E-Book, Deutsch, 344 Seiten
ISBN: 978-3-7445-0769-1
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Kommunikationswissenschaften Massenmedien & Massenkommunikation
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Kommunikationswissenschaften Digitale Medien, Internet, Telekommunikation
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Kommunikationswissenschaften Kommunikation & Medien in der Politik
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Medienwissenschaften Medientheorie, Medienanalyse
- Sozialwissenschaften Medien- und Kommunikationswissenschaften Medienwissenschaften Fernsehen & Rundfunk
Weitere Infos & Material
Arabische Medien: Eine Einführung
Carola Richter & Asiem El Difraoui
Als die ersten exklusiven Bin Laden-Videos nach dem 11. September 2001 über den arabischen Satellitennachrichtensender AL-JAZEERA ausgestrahlt wurden, wurde auch den meisten deutschen Zuschauern dramatisch vor Augen geführt, dass die arabischen Länder eine dynamische Medienlandschaft besitzen. Im Kontext der Umbrüche im arabischen Raum erlangte der irreführende Begriff der »Facebook-Revolutionen« große Bekanntheit und fast jeder Mediennutzer außerhalb der arabischen Welt kennt die verwackelten Videos verschiedener Medienkollektive aus den Wirren des Bürgerkriegs in Syrien oder die erschreckend professionellen Clips der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Zahlreiche Artikel und Bücher haben sich nunmehr mit AL-JAZEERA, der vermeintlichen »Social-Media-Revolution« und dem »Medien-Dschihad« in der arabischen Welt beschäftigt. Jedoch werden die arabische Medienlandschaft und die arabischen Mediensysteme kaum in ihrer Gesamtheit betrachtet und in Zusammenhang mit historischen, politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen gebracht und inner-regional verglichen. Dieses Handbuch ist das erste Überblickswerk in deutscher Sprache, das sich systematisch einer Betrachtung transnationaler Phänomene und nationaler Spezifika in arabischen Ländern widmet und das Wissen zu den medialen Entwicklungen vor Ort so zusammenführt, dass ein umfassendes Verständnis politischer, sozialer und wirtschaftlicher Implikationen der Medienentwicklungen vermittelt werden kann. Der Begriff »Arabische Welt«, die über 300 Millionen Einwohnern umfasst, bezeichnet eine Vielzahl an Staaten, Bevölkerungsgruppen, Herrschaftsformen und Gesellschaftsordnungen. Vielfach wird die geografische Bezeichnung Naher Osten und Nordafrika (oder englisch: Middle East and North Africa = MENA) genutzt, um die riesige Flächenausdehnung der hier beschriebenen Region vom Atlantik bis nach Asien zu beschreiben. Die Staaten der MENA-Region sind alle Mitglieder der 1945 gegründeten Arabischen Liga und verstehen sich somit trotz ihrer Heterogenität als zusammengehörig, was nicht zuletzt in ihrer gemeinsamen Geschichte wurzelt: Insbesondere die sukzessive islamische Eroberung der Region und das spätere Aufgehen vieler der heute existierenden Länder im Jahrhunderte überdauernden Osmanischen Reich waren hier prägend. Das wesentliche einende Kriterium stellt sicherlich die arabische Sprache dar. Dies sollte allerdings nicht verdecken, dass wir es in den in diesem Buch beschriebenen Ländern mit einer Vielfalt an dialektalen Varianten des Arabischen und außerdem mit zahlreichen indigenen Sprachen wie Kurdisch oder Tamazight zu tun haben. Wir betrachten in diesem Buch 18 arabische Länder und ihre Medien, lediglich die Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga aus dem südlicheren Afrika (Mauretanien, Dschibuti, Komoren und Somalia) werden nicht behandelt. Warum lesen? Zur Bedeutung arabischer Medien
Arabische Länder und Gesellschaften sind also nicht homogen. Dennoch lassen sich auch einige in ihren Gemeinsamkeiten begründete Besonderheiten feststellen, die sie als regionales Phänomen speziell machen. Gleichzeitig kann ein tieferer Einblick in die Funktionsweisen und Rahmenbedingungen arabischer Medien zum generellen Verständnis von Medienentwicklungen außerhalb Europas beitragen. Kolonisation, Modernisierung, Kalter Krieg und Globalisierung sind Schlagworte, mittels derer sich die arabische Welt in globalgesellschaftliche Entwicklungen der Moderne einordnen lässt. