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E-Book

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

Reynolds Frostgrab

E-Book, Deutsch, 416 Seiten

ISBN: 978-3-95967-590-1
Verlag: HarperCollins
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Die Snowboarderin Milla trifft auf einer einsamen Lodge in den französischen Alpen ihre Clique von früher wieder. An diesem Ort haben sie vor zehn Jahren gemeinsam trainiert, bis eine Tragödie alles zunichtemachte. Doch was Milla als harmloses Wiedersehen ansah, entwickelt sich schnell zum gnadenlosen Psychospiel. Plötzlich sind die Handys verschwunden, und die Seilbahn steht still. Dann ist der Erste von ihnen tot. Die eisige Bergspitze droht zum Grab für sie alle zu werden, wenn sie nicht ihr düsterstes Geheimnis offenbaren. Und jeder hat etwas zu verbergen. Besonders Milla.

Allie Reynolds fuhr professionell Snowboard und rangierte unter den ersten zehn in der Rangliste. Sie verbrachte mehrere Winter in den Bergen von Frankreich, der Schweiz, Österreich und Kanada. Im Jahr 2003 tauschte sie das Snowboard gegen das Surfbrett und zog an die Goldküste in Australien, wo sie fünfzehn Jahre lang Englisch als Fremdsprache unterrichtete.

