Psychologisch-sozialmedizinische Versorgung von Familien Frühgeborener
E-Book, Deutsch, 280 Seiten
ISBN: 978-3-8409-2468-2
Verlag: Hogrefe Publishing
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Der Band stellt aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zur psychologisch-sozialmedizinischen Versorgung dar. Es geht u.a. um Fragen der psychosozialen Unterstützung von Risikoschwangeren, der psychologischen Krisenintervention und Traumaprävention im Zusammenhang mit einer Risikoschwangerschaft und -geburt, der Herausbildung elterlicher Pflege- und Versorgungskompetenz, der optimalen Unterstützung von Eltern-Kind-Bindungsprozessen und der Etablierung entsprechender Nachsorgeangebote. Der Band vermittelt konzeptionelle Grundlagen der psychologisch-sozialmedizinischen Versorgung und gibt Hinweise zur Konzeption entsprechender Angebote. Ausgewählte Interventionsmaßnahmen werden ausführlich vorgestellt und hinsichtlich ihrer Bedeutung und Wirksamkeit bewertet.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Pflege Kinderkrankenpflege
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Medizinische Fachgebiete Kinder- & Jugendpsychiatrie
- Sozialwissenschaften Psychologie Psychotherapie / Klinische Psychologie Familientherapie, Paartherapie, Gruppentherapie
- Medizin | Veterinärmedizin Medizin | Public Health | Pharmazie | Zahnmedizin Klinische und Innere Medizin Pädiatrie, Neonatologie
Weitere Infos & Material
1;Psychologie in der Neonatologie;1
2;Inhalt;7
3;Vorwort;9
4;Neonatologie – Stand und Perspektiven;11
4.1;Betreuung von Fru¨hgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit (1);13
4.2;Fru¨hgeburt: Von der medizinischen Behandlung des Kindes zur Begleitung seiner Familie (2);31
4.3;Lebensgewicht (3);41
5;Beiträge psychologischer Forschung und Praxis;47
5.1;Die Fru¨hgeborenenfamilie – Belastung und Bewältigung (4);49
5.2;Väter in der Neonatologie (5);62
5.3;Psychische Probleme im Zusammenhang mit Schwangerschaft und Entbindung (6);73
5.4;„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ – Von der familiären Übertragung psychischer Störungen (7);92
5.5;Trauma Fru¨h- und Risikogeburt (8);114
5.6;Elternberatung in der Neonatologie – Stationäre fru¨he Hilfen bei Risikogeburten (9);142
5.7;Elternschulung fu¨r Eltern fru¨hgeborener Kinder im FamilieNetz (10);156
5.8;Prävention langfristig ungu¨nstigerEntwicklungen bei Fru¨hgeborenennach dem IntraActPlus-Konzept (11);169
5.9;Möglichkeiten videogestu¨tzter Beziehungsförderung in Beratung und Fru¨hförderung (12);180
5.10;Musiktherapie in der Neonatologie (13);197
6;Psychologisch-sozialmedizinische Versorgung;211
6.1;Psychosoziale Arbeit als konstitutives Element eines Perinatalzentrums – Neuköllner Erfahrungen (14);213
6.2;Entwicklungsfördernde Konzepte in der Neonatologie – Anspruch und Wirklichkeit (15);220
6.3;Psychologisch-sozialmedizinische Versorgung im stationären Bereich – Dresdner Modell (16);240
6.4;Sozialmedizinische Nachsorge fu¨r Familien mit Fru¨hgeborenen und kranken Neugeborenen (17);257
6.5;Psychoneonatologie – Ein Epilog (18);268
7;Die Autorinnen und Autoren des Bandes;279
3.2 Rechtliche Grundlagen
Die rechtlichen Fragen der Behandlung extrem unreifer Frühgeborener bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Lebensrecht des Kindes, ärztlichem Heilauftrag, Elternwille und Kindeswohl.
Die Leitlinie weist hier auf das Grundgesetz (Art. 2 Abs. 2) hin: Schutz des Lebens und körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen. Und dies dann ohne Zweifel unabhängig von seinem gesundheitlichen Zustand und der zu erwartenden oder noch verbleibenden Lebensdauer. Andererseits wird aber auch betont, dass es „... keine Rechtsverpflichtung zur Erhaltung erlöschenden Lebens um jeden Preis“ gibt. Nicht die Effizienz der Apparatur, sondern die an der Achtung des Lebens und der Menschenwürde ausgerichtete Einzelfallentscheidung bestimmt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Grenze ärztlicher Behandlungspflicht, so dass „... Maßnahmen zur Lebensverlängerung [...] nicht schon deswegen unerlässlich [sind], weil sie technisch möglich sind“ (Wittig, 1984, S. 367). Dementsprechend wird angenommen, dass die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung generell begrenzt ist, wenn es faktisch unmöglich ist, einen Behandlungserfolg herbeizuführen, wenn eine Behandlung unzumutbar ist, ein Patient dauerhaft unfähig zur Kommunikation ist oder eine Behandlung gegen die Menschenwürde verstoßen würde.
