E-Book, Deutsch, Englisch, 396 Seiten
ISBN: 978-3-7065-5808-2
Verlag: Studien Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Im modernen Schulalltag stehen LehrerInnen vor einer Reihe von Herausforderungen: Problemlösung im Alltag, Strukturreformen, Vernetzung und Kooperation, Kreativität und Innovation, Inklusion, Weiterbildung und die allezeit präsente Forderung nach weitreichenden Kompetenzen.
- Ist das Idealbild einer solchen Lehrerpersönlichkeit überhaupt erreichbar?
- Wie können die Lehrenden die Schwierigkeiten, die dieses Idealbild mitbringt, meistern?
- Wie von der "Lehrperson" zur "Lehrerpersönlichkeit" werden?
Die Autoren des Bandes gehen den Menschen hinter den Methoden und Systemen auf den Grund: In 40 spannenden, informativen und anregenden Aufsätzen setzen sich nationale und internationale SpezialistInnen des Themas mit den Herausforderungen an die Lehrerpersönlichkeiten von heute auseinander, sprechen von ihren Erfahrungen und präsentieren innovative Ansätze und Lösungsvorschläge.
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Weitere Infos & Material
Christian Wiesner: Von der Unbelehrbarkeit der Theorien. Konkurrenz anstatt Wechselbeziehungen oder die Vielfalt der Teile anstatt der Wahrnehmung einer Gestalt
Christine Schörg: keine/ohne/? NETZE SPINNEN: Aspekte (im)materieller Vernetzungsszenarien
Ulrike Wagreich: Lehrerpersönlichkeit - was ist das? Der Weg von einer frisch graduierten Lehrperson zur Lehrerpersönlichkeit
Elisabeth Windl: Nie ist das menschliche Gemüt heiterer gestimmt, als wenn es seine richtige Arbeit gefunden hat
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Christine Schörg
keine/ohne/?
NETZE
SPINNEN
Aspekte (im)materieller Vernetzungsszenarien
Denn das bloße Anblicken einer Sache kann uns nicht fördern. Jedes Ansehen geht über in Betrachten, jedes Betrachten in ein Sinnen, jedes Sinnen in ein Verknüpfen, und so kann man sagen, dass wir schon bei jedem aufmerksamen Blick in die Welt theoretisieren. Dieses aber mit Bewusstsein, mit Selbsterkenntnis, mit Freiheit, um uns eines gewagten Wortes zu bedienen, mit Ironie zu tun und vorzunehmen, eine solche Gewandtheit ist nötig, wenn die Abstraktion, vor der wir uns fürchten, unschädlich, und das Erfahrungsresultat, das wir hoffen, recht lebendig und nützlich werden soll.1 Wenn im Text bewusst verschiedene Lesewege – auch eine Abkürzung – und damit verschieden intensive Herangehensweisen angelegt sind, so ist die Betrachtung doch verbunden mit der Hoffnung, dass die im Goethe-Zitat angedeutete Vertiefung stattfinden kann; und müssen Text und Bild hier auch naturgemäß mit zwei Dimensionen das Auslangen finden, so bleibt es als immanente Aufgabe dem Leser/der Leserin überlassen, alle anderen Dimensionen über diesen Zugang zu eröffnen und zu erschließen, so wie Transferleistungen in jedem Lese- und Verständnisprozess erforderlich sind.2 Genau um diesen Aspekt des Fehlenden, um das Negativ, um das Dazwischen, um die Pause, die Stille wird es auch gehen; um das, was im Japanischen „Ma“ genannt wird, um den Raum zwischen den Dingen, der ihnen erst ihre Bedeutung gibt und gleichzeitig Freiraum wie Chancen bietet – die japanische Ästhetik ist geprägt von dieser reinen Leere. Das nicht explizit Genannte, nicht Vorhandene, Ausgesparte, weiße Feld kann dann als Projektionsfläche dienen; in der indirekten Mitteilung sollen sich Bedeutungsspielräume eröffnen, und wo immer sich dem geneigten Rezipienten Transfergedanken aufdrängen, seien sie willkommen.3 „Wie soll man das also lesen?