E-Book, Deutsch, Band 5, 397 Seiten
Roman
E-Book, Deutsch, Band 5, 397 Seiten
Reihe: Die schönsten Liebesromane von Eileen Ramsay
ISBN: 978-3-7517-0175-4
Verlag: beHEARTBEAT
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Eileen Ramsay, in Schottland geboren und aufgewachsen, arbeitete in Washington, DC, und Kalifornien als Lehrerin. Neben der Liebe zur klassischen Musik war das Schreiben schon immer ihre Leidenschaft, die sie inzwischen zu ihrem Beruf gemacht hat. Die Autorin lebt mit ihrem Ehemann in Angus, Schottland, einer Landschaft, deren Reiz sie in ihren Romanen "Schmetterlingstage" und "Sternschnuppennächte" entfaltet. Mit "Jene Tage in Lissabon" zeigt sie ihren Lesern nicht nur die portugiesische Küstenstadt, sondern nimmt sie auch mit nach Wien, Paris und Hawaii. Eileen Ramsays Interesse an Familiengeschichten, die Liebe zum Reisen und ihre Leidenschaft für klassische Künste und Musik machen den Zauber und Erfolg ihrer Romane aus.
Homepage der Autorin: http://www.eileenramsay.co.uk/.
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Kapitel 3
Der Anwalt der Familie meldete sich am neunundzwanzigsten Dezember bei Suzanne. Als Lucy sie zu der Kanzlei in Dundee fuhr, zeigte ihre Mutter sich erstaunt, dass Anwälte zwischen Weihnachten und Neujahr arbeiteten. Lucy war mit ihrer Geduld am Ende, aber sie versuchte, Ruhe zu bewahren, denn sie ahnte, dass ihre Mutter sich auf Nebensächliches konzentrierte, weil sie sich dem, was geschehen war und noch geschehen würde, nicht stellen konnte. »Anwälte müssen auch leben, Mum, und eigentlich ist es doch besser, wenn wir wissen, woran wir sind.« Alles war leichter zu ertragen, wenn es mit wohlmodulierter, emotionsloser Stimme vorgebracht wurde: Professor Andrews wolle die Scheidung und habe den Scheidungsanwalt der Kanzlei beauftragt, ihn zu vertreten. Mrs Andrews müsse sich daher an eine andere Kanzlei wenden. Ihre Frage vorwegnehmend, versicherte der Jurist ihr, er sei gern bereit, Empfehlungen auszusprechen. Professor Andrews habe – an dieser Stelle wirkte der Anwalt verlegen, als sei er persönlich dafür verantwortlich – die Hälfte der Guthaben von allen Bankkonten abgehoben. Er räusperte sich vernehmlich und sah Suzanne direkt in die Augen. »Mir wäre es lieber gewesen, er hätte das nicht getan, aber Ihr Anwalt wird die Unterhaltsfragen dann mit Ihnen besprechen, Mrs Andrews, und Professor Andrews wird sich fair verhalten.« Er zupfte an seinen Manschetten, als wolle er betonen, dass er persönlich dafür geradestehen werde. Ferner führte er aus, sein Mandant werde Lucy weiterhin unterstützen, bis sie ihr Studium ganz abgeschlossen habe. »Im Übrigen will er nichts aus dem Familienhaushalt, keine Gemälde, kein Silber und so weiter.« Der nicht mehr ganz junge Anwalt räusperte sich erneut. »Wie Sie wissen, ist das Haus schuldenfrei, Mrs Andrews, seit Sie nach dem Tod Ihrer Tante die Hypothek getilgt haben.« Suzanne wurde leichenblass und sackte auf ihrem Stuhl zusammen. »O nein«, sagte sie matt. »Er hat das doch nicht etwa geplant – damals schon? Das kann doch nicht der Grund gewesen sein, warum er wollte, dass ich die Hypothek bezahle?« Lucy war aufgesprungen und schloss ihre zitternde Mutter in die Arme. »Nein, Mummy, so etwas würde er nicht tun, ganz bestimmt nicht.« Mr Palgrave von Palgrave, McWhirter & Palgrave bestellte Kaffee. Er wusste einfach nicht, was er sonst hätte tun sollen. »Ich schlage vor, dass Sie sich erst einen Anwalt nehmen, bevor wir weiter miteinander reden, aber seien Sie versichert, dass das Haus nicht ohne Ihre Zustimmung verkauft werden kann und dass der Betrag, den Sie allein beigesteuert haben, berücksichtigt werden muss, sollte es zum Verkauf kommen.