E-Book, Deutsch, 272 Seiten
ISBN: 978-3-8458-0312-8
Verlag: arsEdition
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Celia Rees wuchs in England auf. Nach dem Studium der Geschichte und Politik an der Warwick University war sie 17 Jahre lang Englischlehrerin. Ihr erstes Buch, den Jugend-Thriller Every Step you take, veröffentlichte sie 1993. Auf Deutsch erschienen u. a. ihre sehr erfolgreichen Jugendromane Der Herr der Stürme, Hexenkind, Hexenschwestern und zuletzt Piraten!. Celia Rees lebt mit ihrer Familie in Leamington Spa, England.
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3
Das Rendez
Ich komme mit meinem Laptop her. Es ist eine Möglichkeit, in die Zeit zurückzukehren, die ich im Kopf habe. Die Zeit, über die ich schreiben will. Jesse versorgt mich ständig mit Kaffee. Wir sind jetzt befreundet. Sie hätte gerne, dass wir mehr sind, aber dafür ist es noch zu früh. Hier ist alles voller Spiegel. Manchmal blicke ich auf und erkenne mich selbst nicht.
Den Bericht habe ich als einen Brief an meinen Bruder angefangen. Aber das ändere ich vielleicht noch.
Es ist Ende Juli. Wir sind hier in dem Café, das du nicht magst, weil du es total kitschig findest und voller Arschlöcher. Es ist Freitagnachmittag, vier Uhr, jedenfalls nach der Schule, und du bist wahrscheinlich im Wetherspoon und trinkst ein paar Bier. Ich bin mit Cal hier. Wir waren einmal die besten Kumpel. Freunde seit dem Kindergarten, doch das ändert sich gerade. Um ehrlich zu sein, es hat sich schon geändert. Ich habe es nur nicht bemerkt.
Wir sprechen über dich. Als wir klein waren, hatte Cal Angst vor dir, auch wenn er dich auf dem Spielplatz ganz gerne mal in Anspruch nahm. Dein Name hat schon gereicht, um die Schlägertypen in Schach zu halten. Wenn er dich traf, hat er nie viel gesagt, nur: »Hallo, wie geht’s?« Vielleicht, weil du ihn nie besonders beachtet hast, selbst wenn er dir eins auswischte. Eigentlich hält sich Cal für einen schlimmen Finger. Es gefällt ihm, sich so zu sehen. Doch er ist genau das Gegenteil, ihm fehlt total das Zeug dazu. Er würde nie Scheiß bauen, aber er ist fasziniert von denen, die es tun.
Während er spricht, was er die ganze Zeit macht, schaue ich mich um und denke, dass du vielleicht recht hast. Dieses Café ist kitschig und voller Arschlöcher. Allein der Name – Abkürzung von .
Es sollte wohl irgendwie französisch wirken, mit abgeschabten Holztischen, die Wände gepflastert mit großen Spiegeln, Plakaten und Fotografien. Alte Werbung für verschiedene Getränke: Guinness, Pernod, Coca-Cola. Fotografien von lauter toten Leuten. Straßenszenen. Mitarbeiter vor Geschäften aufgereiht, die längst verschwunden waren. Wie die Stadt früher war. Die Spiegel voller kleiner Risse und fleckig, die silbrigen Widerspiegelungen, die sie liefern, von der Zeit verschmiert. Ich mag Spiegel. Sie bieten eine wunderbare Möglichkeit, Leute zu beobachten – Leute zu beobachten, die sich selbst betrachten.
Das mache ich. Ich betrachte Leute in den Spiegeln. Da sehe ich sie zum ersten Mal und höre Cal nicht länger zu. Sie sitzt zusammen mit einer älteren Frau, und die Ähnlichkeit ist groß genug, um zu erkennen, dass es ihre Mutter ist. Dabei ist auch noch ein ganzer Haufen anderer Frauen, die wirken, als wären sie die Freundinnen der Mutter. Sie machen sich über den Wein her, aber sie trinkt eine Cola light mit einem Strohhalm, lässt das Eis im Glas kreisen und schaut um sich, als wäre ihr langweilig.
