Therapiemethoden im Vergleich
E-Book, Deutsch, 254 Seiten
ISBN: 978-3-17-035136-3
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Vorwort
Erich Fried, Aufhebung »Sein Unglück ausatmen können, tief ausatmen, so dass man wieder einatmen kann und vielleicht auch sein Unglück sagen können in Worten, in wirklichen Worten, die Zusammenhänge und Sinn haben und die man selbst noch verstehen kann und die vielleicht sogar irgendwer sonst versteht oder verstehen könnte und Weinen können, das wäre schon fast wieder Glück« (aus: Erich Fried, Beunruhigungen. Gedichte © 1984, 1997 Verlag Klaus Wagenbach, Berlin.) Ein Weiterbildungsseminar für Therapeutinnen und Therapeuten am Traumahilfezentrum Nürnberg beschäftigte sich im Herbst 2017 einerseits mit der Frage, was wir bisher über Traumakonfrontation und -integration zu wissen glauben, andererseits wurde ein Strauß von weitgehend in Deutschland entwickelten, gelehrten und angewandten Traumakonfrontationsmethoden vorgestellt. Dieser Strauß war bunt und vielfältig: Erzählen, Malen, Imaginieren, Visualisieren waren kreative Möglichkeiten des Vorgehens. Neben Knospen gab es auch voll erblühte Blumen: Manche Methoden waren noch nicht in einem Buch veröffentlicht, andere mehrfach beschrieben. Manche waren evaluiert worden, andere nicht. Gemeinsam war allen, dass aufmerksame, engagierte, kreative, klinisch erfahrene und gut belesene Therapeutinnen und Therapeuten aufgrund ihres traumatherapeutischen Wissens und eigener Beobachtungen in der Praxis Methoden entwickelt hatten, die ihre Patientinnen und Patienten aus dem Gefangensein, Eingefrorensein in Erinnerungen an traumatisches Geschehen befreien, ihr Erleben wieder lebendiger, bunter machen sollten, auch wenn die Narben immer noch sichtbar waren. Erich Fried drückt dies in obenstehendem Gedicht sehr passend aus: »…Weinen können, das wäre schon fast wieder Glück«. Die Veranstalter des Seminars wünschten sich, dass der Strauß nicht nur einmalig für die am Seminar Teilnehmenden blühte, sondern auch für andere eine Bereicherung darstellte, und so war die Idee zu einer Publikation geboren. Der von uns gewählte Titel dieses Buches wirkt zuerst vielleicht technisch und sehr auf Prozeduren angelegt. Bei näherer Betrachtung werden Sie feststellen, die Autorinnen und Autoren beschäftigen sich hier mit einem klinisch praktisch schwierigen wie auch umstrittenen Bereich psychotherapeutischen Denkens und Handelns. Ein Bereich, der nicht nur Therapeutinnen und Therapeuten oft in große Unsicherheiten und Zwiespälte stürzt. Wir begegnen dem Leid, der Verletzung hier sehr direkt und damit auch zumindest implizit großen Fragen der menschlichen Existenz. Die Begegnung mit Menschen, welche die Erinnerungslast traumatischer Erfahrungen durch ihr Leben schleppen, ist eine Alltagserfahrung für die meisten von uns. Sie ist keineswegs auf therapeutische Zusammenhänge beschränkt. Fast unmittelbar und reflexhaft versuchen die so Angesprochenen einerseits berührt und auch fasziniert, das Dargebotene in irgendeiner Weise zu entschärfen, zu umgehen oder ganz auszublenden. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn Therapieansätze, die sich auf die traumatische Erinnerungslast fokussieren, zu intensiven polarisierenden Debatten führen. Dies geschah auch im Vorfeld des vom Nürnberger Traumahilfezentrum (www.thzn.org) ausgerichteten Symposions im September 2017. Die Veranstalter wollten gezielt Methodiken vorstellen, die aus unterschiedlichen und zum Teil gegensätzlichen Grundannahmen entstanden. Dabei war die Erwartung, es werde sich zeigen, dass es sehr wesentliche Gemeinsamkeiten für alle diese Therapieansätze gibt. Da Veröffentlichungen über EMDR in der traumatologischen Literatur bereits einen prominenten Platz einnehmen, entschlossen wir uns EMDR als Basiskonzept nicht erneut darzustellen, sondern in Verbindung mit dem Ego-State-Konzept. Es waren sowohl mehr defensiv wie auch offensiv orientierte Methodiken vertreten. Das Symposion selbst verlief sehr anregend. Wegen Terminschwierigkeiten konnten einige der wichtigen Referentinnen nicht teilnehmen, so dass das Bedürfnis wuchs, den Kongressband um einige Beiträge, den von Susanne Leutner, Ulrike Reddemann und Ellen Spangenberg zu erweitern. Natürlich kann der vorgelegte Band nicht umfassend sein, alleine schon dadurch, dass es strittig sein dürfte, welche traumafokussierte Therapiemethode im Kern integrativ wirkt. Eigentlich