“4 Dieser in seiner Konzeption nichtlineare Text kann, wie auf diesen Seiten sich präsentierend, „Zeile für Zeile“ konsumiert werden, die Betrachtung der Struktur eröffnet allerdings Lesevarianten, die hier kurz erläutert werden sollen: Die Textbausteine sind in einem Radnetz an den Schnittstellen zwischen den Radialfäden (bzw. Speichen, mit den Buchstaben A bis E bezeichnet) und der Spirale (die Themenkreise 1 bis 4 abbildend) angeordnet; die Mitte, das Zentrum stellt den Themenmittelpunkt dar. A Geschichten5 zu erzählen, Geschichten zu lauschen, das macht auch den Menschen zum Menschen. Sie kommen aus der Mythologie, aus anderen Zeiten; sie begleiten Artefakte, insbesondere Bilder; sie werden von Menschen beigesteuert; wir erinnern uns, wir erfinden sie. Sie entführen uns – „… Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen …“6 – und sind geeignet, uns Zugang zu Themen zu verschaffen. B, C Erkenntnisse aus Wissenschaft und Forschung unter der Betrachtung von zwei Aspekten, die ineinandergreifen, werden entlang der beiden Radialen B und C angeordnet. D Menschen als Akteure in ihrem Handlungsfeld und bei ihrem Wirken zu beobachten, erscheint lohnend. Wie sie sich unter bestimmten Umständen und Einflüssen verhalten, wie sie agieren, also eingreifen und verändern oder abwarten, was sie motiviert, das soll in den Passagen der Radiale D jeweils Gegenstand der Betrachtung sein. E In Kürze Schnelle Formen der Information sind nicht nur unter dem Diktat der Zeitknappheit manchmal die richtige Variante, sich mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen. Die Verfolgung dieser Radiale bietet einen schnellen Weg durch alle Themenkreise zum Themenzentrum. 1 / Annähern
neugierig sein, näher kommen, beobachten, nachfragen, etwas anderes kennenlernen wollen, sich auf etwas Neues einlassen, sich damit vertraut machen und damit Verantwortung übernehmen, Grenzen überschreiten 1A / Verführung Netze sind nicht nur in vielfältiger Weise konkrete Bedingungen unserer gegenwärtigen Existenz. Der Terminus „Netz“ ist darüber hinaus eine starke Metapher, deren Verführungskraft im Kontext der Beschreibung personaler Identität vor allem darauf beruht, dass sie auf ebenso triftige Weise eine grundlegende Erfahrung des modernen Selbst in ein Bild bannt – die Erfahrung nämlich, dass das Ich sich weder ganz auf sich reduzieren noch allein aus sich erklären lässt.7 Verführung also … zu Arachne: Ohne Verzug nun nehmen sie Stand an gesonderten Stellen,
Und jedwede bespannt mit feinstem Gespinste den Webstuhl.
Fest ist der Zettel am Baum und vom Rohre geschieden der Aufzug.
Zwischengefügt wird jetzt vom spitzigen Schiffchen der Einschlag,
Den abwickelt die Hand, und quer durch die Fäden gezogen
Von des gestoßenen Kamms durchbrochenen Zähnen verdichtet.