Die Entscheidung, ob ein extrem unreif geborenes Kind mit unsicheren Überlebensaussichten bzw. nicht klar vorhersagbaren etwaigen Spätfolgen intensivmedizinisch behandelt werden soll oder nicht, steht den Eltern als Sorgeberechtigten (§§ 1626 Abs. 1, 1629 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB) zu. Ebenso wie jeder andere ärztliche Eingriff ist der Einsatz medizinischer Maßnahmen grundsätzlich an die Einwilligung des Patienten bzw. im Falle der fehlenden Einwilligungsfähigkeit an die seines gesetzlichen Vertreters gebunden. Der Arzt hat kein Recht zur eigenmächtigen Heilbehandlung, auch nicht aufgrund seiner Garantenstellung gegenüber dem Kind, die sich auf den Behandlungsvertrag mit den Eltern oder gegebenenfalls faktische Übernahme gründet.
Kernsätze rechtlicher Grundlagen
– Die ärztliche Pflicht zur Lebenserhaltung ist begrenzt, wenn es faktisch unmöglich ist, einen Behandlungserfolg herbeizuführen.
– Die Entscheidung über den Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen steht den Eltern als Sorgeberechtigten zu.
– Wenn Eltern die Durchführung einer indizierten lebenserhaltenden Therapie verweigern, kann ein eingeschaltetes Familiengericht tätig werden. Die Zustimmung zur Behandlung kann durch ein Familiengericht ersetzt werden. – Bisher gibt es keine Rechtsprechung in Bezug auf die elterliche Therapieverweigerung für extrem frühe Frühgeborene.
Das Recht der Eltern, über die ärztliche Behandlung ihres Kindes zu entscheiden und sich grundsätzlich auch gegen eine Therapieempfehlung des Arztes auszusprechen, ist aber durch das Kindeswohl begrenzt (§ 1666 Abs. 1 BGB). So wird die Verweigerung der Zustimmung zu einer „objektiv erforderlichen und gefahrlosen Operation“ als Sorgerechtsmissbrauch oder jedenfalls als unverschuldetes Versagen der Eltern gewertet mit der Folge, dass die Zustimmung zur Behandlung durch das Familiengericht ersetzt werden kann.
Jenseits einer solch klar strukturierten Situation sind Gefahren und Erfolgsaussichten einer Therapie gegeneinander abzuwägen, wobei eindeutige rechtliche Kriterien fehlen. Bisher gibt es keine Rechtsprechung in Bezug auf die elterliche Therapieverweigerung für extrem früh geborene Kinder.
3.3 Empfehlungen zur Erstversorgung von Frühgeborenen an der Grenze zur Lebensfähigkeit (AWMF Leitlinie Nr. 024-019, S. 1 ff.)
3.3.1 Frühgeborene vor 22 vollendeten Schwangerschaftswochen (p. m.)
„Ein Frühgeborenes vor Vollendung von 22 Schwangerschaftswochen ist nach heutigem Stand des Wissens nicht lebensfähig. In der Regel sollte man bei diesen Kindern auf eine initiale Reanimation verzichten. Es sollte nur palliativ betreut werden.“
3.3.2 Frühgeborene ab 22 bis 23 6/7 Schwangerschaftswochen (p. m.)
„In dieser Zeitspanne der Schwangerschaft steigt die Überlebenschance behandelter Frühgeborener auf bis zu 50 % an (Rieger-Fackeldey, 2005; Sauve, 1998; Lorenz, 1998; Herber-Jonat, 2006). Allerdings leiden 20 bis 30 % der überlebenden Frühgeborenen an schwerwiegenden Gesundheitsstörungen, die eine lebenslange Hilfe durch andere Personen notwendig macht. Die Entscheidung über eine lebenserhaltende oder eine palliative Therapie hat deshalb in jedem Einzelfall den dargelegten ethischen und rechtlichen Grundsätzen zu entsprechen und sollte nur im Konsens mit den Eltern getroffen werden.“
3.3.3 Frühgeborene ab 24 Schwangerschaftswochen (p. m.)
„Die Überlebenschancen behandelter Frühgeborener erreichen in Deutschland 60 % (zwischen 24 0/7 und 24 6/7 Wochen) sowie 75 % (zwischen 25 0/7 und 25 6/7 Wochen) mit regionalen Unterschieden. Bei diesen Frühgeborenen sollte grundsätzlich versucht werden, das Leben zu erhalten.“
Vor dem Hintergrund der gesunkenen Mortalität und Morbidität der Frühgeborenen dieser Altersgruppe erscheint eine Einschränkung bzw. ein Verzicht auf intensivtherapeutische Maßnahmen ethisch-moralisch bedenklich.
Nur peripartale Bedingungen, welche ein sehr schlechtes Outcome befürchten lassen, und/oder eine stark eingeschränkte Vitalität des Frühgeborenen unmittelbar nach der Geburt sollten zu einem Verzicht auf Reanimationsmaßnahmen und nachfolgende Intensivtherapie führen. In diesen schwerwiegenden Situationen sollte dann folgerichtig palliativen Maßnahmen der Vorzug gegeben werden.