13 Pestgeschichten
E-Book, Deutsch, 242 Seiten
ISBN: 978-3-943531-83-1
Verlag: Burgenwelt Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Wort »Pest« ist ein Schreckgespenst – ein Mahnmal dafür, dass der Mensch nicht unbesiegbar ist. Die schiere Auslöschungswut dieser Seuche jagt uns bis heute einen Schauer über den Rücken. Manch einer sah die Pest damals gar als diabolisches Wesen, auf die Erde gesandt, um die Sünder zu strafen.
Viele traten der Pest mutig entgegen. Heiler, Priester, Quacksalber, Kräuterkundige, Bader und andere versuchten, ein Heilmittel zu finden – einige davon mit eher zweifelhaften Methoden. Pestheilige wurden angefleht und der Handel mit Schutzamuletten blühte. Unzählige Menschen starben, anderen konnte die Seuche auf wundersame Weise nichts anhaben.
Diese 13 hier zusammengetragenen Pest-Geschichten offenbaren den ganzen Schrecken des Schwarzen Todes!
Mit Geschichten von:
Alvar Borgan * Tanja Brink * Udo Brückmann * Nina Casement * Anna Eichenbach * Sabine Frambach * Monika Grasl * Geli Grimm * Erik Huyoff * Olaf Lahayne * Daniel Stögerer * Ulrike Stutzky * Anton Vogel
Herausgegeben von Regine D. Ritter und Jana Hoffhenke
Autoren/Hrsg.
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Die Melodie des Totensammlers – Sabine Frambach Es liegt an den Winden, Graf. Die Winde. Sie kommen über das Meer aus Indien; wohin diese verdorbenen Winde gelangen, sterben die Menschen. Haltet die Läden geschlossen, besonders in Richtung Süden.« Der Graf zog die Decke, mit der er seinen alternden Leib umwickelt hatte, hoch bis zum Mund. »Sie sagen, dass der Tod kommt, zu allen Menschen, ob arm oder reich, Kinder sterben ebenso wie Greise.« Seine Finger umklammerten den Stoff. »Ich will nicht sterben.« »Ich bin ja hier, Graf. Sagt den Mädchen, dass sie die Läden nach Süden geschlossen halten sollen. Morgen werde ich wieder nach Euch sehen.« Johannes verließ den Grafen, nachdem er für seinen ärztlichen Rat den Lohn erhalten hatte. Ein guter Verdienst, wie gewöhnlich. Die Furcht zu erkranken trieb den Grafen seit Jahren dazu, wöchentlich nach ihm rufen zu lassen, obwohl er äußerst gesund war. Seit der Schwarze Tod die ersten Opfer gefordert hatte, bangte der Graf umso mehr und fragte ihn täglich um Rat. Die Münzen steckte Johannes gerne ein, wusste aber bald nicht mehr, was er dem Grafen noch empfehlen konnte. Er hatte ihm Heilsteine in Wasser unter das Bett geschoben, getrockneten Rosmarin über die Türen hängen lassen, ihm angeraten, sich warm zu halten und wegen des Raureifes keine Spaziergänge bis zur dritten Stunde nach Mitternacht zu unternehmen. Der Graf war nicht gesünder geworden, aber er war auch nicht erkrankt. Johannes konnte das Geld gut gebrauchen. Lieber kümmerte er sich allerdings um wirklich kranke Menschen, um jene, die schwach waren und durch ihn gesundeten. Nicht der Kopf, die Hände machen den Heiler, das wusste Johannes. Eben diese Hände nutzte er, ließ die Patienten zur Ader, dass der schädliche Saft aus ihnen fließe, mischte ihnen Salben und legte Verbände an. Was er nicht tat, war das Schneiden. Das überließ er den Dentisten, Wundärzten und Steinschneidern. Johannes mochte die Vorstellung nicht, in einen Menschen hinein zu schauen. Es kam ihm falsch vor; was die Natur verborgen hielt, sollte der Mensch nicht offenlegen. Er betrachtete den Menschen von außen, roch an ihrem Atem, schaute nach der Farbe ihres Wassers und verordnete die richtige Pflege. Diese Krankheit, die aus dem Süden zu ihnen gekommen war, konnte er nicht begreifen, was