« Er ging hinaus, um eine Liste empfehlenswerter Anwälte auszudrucken, weil er sich anscheinend lieber einer profanen Tätigkeit widmete, als einer Klientin Gesellschaft zu leisten, die er seit fast dreißig Jahren kannte, aber nicht vertreten durfte. Als er zurückkam, hatte Lucy ihre Mutter überredet, ein wenig von dem Kaffee zu trinken. »Wenigstens hast du jetzt Klarheit, Mum.« Lucy wollte ihrer Mutter Mut machen. »Und schau, auf der Liste steht auch eine Anwältin; die ist bestimmt super. Gleich anschließend gehen wir zur Bank, damit du dir ein Bild von der finanziellen Lage machen kannst.« Sie wandte sich an Mr Palgrave, der ein Gesicht zog, als befürchte er, Suzanne könne ohnmächtig werden. »Wir sollten neue Konten eröffnen, was meinen Sie?« Mr Palgrave verzog den Mund, als hätte er in eine Zitrone gebissen, und selbst seine distinguierte lange Nase wirkte, als habe man sie gezwickt. »Anstrengend, das alles«, erklärte er mit einem Nicken. »Aber ein Neuanfang, ein Neuanfang.« »Genau. Ein Neuanfang, Mummy. Zuerst gehen wir zur Bank, dann schauen wir bei Dino’s vorbei. Ich lade dich zu einem schönen Chardonnay ein, und du kannst dir einen Anwalt aussuchen. Vielen Dank, Mr Palgrave.« Sie verließen die Kanzlei, aber Lucy kehrte noch einmal um und nahm einige Immobilienprospekte mit, die dort auslagen, während ihre Mutter draußen wartete. »Ich glaube, jetzt ist erst einmal der Chardonnay an der Reihe, Lucy. Die Bank verschiebe ich lieber. Das ist alles ein bisschen viel auf einmal. Und wie soll ich mich für einen Anwalt entscheiden? Die Radcliffes sind schon immer bei den Humphrys gewesen und die Familie deines Vaters bei Palgrave.« Weil Lucy fahren musste, entschieden sie, dass zu dem Glas Wein ein Sandwich hermusste. Der Schnee war längst verschwunden, aber es war eisig kalt und der Himmel beinahe schwarz. Schon jetzt, um kurz nach vier, verströmte der silbrige Mond sein blasses Licht. »Starlight, star bright, first star I see tonight«, sagte Lucy, und wie aufs Stichwort zeigte sich ein Stern. »Du hast einen Wunsch frei, Mum.« Suzanne schwieg, und Lucy überlegte, was sie sich wünschen sollte. »Ich hab’s.« Sie hätte sich am liebsten gewünscht, dass Sam anrief oder dass sich ihr Vater meldete und erklärte, er sei aufgewacht und habe erkannt, was für einen schrecklichen Fehler er begangen hatte. Mum soll nicht mehr so deprimiert sein, wünschte sie sich schließlich, sprach es aber nicht aus. Zu Hause fanden sie keine Nachrichten auf dem Anrufbeantworter, aber Mrs Baxter, die Putzfrau, war da gewesen und hatte im Wohnzimmer den Kamin gesäubert und das Holz für ein neues Feuer perfekt aufgeschichtet. »Ich mag offenes Feuer«, bemerkte Suzanne, »aber ich hasse es, die Asche wegzuräumen. Die gute Mrs Baxter!« Sie riss ein Zündholz an und beobachtete, wie sich der Rauch um die Kanten des zerknüllten Papiers zwischen den Scheiten kringelte. Hier und da tanzten kleine Flammen, die sich plötzlich vereinigten, sodass Funken in den Rauchabzug stoben. »Ich hänge an diesem Haus«, sagte sie. Lucy antwortete nicht, sondern beschäftigte sich damit, die Vorhänge zuzuziehen. Suzanne nahm den Messingschürhaken zur Hand und legte ihn wieder weg. »Mir fällt etwas ein. Am ersten Feiertag hast du dich doch beklagt, dass es hier gar keine Fotos von meiner Mutter gibt, da habe ich mich erinnert. Achte doch mal aufs Feuer, ich bin gleich wieder da!