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1 »Hallo?« Mein Rufen hallt in der Betonhöhle nach. Die vertrauten rot-weißen Seilbahngondeln stehen aufgereiht hintereinander, aber im Führerstand der Anlage ist niemand. Die Sonne ist hinter den Alpen verschwunden, der Himmel rosa, aber im Gebäude brennt kein einziges Licht. Wo sind alle? Ein eisiger Wind schlägt mir ins Gesicht. Ich vergrabe mich tiefer in meine Jacke. Es ist außerhalb der Saison, und der ganze Ort befindet sich in einer Art Winterschlaf noch bis nächsten Monat. Ich gehe nicht davon aus, dass die anderen Skilifte in Betrieb sind, allerdings dachte ich, dieser hier schon. Wie sollen wir sonst hoch auf den Gletscher kommen? Habe ich mich vielleicht im Tag geirrt? Ich stelle die Snowboardtasche ab und nehme mein Telefon heraus, um noch mal einen Blick auf die E-Mail zu werfen. Ich weiß, ist schon ziemlich lange her, aber hättest du Bock auf ein Wiedersehen-Wochenende? Panoramagebäude, Glacier du Diable, Le Rocher. Treffpunkt Freitag, 7. November, 17 Uhr, an der Seilbahn. C. x C steht für Curtis. Hätte mich jemand anderer eingeladen, hätte ich die Mail ohne Antwort sofort gelöscht. »Yo, Milla!« Und schon kommt Brent mit großen Schritten die Treppe rauf, steuert auf mich zu. Zwei Jahre jünger als ich, inzwischen also einunddreißig, aber er besitzt immer noch seinen jungenhaften Charme – das weiche dunkle Haar, die Grübchen –, allerdings sieht er leicht angegriffen und müde aus. Mit einer stürmischen Umarmung hebt er mich hoch. Auch ich drücke ihn fest. Die vielen kalten Nächte, die ich in seinem Bett verbracht habe. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich mich so lange nicht bei ihm gemeldet habe. Doch nach allem, was passiert ist … Na ja, er hat sich ja auch nicht bei mir gemeldet. Über seiner Schulter zeichnen sich die spitzen Gipfel als Schatten vor dem dunkel werdenden Himmel ab. Will ich das wirklich machen? Noch ist es nicht zu spät. Ich könnte mir irgendwelche Ausreden einfallen lassen, wieder in den Wagen springen und zurück nach Sheffield fahren. Hinter uns räuspert sich jemand. Wir lösen uns voneinander und sehen den großen, blonden Curtis. Irgendwie war ich davon ausgegangen, dass Curtis immer noch so aussieht wie bei unserer letzten Begegnung. Von Trauer gezeichnet. Ein gebrochener Mann. Aber natürlich war es nicht so. Er hatte zehn Jahre, um darüber wegzukommen. Oder es zumindest irgendwie wegzupacken. Curtis’ Umarmung ist kurz. »Schön, dich zu sehen, Milla.« »Gleichfalls.« Es ist mir schon immer schwergefallen, ihm direkt in die Augen zu sehen, weil er so verflucht gut aussah – immer noch aussieht –, aber heute fällt es mir noch schwerer. Curtis und Brent geben sich die Hand, Curtis’ Hand sehr weiß auf der von Brent. Sie haben ihre Snowboards mitgebracht; nicht weiter überraschend. Ohne konnten wir kaum auf den Berg. Sie tragen Jeans, wie ich, aber ich finde es lustig, dass ich unter ihren Snowboardjacken Hemdkragen sehe. »Ich sollte mich hoffentlich nicht aufbrezeln«, sage ich grinsend. Curtis mustert mich von oben bis unten. »Wird schon gehen.« Ich schlucke. Seine Augen sind so blau wie immer, erinnern mich aber an jemanden, an den ich nicht denken möchte. Auch von der Wärme, die er früher ausstrahlte, ist nichts mehr da. Seinetwegen habe ich mich an den Ort geschleppt, an den ich nie mehr zurückkehren wollte, das hatte ich mir geschworen. Ich bedaure es jetzt schon. »Wer kommt noch?«, fragt Brent. Warum sieht er mich dabei an? »Keine Ahnung«, antworte ich. Curtis lacht. »Weißt du’s nicht?« Schritte. Hier kommt Heather. Und wer ist das? Dale? Niemals – sind die immer noch zusammen? Dales einst wilde Haare haben jetzt einen modischen Schnitt, seine Piercings sind verschwunden. Seine trendigen Skateschuhe sehen nicht aus, als hätten sie schon mal ein Board gesehen. Ich vermute, Heather hat ihn voll im Griff. Wenigstens hat sie ihn sein Snowboard mitbringen lassen. Heather trägt ein Kleid – ein glitzerndes schwarzes – zu Strumpfhose und kniehohen Stiefeln. Muss verdammt kalt sein, trotz ihrer Puffa-Jacke. Ihre langen, dunklen Locken duften einen Hauch nach Haarspray, als sie mich umarmt. »Schön, dich zu sehen, Milla.« Sie muss sich ein paar Drinks genehmigt haben, bevor sie herkam, denn sie hört sich fast so an, als meinte sie es auch so. Ihre Stiefel haben einen acht Zentimeter hohen Absatz, wodurch sie drei Zentimeter größer ist als ich. Vermutlich trägt sie die Dinger genau deswegen. Sie lässt einen Ring aufblitzen. »Seid ihr zwei verheiratet?«, frage ich. »Glückwunsch.« »Seit drei Jahren.