er nicht begriff, konnte er nicht behandeln. Wie schnell es ging; jeden Tag hörte er von neuen Kranken. Von Toten. Die Erkrankung blieb ein dunkles Rätsel, doch helfen wollte er, wie er immer half. Fassungslos bemerkte er, wie schnell andere Menschen aus Angst ihre Pflichten vergaßen. Geistliche verweigerten die Salbung der Kranken, Heilkundige verschwanden über Nacht. Auch die Toten zu bestatten wurde schwieriger; kaum einer wollte sie einsammeln, zum Friedhof begleiten, für sie beten und sie in ein Grab legen. Johannes, entschlossen, weiterhin seine Pflicht zu tun, suchte auf dem Weg eine Familie auf, die er schon Jahre betreute. Deren Nachbar hatte ihm Bescheid gegeben. Das jüngste Kind des Wagenbauers, Sophie, war krank. Johannes kannte das Mädchen, seit es auf der Welt war, ein freundliches Kind mit stillem Gemüt und abstehenden Haaren. Als er zur Hütte kam, stand die Tür offen. Er klopfte. Die letzten Male hatten ihn die älteren Geschwister bereits an der Tür begrüßt, ihn umringt und an seinen Händen gezogen. Johannes lauschte. Er hörte leises Weinen; gewiss die kleine Sophie. Nochmals klopfte er und rief: »Ist einer daheim?« Da öffnete sich die Tür des Stalls, nur einen Spalt, und die Frau des Wagenbauers steckte eine Hand heraus. »Johannes, Ihr seid gekommen! Euch schickt der Himmel.« Eilig schritt Johannes zum Stall, schaute in den Spalt und warf einen Blick auf die Mutter. »Euer Nachbar hat mich gerufen wegen Sophie. Wo ist sie?« Einen Finger reckte die Mutter und deutete auf die Tür der Hütte. »Da drin«, hauchte sie. »Ihr Körper ist voller Beulen, sie schreit und schreit.« Plötzlich griff die Frau nach Johannes’ Arm und krallte sich daran fest wie eine Ertrinkende. »Es ist ansteckend, nicht wahr? Bin ich auch krank? Könnt Ihr es sehen?« Johannes blickte sie an, ihr eingefallenes Gesicht, die lodernde Furcht in ihren Augen. Er schüttelte die Hand ab. »Ich sehe nicht, dass Ihr krank seid. Daher frage ich mich, warum Ihr nicht bei Eurem Kind wacht, sondern Euch im Stall versteckt.« Ganz schmal wurde der Spalt, durch den die Frau flüsterte: »Der Vater ist fortgegangen. Hat die Beulen gesehen, nahm die Kinder mit und fuhr davon, nach Norden. Hat mich alleine gelassen.« »Ich werde nach Sophie schauen«, antwortete Johannes und schritt zur Tür. Ganz still war es in der Hütte, als ob das Leben ebenfalls nach Norden geflohen war. Er trat über das Stroh zur hinteren Kammer. Da lag Sophie, fiebernd, er konnte ihren Atem hören, schmatzende, rasselnde Geräusche. »Sophie, kleine Sophie, ich bin da, ich kümmere mich«, murmelte er und wusste doch, dass er nicht helfen konnte. Ein Tuch, eingetaucht im Sud der Salbeiblätter, legte er ihr auf die Stirn; sodann trat er hinaus. »Es steht schlecht um das Kind«, sagte er zu dem Gesicht hinter dem Spalt. »Lauft und holt einen Geistlichen; er soll sie salben.« »Es wird keiner kommen«, zischte die Frau, doch sie ging los, lief so schnell, dass Johannes glaubte, sie liefe fort. Als die Sonne schwand, kehrte sie zurück. »Es wird keiner kommen«, wiederholte sie. Johannes nahm ein sauberes Tuch aus seinem Beutel, wischte die Hände daran ab und trat an der Frau vorbei. »Es ist ohnehin zu spät. Ich kann nichts mehr tun.