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E-Book

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

Ross Oreo

Ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse

E-Book, Deutsch, 288 Seiten

ISBN: 978-3-423-43635-9
Verlag: dtv Verlagsgesellschaft
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



'Die Wiederentdeckung dieses Buches und die grandiose Übertragung von Pieke Biermann ist ein Glücksfall.' Max Czollek
Christine ist sechzehn, hat eine schwarze Mutter und einen jüdischen weißen Vater und wächst auf in Philadelphia, verspottet als 'Oreo' (wie der Keks) – eine doppelte Außenseiterin. Der Vater hat sich früh aus dem Staub gemacht und ihr ein Geheimnis hinterlassen, für dessen Lösung sie ihn finden muss. Auf nach New York!
Unterwegs trifft sie unglaubliche Leute: einen schwulen 'Reisehenker', der anonym Manager feuert, einen Radio-Macher, der nicht spricht, einen grotesk tumben Zuhälter und endlich auch ihren Vater. Nicht jeder ist ihr wohlgesinnt. Aber Oreo überlebt alle und alles dank ihres selbsterdachten Kampfsports WITZ, getreu ihrem Motto: 'Niemand reizt mich ungestraft.'
Oreo folgt der Theseus-Sage mit all ihren Volten bis zum letzten irrwitzigen Twist, dem Vatergeheimnis. Aber der antike Held ist heute jüdisch, schwarz und weiblich.
 
'Fran Ross führt ihre Leser in ein widersprüchliches Amerika. Wie Pieke Biermann diesen temperamentvollen Text voller jiddischer Anleihen und Südstaaten-Slang übersetzt hat, ist ein einziger Genuss.' Begründung der Jury des Preises der Leipziger Buchmesse  2020 zur Preisträgerin Pieke Biermann für ihre Übersetzung von ›Oreo
 
