Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-98707-121-8
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Briefe mit seltsamem Inhalt, schwere Waffen und viel Geld in einer Garage – als Entrümpler Sebastian Tandler bei einem Auftrag in einem Linzer Privatschloss auf die Spuren eines Verbrechens stößt, ist seine Neugier geweckt, und er beginnt Nachforschungen anzustellen. Doch dann gibt es Tote, und der Tandler gerät tiefer in die Sache hinein, als ihm lieb ist. Es hilft nur eins: Er muss den Fall aufklären, um sein eigenes Leben zu retten.
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EINS »Können Sie auch Schlösser?« Der Anrufer kam gleich zur Sache, sparte sich Gruß und Nennung seines Namens. Am Sonntag um acht Uhr früh. »Ich bin Entrümpler, kein Schlüsseldienst.« »Entrümpeln sollen Sie – nicht aufsperren!« Der Tandler setzte sich im Bett auf. Der Anruf hatte ihn aus einem leichten Vor-sich-hin-Büseln geschreckt, diesem angenehmen halb wachen und halb träumenden Zustand, dem er sich an Sonntagen nach dem ersten Aufwachen gern lang hingab. »Ein Schloss entrümpeln?« »Na no na ned! Auf Ihren Internetseiten steht, dass Sie ›Gebäude aller Art‹ machen – so ein Schloss ist doch auch ein allerartiges Gebäude. Hehe!« Das keckernde Lachen und der seltsame Humor des Anrufers erinnerten den Tandler an einen früheren ihm unangenehmen Mitschüler. Der hatte auch immer so gelachmeckert, wenn der Tandler vom Geschichtslehrer nach vorn zitiert worden war und ihm die geforderten Jahreszahlen nicht einfielen. Als ob es wichtig wäre, die Geburtsdaten historischer Persönlichkeiten auswendig aufsagen zu können – für ihn genügte es zu wissen, wo man solche Details nachschlagen konnte. »Wo ist denn das Schloss?«, fragte er und schaltete den Lautsprecher am Telefon ein, um die Hände für das Schreiben von Notizen frei zu haben. In der Schublade von seinem Nachtkastl mussten irgendwo Papier und Stift sein, die Suche danach verlief leider nicht geräuschlos. »Was machen Sie für einen Lärm?«, beschwerte sich der Anrufer. »Mitten in Linz ist es.« Ja eh, Schlösser mitten in Linz. Schon wieder so ein Scherzanrufer, das kam in letzter Zeit öfter vor. »Sie verzeihen, aber das Linzer Schlossmuseum werd ich nicht entrümpeln.« »Sie sind mir aber ein Schmähtandler, Herr Tandler. Hehe! Hehe!« Der lacht selbst am meisten über seine Witze, dachte der Tandler und wollte grußlos das Telefongespräch beenden, als der Anrufer weitersprach: »Es geht um den Ansitz Vormberg, unten am Römerberg. Hinten am Margarethenweg, beim Freinberg.« Der Tandler sortierte in Gedanken unten, hinten, Straßennamen und Topografiehinweis und versuchte, sich zu erinnern. Ja, das war tatsächlich in der Stadt. Nicht »mitten in der Stadt«, eher so gerade noch. Er kam selten in diese Gegend. Dort gab es zahlreiche Villen, dort wurde nur selten entrümpelt. Es handelte sich um eine der begehrtesten und teuersten Wohngegenden von Linz, wo prinzipiell alles mit »Berg« teuer war, egal, ob Pöstlingberg oder Freinberg. Ansitz Vormberg sagte ihm jedoch nichts. »Gut, ich brauche Ihren Namen, die genaue Adresse, und dann muss ich vorbeikommen, mir das Ganze anschauen.« Papier und Stift waren gefunden. »Mariano Zamberk-Tachov, Zamberk mit großem Z am Anfang und k am Ende, Tachov mit Vogel-Vau. Da waren früher ein paar vons und zus dabei, aber die dürfen wir ja seit 1919 nicht mehr laut sagen, hehe – Sie können sie sich aber gern dazudenken. Hehe!