E-Book, Deutsch, Band 03, 384 Seiten
Reihe: Persephone Alcmedi
ISBN: 978-3-8025-8933-1
Verlag: LYX
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Neben ihrer Tätigkeit als Autorin beschäftigt sich Linda Robertson auch mit Malerei und Musik. Sie spielt Piano und E-Gitarre. Derzeit arbeitet sie an der Fortsetzung der Serie um die Hexe Persephone.
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1 Meine Wohnzimmeruhr zeigte zwei Uhr sechsundvierzig. Damit war nicht mehr Halloween, sondern Allerheiligen. Allerdings hielt mich kein Heiliger umschlungen – sondern ein Wærwolf. »Ich glaube, meine Wohnung würde dir gefallen, Red.« Red. Das bin ich. Der Rest der Welt kennt mich als Persephone Alcmedi. Manche nennen mich Seph. Red bin ich nur für Johnny, meinen eigentlich gar nicht großen, bösen Wærwolf. »Ich führe ein offenes Haus.« Ich ließ mich nicht täuschen. »Deine Wohnung ist doch bloß ein besseres Studentenwohnheim.« »Wenn du damit sagen willst, dass ich ein eigenes Bad habe, dann ja.« Johnny rümpfte die Nase, als sei er sauer. »Etwas, das ich mit meinem Einzug hier aufgegeben habe.« Um einer Freundin das Leben zu retten, hatte ich die Vampirabwehr meines Hauses drei Wochen zuvor aufgeben müssen, und Johnny war darauf fürs Erste auf den Speicher im dritten Stock gezogen – allerdings bloß als Aufpasser. Der Schutzbann war inzwischen wiederhergestellt, aber er war immer noch da. Doch da er der Inbegriff von groß, dunkel und gut aussehend war, hatte ich nichts dagegen einzuwenden. »Na komm.« Johnnys tiefblaue Augen blitzten verführerisch. »Was gibt es Romantischeres als eine Junggesellenbude?« Wir hatten einen abscheulichen Abend hinter uns. Attribute wie »anstrengend« oder »aufreibend« trafen es nicht mal annähernd. Trotzdem war ich anscheinend die Einzige, die hier auf dem Zahnfleisch ging. Johnnys Band Lycanthropia hatte auf dem Halloweenball gespielt. Johnny war der Sänger und Gitarrist der Gruppe, die sich auf eine Mischung aus Techno, Goth und Metal spezialisiert hatte, und hatte sich auf der Bühne völlig verausgabt. Eigentlich hätte er genauso am Ende sein müssen wie ich. Klar, ich hatte mich auf der Bühne auch ziemlich ins Zeug gelegt. Ich hatte vor Hunderten Zeugen, die anschließend applaudierten, weil sie das Ganze für einen Teil der Halloweenshow hielten, gegen eine Fee gekämpft und sie getötet. Mörderische Feen und Rock ’n’ Roll: Das war bloß ein geringer Teil dessen, womit wir es an dem Abend zu tun bekommen hatten. »Willst du mir wirklich jetzt deine Wohnung zeigen?« »Da meine einzige Glühbirne durchgebrannt ist, wirst du nicht viel zu sehen bekommen.« Damit glitt sein schlanker, starker Arm um mich. Ach, wie fühlte ich mich in seinen Armen sicher und geborgen. »Aber das wäre eh nichts gegen das, was du spüren wirst, versprochen.« Worauf Johnny hinauswollte, war klar, und dasselbe galt für den Grund, warum er für einen Ortswechsel plädierte. Ich hatte ihm längst von meiner Sorge erzählt, die übrigen Hausbewohner könnten herausfinden, dass wir zusammen waren, also gab er sich Mühe, das Geheimnis für sich zu behalten. In seiner Wohnung wären wir unter uns gewesen und hätten uns nicht wie hier in getrennte Schlafzimmer verdrücken müssen, und es wäre schon schön gewesen, nach dem Sex kuscheln und nebeneinander einschlafen zu können. Anscheinend meinte er, wir könnten, solange man uns nicht zusammen sah, alles abstreiten. Nicht, dass meine im Haus wohnende Großmutter Nana uns abgekauft hätte, dass wir seiner Wohnung mitten in der Nacht einen Besuch abstatteten, bloß damit er mich dort mal herumführen konnte. Nana und meine neun Jahre alte Pflegetochter Beverley schliefen – aber ihre Schlafzimmer lagen gerade mal über den Flur. Außerdem waren die Wände des alten Farmhauses dünn wie Pergament. Nicht mal die Dämmplatten zwischen der Decke des Obergeschosses und dem Fußboden des Speichers darüber reichten aus, um Schall zu schlucken. Ich hatte Johnny da oben schon Gitarre spielen hören, wenn er seinen mickrigen Verstärker nicht mal auf eins aufgedreht hatte. Allerdings hatte ich ihm noch nicht alles gesagt. »Bei Sonnenaufgang schlägt der Lucusi hier auf, Johnny.« Er zog mich an sich. Er hatte nach dem Auftritt geduscht und den Geruch seiner verschwitzten Bühnenklamotten aus Leder abgewaschen, bis nur sein einzigartiger Duft nach Zedern und Salbei zurückgeblieben war. »Einen Versuch war’s wert.« Sein Atem strich warm über meinen Hals, seine Stimme fuhr so rau in mein Ohr, dass ich bis in die Zehenspitzen hinab erschauerte. Ein Teil von mir bestand plötzlich darauf, ganz und gar nicht ermattet zu sein, sodass ich die Bedeutung des Wortes Ermattung neu überdenken musste. »Die Fahrt in die Stadt dauert einfach zu lang, und wenn wir bei Sonnenaufgang wieder hier sein wollen, müssen wir eh gleich wieder umdrehen.