« Ein paar Minuten später kam sie mit einem alten Notenkoffer aus Leder zurück, den sie schwungvoll präsentierte. »Der hat meiner Mutter gehört. Meine Tante Honoria hat ihn mir vor ein paar Jahren gegeben, aber ich hatte nie so recht Zeit, den Inhalt zu sichten.« Sie öffnete die Lederschlaufe mit dem Metallverschluss und klappte den abgegriffenen Koffer auf. »Hier sind Briefe von meiner Mutter an ihre Mutter und Zeichnungen – manche sind nicht schlecht, finde ich, aber ich verstehe nichts von Kunst. Außerdem alte Zeitungsartikel, was ein wenig merkwürdig ist. Aber wenn du alles studierst, sagen sie dir vielleicht etwas. Ich vermute, meine Mutter hat sie gesammelt, aber ein paar stammen auch aus der Zeit nach ihrem Tod.« Die Historikerin in Lucy war sofort hellwach. Zeitungsartikel, Briefe, Gebrauchsgegenstände. »Mum, das ist ja phantastisch! Alte Briefe sind sogar für Junghistoriker wie mich Gold wert. Ich möchte sie mir gern ansehen. Wenn darunter auch welche aus dem Krieg sind, würde mir das sogar bei meiner Doktorarbeit helfen.« »Ich wüsste nicht, wie. Da war zwar etwas über Gemälde aus jüdischem Besitz, die von den Nazis gestohlen wurden, und über einen Franzosen, der posthum einen Orden erhalten hat … Aber es war niemand, den wir kennen, kein Bonneville.« Lucy hörte nur mit halbem Ohr hin. Mit dem Notenkoffer in der Hand stand sie da und spürte, dass sie ganz aufgeregt war. Warum bloß? Sie hatte schon öfter alte Dokumente vor sich gehabt, allerdings nie solche, die ihre Familie betrafen. Sie schob die Ärmel ihres viel zu großen pinkfarbenen Pullovers hoch, um sich an die Arbeit zu machen. Sie betrachtete den Inhalt des Koffers und sog den verheißungsvollen Geruch nach uraltem Papier und hochwertigem Leder ein. Historiker achten stets darauf, Quellenmaterialien Schicht für Schicht zu entnehmen und sie in der Reihenfolge zurückzulegen, wie sie sie vorgefunden hatten, aber hier hatte sich entweder niemand die Mühe gemacht, den Inhalt zu ordnen, oder der Koffer war schon mehrfach durchwühlt worden. »Wann hast du dir das zuletzt angesehen, Mum?« Sie nahm den obenauf liegenden vergilbten Zeitungsausschnitt heraus. Suzanne wirkte ein wenig verlegen. »Ich hatte vor, alles durchzulesen, aber es war nie der richtige Zeitpunkt dazu, und offen gestanden hatte ich auch keine Lust.« Ihre Stimme war so leise geworden, dass Lucy sie kaum verstand. »Ich habe aufgehört, etwas zu fühlen, als ich fünf Jahre alt war, und erst wieder damit angefangen, als ich deinem Vater begegnet bin, und was habe ich nun davon?« Mit sichtlicher Anstrengung riss sie sich zusammen und sprach weiter: »Ich habe die Briefe meiner Mutter gelesen, aber sie sind nicht chronologisch, das fand ich verwirrend, außerdem fehlen Seiten. Irgendwie schienen sie nichts mit mir zu tun zu haben, mit dem Menschen, der ich war, als ich sie erhielt … Vielleicht hätte ich jünger sein müssen.« Sie seufzte, zweifellos dachte sie an versäumte Gelegenheiten. »Schau dir ruhig alles an! Ich mach uns inzwischen etwas zu essen. Und lass das Feuer nicht ausgehen.« Lucy nickte zustimmend, obwohl sie die Ermahnung ihrer Mutter kaum mitbekommen hatte. Sie hielt einen Artikel aus dem Jahr 1953 in der Hand, einige Jahre nach dem Tod ihrer Großmutter, ergänzt durch eine ziemlich grobkörnige Schwarz-Weiß-Aufnahme. Darauf war eine höchst attraktive und – für die damalige Zeit – vermutlich elegante junge Frau...