Erstmals auf Deutsch in der Übersetzung von Pieke Biermann, mit einem Schlüssel für Schnellleser, Antikenferne etc., Anmerkungen, Glossar und einem Nachwort von Max Czollek.
ORF-Bestenliste Januar 2020
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1
Mischpoke
Die schlechte Nachricht zuerst
Als Frieda Schwartz von ihrem Schmuel erfuhr, dass er (a) ein schwarzes Mädchen heiraten werde, hatte sie spontan ein chiaroscuro aus dem weißen Satin einer chuppa und der Hautfarbe einer schwartze vor dem inneren Auge, und das Blut rauschte und stockte ihr in sämtlichen Kanälen; als er ihr mitteilte, er werde (b) die Schule abbrechen und mithin nie und nimmer amtlich zugelassener Buchprüfer werden – rebojne-shelojlem! –, stieß sie ein geschrei sondergleichen aus und erlag einem rassistischen/mein-Sohn-ein-Gammler-Herzinfarkt. Die schlechten Nachrichten (Forts.)
Als James Clark aus dem süßen Mund von Helen (Honeychile) Clark erfuhr, dass sie einen Judenjungen heiraten und demnächst Helen (Honeychile) Schwartz heißen werde, brachte er eben noch ein gekrächztes »Goldberg!« hervor, bevor er auf der Stelle, nämlich in seinem Stuhl mit der geraden Rückenlehne, zu einem steifen halben Hakenkreuz: versteinerte, abzüglich Kopf, Händen und Füßen natürlich. Haupt- und Nebenfiguren in Teil eins, nach Geburtsdaten sortiert
Jacob Schwartz, Großvater väterlicherseits der Heldin Frieda Schwartz, seine Frau (im ersten Absatz verstorben, aber auf ihre stille Art weiterhin macht- und kraftvoll präsent) James Clark, Großvater mütterlicherseits der Heldin (im zweiten Absatz stillgelegt) Louise Butler Clark, Großmutter mütterlicherseits der Heldin (zwei Wochen jünger als ihr Mann) Samuel Schwartz, Vater der Heldin Helen Clark Schwartz, Mutter der Heldin Christine (Oreo), die Heldin Moische (Jimmie C.), Bruder der Heldin Betr. einige Figuren; ein, zwei Aperçus
Jacob: Baut Kisten aller Art (»Jake the Box Man – Ein Boxele für jedes tschotschkele«). Wie er zu sagen pflegt: »Man kann davon leben. Ich mutsch mich so durch.« Übersetzung: »Ich bin, kejn ajnore, ein sehr reicher Mann.« James und Louise: Beim DNA-Knobeln fällt mit dem Würfel auch die Entscheidung über die Hautfarbe. Im Fall von James kam dabei fast exakt die Farbe der Augen raus (in der Tabelle auf der nächsten Seite ist er eine 10), bei seiner Frau die Farbe des Würfels. Louise ist hell, sehr hell, ein Albino manqué (nicht mehr auf der Skala, –1). James ist ein gewiefter Kaufmann, Louise eine der größten Köchinnen unserer Zeit. Samuel Schwartz: einfach ein hübsches Gesicht. Helen Clark: Sängerin, Pianistin, Mimikerin, Mathefreak (eine 4 auf der Farbskala). Farbklassen von Schwarzen weiß hellgelb gelb hellhäutig 1 2 3 4 hellbraun braun dunkelbraun 5 6 7 dunkelhäutig sehr dunkelhäutig schwarz 8 9 10 ANMERKUNG: »Sehr schwarz« gibt es nicht. Diese Formulierung benutzen nur Weiße. Für Schwarze ist »schwarz« schwarz genug (und in den meisten Fällen zu schwarz, denn Schwarze sind mehrheitlich nicht annähernd so schwarz wie Ihr schwarzes Portemonnaie). Wenn ein Schwarzer sagt: »John ist sehr schwarz«, meint er nicht die Hautfarbe, sondern die politische Einstellung. Ein Wort zum Wetter
Wetter an sich kommt in diesem Buch nicht vor. An einigen Stellen tauchen flüchtige wettermäßige Hinweise auf. Ansonsten denken Sie einfach an eine Ihnen sympathische Jahreszeit. Sommer ist die sinnvollste für ein Buch dieser Länge. Auf die Weise muss auch niemand die Seiten auf die Beschreibung von Leuten verplempern, die sich den Mantel aus- und anziehen. Die Lebensgeschichte von James und Louise bis zur Heirat von Helen und Samuel
1919 zogen Klein-James und Klein-Louise, beide fünf, mit ihren Eltern, den Clarks und den Butlers, die eng befreundet waren, aus einem Weiler am Rand eines Dorfs im County Prince Edward, Virginia, nach Philadelphia. James und Louise heirateten gleich mit achtzehn und bekamen noch im selben Jahr ihr erstes und einziges Kind, Helen. Während des Zweiten Weltkriegs schuftete James als Schweißer auf der Sun-Werft in Chester, Pennsylvania. Drei Jahre lang hielt er jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit bei Feinkost Zipstein und kaufte eine Gurke für seine Lunchbox. Er verlangte eine saure. Zipstein gab ihm jedes Mal eine Salzgurke. Seit der Zeit hasste James Juden. Nach dem Krieg hatte er genug Geld beisammen, um einen Versandhandel aufzuziehen. Er umwarb gezielt fast ausschließlich jüdische Kundschaft, die er dann unglaublich schröpfte. Dazu betrieb er rege Marktforschung: Er studierte Tora und Talmud, sammelte midraschim, zitierte Rabbi Akiba – Wurzel und Würze für die schmonzes, mit denen er die jüdischen Viertel überzog, in einem Orkan aus Reklamezetteln, scharf wie chrejn. Sein erster Artikel ging weg wie warme latkes. Es war ein Satz Tafeln für Wurfpfeile mit Porträts von (laut Werbetext) »allen Männern, die Sie am liebsten hassen, von Haman bis Hitler«. Kein Jude aus der philadelphischen Mittelschicht hätte sich im Kellergemeinschaftsraum blicken lassen können, wenn die Wurftafeln da nicht hingen. Nach so viel Gründerglück zog James ein Verbundsystem mit anderen Versandfirmen auf. Er erweiterte sein Angebot um Quark-Blintzes für Schawuot, Taschentücher für Tischa Be’Aw (»Sie werden viele Tränen vergießen.«), dreidel für Chanukka, gragers und Hamantaschen für Purim, Becher für den Pessachwein, Honig für Rosch Haschana, Zweige für Sukkot (»Gestalten Sie die schönste Laubhütte Ihres Häuserblocks.«) und eine Schallplatte mit dem Kol Nidre für Jom Kippur (»gesungen von Tony Martin«). Neben jedem Artikel standen historisch-religiöse Erläuterungen für Kunden, die nicht wussten, was die Fest- und Feiertage zu bedeuten hatten. »Diesen apikorsim muss man alles beibringen«, erklärte er Louise. Sie erwiderte: »Sach nochma?« Als Dauerbrenner erwiesen sich die Malbücher zur Jüdischen Geschichte, unter anderem »die allseits beliebten Themen Königin Esther, Ruth und Noemi, Judas und die Makkabäer (mit Plastikhämmerchen 50 Cent Aufschlag), der Sanhedrin (das erste Oberste Gericht) sowie weitere Allzeitlieblinge des Auserwählten Volkes«. Endlich war James alle Geldsorgen los. Er konnte Helen aufs College schicken und Louise ihren Traum erfüllen: Er schenkte ihr einen kompletten Satz Tupperware (5.481 Teile). Temple-Universität, Chorprobe
Der Chor sang den Choral Jesus bleibet meine Freude, und wie üblich stellte Helen beim Mitsingen im Kopf Gleichungen auf. Sie beruhten jeweils sowohl auf den musikalischen Gegebenheiten wie auf ihrer eigenen Befindlichkeit, diesmal:   3 x 108 BZH = m/sec ve/e° Erklärung:B = Bach
Z = Zeit
H = Harnsäuremenge in ml Zugegeben, gemessen an den Kopfgleichungen bei Thema-Antwort-Kontrasubjekt-Fugen, die Helen am liebsten hatte, war der Choral simpel – durchaus elegant, aber nicht spannend genug, um sie von der Tatsache abzulenken, dass sie verschwitzt war und dringend pinkeln musste. Samuel, der gerade durch den Probenraum kam und flüchtig in Helens Gesicht sah, meinte irrtümlich, darin einen kaum zu bändigenden Schmerz aus religiöser Inbrunst zu erkennen, und wurde seinerseits von dem Gefühl erfasst, das Mystiker oft ebenso irrtümlich als Ekstase-cum-Epiphanie interpretieren (vgl. Saulus auf dem Weg nach Damaskus oder Teresa von Avila, kaum guckt man mal nicht hin): Geilheit. Seine Buchhaltungsmappen gingen zu Boden. Entscheidungen, Entscheidungen
Nach einiger wechselseitiger Seelen- und neschome-Erforschung beschlossen Helen und Samuel, zu heiraten und in seiner Heimatstadt New York zu leben. Samuel wollte Schauspieler werden. Darüber hinaus wollte er, da Helen matheversessen und offensichtlich hochbegabt war, ein Kind von ihr – genauer gesagt, sollte sie ihr(er beider) Kind bekommen. Helen hatte nichts dagegen. Eine Schwangerschaft, fand sie, verschaffte ihr Zeit für Klavierspielen und Kopfgleichungen, während Samuel an der Schauspielschule Mediatorisches Gehen und Reden studierte. Die Geburt der Heldin
Ein Geheimnis lag über Christines Geburt wie eine Glückshaube. Dies ist ihre Geschichte – und sie wird es lüften. Den Namen Christine hatte ihr Helen verpasst, in einem Augenblick des Grolls nach einem Streit mit Samuel im Krankenhaus. Bevor die Tinte auf der Geburtsurkunde trocken war, hatten sie sich wieder versöhnt. Samuel war kein praktizierender Jude; dass seine Tochter nach Christus benannt wurde, war ihm völlig wurscht, trotzdem nahm er Helen im Scherz das Versprechen ab, den Namen des nächsten Kindes bestimmen zu dürfen. Helen und Samuel
Im selben Jahr, etwas später, tätschelte Samuel Helens Schenkel und schäkerte: »Und jetzt probieren wir mal einen Messias.« Helen und Samuel (Forts.)
Sie stritten ohn’ Unterlass. Schließlich sagte Samuel: »Wenn Christine alt genug ist, die Kritzel hier zu entziffern, schick sie zu mir, dann...


