E-Book, Deutsch, Band 02, 384 Seiten
Reihe: Persephone Alcmedi
ISBN: 978-3-8025-8932-4
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Neben ihrer Tätigkeit als Autorin beschäftigt sich Linda Robertson auch mit Malerei und Musik. Sie spielt Piano und E-Gitarre. Derzeit arbeitet sie an der Fortsetzung der Serie um die Hexe Persephone.
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1 »Was soll das heißen, du hast mich nominiert?« Ich hielt den Atem an. »Oh, meine Liebe, hätte ich das vielleicht nicht tun sollen?« Am Telefon war Lydia Whitmore, eine reizende alte Hexe, die nur zehn Minuten von mir entfernt wohnte. Ich konnte ihr erschrockenes Gesicht förmlich vor mir sehen. Mit ihrem freundlichen Lächeln und dem schneeweißen, stets zu einem ordentlichen Knoten gebundenen Haar sah sie aus wie die typische Plätzchen backende Großmutter. Außerdem hatte sie hier in der Gegend das Monopol der lieben, süßen Hexe gepachtet – und entsprach damit dem Idealbild von uns Hexen, das die simpleren Menschen unserer Gesellschaft haben. Lydia hatte mich angerufen, um mir zu sagen, dass der Ältestenrat der Hexen – der Witches Elders Council, kurz WEC genannt – eine Nachfolgerin für Vivian Diamond suchte, die Hohepriesterin des Clevelander Konvents, die unter geheimnisvollen Umständen verschwunden war. Für mich war ihr Verschwinden allerdings keineswegs ein Geheimnis, denn ich hatte sie höchstpersönlich an einen Vampir ausgeliefert, den sie vorher verraten hatte. So bald würden wir sie nicht wiedersehen. Um eine neue Hohepriesterin zu bestimmen, hielt der Rat, laut Lydia, einen offiziellen Wettbewerb ab, das Eximium. Und Lydia hatte – unglaublich, aber wahr – mich als Teilnehmerin nominiert. »Aber Lydia, ich will keine Hohepriesterin werden!« »Papperlapapp«, sagte Lydia. »Du bist perfekt geeignet für dieses Amt, Persephone! Sachkundig, erfahren, sympathisch. Mit deinem charmanten Lächeln wärst du eine fantastische Hohepriesterin, meine Liebe.« »Ich fühle mich wirklich geschmeichelt«, sagte ich und rieb mir die Stirn, »aber ich kann nicht. Im Moment habe ich dafür überhaupt keine Zeit.« »Oh, richtig! Die Kleine wohnt ja jetzt bei dir, nicht?« »Genau«, sagte ich. Meine neue Aufgabe als Pflegemutter war nicht der einzige Grund meiner Ablehnung, aber vielleicht ein guter Vorwand, um Lydia von ihrem Vorhaben abzubringen. Erst drei Wochen waren seit dem Mord an Lorrie Kordell vergangen, einer Wærwölfin, die zuvor bei Vollmond in den Zwingern in meinem Keller Unterschlupf gefunden hatte. Ihre Tochter Beverly hatte sie damals stets begleitet und die Nacht bei mir im Haus verbracht. Lorries Beerdigung hatte erst vor eineinhalb Wochen stattgefunden, und am darauffolgenden Montag hatte Beverly zum ersten Mal ihre neue Schule besucht. Ich hatte alle Anträge, die notwendig waren, um auch offiziell Beverlys Vormund zu werden, gestellt, und wir begannen gerade ein Gefühl dafür zu bekommen, wie ein »normales« Leben für uns aussehen könnte. Was Beverly jetzt brauchte, waren Stabilität und Sicherheit, damit sie sich einleben und zur Ruhe kommen konnte. »Ich möchte nichts beginnen, was zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Beverly braucht mich jetzt.« »Wie geht es dem armen Ding denn?« »Sie trauert noch immer, und der Zustand wird auch sicher noch eine Weile anhalten. Aber sie ist tapfer. Wir schaffen das schon.« Beverly war mir sehr ans Herz gewachsen. Als ihre Mutter einen neuen Job in der Stadt angenommen und die Vollmondnächte nicht mehr bei mir verbracht hatte, war mir bewusst geworden, dass ich mehr vermisste als nur die gemeinsamen Abende mit Popcorn und Disney-Filmen. »Also, Lydia«, sagte ich, um das Thema zu wechseln, »wie kommt es, dass du die Kandidaten für dieses … Ex-i-mium auswählst?« »Weil ich die Älteste bin!« Lydia lachte. »Heutzutage zeigen die Medien großes Interesse an den wichtigen Konventen, da will der WEC eine smarte, intelligente und junge Frau an deren Spitze sehen.« Sie sprach die Abkürzung für den Rat wie »weck« aus. »Natürlich wissen sie, dass eigentlich ich an der Reihe wäre, aber nicht das richtige Auftreten dafür besitze. Damit, dass ich die Kandidaten auswählen darf, wollen sie mir etwas Gutes tun, sodass ich nicht allzu beleidigt bin.