Beide beeilen das Werk und rühren, am Busen gegürtet,
Während die Müh’ ihr Eifer verkürzt, die kundigen Arme.8 Arachne hat sich mit Pallas Athene auf einen Wettkampf der Webkunst eingelassen und sie weben Bilder, die Geschichten aus alten Zeiten illustrieren – „et velus in tela deducitur argumentum“ (Met. 6/69)9. Während die Göttin in verschiedenen Szenen Menschen abbildet, die im Wettstreit mit den Göttern unterliegen, stellt das Gewebe der Arachne alle möglichen Gestalten dar, die Götter annehmen, um Menschen in die Irre zu leiten und zu verführen (Jupiter als Stier mit Europa zum Beispiel). Sie erzählt die Geschichten der von Göttern Getäuschten und Betrogenen. Pallas Athene zerstört diesen Webteppich und verwandelt Arachne – in Entsprechung der von ihr selbst verwebten Motive der Unterlegenheit der Menschen und der Bestrafung durch die Götter – in eine Spinne.10 Die Künstlerin und ihre Nachkommen, insbesondere die späteren Dichterinnen und Dichter, müssen sich fortan den Faden für ihr Schaffen mühsam aus ihrem eigenen Körper ziehen;11 sie sind außerdem dazu verdammt, dass ihre Erzählungen in dünnen, leicht zerreißbaren Netzen gespeichert werden – die alten Überlieferungen sollen damit dem Verfall und dem Vergessen preisgegeben werden. Doch die Göttin wird überlistet: Der Stoff der Geschichten wird so zwischen den hauchdünnen Fäden eingelagert, dass er unsichtbar erhalten bleibt. Man könnte Arachne also als Mutter aller Dichterinnen und Dichter, perfekte Archivarin und erste Networkerin bezeichnen. Sie sorgt dafür, dass Bilder und Erzählungen aus alten Zeiten erhalten bleiben.12 Textilien und Texte präsentieren sich hier mit demselben etymologischen Hintergrund: Sie verbinden und verdichten Zeichen13 und machen sie anderen – dass diese die Zeichen deuten können, vorausgesetzt – auf Dauer zugänglich. Die Geschichten (und Geschichtenerzähler/ innen) und die Geschichte (und die Geschichtsschreiber/innen) dienen derselben, nämlich der „Wer nicht von dreitausend Jahren sich weiß Rechenschaft zu legen“-Forderung. Nur wer sich damit zufrieden gibt, „im Dunkel unerfahren“ bleiben und „von Tag zu Tage leben“ zu wollen, kann sich dieser Erfahrung und Verantwortung entziehen. Allerdings: Gewebe sind durch ein Oben und Unten von Fäden ohne Knoten gekennzeichnet und noch keine Netze. Indem sich die Weberin Arachne in eine Spinne verwandelt, entwickelt sich auch ihre Tätigkeit weiter: Sie verbindet in Zukunft ihre Fäden fest – wenn man in dem Zusammenhang auch nicht dezidiert vom Verknoten sprechen kann – und stellt Netze her.14 1B / Netze Netze sind insofern – und vordergründig betrachtet – einfach konstruiert, als sie aus nur zwei Bauelementen bestehen. Allein bei der Nennung, und erst recht bei der näheren Betrachtung dieser beiden Elemente, sind Entscheidungen zu treffen: Je nachdem, in welcher Weise sie bezeichnet werden bzw. wie ihre Anordnung beschrieben wird, werden ganz verschiedene Sichtweisen festgelegt. Netze können nämlich grundsätzlich auf zweierlei Weise und somit verschieden gedacht werden, auch wenn sie immer aus Linien und deren Kreuzungspunkten, den Knoten, bzw. eben umgekehrt aus Knoten und deren Verbindungen (Linien) bestehen:15 Die erste Möglichkeit besteht also darin, Netze als sich überschneidende Linien zu betrachten, die an den Kreuzungspunkten, die in einer Ebene liegen, miteinander verknüpft sind. Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die Linien bzw. letztendlich das Netz als solches. Beispiele für solche Netze sind vor allem die ursprünglichen dinglichen Netze – Fischernetze, Spinnennetze, Haltenetze –, die auch den semantischen Kern des vielfältig verwendeten Begriffes „Netz“ repräsentieren, aber auch abstrakte Netze, die eine Einordnung in ein System ermöglichen, beispielsweise Kartennetze oder andere Koordinatensysteme. Auch das Erfassen von Gedankenlinien bzw. deren Entwicklung und Zusammenführung wird durch ein Netz dieser Art möglich. Knoten sind in diesem Fall substanziell nichts...