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts gab es kaum ein arabisches Land, das in den heutigen Grenzen existierte. Seither wurden zahlreiche ethnisch und religiös disparate Bevölkerungsgruppen in Staatsgebilde zusammengewürfelt, was bis heute zu politischen und sozialen Spannungen führt. Für die Kolonialmächte Europas und später auch die Sowjetunion und die USA diente die Region nach 1945 mehr noch als Lateinamerika, Subsahara-Afrika und Asien als Spielfeld, um ihre Wirksphären abzustecken. Der starke Einfluss der Franzosen auf die Entwicklungen des Bildungs-, Rechts- und Mediensystems in den Ländern des Maghreb ist noch genauso spürbar wie die Implikationen der britischen Mandatsherrschaften in den Golfstaaten, Palästina und Irak. Das Zusammentreffen und die Konfrontation mit den europäischen Kolonisatoren und das damit verbundene Ende der jahrhundertelangen Dominanz der Osmanen in der Region löste eine Vielzahl von Entwicklungen im Medienbereich aus, darunter den Import neuer Technologien und Formate. Andererseits resultierten der Kolonialismus und die Rivalität der Supermächte nach dem zweiten Weltkrieg in zahlreichen Konflikten und Stellvertreterkriegen, die die Region immer wieder in ihrer Entwicklung zurückwarfen: Seien es die arabischisraelischen Konflikte, der Iran-Irak-Krieg in den 1980er-Jahren oder die Irak-Kriege von 1990/91 und 2003. Zudem unterstützten die Grossmächte verschiedene autoritäre Herrscher, die interne Stabilität und Loyalität garantierten, um im Kalten Krieg eine politische Machtbalance aufrecht zu erhalten. Dabei handelte es sich sowohl um Königshäuser, die sich über ihre Abstammung legitimieren wie in Saudi-Arabien, Jordanien, Oman, Kuwait, Qatar, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Marokko, als auch um nationalistisch geprägte Regime, die häufig einen starken Führerkult entwickelten wie in Ägypten, Libyen, Syrien, Algerien, Tunesien, im Sudan oder im Irak. Die auf diesen unterschiedlichen autoritären Herrschaftsformen beruhende politische Vermachtung des Mediensektors stellt ein wesentliches Kennzeichen aller arabischen Länder dar. Der in der Modernisierungsideologie der 1960er-Jahre verankerte und von den Machthabern in fast allen arabischen Ländern internalisierte Gedanke, dass die Medien unmittelbaren Einfluss auf die Willensbildung der Menschen hätten, führte aufgrund seiner politisch-gesellschaftlichen Implikationen dazu, dass die jeweiligen Herrscher die Massenmedien ihres Landes ihrer Kontrolle unterstellten. Dabei wurden verschiedene Strategien zur Legitimation dieser Vermachtung eingesetzt. Im besten Fall wurden Medien als Instrumente für die Erziehung und Entwicklung der Gesellschaften genutzt, doch in der Regel resultierte die autoritäre engmaschige Kontrolle darin, dass Medien zu Verlautbarungsorganen der Machthaber degradiert wurden. Jeder Herrscher nahm dabei für sich in Anspruch, am besten zu wissen, was gut für die Bevölkerung sei und welche Informationen sie erhalten sollte. In der Regel dienten Informationsministerien, die Lizenzen für alle Medienarten vergaben und Personalentscheidungen trafen oder überprüften, der Implementierung dieser Logik und der damit einhergehenden Zensur. In den meisten Ländern ist der Besitz von Medien noch immer ausschließlich in Staatshand. Die Kontrolle durch ein Informationsministerium ist mittlerweile zwar aufgeweicht, häufig handelt es sich aber lediglich um Pseudo-Liberalisierungen. Von wirklich unabhängigen Medien, die sich frei von Einflüssen der Machteliten als Vermittlungsinstanz zwischen Bürgern und Entscheidungsträgern verstünden, lässt sich derzeit in keinem arabischen Land sprechen. Tunesien kommt nach der Vertreibung Zine al-Abedin Ben Alis diesem Ideal noch am nächsten, doch wie in den meisten liberaleren Autokratien der arabischen Welt werden die Medien auch dort häufig als politische Instrumente ihrer Besitzer verstanden. In keinem einzigen arabischen Land existieren Medien, die man als »öffentlich-rechtlich« im europäischen Sinne bezeichnen kann. Entsprechend ist ein kritischer Blick auf die politische Ökonomie der Medien unerlässlich. In der Beschreibung der einzelnen Länder werden einem häufig die Wörter »Rentierstaat« oder »Rentenökonomie« und »Neo-Patrimonialismus« begegnen. Eine Rentenökonomie basiert auf Einnahmen, die nicht durch die Produktion von Gütern oder Dienstleistungen erwirtschaftet wird. Renten können beispielsweise aus dem Verkauf von Rohstoffen oder staatliche kontrollierten stabilen Einkommensquellen stammen, wie dem Suez-Kanal in Ägypten. Rentierstaaten sind also sehr stark von wenigen Einnahmequellen abhängig, ihre Ökonomien verfügen zumeist über einen nur sehr geringen Diversifikationsgrad. Zahlreiche arabische Staaten zählen zur Kategorie der Rentierstaaten – von den reichsten Golfländern über Libyen und Algerien bis zum armen Sudan. In anderen Ländern wie Ägypten und Marokko verfügen die Staatseliten über Monopolstellungen in zahlreichen Wirtschaftszweigen. Die oligarchischen Wirtschaftssysteme favorisieren ebenso wie die Rentenökonomien Neo-Patrimonialismus und Klientelismus: über die Verteilung der Ressourcen entscheiden die Machthaber. Wer davon profitieren will, muss sich loyal gegenüber den herrschenden Eliten verhalten. In den meisten Ländern sind deshalb häufig Patronage- und Klientelnetzwerke entstanden, in deren Mittelpunkt die Herrschaftseliten stehen, die mittels ihrer Kontrolle der politische Institutionen und der Wirtschaft ihre Stellung festigen und Strategien entwickeln, um sich dauerhaft die Loyalität der Bevölkerung als »Klientel« zu sichern. Den Medien kommt dabei als wirtschaftliche...