« Lydia war die ehemalige Besitzerin meines alten Farmhauses. Mit dem Erlös aus dem Verkauf verschiedener Grundstücke hatte sie sich erst ein Wohnmobil gekauft und anschließend das Schild »Vom Besitzer zu verkaufen« in ihrem Vorgarten aufgestellt. Ich hatte es gesehen und Lydia angerufen. So lernten wir uns kennen und wurden über die Jahre Freundinnen. Das ebenerdige Wohnen tue ihren Knien gut, sagte Lydia. Der einzige Nachteil sei, dass sie den »Charme und den erdigen Geruch eines Gemüsekellers gegen eine sterile Vorratskammer mit Gitterregalen« eingetauscht hätte. Als Küchenhexe kochte sie nicht nur das Gemüse ein, das sie in ihrem Garten zog, sondern machte auch das beste Himbeergelee aus dunklen Früchten, das ich je gegessen hatte. Die karierten Schleifchen, die nie fehlten, wenn sie ihre kleinen Köstlichkeiten verschenkte, hatte sie vermutlich aus dem Stoff ihrer abgelegten Kleider gemacht. Ohne dass es jemandem aufgefallen wäre, hätte Lydia sich unter die Statisten von »Unsere kleine Farm« mischen können. Nur die Haube fehlte ihr zur Perfektion. »Ich habe von Anfang an gesagt, dass Vivian eine nichtsnutzige Gaunerin ist«, fuhr sie fort. »Ich habe damals sogar versucht zu verhindern, dass sie am letzten Eximium in Cleveland teilnehmen konnte, aber meine Einwände wurden beiseitegefegt. Erst, als sich die Mitgliederliste dann plötzlich wie ein ›Who is Who‹ unserer hiesigen gut betuchten Schickeria las, ist der Rat hellhörig geworden.« »Ich weiß«, sagte ich, auch wenn Lydia keine Ahnung hatte, dass Vivian bei Weitem nicht nur dem Konvent geschadet hatte. Sie hatte auch versucht, mich zu benutzen, um einen Sitz im Ältestenrat zu ergattern, und sie war es gewesen, die Lorrie ermordet hatte und die beinahe den Tod von Theo, einer weiteren Freundin von mir, verschuldet hätte. Deshalb hatte ich Vivian dem Vampir Menessos ausgeliefert. Obwohl es wohl ein bisschen vermessen war, es so zu beschreiben, denn in Wahrheit hätte ich ihn natürlich nicht davon abhalten können, sie einfach in seine Gewalt zu bringen. Welche Rolle auch immer ich tatsächlich gespielt hatte – Vivian ward nicht mehr gesehen, seitdem der Vampir mit ihr verschwunden war. Nun aber rückte Halloween näher, und es gab keine Hohepriesterin, die durch den wichtigen jährlichen Hexenball führen würde. Der Ball war die größte Spendenaktion des Jahres für den Konvent und eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine Stellvertreterin oder eine Priesterin, die das Amt zeitlich befristet übernahm, war – laut Lydia – für die Ältesten inakzeptabel. »Ich frage mich wirklich, was ihr wohl zugestoßen ist«, sagte Lydia nachdenklich. »Ich glaube, sie ist verschwunden, nachdem sie Beverly bei mir abgegeben hat. Vielleicht hat ihre Rolle als Patin sie ja überfordert.« So hatten es die Medien jedenfalls formuliert. Was mir sehr recht war, da ich damit aus dem Schneider war. Also blieb ich bei dieser Geschichte. »Wirst du sie adoptieren, Persephone?« »Natürlich, wenn sie es auch möchte. Aber vorerst bleibe ich erst einmal ihr Vormund. Sie braucht Zeit, um sich einzugewöhnen und einfach nur Kind zu sein.« »Siehst du, meine Liebe, du hast so viel Verantwortungsbewusstsein! Du solltest den Konvent führen, nicht irgendjemand, der vielleicht noch nicht einmal hier aus der Gegend stammt. Du weißt doch, die Leute aus Cleveland werden nur langsam mit Fremden warm, und ich will nicht, dass wieder eine Schönrednerin das Amt für ihre Zwecke missbraucht.« Vivian hatte das Zeichen eines Vampirs getragen – ich nenne es ein »Stigma«. Schon allein aus diesem Grund hätte sie kein Amt übernehmen dürfen, ganz egal, welches. Eine Hexe, die unter dem Einfluss eines Vampirs stand und gleichzeitig Macht über andere Hexen ausübte? Keine gute Idee. Vivian war Letzteres nur gelungen, weil sie ihren Vampirmeister mit einem magischen Pflock in Schach gehalten hatte. Da sie aber den Fehler begangen hatte, mich, die ich zwar ahnungslos, aber verantwortungsbewusst war, in ihren Plan miteinzubeziehen, existierte dieser Pflock nicht mehr, Vivian befand sich in der Gewalt ihres Vampirmeisters, und ich trug ebenfalls ein Stigma. Nein, ich verdiente es genauso wenig wie Vivian, Hohepriesterin zu werden, aber das wollte ich nicht an die große Glocke hängen. »Lydia, ehrlich, ich möchte das Amt nicht.« Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber auch keine wirkliche Lüge. »Ich habe deinen Namen wegen deines Verantwortungsbewusstseins ins Spiel gebracht. Man hat mich gebeten, jemand Geeigneten aus dem Konvent zu benennen, und das habe ich mit dir getan.« »Aber ich praktiziere allein! Und ich komme zwar aus Cleveland, aber im Konvent bin ich doch kaum aktiv. Ich besuche nicht die Esbaten, nicht die Sabbate oder –« »Trotzdem bist du am besten geeignet, Persephone Alcmedi, und wenn du die Nominierung durch mich tatsächlich nicht annehmen willst, wirst du wohl in den Tempel kommen und sie förmlich ablehnen müssen. Schönen Tag noch.« Dann war die Leitung...