Ross, Fran
Fran Ross (1935-1985) wuchs in Philadelphia auf. Sie machte ihren Schulabschluss mit 15 Jahren und studierte Kommunikationswissenschaften, Journalistik und Theater an der Temple University. 1960 zog sie nach New York, dort arbeitete sie als Korrekturleserin und Journalistin. ›Oreo‹ erschien 1970, auf der Höhe des Black Power Movement der Sechziger- und Siebzigerjahre, der Text erwies sich jedoch als seiner Zeit voraus und kann erst heute seine Wirkmächtigkeit entfalten.

Biermann, Pieke
Pieke Biermann, geboren 1950, studierte Deutsche Literatur und Sprache bei Hans Mayer sowie Anglistik und Politische Wissenschaft in Hannover und Padua. Sie lebt in Berlin und ist seit 1976 freie Schriftstellerin und Übersetzerin, u.a. von Stefano Benni, Andrea Bajani, Dorothy Parker, Anya Ulinich, Tom Rachman und Ben Fountain. Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem für ihre Übersetzung an ›Oreo‹ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2020 und drei Mal mit dem Deutschen Krimipreis.

Czollek, Max
Max Czollek (* 1987 in Berlin) ist ein deutscher Lyriker, Essayist, Kurator und Mitglied des Autorenkollektivs G13.

Fran Ross (1935-1985) wuchs in Philadelphia auf. Sie machte ihren Schulabschluss mit 15 Jahren und studierte Kommunikationswissenschaften, Journalistik und Theater an der Temple University. 1960 zog sie nach New York, dort arbeitete sie als Korrekturleserin und Journalistin. ›Oreo‹ erschien 1970, auf der Höhe des Black Power Movement der Sechziger- und Siebzigerjahre, der Text erwies sich jedoch als seiner Zeit voraus und kann erst heute seine Wirkmächtigkeit entfalten.

Fran Ross (1935-1985) wuchs in Philadelphia auf. Sie machte ihren Schulabschluss mit 15 Jahren und studierte Kommunikationswissenschaften, Journalistik und Theater an der Temple University. 1960 zog sie nach New York, dort arbeitete sie als Korrekturleserin und Journalistin. ›Oreo‹ erschien 1970, auf der Höhe des Black Power Movement der Sechziger- und Siebzigerjahre, der Text erwies sich jedoch als seiner Zeit voraus und kann erst heute seine Wirkmächtigkeit entfalten.


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