Neben ihr sitzt ein jüngerer Typ, wahrscheinlich ihr Bruder, der sich durch eine Schüssel mit dicken Pommes mampft, die er erst in Ketchup tunkt und dann in Mayo, sodass die Mayo rot und schmutzig wirkt, als wäre sie blutverschmiert. Manchmal bietet er ihr die Schüssel an, doch sie winkt nur ab. Er ist selbst ein bisschen dicklich und wirkt erleichtert. Die Frauen achten nicht weiter auf die beiden, sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Nun haben sie die Flasche niedergemacht und bestellen eine weitere. Je mehr sie die Flasche leeren, desto lauter wird ihr Gelächter. Wenn eine Flasche leer ist, sorgt eine Kellnerin für Nachschub.
Die Mädchen, die hier arbeiten, sind sexy. Das reicht vielleicht nicht, um Rob herzubekommen, denke ich, doch bei Cal und mir funktioniert es. Es ist einer der Gründe, warum wir herkommen, der und die Tatsache, dass Cals Freundin Sophie mit ihrer Clique hier abhängt. Sie findet es hier total angesagt, und so findet Cal das natürlich auch. Mir wird jetzt auch klar, dass wir deswegen hier sind. Ich bin nur der Lückenbüßer. Er hat mit Sophie ausgemacht, sie hier zu treffen.
Ich frage mich, was das Mädchen im Spiegel sieht. Zwei Jungs, die Kaffee trinken. Ich bin der, der rechts sitzt: dunkel, etwas kräftige, kurze Haare, nett. Ihr Blick gleitet zu Cal. Er ist ein anderer Anblick. Die meisten Mädchen fahren auf ihn ab. Er streicht sich mit der Hand durch die Haare. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er in den Spiegel guckt. Ich erwarte, dass sie ihn weiter anschaut, doch sie wendet den Blick von ihm ab und wieder mir zu. Da schaue ich weg. Ich will nicht, dass sie glaubt, ich würde sie anstarren. Ich kenne sie. Eine von Marthas Freundinnen, oder wahrscheinlich eher Exfreundinnen, weil ich sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen habe. Sie lässt sich nicht ansehen, ob sie mich erkannt hat. Vielleicht erinnert sie sich nicht an mich.
»Hat er?«, fragt Cal.
»Hat er was?«
»Stoff besorgt? Ich brauch mal einen Zug. Du hast nicht zugehört. Wer ist sie?«
»Wer soll was sein?«
»Das Mädchen, nach dem du guckst.«
»Das ist Vanessa. War mal eine Freundin von Martha.«
»Vanessa Carrington?«
»Ja, genau. Sie wird Caro genannt.«
»Also das ist die. Die ist heiß!«
Er mustert sie, fährt sich dabei automatisch durch die Haare und setzt sein charmantestes Lächeln auf. Sie wirft uns beiden einen angewiderten Blick zu.
»Woher weißt du was von ihr?«, frage ich.
»Sophie hat mir von ihr erzählt.«
»Ach ja. Was hat sie erzählt?«
»Nur dass sie einen ziemlichen Ruf hat. Für dich wäre sie ein zu großer Brocken, Kumpel. Du bist ja nicht mal mit Suzy klargekommen… «
Er schaut mich total mitleidig an. Auf diese spezielle Art sieht er mich immer an, seitdem Suzy mich abserviert hat. Von ihr als Freundin hat er nicht viel gehalten, jedenfalls nicht im Vergleich zu der blonden Göttin namens Sophie. Sie wollte nie was mit uns zusammen machen, weil sie mich zu langweilig und Suzy zu gewöhnlich fand. Suzy ist für sie jetzt in Ordnung. Sie hat sich ein iPhone gekauft und einen Haarglätter und geht nicht mehr in River Island shoppen. Sie ist in. Ich bin out.