« Ihr nordenglischer Akzent ist deutlicher denn je. Brent und Curtis klopfen Dale auf die Schulter. »Hast dir mit deinem Antrag ziemlich Zeit gelassen, Bro, oder?«, stichelt Brent. Ich meine, sein Londoner Akzent ist auch stärker als früher. »Also, eigentlich hab ich ihm einen Antrag gemacht«, blafft Heather. Die Tür der Gondel öffnet sich ächzend. Ein Seilbahnmitarbeiter kommt hinter uns angeschlurft, die schwarze Kappe mit dem Logo des Skigebiets tief in die Stirn gezogen. Auf einem Klemmbrett hakt er unsere Namen ab und fordert uns mit einer Handbewegung auf, einzusteigen. Die anderen gehen an mir vorbei. »Sind das alle?«, frage ich und versuche, Zeit zu schinden. Dem Mann zufolge, ja. Irgendwas an ihm kommt mir bekannt vor. Alle anderen sind jetzt in der Gondel. Widerstrebend folge ich ihnen. »Wer sollte denn sonst noch da sein?«, will Curtis wissen. »Stimmt.« Ich nicke. Es gab noch ein paar andere, die kamen und gingen, aber von der ursprünglichen Gang sind nur noch wir fünf übrig. Oder besser gesagt, die Einzigen, die noch auf zwei Beinen stehen. Schuldgefühle überrollen mich. Sie wird nie wieder gehen können. Der Angestellte schließt die Tür. Ich versuche, sein Gesicht zu sehen, aber bevor ich dazu eine Chance bekomme, verschwindet er die Plattform hinunter zu seinem Leitstand. Die Gondel setzt sich mit einem Ruck in Bewegung. Genau wie ich starren die anderen gebannt durch die Plexiglasscheiben hinaus, während wir über die Tannenspitzen fliegen, dem schwindenden Licht den Berg hinauffolgen. Es ist komisch, unten Erde und Gras zu sehen. Dort lag immer nur Schnee. Ich suche nach Murmeltieren, aber die sind jetzt wahrscheinlich im Winterschlaf. Wir überqueren eine Felswand, und das winzige Dorf Le Rocher verschwindet aus dem Blick. So in der Luft hängend, während draußen die Landschaft vorbeizieht, überkommt mich ein ganz merkwürdiges Gefühl. Statt zum Berg aufzusteigen, scheinen wir uns in der Zeit zurückzubewegen. Und ich weiß nicht, ob ich bereit bin, mich der Vergangenheit zu stellen. Zu spät. Die Gondel schwingt bereits in die Mittelstation. Wir steigen aus, ziehen unsere Taschen hinter uns her. Es ist kälter hier, und dort, wohin wir gehen, wird es noch kälter sein. Eine französische Fahne flattert in der Brise. Das Plateau ist menschenleer. Auf halber Höhe verwandelt sich das Braun und Grün in Weiß: die Schneegrenze. »Ich dachte, der Schnee würde um diese Jahreszeit bis runter ins Tal liegen«, sagt Brent. Curtis nickt. »Das ist der Klimawandel.« Wir befinden uns im Zentrum des Winter-Skigebiets, mit Sessel- und Schleppliften in alle Richtungen, aber heute ist nur die Seilbahn geöffnet. Die Halfpipe war früher direkt neben dem kleinen Schuppen dort drüben. Der lange, u-förmige Kanal ist momentan nur ein matschiger Graben, aber vor meinem geistigen Auge kann ich die makellosen weißen Wände sehen. Damals die beste Halfpipe in ganz Europa, und ihretwegen waren wir alle in jenem Winter hier. Mein Gott, die Erinnerungen. Mich überkommt eine Gänsehaut. Ich sehe unsere jüngeren Versionen rempeln und lachen. Wir fünf. Plus die beiden, die fehlen. Ein eiskalter Windstoß wirbelt mir die Haare ins Gesicht. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Snowboardjacke bis zum Kinn hoch und beeile mich, den anderen zu folgen. Die Seilbahn wird uns auf fast dreitausendfünfhundert Meter hinaufbringen. Der Diable-Gletscher ist eines der höchsten Skigebiete Frankreichs. Die glänzenden orangen Gondeln hängen wie Weihnachtsbaumkugeln an den Drahtseilen. Curtis steigt in die nächste offene Gondel. Heather zieht an Dales Hand. »Lass uns eine allein nehmen.« »Nein, komm«, sagt Dale. »Wir passen schon alle rein.« Curtis gestikuliert. »Jede Menge Platz.« Heather scheint zu zweifeln, und ich sehe, was sie meint. In diese kleinen Gondeln passen theoretisch sechs Personen, aber mit unserem ganzen Gepäck müssten wir uns ziemlich reinquetschen. Dass sie einen Scheißkoffer dabeihat, macht es auch nicht wirklich leichter. Brent muss den Kopf einziehen, um die Gondel betreten zu können. »Du kannst auf meinen Knien sitzen, Mills. Reich deine Snowboardtasche rüber.« »Dale kann sich auf deine Knie setzen«, widerspreche ich. »Ich sitze hier.« Am Ende sitzt Heather auf Dales Knien, neben Curtis, mir und Brent gegenüber, die Taschen um uns herumgezwängt. Ohne seine Dreadlocks sieht Dale ziemlich seltsam aus. Mit seiner nordischen Hautfarbe hat er mich früher immer an einen Wikinger erinnert. Jetzt wirkt er eher wie der Moderator einer Gameshow. Wir flitzen über das Plateau. Diese...


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