« Doch Frischverliebte machten so verrückte Sachen. Hatte ich gerade an das Wort mit L gedacht? »Du könntest fliegen.« Da hatte er recht, das hätte ich tun können. Dank meines Auftritts ein paar Tage zuvor während des Eximiums, eines Wettstreits der Hohepriesterinnen, war ich in den mächtigen, von der Eldrenne Xerxadrea angeführten Lucusi aufgenommen worden, dessen Erscheinen bei Morgengrauen fällig war, und zu den Vorteilen der Mitgliedschaft gehörte ein echter Hexenbesen. »Aber …« »Du willst nicht fliegen?« Er stieß sanft an meinen Hals. »Das ist es nicht.« Ich fuhr mit den Fingern durch sein langes, dunkles Haar, hob den Blick – sehr weit nach oben, schließlich maß er stolze eins siebenundachtzig – und gab zu erkennen, dass ich auch scharf auf ihn war. »Aber ich habe eine bessere Idee.« »Lass mich daran teilhaben.« Ein weiterer Nasenstüber. »In meinem Haus gibt es einen Ort, an dem man allein sein kann und der total schalldicht ist.« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und sagte: »Deinen Zwinger.« »Wow, wie geil ist das denn!« Er fuhr mit der Hand meinen Rücken auf und ab und konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ausgerüstet mit einem Kerzenleuchter und Wolldecken führte ich ihn nach draußen und ums Haus herum zum Keller. Johnny öffnete die Metallflügel der schrägen Kellertür, und ich stieg die Betonstufen hinunter. Während Johnny die Tür hinter uns schloss, stellte ich die Kerze mitten auf den Fußboden und breitete die Decken über das frische Stroh zwischen den Käfigen aus. Ich spähte in die Dunkelheit hinter der Tür des letzten Hundezwingers. Hier konnte er die Bestie raus und dem Tier in ihm die Kontrolle überlassen. Ich erschauerte verlangend. Als ich Johnny die unterste Stufe betreten hörte, fragte ich über die Schulter: »Du kannst mir nicht zufällig aus diesem Kostüm helfen?« Er blieb auf der Stelle stehen. Ich zupfte an den Bändern meines bauchfreien Samtmieders mit Puffärmeln, das zu meinem Kostüm für die Party gehörte, und grinste. »Oh doch.« Seine Stimme klang ein bisschen heller als beabsichtigt. Er hielt inne, räusperte sich und fing noch mal an. »Oh doch, und ob ich das kann.« Im nächsten Atemzug war er bei mir und machte sich geschickt über den Knoten her. Augenblicke später gab der Stoff nach, und ich atmete tief durch. Dann berührten seine geübten Finger die nackte Haut an meiner Körpermitte, seine Daumen beschrieben kleine Kreise. »Kann ich dir sonst irgendwie behilflich sein?« »Streng genommen bin ich hier noch nicht raus.« »Oh«, flüsterte er. »Mein Fehler.« Dann machte er sich daran, die verschnürten Bänder weiter zu lösen. »Rauf oder runter?« »Auf jeden Fall rauf.« Er ging so sanft vor, bewegte sich so langsam und gab sogar auf meine Frisur acht. Er zog mir nur das Mieder über den Kopf, tat das aber so sinnlich, als würde er mich von oben bis unten eincremen. Mit Sonnencreme. Im Keller war es nämlich plötzlich so warm, dass ich ebenso gut in der Sommersonne hätte stehen können. Das Mieder fiel auf die Decken im Stroh zu meinen Füßen. Ich hielt die Arme über dem Kopf ausgestreckt, und Johnny legte meine Hände um die Sprossen über der offenen Käfigtür und drückte sie, um mir zu bedeuten, dass ich sie dort lassen sollte. Seine glühenden Finger zeichneten die Konturen meiner Arme nach, bis er langsam zu meinen Haaren vorgedrungen war, die er nun auf einer Seite hinter mein Ohr schob. Dann schmiegte er seinen Körper an meinen Rücken und knabberte an meinem Ohr. Während er zärtlich an meinem Ohrläppchen saugte, näherten sich seine Hände meinen Brüsten. Wie ein Flügelschlag flatterte etwas meine Wirbelsäule empor. Tief im Bauch ballte sich Hitze. Die Empfindungen durchzuckten mich wie Elektrizität, an Müdigkeit war nicht mehr zu denken. Draußen ging quietschend die Kellertür auf und krachte auf den Boden. »Ich hatte abgeschlossen«, brummte Johnny. Jemand kam die Stufen herunter. Wir fuhren herum, um zu sehen, wer … Menessos. Der Vampir glitt elegant die Stufen herab und sah sich beiläufig in dem mit Spinnweben ausstaffierten Keller um, ohne uns dabei die geringste Beachtung zu schenken. Meine Aura spürte die Wärme seiner Haut. Wenigstens war er satt. Die Fieberglut. Die Energie der Leidenschaft. Waren Johnnys Zärtlichkeiten oder der Vampir die Ursache dafür? Menessos’ Anwesenheit hatte schon während des Eximiums eine ähnliche Reaktion in mir hervorgerufen, doch hatte Johnny das sprichwörtliche Feuer in mir auch ganz alleine verflixt heiß auflodern lassen. Menessos war schon lange vor unserer ersten Begegnung der Artus Pendragon meiner Träume gewesen. Mit seinem nachlässig-majestätisch gelockten Haar und dem säuberlich gestutzten Bart erinnerte er an einen...