« Was für ein unsympathischer Mensch. Der Tandler hätte am liebsten aufgelegt, doch er brauchte den Auftrag. Seine finanzielle Situation war zwar nicht besorgniserregend, aber auch nicht besonders rosig. »Gut, Herr … Zamberk-Tachov. Ihre Telefonnummer hab ich ja auf dem Display, da brauch ich nur noch die genaue Adresse.« Zamberk-Tachov nannte die Hausnummer im Margarethenweg. »Geht’s gleich?«, fragte er. »Wie? Jetzt gleich?« Der Tandler dachte an sein Sonntagsritual, das langsame Aufstehen, das ausgiebige Frühstücken, darauf wollte er ungern verzichten. »Auf Ihrer Internetseite steht, dass Sie auch Notfälle machen.« »Ja, aber ist es denn ein Notfall? Ich mein, ein ganzes Schloss …« »Der Tandler ist ein Brodler, hehe, hehe! Nur langsam, Herr Tandler. Vertandeln S’ mir ruhig meine Zeit. Hehe! Es pressiert nicht, jetzt ist es kurz nach acht – wenn Sie um zehn da sind …« Ohne sich zu verabschieden oder eine Bestätigung des Termins abzuwarten, beendete der Anrufer das Gespräch. Der Tandler fuhr mit seinem Roller zum Margarethenweg. Den Kastenwagen benutzte er, wenn er etwas transportieren musste, jetzt aber ging es ja nur um eine Ortsbesichtigung und wahrscheinlich einen Kostenvoranschlag. Für den Fall, dass er sich entscheiden würde, den Auftrag anzunehmen. »OST Hausratsauflösung und Entrümpelung – O. Sebastian Tandler« stand in schnörkeliger schwarzer Schrift auf der Hinterradverkleidung der knallroten Vespa Rally 200, eines Schätzchens, das der Tandler aus einer Verlassenschaft für sich selbst behalten hatte. Der Tandler war nicht immer Entrümpler gewesen und auch nicht immer Linzer. Erst kurz vor seinem zwanzigsten Geburtstag war er aus Salzburg weggegangen und zu seiner Tante nach Linz gezogen. Nachdem er in Salzburg die Matura nur mit der schlechtesten aller möglichen Noten und nach zweimal Sitzenbleiben geschafft hatte, riet ihm der Antiquitätenhändler, bei dem er als Aushilfe nebenbei arbeitete, einen Handelsschulabschluss zu machen. Die Handelsakademie in Linz galt als die beste, und der Tandler hatte ohnehin keine Lust mehr auf Salzburg. Da traf es sich gut, dass seine Tante Brigitte nicht mehr allein leben wollte und konnte und ihm anbot, bei ihr einzuziehen. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Handelsakademie stellte ihn das Möbelhaus Manzenreither fest an, und er hätte zwar keine aufregende, aber eine solide Karriere im Verkauf beginnen können. Aber Ende der Neunziger glaubte der Tandler, unbedingt »etwas Eigenes« machen zu müssen, und dachte, Linz sei reif für ein Geschäft mit sündteuren japanischen Möbeln. Seine Selbstständigkeit mit der eigenen Nippon-Möbelwelt »kagu no sekei« endete nach sieben frustrierenden Jahren in einer Insolvenz. Kurz vor seinem fünfundvierzigsten Geburtstag passierten dann drei Dinge an einem Tag: Der Tandler wurde offiziell vom Gericht für schuldenfrei erklärt, seine Eltern verstarben bei einem Autounfall, und er erbte den alten Stadl bei Kirchschlag. Laut Testament hatten sie »nach Wert und sozialem Stand« entschieden, wer was erben sollte: seine beiden beruflich erfolgreichen Brüder die große Wohnung der Eltern in bester Lage in Salzburg-Aigen, die gut verheiratete