soll es das Ziel jeglicher Therapie sein, Belastungserfahrungen besser zu integrieren. Wir haben uns daher auf die Arbeitsweisen konzentriert, die mit traumatischer Erinnerungslast explizit umgehen. Bereits im Symposion war klar – es wird kaum eine Methode geben, die sich als überlegen erweisen wird. So unterschiedlich die Erschütterungen auf Menschen mit ihren verschiedenen Lebensentwicklungen wirken, so verschieden sind Therapeutinnen und Therapeuten auch. Daher geben alle Autorinnen und Autoren auch eine Einführung in ihre Grundannahmen, insbesondere in die Grundhaltung, die bei der Arbeit mit traumatischer Last erforderlich ist. Hier gibt es in diesem Buch ein großes Maß an Übereinstimmung für die Orientierung an Würde, Wahlfreiheit, Vorhersehbarkeit und dem Prinzip der gleichen Augenhöhe. Alle Methodiken dieses Werkes beschreiben Vier-Augen Therapien. Allerdings sind wohl auch gruppenbasierte Methodiken mit Aktualisierung traumatischer Erinnerung wirksam, wenngleich gegenwärtig noch zu wenig erforscht, um insbesondere in der niedergelassenen Praxis als Standard angewendet zu werden. Die enge Verzahnung von ressourcenaktivierender Gruppenarbeit mit traumafokussierender Einzeltherapie ist zwar schwer zu realisieren, wird sich vermutlich aber als besonders vorteilhaft erweisen. Aufgefallen ist uns beim Schreiben des Buches, dass sehr viel Forschungsarbeit zu leisten wäre: Nicht nur die Wirksamkeit der einzelnen Methoden bzw. ihre Nebenwirkungen, (Differential-) Indikationen und Kontraindikationen sind (noch besser) zu untersuchen, sondern auch einzelne Wirkfaktoren – so könnten die therapeutischen Wirkungen vertieft und verstetigt werden. Gleichzeitig würden Anstrengungen und Belastungen für Patientinnen vermindert. Als Herausgeber haben wir allen Wünschen widerstanden, die Beiträge zu vereinheitlichen. Sie sind daher hinsichtlich der Einteilung, des »Zungenschlages« recht unterschiedlich, und geben etwas von der Persönlichkeit der Autorinnen und Autoren wieder. Dies ermöglicht es den Lesenden sich leichter mit einzelnen Arbeitsweisen zu identifizieren oder auch beobachtende Distanz zu wählen. Transkripte waren uns ein besonderes Anliegen, der Lebendigkeit halber. Wir sind ohnehin der Überzeugung, dass Menschen Therapie letztlich vor allem in der persönlichen Begegnung mit erfahrenen Therapeutinnen und Therapeuten lernen können. In den jeweiligen Transkripten steht das »P:« für die direkte Rede von Patient/Patientin, das »T:« für die direkte Rede von Therapeut/Therapeutin. Die einzelnen Beiträge bauen nicht direkt aufeinander auf. Gertraud Müller beleuchtet die Problematik der Traumakonfrontation und ihrer Wirkung grundsätzlich. Dann findet sich mit Lutz Besser, Helmut Rießbeck und Susanne Leutner eine Gruppe mit starken dissoziationspsychologischen Wurzeln und Verankerung im EMDR. Mervyn Schmucker und Dorothea Weinberg sind besonders mit der Konfrontation »in sensu« verbunden. Dorothea Weinberg nutzt dabei Malen, welches auch bei der katathym imaginativen Psychotraumatherapie von Beate Steiner üblich ist. Ulrike Reddemann, Beate Steiner und Ellen Spangenberg sind am eindeutigsten als imaginative Methoden zu verorten. Auf diese Weise erfährt das Buch eine Aufteilung in zwei Schwerpunkte. Helmut Rießbeck fasst Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Methoden zusammen und zeigt in einem abschließenden Beispiel, wie multimodales Arbeiten gelingen kann. Die »Gender-Debatte« hat uns auch in diesem Buch erfasst. Wir haben uns dafür entschieden als geschlechtsspezifische Anrede grundsätzlich die weibliche Form zu verwenden in Würdigung der Tatsache, dass Therapeutinnen und auch Betroffene insbesondere bei sexueller Gewalt überwiegend Frauen sind. Dies war der Wunsch der Mehrheit der Beiträgerinnen und Beiträger. Bei Tätern dann ausschließlich die männliche Form zu verwenden ist aber eine problematische Suggestion, welche die Wirklichkeit nicht zutreffend abbildet. Auch die von uns verwendete Schreibweise soll so verstanden werden, dass alle Geschlechtsidentitäten selbstverständlich angesprochen sind. Zum Glück sind die Dinge hier sehr im Fluss – die Zukunft wird hinsichtlich der Schreibweise sicher mehr Gelassenheit bringen. Unser Dank als Herausgeber gilt unserer Lektorin, Frau Annika Grupp, die sorgfältig und kritisch ermutigend unser Projekt mit großer Geduld und Verständnis für technische Schwächen begleitet hat. Das Team des...