Erotischer Roman
E-Book, Deutsch, 100 Seiten
ISBN: 978-3-88769-865-2
Verlag: konkursbuch
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
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Sommer
Meine Aufzeichnungen aus jener Zeit sind kaum dienlich, um die Begegnung mit Pascale so eindringlich zu schildern, wie ich es wünschte. Auf Kaffeefiltern, linierten Abrissen von Reiseblocks, auf Servietten, Tischsets und Packpapier in winziger Schrift und enger Linierung gekritzelte Euphorie, die die Grenzen der Normalität sprengt. Immer wieder kommen Pascales dichte, manchmal feine, dann fest zusammengezurrte Locken vor, immer wieder die dicken Mauern ihres Hauses und des weiß getünchten Raumes, in dem ich spät am Vormittag aufwachte und auf die grünen Läden schaute, während sie draußen schon längst dabei war, die Pflanzen ihres Anwesens zu bewässern, zu pflegen, ihre langen, muskulösen, sonnengegerbten Arme ragten aus einem ausgebleichten T-Shirt, wenn sie die Bewässerungsschläuche einrichtete. An den Fetzen ihrer Locken zerrte der Wind. Es ist ein raues Klima in Maguez, im Winter ist die Temperatur sogar nahe dem Nullpunkt, nicht gerade das, wofür die Kanaren bei uns bekannt sind. In meinen Aufzeichnungen verherrliche und belobige ich diese Zeit mit ihr, die Fremdheit ihres Naturells, die wilde Einsamkeit ihres Wesens dermaßen, dass kein vernünftiger Mensch auf die Idee käme, diese Worte, wenn er sie liest, für bare Münze zu nehmen. Waren sie denn nicht eher Beschwörungsformeln, um eine Begegnung, die von Anfang an ihre Mucken und Schwachstellen hatte, zu glorifizieren, weil ich in jener Zeit meines Lebens für eine Frau wie sie anfällig war? Schwachstellen, die mir sogar in den ersten Tagen der Beziehung in Stunden des Zweifels bewusst waren und die ich anfangs nur zu gern übersehen wollte. Andererseits: wie soll man Glück denn beschreiben? Meine Sätze klingen überzogen und pathetisch und erinnern an die Versuche von Menschen, das Gefühl dankbarer Großzügigkeit zu schildern, das sie bei Sitzungen mit einem selbst erwählten Guru verspüren und als Erleuchtung bezeichnen. Das Stammeln und die verklärten Augen, das vergebliche Ringen um die richtigen Worte sagen genug über das Scheitern eines solchen Unterfangens aus. „Ich bin glücklich. Ich habe eine neue Liebe. Pascale ...“, beginnt eine Eintragung am fünfzehnten September jenes Jahres. Eine schwere Geburt, diese neue Liebe allerdings: bis wir einander endlich trafen, bis ich die in ihr entfachten Gefühle zurückgeben konnte. „Habe ich mir doch seit letztem Sommer gewünscht, dass es mit uns beiden so kommt ...“ Vielleicht war es weniger ein konkreter Wunsch als eine unscharfe Sehnsucht. Pascale wurde mir damals von Kerstin, der wuchtigen Deutschen, die in Tias wohnte, vorgestellt. „Da sind zwei Frauen vom selben Schlag wie du“, sagte Kerstin, „die solltest du kennenlernen.“ Sie meinte im Klartext: ein Frauenpaar. Kerstin hatte eine sehr schnell gefasste, später nie mehr revidierte Meinung von mir: Immer wenn du kommst, gibt es Drama. Sie meinte damit gebrochene Herzen – bei den anderen, nicht bei mir. Dies war aber nur die halbe Wahrheit, eine, die Kerstin akzeptieren konnte. Mein eigenes Herz hatte ebenfalls oft Federn gelassen, und nicht zu knapp. Kerstin wartete mit mir in der Bar der Casa Vieja, ein Restaurant in einer alten Finca, das auf sehr nobel und sehr authentisch machte und Salzfisch servierte, zu hohen Preisen. Die Bar ging aber, zumindest solange man vom Besitzer nicht angeredet wurde, einem untersetzten Schwaben, der erst Koch gewesen war, dann das Restaurant übernommen hatte und nun überquoll vor betulicher Wichtigmeierei. Ich redete nie mit ihm, meine Begleiterinnen meistens leider schon. Kerstin, fast zwei Meter groß und die weiß gebleichten Haare punkig abgebissen, trug ihre schwere Motorradlederjacke, die abgesteppte Epauletten hatte und im Kreuz gefältelt war. Die Lippen ein wenig geschürzt, stand sie mit zurückgeworfenen Schultern da, ein Monument von fünfzig Jahren Frausein in Düsseldorf, nun in Lanzarote beheimatet. Die Jacke ließ sich nie und nimmer über der großen Brust schließen. Kerstin erzählte mir in nasaler Traurigkeit von ihren Männerbegegnungen auf der Insel. Sie war so hochgewachsen, dass die meisten ihrer Bettgefährten erst in die Horizontale kommen mussten, um sich küssend zu ihrem Gesicht vorwagen zu können, sie verliebte sich in erbärmliche, blasse, schmalhüftige, drogensüchtige Künstler, die im Liebesakt an ihrem Leib verschwanden, und wunderte sich, dass aus solchen Begegnungen nichts wurde, dass sie am nächsten Tag flohen, sobald sie sich dieses Debakels bewusst wurden. Ich nickte, ich hörte mir ja auf dieser Insel jedes Gejammer über Beziehungen oder das Leben generell an, um nicht allein zu sein. Da fegten zwei Frauen in die Casa Vieja, die waren einander auf ersten