Schwester das Ferienhaus am Fuschlsee – und er den Stadl im Oberen Mühlviertel. Der lag auf einer Wiese, die einmal vor langer Zeit zum Hauergütl, einem alten Bauernhof, gehört hatte, als Bauland ausgewiesen war und nach Schätzung eines betrügerischen Grundstücksmaklers angeblich so viel wert war wie die jeweiligen Erbanteile der Geschwister. Seine Großmutter und die Mutter des alten Hauerbauern waren Cousinen gewesen, so war dieser Stadl an die Großmutter vererbt und von dieser auf des Tandlers Mutter übertragen worden. Oft hatte der alte Bauer versucht, ihn zurückzukaufen, doch irgendeine alte Gschicht hatte dazu geführt, dass die Eltern des Tandlers den Stadl stur behalten und sich über den verärgerten Bauern lustig gemacht hatten. Nun gehörte der Stadl dem Tandler, er nutzte ihn, und der alte Bauer schien sich damit abgefunden zu haben. »Warum reißt du den Stadl nicht ab und baust Häuser hin?«, hatten seine Brüder gefragt, die es eilig gehabt hatten, ihre Erbteile zu verkaufen und die Wohnung leer zu räumen, denn: »Das alte Graffel muss weg!« »Weil die Sachen von Mama und Papa ja irgendwo gelagert werden müssen«, hatte der Tandler erwidert und alle Habseligkeiten aus den früheren Räumlichkeiten der Eltern in den Stadl geschafft. Nur wenige Monate später hatte er die Firma »OST Hausratsauflösungen und Entrümpelungen« gegründet. OST stand für Otto Sebastian Tandler. Er kam eine Viertelstunde zu früh am schmiedeeisernen Tor zum Ansitz Vormberg an. Eine Kamera beobachtete den Platz direkt vor der Einfahrt, doch der Tandler konnte keine Klingel entdecken. Er winkte in die Kamera, aber nichts geschah. Hinter dem Gitter war nicht viel zu erkennen: Große, alte Bäume versperrten die Sicht auf das Hauptgebäude, der Weg dorthin bog schon nach wenigen Metern nach rechts ab. Das Grundstück musste weitläufig sein. Leicht ruckelnd setzte sich das Tor plötzlich in Bewegung, der Motor surrte leise. »Der Herr Tandler, wie bestellt und nicht abgeholt, hehe!« Der Tandler sah sich um, irgendwo musste ein Lautsprecher sein, aus dem die Stimme seines Auftraggebers tönte. Der blecherne Klang passte zum meckernden Lachen. »Fahren Sie rein, ich will wieder zumachen!«, befahl Zamberk-Tachov. »Ihre Zwölf-PS-Wespe können Sie am Schloss abstellen, einfach bis zum Ende auf dem Weg bleiben. Nicht falsch abbiegen, das Grundstück ist zu groß, da find ich Sie dann nicht mehr, hehe.« Der Tandler startete die Vespa wieder, es ging leicht bergauf. Nach ungefähr fünfzig Metern ging linker Hand eine Abzweigung vom Hauptweg ab, die anscheinend zu einem Nebengebäude führte. Nach weiteren fünfzig Metern krümmte sich der Weg leicht, und er konnte zum ersten Mal in etwa hundert Metern Entfernung das Schloss und einen großen Vorplatz sehen. Ein bepflanztes Rondell zierte die Mitte des Platzes. Klein und verloren kam sich der Tandler vor, als er mit seiner Vespa diese hochherrschaftliche Auffahrt entlangtuckerte, die früher auch pompösen Kutschen ausreichend Raum zum Manövrieren geboten hatte. An das dreistöckige Schloss in klassischem Schönbrunner Gelb fügte sich links im rechten Winkel ein zweistöckiges Gebäude an. Über dem Eingangstor des Haupthauses befand sich ein großer Balkon. Auf dem stand Zamberk-Tachov und winkte gönnerhaft nach unten. »Stellen Sie sich vor, ich bin das Burgfräulein und...