes Ganz zu Beginn meiner Arbeit bei einer Lokalzeitung gab mir ein »alter Hase« einmal den augenzwinkernden Tipp: »Bring von jedem Termin stets drei Fotos mit: Eine Übersichtsaufnahme, einen Hochformater und ein wirklich gutes Bild«. Wieso, mögen Sie nun fragen: Machen wir denn nicht immer »gute« Bilder? Wer könnte denn absichtlich ein schlechtes Foto aufnehmen wollen? Doch wer bereits journalistische Erfahrung mitbringt, versteht den tieferen Sinn dieses ironischen Rates: Aus fotografischer Sicht sind eng komprimierte Aufnahmen oftmals die »besseren« Fotos – und doch rücken viele Lokalredakteure bevorzugt Gruppen- und Übersichtsbilder ins Blatt. Die Begründung: »Unsere Leser wollen sich wiederfinden!« Die Leser-Blatt-Bindung siegt nur zu häufig über die Ästhetik – schließlich ist Journalismus keine weltentrückte Kunstsammlung für Liebhaber moderner Fotografie, sondern muss sich seine Existenzberechtigung Tag für Tag neu verdienen. [13] Zweimal die gleiche Situation – doch für Hoch- und Querformat hat der Fotograf völlig andere Perspektiven gewählt. [14]Ganz ähnlich verhält es sich – auch das illustriert obiges Bonmot sehr anschaulich – mit dem Format: Für den engagierten Fotografen ist die Entscheidung zwischen Hoch- und Querformat einzig eine Frage der Komposition. Personenporträts sehen oft hochformatig schöner aus, während sich etwa Gruppenbilder eher als Querformat anbieten. Doch der schönste Querformater hilft überhaupt nichts, wenn auf der Titelseite nur noch Platz für ein hochformatiges Foto ist! Hier gilt es dann, die Belange der »Blattmacher« im Hinterkopf zu behalten und trotz aller Einschränkungen noch das bestmögliche Ergebnis zu erzielen. Es kann aber natürlich nicht die Lösung sein, einen hochformatigen Bohrturm einfach im Querformat zu fotografieren: Am Ende bestünden 80 % des Bildes nur aus nutzlosem Himmel. Stattdessen liegt die Kunst des Fotojournalismus darin, eine geeignete Perspektive zu finden, in der auch ein schmaler Bohrturm einen formatfüllend breiten Querformater abgibt – etwa aus der extremen Froschperspektive fotografiert oder mit einem Menschen im Vordergrund. 1.2 Auf gute Zusammenarbeit Das wiederum setzt aber voraus, dass die Zusammenarbeit mit der Redaktion vernünftig funktioniert. In der Praxis kommt es leider viel zu häufig vor, dass das Mobiltelefon klingelt und ein gestresster Redakteur fordert: »Machen Sie mal eben ein Bild vom Bahnhof, querformatig, wir haben da eine Geschichte!« Der Bahnhof ist aber groß und bietet zahllose Fotogelegenheiten – was genau wünscht sich die Redaktion? Ein Bild von außen, von der Eingangshalle, den Warteräumen, den Gleisen? Um ein möglichst passendes Bild produzieren zu können, müssen Sie zumindest einen groben Überblick über den geplanten Artikel bekommen: Worum geht es, und was wird die Kernaussage sein? Die nächste Frage an den Redakteur müsste »Wo?« lauten: In welchem Buch (bzw. Produkt) der Zeitung soll das Foto gedruckt werden – Titelseite, Mantel, Lokalteil? Und in welcher Größe? Wird zugleich ein Teaserbild für die Online-Ausgabe benötigt? Der schreibende Kollege recherchiert mit der größten Selbstverständlichkeit für eine 20-Seiten-Exklusiv-Reportage [15]ganz anders als für eine 20-Zeilen-Meldung. Das gilt auch für Sie: Das doppelseitige Aufmacherbild darf (bzw. muss!) mehr Details enthalten als ein Thumbnail in Miniaturgröße. Wichtig ist auch die »Wie«-Frage: Farbe oder schwarz-weiß? Ein gutes Farbbild lässt sich nicht ohne Weiteres graustufig konvertieren – auch wenn viele Redakteure dies wider besseres Wissen dennoch immer wieder probieren (und dabei oft vormals wirklich gute Bilder ruinieren). Wie wir später noch sehen werden, kann der gezielte Einsatz von Farbe eine Vielzahl von Funktionen erfüllen, deren wichtigste zweifellos die »Assoziationsstütze« ist (siehe Kapitel 4). Je mehr Sie über Ihren Auftrag wissen, desto besser:
Die beiden Artisten auf diesem Zirkusfoto handeln schließlich auch nach einer sorgfältig geplanten Choreografie. [16]Überdies erfordern graustufige – bzw. monochrome, was der technisch exaktere Begriff wäre – Bilder oftmals eine gänzlich andere Komposition: Während sich knallblauer Himmel im Farbbild sehr hübsch macht, wirkt er im Schwarz-Weiß-Foto dunkelgrau und düster. Wer besonders gern monochrom fotografiert, sollte sich an strahlenden Sommertagen also eher zurückhalten – sonst wirkt am nächsten Tag das ganze Blatt depressiv. Dagegen schlägt für Sie an trüben Tagen die Stunde der Freiluftfotos: Ein wolkenverhangener Himmel konvertiert sich im Graustufenmodus in einen freundlich-hellen Grau- bzw. Weißton. Sie müssen also bereits vor dem Betätigen des Auslösers wissen, ob die Redaktion ein farbiges oder ein graustufiges Bild benötigt. Nach ähnlichen Maßstäben richtet sich auch die inhaltliche Komposition des Fotos: Braucht die Redaktion einen »Alleskönner«, der drei komplett verschiedene Themen auf einmal abdeckt – oder ist viel Platz im Blatt bzw. im Online-Auftritt und drei einzelne Fotos wären viel eher angebracht? Unter Fotografen hält sich hartnäckig das Gerücht, die Qualität eines Fotos bemesse sich unmittelbar an der Anzahl der Themen, die es abdecke. Das führt jedoch...