Ich hab nichts dagegen. Mir war sie lieber, als sie noch gewöhnlich war, und ich mag Sophie nicht. Sie ist Cals erste richtige Freundin, jedenfalls die erste, die sich von ihm vögeln lässt. Und jetzt kann er nicht genug bekommen. Ich sehe ihn kaum noch. Wenn doch, dann benutzt er mich als Lückenbüßer. Er hält das für Liebe. Vielleicht ist es das auch. Aber was weiß ich schon? Sie bewerben sich an denselben Universitäten. Dann werden sie eins dieser Studentenpärchen sein, die zusammen durch den Supermarkt gehen. Das Mädchen häuft das Gemüse im Einkaufswagen an, schmeißt die Pizzas raus und tauscht die Sixpacks gegen Quellwasser aus, während der Typ hinterhertrottet, den Einkaufswagen schiebt und sich total scheiße fühlt.
»Du bist sexbesessen, Mann. Alle sagen das«, revanchiere ich mich und lache.
»Wer sagt das?«
»Alle«, wiederhole ich. »Alle, die wir kennen.«
Er wirkt ein bisschen betroffen, fängt sich aber schnell wieder.
», mein Freund. Sie wird davon beherrscht.« Er rückt die Hüfte vor, und seine tief hängenden Jeans bauschen sich auf und wölben sich, als hätte er dort unten ein Riesending.
Ich grinse ihn an. Ich kenne die Realität. »Du bist nur neidisch, weil du keine hast.«
Da ist was dran.
Sein Gesicht wird wieder ernst. Früher war er meistens lustig. Heute nicht mehr.
Wie aufs Stichwort taucht Sophie auf. Sie verabschiedet sich draußen von ihren Freundinnen und winkt Cal durch die Scheibe zu. Suzy ist bei ihr und schaut durch mich hindurch, als hätte sie mich noch nie im Leben gesehen. Dann folgen eine Menge Umarmungen und Küsschen, Abschiedsgekreische und nach hinten geworfene Haare. Es ist, als würde Sophie für ein Jahr ins Ausland verreisen und nicht auf einen Kaffee hier reinkommen.
Caro verlagert den Blick. Sie schaut zu ihnen hin und sieht wieder weg.
Sophie kommt mit ausgestreckten Armen herein, huscht an mir vorbei und legt die Arme um Cal, küsst ihn und nennt ihn Baby, als befände sie sich in einer Billigversion von . Sie setzt sich an den Tisch und macht mit der Babysprache weiter. Ich werde ignoriert.
»Hallo, Sophie«, sage ich.
»Oh, hallo«, sagt sie und sieht mich an, als ob ich irgend so ein uncooles Haustierchen wäre wie ein Bullterrierwelpe, dann redet sie weiter auf Cal ein und erzählt ihm, was für einen unglaublichen Tag sie hatte.
»Ich bin dann weg.« Ich stehe auf. »Nett, dich getroffen zu haben, Sophie.«
»Ja, tschüss«, sagt sie, und ich werde mit einem leichten Wedeln der Hand entlassen. Ihre Armbänder und schäbigen kleinen Freundschaftsbändchen reichen ihr fast bis zum Ellbogen.
»Ich mach das schon.« Ich nicke Cal zu, der zurücknickt. Er lächelt, doch er hat diesen Blick in den Augen. Verloren und in Schrecken versetzt. Sophies Stimme verliert nun den Babyton, wird energischer und sachlicher. Cal fängt an, etwas zu sagen, aber sie hört nicht zu. Er versucht es noch einmal. Wieder dasselbe. Er blickt über ihre Schulter, als versuche er, die Entfernung bis zur Tür abzuschätzen.
, denke ich, während ich an der Kasse warte.