Blick ähnlich. Schäbige, zerzauste Lässigkeit. Bei zweitem Hinsehen gab es erhebliche Unterschiede. Die Deutsche war eine schlampig gekleidete Aussteigerin, mehr nicht. Die Französin hatte Klasse. Was sie trug, schien ihr angegossen und nur für sie bestimmt. Das in dicken, kleinen Löckchen verfilzte, lange Haar schien von einem unsichtbaren Windstoß in einem einzigen Schwung weggeweht zu werden, die Bewegungen des dünnen, doch drahtigen Körpers waren wild gewordene Eleganz. Kantige Kiefer. Hohle Wangen. Ausgeprägte Lippen in einem schönen mediterranen Schwung, wie eine endlos lang gezogene Küste. Schwarzbraune Augen in tiefen Knochenhöhlen, die schnell und scheu die Umgebung wahrnahmen. Dicke, schwarze Brauen, die fast zusammenstießen. Als ich sie sah, dachte ich: Ein dicht geballtes, zerberstendes Innenleben hat diese Frau sicher. Sie musste sich wohl nie, wie ich zumeist, Gedanken machen darüber, welche Haltung sie einnehmen sollte, ihre Gesten folgten einem natürlichen „Drive“, flossen geschmeidig dahin. Sie strahlte das Understatement aus, für das sie sich in ihrem Leben ein und für alle Mal entschieden hatte. Die widerspenstige Ablehnung der Haute Bourgeoisie, aus der sie kam. Die Zugehörigkeit zu einer privilegierten Schicht konnte sie jedoch nicht einmal in einem zerrissenen, verschossenen Wams verbergen. Denn manchmal hob sie den Kopf und reckte das Kinn hervor, nur kurz, aber das war wie ein Beharren auf Individualität, auf dem Wissen um ihren Wert. Die gutbürgerliche Tradition ihrer Pariser Familie klebte ihr am Leib, ebenso wie die felsige Sturheit der Menschen aus der Bretagne. Von dort kam ihre Mutter. All das fasste ich für mich selbst nicht in Worte, ich spürte es nur, ich war so fasziniert, dass ich sie in einem fort anschauen wollte. Ich fand sie unglaublich schön. Sie war es, die dem Erscheinungsbild dieses Paares Kraft gab. Ihre deutsche Freundin namens Wilma Keil war nicht hässlich, aber doch Durchschnitt, sie gab ihr Bestes, um nicht ganz abzufallen, sie tat geheimnisvoll, auch mild, und bestritt das Gespräch. Ich war zu schüchtern, um mich mit Pascale in ihrer Muttersprache zu unterhalten, man sollte nicht gleich wissen, dass ich an ihr interessiert war. Kerstin sprach nicht Französisch, also blieb die Unterhaltung deutsch, und Pascale drehte sich bald weg und begann mit den Lanzaroteños neben uns auf Spanisch zu reden. Dieser Abend entglitt mir. Ich erinnere mich, dass ich dachte, lang halten Frauenbeziehungen auf dieser Insel ohnehin nicht, bin neugierig, wann Pascale und Wilma sich trennen werden. Ich dachte nicht ans Bett, ich dachte nicht ans Verlieben, ich wollte Pascale bloß allein erleben. *** Ein Jahr später. In jenem ganz besonderen Sommer verbrachte ich meine erste Urlaubswoche auf Lanzarote zu zweit, mit Dieter, einer Liebe aus Wien, die schon im Ausklingen war, die nur noch in Zuckungen aufflammte, gerade hier im windigen, anstrengenden Süden. Gefühle und Sex wurden ein letztes Mal angestachelt durch die heißen, blitzblauen Sommertage, eine Harmonie zwischen uns vorgaukelnd, die in Wien nie möglich gewesen war. Als er abfuhr, durchlebte ich zwei Wochen ärgster Verzweiflung. Er war ja nicht bloß nach Wien zurückgefahren, sondern würde in ein, zwei Tagen eine lang geplante Reise in die Vereinigten Staaten antreten, mit seinem Kumpel Mitzler Richtung Westen fahren und sich damit einen lang gehegten Wunsch erfüllen. Er war ja so einer, der auf Countrymusic stand und auf den Mythos der Route 66 abfuhr. Schon hier, im Supermercado von Guatiza, hatte er sich das gleichnamige Männerparfum gekauft, das stank wie die Pest. Der Mitzler arbeitete bei Sat 1 und würde gleichzeitig Material für eine Sendung über die Lesben- und Schwulenszene in San Francisco sammeln. Dieters Reise hatte mich bis jetzt kalt gelassen, nun aber fand ich sie dreist. Denn ich blieb meiner sexuellen Potenz beraubt allein in Lanzarote zurück. Ich haderte auch wieder einmal mit meinen eigenen Entscheidungen. Wäre ich doch mitgefahren nach Amerika, anstatt vier Wochen hier verbringen zu wollen, drei Wochen davon allein. Die Highways, die Motels und der Mitzler waren mir, solange ich in Wien war, überhaupt nicht attraktiv vorgekommen. Jetzt begann Dieters Reise eine böse Anziehung auszuüben, jetzt, wo ich hier festsaß. Nicht gerade am hässlichsten aller Orte, zugegeben, es hätte schlimmer sein können, Wien und Büro im Hochsommer zum Beispiel, aber die Insel erschien mir in den ersten Tagen nach seinem Abflug trotzdem wie ein Gefängnis. Ich fühlte mich ausgehebelt. An Dieters letztem Abend, als der Abschiedsschmerz in ihm wütete, hatte er in einem alkoholunterstützten Rundumschlag diese meine geliebte Insel als Plastik-Kitschwelt denunziert, als Touristenschwindel, dem ich, zu dumm, um es zu bemerken, aufsitzen würde. Die Kunstblumen imWohnzimmer meines Bungalows am...