« Er wartete, bis der Karren kam. Ein Karren voller Tod, schwarz und stinkend, Körper aufeinander geworfen wie Vieh, und niemand lief mit, um zu klagen. Doch der Totensammler sah kräftig aus, zog den Karren und pfiff dabei eine Melodie, die das Herz fröhlich stimmte. Johannes’ Herz aber blieb schwer; feucht und salzig brannten seine Wangen. Er schluckte, trat zu dem Karren, die kleine Sophie eingewickelt in ein Tuch, und murmelte ein Gebet. Das Mädchen hatte niemandem ein Leid getan. Gewiss würde es auch ohne Salbung in den Himmel kommen. Schon ratterte der Karren weiter, in Richtung des Berges, wo in den Gruben die vielen Toten verscharrt wurden. Das fröhliche Lied klang fort, bis es mit dem Totensammler in der Ferne verschwand. Wie lange, überlegte Johannes, wird er wohl noch pfeifen? Die meisten, die mit den Toten zu tun haben, sterben bald selber. »Es liegt an den Winden! Dämpfe, welche die Sonne verhüllen, um das Licht in Finsternis zu verwandeln. Diese Dämpfe steigen auf und ab, achtundzwanzig Tage lang, mit gewaltiger Kraft reißen sie das Meer aus dem Becken und verwandeln es in Dampf! Es wird Regen geben, meine Freunde, und der Regen wird stinken bis zum Himmel! Zum Schutz sollten wir Feuer anzünden von Rebholz und grünem Lorbeer; des Weiteren verbrenne man Wermut und Kamille in großer Menge!« Johannes lauschte den Ausführungen des anderen Baders, der wie stets bei seiner Rede rot anlief, die Hände ausbreitete und so schnell sprach, dass sein Speichel durch die Luft flog. Seit der Tod durch die Gassen tobte, trafen sich die Heilkundigen wöchentlich und debattierten. Johannes hoffte immer, etwas Neues zu erfahren; doch bislang hielten sich die Empfehlungen an die des Pariser Gutachtens. »Diese Feuer brennen bereits am Markt, bislang ist nicht bekannt, ob sie helfen«, entgegnete er. »Ich weiß kaum noch, was ich den Menschen raten soll.« »Ich empfehle, kein schwimmendes oder fliegendes Geflügel zu essen, alte Ochsen, kein fettes Fleisch. Man esse Fleisch, das ein gehöriges Alter hat, warmer und trockener Natur ist, keineswegs aber reizend. Dazu Brühe, zubereitet mit gestoßenem Pfeffer und Gewürznelken. Zum Frühstück klarer Wein mit Wasser vermischt. Früchte mit Wein schaden nicht, aber ohne Wein werden sie tödlich. Und keine roten Rüben!« »Keine roten Rüben? Woher wisst ihr das?«, fragte Johannes. »Einer hat rote Rüben gegessen, kurz danach ist er gestorben. Ganz schnell ging es, er hustete und röchelte und glühte, bis es vorbei war. Seitdem empfehle ich, keine roten Rüben zu essen. Rote Rüben sind schädlich. Von Fischen soll man nur kleine essen, aus dem Fluss. Wer sich an diese Diät hält, bleibt gesund.« Johannes nickte. »Habt ihr auch Kranke behandelt?« Der Heiler schüttelte das Haupt. »Nein. Wer krank wird, hat sich nicht an die Diät gehalten.« Johannes kehrte am nächsten Tag zum Grafen zurück. Auf den Straßen hörte er ein Rumpeln, das Knarren der Räder eines vollgeladenen Karrens, begleitet von grässlichem Gestank und einem fröhlichen Lied. Johannes machte kehrt, lief einige Schritte und schaute dem Karren hinterher. Es war der Totensammler, der gestern die kleine Sophie mitgenommen hatte. Die fröhlichen Töne klangen lange nach, wie eine verblichene Erinnerung an Schönheit und Glück. Im Haus des Grafen gab Johannes in der Küche Anweisungen. »Keine roten Rüben«, befahl er, »merkt es Euch genau, nur kleine Fische, Brühe mit Nelken und Pfeffer und kein fettes Fleisch. Besser ein alter Ochse! Kein Geflügel, keine Fische aus dem Meer! In der Luft und im Wasser entsteht der Wind, und dieser Wind bringt den Tod.« Der Graf lag wie die Tage zuvor eingewickelt in einer Decke; nach Norden standen die Läden offen, die nach Süden waren mit zwei Brettern vernagelt. »Wie fühlt Ihr Euch?« »Schlecht.« Der Graf starrte ihn an und hustete trocken. »Mein Leib schmerzt.« Johannes tastete...