Ridder Wie wollen wir sterben?
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-641-04379-7
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein ärztliches Plädoyer für eine neue Sterbekultur in Zeiten der Hochleistungsmedizin
E-Book, Deutsch, 320 Seiten
ISBN: 978-3-641-04379-7
Verlag: DVA
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Die Würde des Menschen muss auch und gerade bei unheilbar kranken und alten Menschen respektiert und bewahrt bleiben. Viel zu oft allerdings setzen sich Ärzte über den Willen ihrer Patienten hinweg, tun alles, was medizinisch und technisch möglich ist, und tragen so eher zur qualvollen Sterbeverzögerung als zur sinnvollen Lebensverlängerung bei. Aber Lebensverlängerung, so de Ridder, darf nie zum Selbstzweck werden. Ein leidenschaftliches Plädoyer für Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende.
Der medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte hilft zahllosen Patienten, verschafft Heilung oder zumindest Linderung, rettet und verlängert Leben. Gleichzeitig hat Hochleistungsmedizin, wie sie in unseren Krankenhäusern praktiziert wird, aber auch ihre Schattenseiten. Michael de Ridder, seit über dreißig Jahren an verschiedenen Kliniken in Hamburg und Berlin als Internist, Rettungs- und Intensivmediziner tätig, plädiert dafür, Sterben wieder als Teil des Lebens wahrzunehmen und anzuerkennen. Er richtet sich damit nicht zuletzt an die eigene Zunft. Vielfach verstehen sich Ärzte in einer medizinisch-technischen Krankenhauswelt, in der alles möglich scheint, ausschließlich als Heilende. Was aber, wenn eine Heilung nicht mehr möglich ist? Wenn ein Patient »austherapiert« ist, wie es im Fachjargon heißt? Statt Todkranke um jeden Preis am Leben zu erhalten, müssen Mediziner lernen, in aussichtslosen Situationen ein friedliches Sterben zu ermöglichen. Gerade hier, so de Ridder, sind Ärzte gefragt, als Begleiter, als Fürsorger.
Autoren/Hrsg.
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(S. 183-184)
Katharina S. - »ein beatmeter Kopf«
»Schön, dass Sie da sind.« Mit leiser, fast flüsternder Stimme hatte Dr. Katharina S. mich begrüßt und dabei aus den Augenwinkeln, ohne den Kopf in meine Richtung zu wenden, angesehen. Aus blitzblanken, wachen Augen hat mich ihr Blick getroffen, ein wenig kritisch und abschätzend, doch nicht im Geringsten unfreundlich. »Bitte, nehmen Sie doch Platz!« Ihr Zimmer auf der Rehabilitationsstation der Neurochirurgischen Abteilung gleicht eher einem multimedialen Elektroniklabor als einem Krankenzimmer: Am Kopfende des Bettes werden kontinuierlich auf einem Monitor ihr Blutdruck, ihre Körpertemperatur sowie ihre Herz- und Atemfrequenz angezeigt.
An der Wand ist ein Laptop installiert, das einerseits mit einer Telefonanlage, andererseits über einen Schwenkarm mit einem Beamer verbunden ist, der den Bildschirm des Computers an die Decke projiziert. Auf einem Rolltisch faucht eine Beatmungsmaschine, mit der Katharina S. Tag und Nacht verbunden ist. Seit viereinhalb Monaten schon hängt ihr Überleben von diesem Gerät ab. Am Rahmen ihres Bettes ist ein Stativ mit einem Mikrofon angebracht, das direkt vor ihren Mund reicht und an seiner Spitze eine Sonde trägt, die, wenn Katharina S. sie mit der Zunge berührt, der Stationszentrale signalisiert, dass sie einen Wunsch hat oder Hilfe braucht. Auf der Fensterbank steht eine große Glasschale mit frischen, klein geschnittenen Früchten, auf dem Tisch Blumen und Kuscheltiere, zwischen denen eine kleine Buddhafigur hervorlugt.
Gerade habe ich auf einem Stuhl neben ihrem Bett Platz genommen, als ein ätherisch anschwellender Klang den Raum füllt. »Sprachsteuerung!«, haucht sie angestrengt ins Mikrofon, und zu mir gewandt: »Bitte entschuldigen Sie einen Moment, ein Telefonanruf. Wahrscheinlich aus San Diego, bleiben Sie ruhig im Zimmer.« Ein Lautsprecher lässt mich alles mithören. »Telefonsteuerung!«, fährt sie fort.»This is Jack. Hi, Katharina, how are you today?«, meldet sich eine ferne Stimme. »Hello Jack! I told you not to call so early today, I have a visitor, let’s talk later, okay?« ,
Katharina S. wollte unbedingt, wenn sie und ich das erste Mal aufeinanderträfen, mit mir unter vier Augen sprechen, hatte mir ihr früherer Lebensgefährte Thomas L., der seit zwei Monaten auch zu ihrem Betreuer bestellt war, vor einigen Tagen anlässlich einer allerersten persönlichen Kontaktaufnahme mitgeteilt, die über eine Beratungseinrichtung einer freidenkerischen Organisation zustande gekommen war. Katharina S. und Thomas L. kennen sich seit Studententagen und waren für einige Jahre sehr glücklich miteinander. Zwar trennten sie sich später als Paar, nicht aber als Freunde und Partner.